Berlin - Der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) hat Deutschland und Portugal aufgefordert, ihre Haushalte in diesem Jahr strikt zu führen. Beide Länder verpflichten sich, bis 2004 ausgeglichene Haushalte führen. Ursprünglich hatte die EU-Kommission den Ministern empfohlen, beiden Ländern einen Blauen Brief mit einer formellen Rüge wegen der Haushaltspolitik zu überstellen.
Der mögliche Brief und der am Dienstag vereinbarte informelle Warnung sind Teile eines Frühwarnsystems. Zu diesem System haben sich die Euro-Länder im Rahmen des europäischen Finanz- und Stabilitätspaktes - Bestandteil des Vertrages von Maastricht - seit 1997 verpflichtet. So soll verhindert werden, dass nationale Finanzpolitik die stabilitätsorientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank EZB unterläuft.
Die Euro-Staaten müssen in jedem Jahr ihr Stabilitätssprogramm offen legen. Experten der EU-Kommission, des Wirtschafts- und Finanzausschusses und des Ecofin bewerten die Wirtschaftsdaten. Wenn die Gutachter feststellen, dass die Haushaltslage eines Staates vom mittelfristigen Ziel und dem Weg, dieses zu erreichen, "erheblich" abweicht, kann Ecofin zunächst Maßnahmen zur Anpassung empfehlen. Hält die defizitäre Haushaltspolitik eines Landes an, fordert Ecofin das Land zu Korrekturen auf.
Warum Deutschland der Blaue Brief drohte: Für dieses Jahr erwartet die EU-Kommission, dass Deutschlands Haushaltsdefizit 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen dürfte - also ein Anwachsen der Neuverschuldung. Dies sei „gefährlich nahe“ der nach dem Stabilitätspakt gültigen Grenzmarke von drei Prozent des BIP, begründeten die Kommissare ihre Forderung nach einem Blauen Brief, der formellen Verwarnung.
Wann die Überwachung beginnt: Wenn nach den vorgelegten Zahlen und Warnungen das Haushaltsdefizit eines Landes dennoch mehr als drei Prozent des Bruttoinlandprodukts beträgt und Ecofin dies als erhebliches Defizit feststellt, beginnt das Überwachungsverfahren.
Die Konsequenzen: Die Regierung des betroffenen Landes hat zehn Monate Zeit, das Defizit abzubauen. Ansonsten greifen Sanktionen. Zunächst muss das Land bei der EZB eine zinslose Stabilitätseinlage von 0,2 Prozent des BIP als Sockelbetrag plus einem proportionalen Betrag einzahlen. Letzterer hängt davon ab, wie stark die Drei-Prozent-Marke der zulässigen Neuverschuldung überschritten worden ist. Insgesamt darf die Einlage 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten.
Mögliche Kosten für Deutschland: Im Fall Deutschlands wären dies Milliardenbeträge in Euro. Wenn das nach Maßgabe des Stabilitätspaktes übermäßig verschuldete Euro-Land das jährliche Haushaltsdefizit nicht unter die jeweilige Obergrenze senken kann, würde aus der EZB-Einlage eine Strafe, von der Länder mit regelgerechter Haushaltspolitik profitieren sollen.
Ausnahmen: Wenn die Rezession in einem Euro-Land in einem Jahr mehr als zwei Prozent des BIP beträgt. Dann darf dessen Haushaltsdefizit über drei Prozent des BIP liegen. Schrumpft das inländische Wirtschaftswachstum auf 0,75 bis zwei Prozent, muss das Land ein Defizit über der Dreiermarke begründen. ot
EU Verordnung von 1997Homepage Bundesregierung 25.04.2001
Wie wird auf Dauer für Stabilität gesorgt?Manche befürchten, die Stabilität sei nur beim Beginn der Währungsunion gewährleistet. Was aber ist, wenn einzelne Teilnehmer später aus der Stabilitätsgemeinschaft ausbrechen und in die alte Verschuldungsmentalität zurückfallen? Diese Furcht ist unbegründet, denn der Maastrichter Vertrag schlägt hier feste Pflöcke ein, die Stabilitätsgemeinschaft wird sozusagen rechtsverbindlich eingezäunt. Dieser Stabilitätszaun besteht aus folgenden Eckpfosten:
Budgetdisziplin: Manche befürchten, die Stabilität sei nur beim Beginn der Währungsunion gewährleistet. Was aber ist, wenn einzelne Teilnehmer später aus der Stabilitätsgemeinschaft ausbrechen und in die alte Verschuldungsmentalität zurückfallen? Diese Furcht ist unbegründet, denn der Maastrichter Vertrag schlägt hier feste Pflöcke ein, die Stabilitätsgemeinschaft wird sozusagen rechtsverbindlich eingezäunt. Dieser Stabilitätszaun besteht aus folgenden Eckpfosten:
Budgetdisziplin:
Der Vertrag sieht feste Spielregeln vor, um die Währungsunion auf Dauer vor übermäßigen Haushaltsdefiziten einzelner Teilnehmer zu schützen und die Haushaltsdisziplin zu sichern. Damit kann die stabilitätsorientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nicht durch eine unsolide Finanzpolitik einzelner Staaten unterlaufen werden. Die EZB darf keine Kredite an staatliche Stellen vergeben, um Haushaltslöcher zu stopfen. Der Vertrag schließt aus, dass für die Schulden eines Mitgliedslandes die Europäische Union oder ein EU-Partner haftet. Klartext: Wir müssen nicht für die Schulden anderer EU-Partner aufkommen, derartige Befürchtungen sind gegenstandslos.
