Weltenlenker sorgen sich um Konjunktur
Getrübte Aussichten auf die globale Ökonomie dominieren beim Weltwirtschaftsforum in New York. Nur die USA schwelgen weiterhin in Optimismus.
Olympia der Mächtigen
Durchwegs getrübt präsentierte sich beim Weltwirtschaftsforum in New York die Aussicht auf die konjunkturelle Entwicklung. Lediglich US-Regierungsvertreter machten bei den teils vertraulichen, teils zitablen Gesprächen in Optimismus, bei allen anderen war nur auffallend oft zu hören, daß es keinen Grund zu Panik gebe.
Von Asien bis Europa war man sich zwar einig, daß man eine Erholung in den USA brauche, um selbst wieder in Schwung zu kommen. Daß diese amerikanische Erholung aber kommt, wollte kein Experte so wirklich prophezeien. Zugleich fürchtet man, daß der Enron-Kollaps noch globale Auswirkungen haben könnte. Konsens über die möglichen Gegenstrategien gegen die Flaute herrscht nur über eine globale Öffnung der Märkte.
In der Dritten Welt wächst zugleich die Sorge, von den Investoren überhaupt vergessen zu werden. Man zeigt sich aber ökonomisch viel vernünftiger als in früheren Jahren. Horst Köhler, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), bilanzierte die Lage so: "Die Weltwirtschaft ist noch immer schwach; es gibt aber Hoffnung, daß die Erholung schon unterwegs ist, auch wenn ein neuerliches Absacken in den USA möglich ist."
Abhängig von den USA
Der amerikanische Schatzminister Paul O'Neill schöpfte seinen Optimismus daraus, daß das vierte Quartal ein kleines Wachstum gebracht hat. Er glaubt an eine amerikanische Wachstumskapazität von drei bei dreieinhalb Prozent. Die Experten aus den anderen Weltregionen hörten mit Interesse zu. Denn sie sind sich einig: Eine globale Erholung ist abhängig von den USA.
Der Princeton-Ökonom Paul Krugman zeigte sich jedenfalls besorgt, ob diese Erholung "robust" genug sei, oder ob die Statistik nur eine "technische Erholung" zeige, weil viele Lagerbestände an einem Ende ihres Kreislaufs angekommen seien. Trotz dieser Ungewißheiten sah Krugman keinen Anlaß für kurzfristige Ankurbelungsmaßnahmen oder für die von manchen vorgeschlagene "globale Wirtschaftspolitik": Global sei ein rascher Ausbau des Freihandels nötig, denn der Protektionismus treffe vor allem die Entwicklungsländer. Außerdem empfahl er ein besseres Management der Währungskurse.
Indiens Wirtschaftsminister Yashwant Sinha plädierte hingegen vehement für Stimulierungsmaßnahmen durch staatliche Ausgaben und für einen "globalen Rahmen", worunter aber auch er vor allem Maßnahmen gegen den Protektionismus verstehen wollte. Ähnlich waren wohl auch die Worte des französischen Wirtschaftsministers Laurent Fabius zu verstehen: "Der Abschwung ist synchronisiert und global erfolgt. Daher gilt dies auch für den Aufschwung."
Köhler lobte jedenfalls die "aggressive Geldpolitik" der US-Währungsbehörde im vergangenen Jahr. "Es zählt vor allem, was in den USA passiert." In Europa hat es lange hingegen ziemlich viel Selbstzufriedenheit gegenüber der amerikanischen Entwicklung gegeben. Eine internationale Koordinierung der Weltwirtschaft beurteilt er vorsichtig: "Das kann die Verantwortung der einzelnen Länder nicht reduzieren. Jedoch sind die Katastrophenszenarien nach dem 11. September dank der internationalen Koordinierung nicht eingetreten." Die Auswirkungen wären viel schlimmer gewesen, wenn die Länder nicht flexibel reagiert hätten.
In Richtung auf seinen IWF räumte Köhler Fehler ein. "Aber die Richtung hat immer gestimmt." In ein oder zwei Fällen habe man aber zuviel Betonung auf die Sanierung der Staatshaushalte gelegt und zuwenig die Wichtigkeit der Öffnung und Reform der Strukturen gelegt. Dies aber sei die wichtigste Vorbereitung für ein Hereinströmen von Kapital. "Eine offene Wirtschaft ist besonders für die Entwicklungsländer wichtig."
