Der wichtigste Preis der Welt

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Der wichtigste Preis der Welt

 
14.02.03 10:46

Die Menschheit kommt nicht los von der schwarzen Droge: Dreißig Jahre nach der ersten Ölkrise ist die Wirtschaft abhängiger denn je

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© Rene Burri/Magnum/Agentur Focus
Oben auf der Wiese wachsen Gras und Klee, wie sie auf Wiesen eben wachsen, aber tief unten in der Erde ist alles anders. 1800 Meter unter ostfriesischem Viehfutter lagert in großen Hohlräumen die Nahrung der deutschen Wirtschaft: 400000 Tonnen Öl, hinabgepumpt und überwacht von den Mitarbeitern des Erdölbevorratungsverbandes. Der verwaltet seit 25 Jahren mehrere hundert Tanks und unterirdische Speicher im ganzen Bundesgebiet, gefüllt mit Öl für 90 Tage, gelagert für den Notfall. Den Terrorfall. Den Kriegsfall.

Für den Fall, dass in Deutschland das Öl knapp wird.Vorkriegszeit ist Albtraumzeit. Der Horror könnte so aussehen: Ein Angriff auf den Irak, und als Antwort jagen Terroristen in Saudi-Arabien die Pipelines in die Luft. Bomben auf Bagdad, und in Rotterdam und Houston explodieren die Raffinerien. Raketen auf Saddams Palast, und in ganz Nahost brennen die Ölquellen.

Das Schlimme an solchen Schreckensszenarien ist: Sie brauchen gar nicht Wirklichkeit zu werden, um Wirkung zu zeigen.

Denn Erdöl wird an der Börse gehandelt, und dort bestimmen nicht Fakten den Preis, sondern Erwartungen, Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten. Seit Monaten gehen Ölkonzerne, Benzinhändler und Investmentbanken von einem baldigen, aber kurzen und erfolgreichen Krieg im Irak aus. Schon das hat den Ölpreis auf über 30 Dollar je Barrel (159 Liter) steigen lassen.

Sollte es tatsächlich zum Krieg kommen, dieser aber nicht so glatt verlaufen wie ein Videospiel, dürfte Öl sehr schnell viel teurer werden. Die HypoVereinsbank rechnet mit 70 Dollar pro Barrel und mehr. Profispekulanten könnten den Preis zusätzlich in die Höhe treiben, sagt Wolfgang Wilke, Rohstoffexperte der Dresdner Bank.

Dann würde sich zeigen, was drei Jahrzehnte nach der ersten Ölkrise heute gern verdrängt wird: Die Weltwirtschaft ist noch immer eine Ölwirtschaft.

Was haben sich Professoren, Politiker und Journalisten in den vergangenen Jahren doch für hübsche Wörter einfallen lassen: Wissensgesellschaft. Dienstleistungsgesellschaft. New Economy. Begriffe, die den Eindruck erwecken, das Wohl der modernen Welt hänge an Computern, Call-Centern und klugen Konzernchefs.

Von wegen.

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März 2000. Amerika feiert seinen Jahrhundertboom, Wirtschaftsforscher sprechen vom Ende des Konjunkturzyklus, da meldet sich der britische Ökonom Andrew Oswald von der Universität Warwick zu Wort. Nicht das Internet habe das ungewöhnlich hohe Wirtschaftswachstum verursacht, behauptet Oswald, sondern der in den Neunzigern ungewöhnlich niedrige Ölpreis. Da der Preis aber schon seit Monaten wieder stark steigt, sagt Oswald für das Frühjahr 2001 eine Rezession voraus; so lange werde es dauern, bis das teure Öl die gesamte Wirtschaft vergiftet habe. Kaum jemand nimmt Notiz davon.

März 2001. Die US-Wirtschaft rutscht in die Rezession, wenig später beginnt auch in Deutschland die Krise.

Es war wie eine Reise in die Vergangenheit.

Auch Mitte der siebziger sowie Anfang der achtziger und neunziger Jahre brach die Weltwirtschaft ein. Jedes Mal war ein bis anderthalb Jahre zuvor der Ölpreis stark gestiegen. Aber damals war das kein Wunder. Damals, so schien es, war Öl viel wichtiger als heute.

Für jeden Dollar, den die Industrieländer erwirtschaften, verbrauchen sie heute 40 Prozent weniger Öl als Anfang der siebziger Jahre. Die Hypothese von der gestiegenen Bedeutung von Diensten und Daten ist also gar nicht so verkehrt. Rein rechnerisch sind die Unternehmen heute weniger auf Öl angewiesen als früher.