Die finanzpolitischen Konvergenzkriterien - also Obergrenzen für das Haushaltsdefizit und den Schuldenstand des Staates - gelten nach dem Eintritt in die europäische Währungsunion auf Dauer fort. Die Einhaltung wird regelmäßig überwacht. Der EU-Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen ging am 1. Mai 1998 noch einen Schritt weiter: "Je größer die Schuldenquoten der teilnehmenden Mitgliedstaaten sind, desto mehr müssen sie sich anstrengen, um diese Quoten zu verringern." Außerdem sollen gute wirtschaftliche Bedingungen zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden, um in guten Zeiten zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen. Die EU-Finanzminister erhoffen sich davon ein günstigeres Umfeld für Wachstum, ein höheres Maß an Beschäftigung und größeren sozialen Zusammenhalt in Europa.
Stabilitäts- und Wachstumspakt:Hauptzweck ist die dauerhafte Sicherung einer soliden Haushaltspolitik der Euro-Teilnehmer. Ein ausgefeiltes System von Sanktionen zielt auf eine Doppelwirkung bei der Haushaltsdisziplin: Vorbeugung und Abschreckung. Ein Frühwarnsystem sorgt für die rechtzeitige Überwachung der Schuldenentwicklung. Wenn ein Mitgliedstaat bei der Neuverschuldung die 3%-Marke überschreitet, löst die EU-Kommission automatisch das Haushaltsüberwachungsverfahren aus. Das erhöht das Abschreckungspotential. Ausnahmen von dieser 3%-Regel gibt es nur bei außergewöhnlichen Ereignissen, z.B. Naturkatastrophen oder einer schweren Rezession. Nur bei einem sehr starken Wachstumseinbruch, einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts um 2% oder mehr, wird dem betroffenen Land eine Ausnahme ohne weiteres zugestanden. Bleibt bei einer mittleren Rezession die Schrumpfung unterhalb von 2%, kann der Rat eine Ausnahme gewähren, wenn das betroffene Land dafür gute Gründe nachweist. Der Ermessensspielraum ist stabilitätsgerecht begrenzt. Bei einer leichten Rezession (das Bruttoinlandsprodukt schrumpft um weniger als 0,75%) gibt es keine Gnade für Haushaltssünder.
Wer sein übermäßiges Haushaltsdefizit nicht angeht, wird mit einem "Blauen Brief" abgemahnt. Wenn der Haushaltssünder sein Budget nicht in Ordnung bringt, werden Sanktionen eingeleitet. Zunächst ist eine Stabilitätseinlage fällig, das heißt es muss ein hoher Geldbetrag bei der Europäischen Kommission zinslos hinterlegt werden. Nach weiteren zwei Jahren wird die zinslose Einlage in eine endgültige Strafe umgewandelt, wenn das übermäßige Haushaltsdefizit nicht korrigiert wurde. Die Geldbuße fließt den Euro-Ländern zu, die kein übermäßiges Defizit aufweisen. Die Höhe der Sanktionen steht fest: Sie beträgt 0,2% des BIP als Sockelbetrag und eine zusätzliche proportionale Komponente, die von der Überschreitung des 3%-Referenzwertes abhängig ist. Maximal kann die Sanktion 0,5% des BIP betragen. Das ist ausreichend hoch, um abschreckend zu wirken. Beispiel: 0,2% des BIP wären in Deutschland ungefähr 7,5 Mrd. Mark. Der Stabilitätspakt sieht damit im Extremfall Strafen in Milliardenhöhe vor. Eine derartige Geldbuße für Haushaltssünder ist weltweit ohne Beispiel.
Dass es natürlich absoluter Blödsinn ist, einem Land das Pleite ist noch mehr Geld abzunehmen, ist zwar offensichtlich, doch was besseres fällt mir gerade auch nicht ein...
Gruß Borgling