Ein anderes Argument in Hinblick auf diese Länder brachte Krugman ein: "Wir haben die dritte Welt oft von einem sehr moralischen Standpunkt aus kritisiert. Der Fall Enron sollte uns da jedoch beschämt machen." Enron ist in New York nicht nur ein moralisches Thema. Die falschen Bilanz-Informationen über Enron schaffen nun allgemeine Sorge: Wieweit bauen die Märkte derzeit überhaupt auf Sand, nämlich auf falsche Finanzzahlen? Diese Sorge war in New York oft zu hören - und sie könnte einen neuen Rückschlag für die Weltwirtschaft auslösen.
Keine Kritik aus Afrika
Uneinigkeit herrschte, ob eine Öffnung der Märkte im Alleingang möglich ist: Der amerikanische Staatssekretär Kenneth Dam bezweifelt das: "Es braucht einen GATT-Prozeß," daher sei Chinas Eintritt in die WTO sehr positiv. Krugman wies hingegen darauf hin, daß auch eine einseitige Öffnung der Märkte jedem einzelnen Land helfen könne.
Im Gegensatz zu früheren Jahren kamen praktisch alle Regierungsvertreter aus Afrika oder Asien ohne Kritik am Westen aus, waren vielmehr sehr selbstkritisch und zeigten, daß sie nicht mehr den einstigen Illusionen nachgehen: "Die Öffnung der Märkte ist für uns weit wichtiger als Hilfsgelder." Darin waren sich etwa drei afrikanische Staatspräsidenten einig. Der Südafrikaner Thabo Mbeki: "Jeder soll sehen, daß es die Afrikaner ernst meinen mit der Schaffung des für Investitionen notwendigen Klimas." Und Abdoulaye Wade, der Präsident des Senegals: "Wir betteln nicht um Geld, wir sehen selbst unsere Verantwortung, Afrika zu entwickeln." Die wichtigste Aufgabe sei es, gut zu regieren: Die Herrschaft des Rechts, Infrastruktur, Demokratie und Stabilität seien die wichtigsten Voraussetzungen für Investitionen. Ein beim G8-Gipfel versprochener Hilfsplan für Afrika hat zweifellos diese wirtschaftliche Vernunft beschleunigt, der schon im heurigen Jahr umgesetzt werden soll.
In Hinblick auf Argentinien herrschte in einer anderen Expertenrunde nicht einmal verbaler Optimismus. Wenn die Wirtschaft heuer nur um fünf Prozent schrumpft, wäre das schon ein Erfolg. Lateinamerikanische Ökonomen rechnen aber mit 10 bis 15 Prozent Minus. Einer erinnert daran, daß Argentinien noch vor drei Jahren international als Modell gelobt worden sei. Heute könne sich dort kein einziger Politiker mehr auf die Straße trauen.
Sorgen um Japan
Experten sehen die Gefahr, daß die Banken und die großen Konzerne das Land und die dort gemachten Investitionen einfach abschreiben, wie es auch in anderen Drittwelt-Märkten geschehe. Daher sei es die dringendste und schwierigste Aufgabe, Vertrauen herzustellen. Eines der größten Probleme Argentiniens sei, daß die Provinzen nicht für die Steuereinnahmen verantwortlich seien. Ein Experte empfahl daher die Einführung von Verkaufssteuern durch die Provinzen nach US-Vorbild.
Absoluter Konsens herrschte auch in Hinblick auf anhaltend schlechte Aussichten für Japan. So wie für Argentinien wurde auch hier das Vertrauensdefizit als größtes und derzeit unüberwindliches Problem dargestellt. Eine japanische Expertengruppe warf sogar die Frage auf - wieweit sie ernst gemeint war, blieb unklar -, ob nicht erst ein neuer Krieg die derzeit fehlende Nachfrage wieder schaffen könnte. Im letzten Jahrzehnt habe die Welt die Friedensdividende konsumiert (also die niedrigeren Verteidigungsausgaben nach Ende des Kalten Krieges). Deren Wirkung sei nun zu Ende. Der japanische Wirtschaftsminister Heiko Takenaka malte sogar die Gefahren einer Deflation an die Wand.
Bezeichnend für alle Teilnehmer - bis auf die demonstrativ optimistischen Amerikaner - waren die Worte des Inders Sinha: "Wir fühlen uns alle ziemlich hilflos angesichts des Abschwungs."