Trotzdem schreibt die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs in einer aktuellen Studie, es gebe „keinen Grund zu glauben, dass ein Ölpreissprung heute weniger schädlich wäre als in der Vergangenheit“.

Trotzdem prophezeit der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz eine Weltwirtschaftskrise wie in den Siebzigern, sollte der Ölpreis infolge eines Krieges im Irak tatsächlich nach oben schnellen.

Es spricht einiges dafür, dass er Recht hat.

Erstens haben die großen Raffinerien ihre Ölvorräte in den vergangenen Jahren drastisch reduziert. Sie sparen einerseits Lagerkosten, können andererseits aber einen Preisschock nicht mehr durch gehortetes Billigöl ausgleichen. „Dadurch bekommen Unternehmen und Verbraucher die Preissteigerung schneller zu spüren“, sagt Bernhard Hillebrand, Energieexperte vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.

Zweitens haben zwar viele Industrieländer ihre Heizöfen und Kraftwerke auf andere Energieträger wie Gas, Kohle oder Kernspaltung umgestellt. Aber der Preis dieser Energieträger, vor allem der des Erdgases, orientiert sich wiederum am Ölpreis. Wird Öl teurer, wird Energie allgemein teurer. Und egal, ob Autos oder Software, Druckereimaschinen oder Cheeseburger – „letztlich besteht alles, was der Mensch produziert, aus zwei Dingen: Arbeit und Energie“, so Ökonom Andrew Oswald.

Drittens hat Öl in einem Wirtschaftsbereich immer noch beinahe ein Monopol: im Transport. Der moderne Mensch arbeitet womöglich nicht mehr in der Industrie, aber in ihre Büros fahren die Programmierer, Designer und Controller jeden Morgen in mit Öl betriebenen Autos. Ihre Computer haben mit Öl betriebene Lastwagen aus dem Nachbarland angeliefert, und die Spielsachen ihrer Kinder kamen auf mit Öl betriebenen Schiffen aus Ostasien. Abends lassen sie sich auf mit Öl betriebenen Motorrollern eine Pizza bringen, und am ersten Urlaubstag steigen sie in ein mit Öl betriebenes Flugzeug. Kurz, fast alles von Menschen Geschaffene, das sich auf dieser Erde mit mehr als 40 Kilometern pro Stunde bewegt, bewegt sich mithilfe von Öl. Da aber Transport und Bewegung in der modernen Wirtschaft eine noch größere Rolle spielen als früher, könnte eine plötzliche Verteuerung von Benzin, Diesel und Kerosin noch schlimmere Auswirkungen haben als vor 20 oder 30 Jahren, schreiben die Ökonomen von Goldman Sachs.

Die Stein-, Bronze- und Eisenzeit sind vorüber, aber es scheint, die Wissens- und Dienstleistungswelt hat noch nicht so recht begonnen. Der Mensch lebt immer noch im Kohlenwasserstoff-Zeitalter. Der Preis der wichtigsten aller Kohlenwasserstoff-Verbindungen, des Erdöls, bestimmt über den Wohlstand ganzer Länder. Und wer wiederum über den Ölpreis bestimmt, hat mitunter mehr Macht als Konzernchefs, Finanzminister und Notenbankpräsidenten zusammen.

März 1999. Der Ölpreis liegt knapp über zehn Dollar pro Barrel, so niedrig wie selten, da treffen sich in Wien die Vertreter der elf Mitgliedsländer der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) und beschließen, weniger Öl zu fördern. Bis September 2000 steigt der Preis auf 37 Dollar (die Grafik Teures Öl bremst die Wirtschaft zeigt jeweils Jahresdurchschnitte).

Ungefähr 27 Dollar zu viel. Würde jedes Ölland so viel Öl fördern und verkaufen, wie es kann, kostete ein Barrel Rohöl etwa acht bis zwölf Dollar, schätzt RWI-Experte Hillebrand. Es wäre das Ergebnis des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage.

Aber der Ölpreis wird nicht vom Markt bestimmt, sondern von Strategie und Absprache – von den Mitgliedern der Opec, vor allem von Saudi-Arabien und den übrigen vier Staaten am Persischen Golf. Indem sie das Angebot künstlich reduzierten, haben sie den Ölpreis immer wieder nach oben getrieben und damit für eine ökonomische Rarität gesorgt. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Weltmarktpreise der meisten Rohstoffe gesunken. Viele Entwicklungsländer warfen unkoordiniert auf den Markt, was ihre Erde hergab, und versorgten so den Norden mit billigem Rohmaterial. Nur Öl blieb teuer, und die Opec-Länder machten Gewinne.