Getrübte Aussichten auf die globale Ökonomie dominieren beim Weltwirtschaftsforum in New York. Nur die USA schwelgen weiterhin in Optimismus.
Olympia der Mächtigen
Durchwegs getrübt präsentierte sich beim Weltwirtschaftsforum in New York die Aussicht auf die konjunkturelle Entwicklung. Lediglich US-Regierungsvertreter machten bei den teils vertraulichen, teils zitablen Gesprächen in Optimismus, bei allen anderen war nur auffallend oft zu hören, daß es keinen Grund zu Panik gebe.
Von Asien bis Europa war man sich zwar einig, daß man eine Erholung in den USA brauche, um selbst wieder in Schwung zu kommen. Daß diese amerikanische Erholung aber kommt, wollte kein Experte so wirklich prophezeien. Zugleich fürchtet man, daß der Enron-Kollaps noch globale Auswirkungen haben könnte. Konsens über die möglichen Gegenstrategien gegen die Flaute herrscht nur über eine globale Öffnung der Märkte.
In der Dritten Welt wächst zugleich die Sorge, von den Investoren überhaupt vergessen zu werden. Man zeigt sich aber ökonomisch viel vernünftiger als in früheren Jahren. Horst Köhler, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), bilanzierte die Lage so: "Die Weltwirtschaft ist noch immer schwach; es gibt aber Hoffnung, daß die Erholung schon unterwegs ist, auch wenn ein neuerliches Absacken in den USA möglich ist."
Abhängig von den USA
Der amerikanische Schatzminister Paul O'Neill schöpfte seinen Optimismus daraus, daß das vierte Quartal ein kleines Wachstum gebracht hat. Er glaubt an eine amerikanische Wachstumskapazität von drei bei dreieinhalb Prozent. Die Experten aus den anderen Weltregionen hörten mit Interesse zu. Denn sie sind sich einig: Eine globale Erholung ist abhängig von den USA.
Der Princeton-Ökonom Paul Krugman zeigte sich jedenfalls besorgt, ob diese Erholung "robust" genug sei, oder ob die Statistik nur eine "technische Erholung" zeige, weil viele Lagerbestände an einem Ende ihres Kreislaufs angekommen seien. Trotz dieser Ungewißheiten sah Krugman keinen Anlaß für kurzfristige Ankurbelungsmaßnahmen oder für die von manchen vorgeschlagene "globale Wirtschaftspolitik": Global sei ein rascher Ausbau des Freihandels nötig, denn der Protektionismus treffe vor allem die Entwicklungsländer. Außerdem empfahl er ein besseres Management der Währungskurse.
Indiens Wirtschaftsminister Yashwant Sinha plädierte hingegen vehement für Stimulierungsmaßnahmen durch staatliche Ausgaben und für einen "globalen Rahmen", worunter aber auch er vor allem Maßnahmen gegen den Protektionismus verstehen wollte. Ähnlich waren wohl auch die Worte des französischen Wirtschaftsministers Laurent Fabius zu verstehen: "Der Abschwung ist synchronisiert und global erfolgt. Daher gilt dies auch für den Aufschwung."
Köhler lobte jedenfalls die "aggressive Geldpolitik" der US-Währungsbehörde im vergangenen Jahr. "Es zählt vor allem, was in den USA passiert." In Europa hat es lange hingegen ziemlich viel Selbstzufriedenheit gegenüber der amerikanischen Entwicklung gegeben. Eine internationale Koordinierung der Weltwirtschaft beurteilt er vorsichtig: "Das kann die Verantwortung der einzelnen Länder nicht reduzieren. Jedoch sind die Katastrophenszenarien nach dem 11. September dank der internationalen Koordinierung nicht eingetreten." Die Auswirkungen wären viel schlimmer gewesen, wenn die Länder nicht flexibel reagiert hätten.
In Richtung auf seinen IWF räumte Köhler Fehler ein. "Aber die Richtung hat immer gestimmt." In ein oder zwei Fällen habe man aber zuviel Betonung auf die Sanierung der Staatshaushalte gelegt und zuwenig die Wichtigkeit der Öffnung und Reform der Strukturen gelegt. Dies aber sei die wichtigste Vorbereitung für ein Hereinströmen von Kapital. "Eine offene Wirtschaft ist besonders für die Entwicklungsländer wichtig."
Ein anderes Argument in Hinblick auf diese Länder brachte Krugman ein: "Wir haben die dritte Welt oft von einem sehr moralischen Standpunkt aus kritisiert. Der Fall Enron sollte uns da jedoch beschämt machen." Enron ist in New York nicht nur ein moralisches Thema. Die falschen Bilanz-Informationen über Enron schaffen nun allgemeine Sorge: Wieweit bauen die Märkte derzeit überhaupt auf Sand, nämlich auf falsche Finanzzahlen? Diese Sorge war in New York oft zu hören - und sie könnte einen neuen Rückschlag für die Weltwirtschaft auslösen.
Keine Kritik aus Afrika
Uneinigkeit herrschte, ob eine Öffnung der Märkte im Alleingang möglich ist: Der amerikanische Staatssekretär Kenneth Dam bezweifelt das: "Es braucht einen GATT-Prozeß," daher sei Chinas Eintritt in die WTO sehr positiv. Krugman wies hingegen darauf hin, daß auch eine einseitige Öffnung der Märkte jedem einzelnen Land helfen könne.
Im Gegensatz zu früheren Jahren kamen praktisch alle Regierungsvertreter aus Afrika oder Asien ohne Kritik am Westen aus, waren vielmehr sehr selbstkritisch und zeigten, daß sie nicht mehr den einstigen Illusionen nachgehen: "Die Öffnung der Märkte ist für uns weit wichtiger als Hilfsgelder." Darin waren sich etwa drei afrikanische Staatspräsidenten einig. Der Südafrikaner Thabo Mbeki: "Jeder soll sehen, daß es die Afrikaner ernst meinen mit der Schaffung des für Investitionen notwendigen Klimas." Und Abdoulaye Wade, der Präsident des Senegals: "Wir betteln nicht um Geld, wir sehen selbst unsere Verantwortung, Afrika zu entwickeln." Die wichtigste Aufgabe sei es, gut zu regieren: Die Herrschaft des Rechts, Infrastruktur, Demokratie und Stabilität seien die wichtigsten Voraussetzungen für Investitionen. Ein beim G8-Gipfel versprochener Hilfsplan für Afrika hat zweifellos diese wirtschaftliche Vernunft beschleunigt, der schon im heurigen Jahr umgesetzt werden soll.
In Hinblick auf Argentinien herrschte in einer anderen Expertenrunde nicht einmal verbaler Optimismus. Wenn die Wirtschaft heuer nur um fünf Prozent schrumpft, wäre das schon ein Erfolg. Lateinamerikanische Ökonomen rechnen aber mit 10 bis 15 Prozent Minus. Einer erinnert daran, daß Argentinien noch vor drei Jahren international als Modell gelobt worden sei. Heute könne sich dort kein einziger Politiker mehr auf die Straße trauen.
Sorgen um Japan
Experten sehen die Gefahr, daß die Banken und die großen Konzerne das Land und die dort gemachten Investitionen einfach abschreiben, wie es auch in anderen Drittwelt-Märkten geschehe. Daher sei es die dringendste und schwierigste Aufgabe, Vertrauen herzustellen. Eines der größten Probleme Argentiniens sei, daß die Provinzen nicht für die Steuereinnahmen verantwortlich seien. Ein Experte empfahl daher die Einführung von Verkaufssteuern durch die Provinzen nach US-Vorbild.
Absoluter Konsens herrschte auch in Hinblick auf anhaltend schlechte Aussichten für Japan. So wie für Argentinien wurde auch hier das Vertrauensdefizit als größtes und derzeit unüberwindliches Problem dargestellt. Eine japanische Expertengruppe warf sogar die Frage auf - wieweit sie ernst gemeint war, blieb unklar -, ob nicht erst ein neuer Krieg die derzeit fehlende Nachfrage wieder schaffen könnte. Im letzten Jahrzehnt habe die Welt die Friedensdividende konsumiert (also die niedrigeren Verteidigungsausgaben nach Ende des Kalten Krieges). Deren Wirkung sei nun zu Ende. Der japanische Wirtschaftsminister Heiko Takenaka malte sogar die Gefahren einer Deflation an die Wand.
Bezeichnend für alle Teilnehmer - bis auf die demonstrativ optimistischen Amerikaner - waren die Worte des Inders Sinha: "Wir fühlen uns alle ziemlich hilflos angesichts des Abschwungs."