Zwar hielten sich manche von ihnen nicht an die Vereinbarungen und verkauften mehr Öl als abgesprochen, um zusätzlichen Umsatz zu machen. Zwar verschätzten sie sich manchmal und erhöhten etwa ausgerechnet kurz vor der Asienkrise die Fördermenge, als die Nachfrage nach Öl nicht stieg, sondern sank – woraufhin der Preis einbrach. Aber wenn es darauf ankam, wie im März 1999, dann funktionierte das Kartell, dann stiegen die Preise und die Einnahmen. „Die Opec ist heute mächtiger denn je“, sagt Manfred Horn, Rohstoffexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin.

Wahrscheinlich wird ihre Macht noch wachsen.

Zwar ist Öl keineswegs knapp; unter der Erde gibt es genug davon, um die Räder, Turbinen und Schiffsschrauben dieser Welt noch ein paar Jahrzehnte anzutreiben. Aber schon jetzt liegen 80 Prozent der bekannten und kostengünstig auszubeutenden Reserven auf dem Hoheitsgebiet der Opec-Länder. Dieser Anteil wird wohl noch steigen. Um den Einfluss der Opec zu mindern, haben die Industrieländer aus eigenem Boden Öl gepumpt, wo immer sie es fanden. Sie finden immer weniger. Die britischen und norwegischen Quellen reichen bei den gegenwärtigen Fördermengen noch für acht Jahre, die amerikanischen noch für elf Jahre. Die Staaten am Kaspischen Meer hoffen auf neue Ölquellen, aber den Machtzuwachs der Opec-Länder werden sie kaum aufhalten können.

Damit wächst den Golfstaaten eine ökonomische Bedeutung zu, die alle Berliner Reformdebatten zur Marginalie degradieren kann. Bisher hielt die Geldgier die Ölländer davon ab, ihren einzigen Rohstoff dauerhaft vom Markt zu nehmen, statt ihn teuer zu verkaufen. Sollte ein Krieg im Irak jedoch den Fundamentalisten am Golf Auftrieb verleihen und etwa in Saudi-Arabien ein Regime an die Macht befördern, das mit einer Politik des knappen Öls die vermeintlichen Feinde des Islam zu bestrafen sucht, dann helfen keine neuen Steuer- und Arbeitsmarktgesetze. Dann verlieren in Amerika, Europa und Japan Millionen Menschen ihren Job.

Am Golf hingegen floss in den vergangenen Jahren ein Teil der Öleinnahmen auch in die Finanzierung des Terrorismus. Und auch die Reaktion darauf wäre ohne Öl nicht möglich. Britische Panzer und amerikanische Bomber brauchen Sprit – so viel, dass manche Ökonomen im Kriegsfall schon allein deshalb einen Preisanstieg erwarten.

Höchste Zeit, dass sich die Welt aus der Abhängigkeit vom Öl befreit.

Der Atomausstieg lässt sich von oben verordnen, der Ölausstieg kaum. Ihre Ölkraftwerke haben die meisten Industrieländer längst abgeschaltet. Die Entscheidung pro Öl aber fällt jeden Tag zigmillionenfach an den Tankstellen der Welt. Allein zehn der täglich verbrannten 70 Millionen Barrel Öl fließen als Benzin und Diesel in die Motoren amerikanischer Autos. Um das zu ändern, hilft es wohl nur, den Preis zu erhöhen. Nicht sprunghaft und plötzlich wie im Krisenfall, sondern schleichend und geplant. Die Entwicklung sparsamerer Motoren und neuer Treibstoffe, die Befreiung vom Öl, würde dann lukrativ (siehe Kasten). Der beste Weg zu mehr ökonomischer Sicherheit in der Welt sei eine Steuer auf Öl und Energie, schrieb der britische Economist schon wenige Monate nach dem 11. September. Eine Steuer, die bisher „ökologisch“ heißt, die man aber auch „ökonomisch“ nennen könnte.

Die Abkürzung bliebe ja dieselbe: Ökosteuer.

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Jetzt ist zeit.de wieder online

 
16.02.03 22:41
...und die Grafiken funzen wieder ;-)
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