dessen hervorragenden Analysen uns ja noch allen bekannt sind, als er noch Chefvolkswirt von J.P. Morgan ware und mit einer wöchentlichen Kolumne im Handelsblatt vertreten war.
16.09.2008 - 11:03 Uhr
FTD: IWF sagt Neuordnung des Weltfinanzsystems voraus
Der Internationale Währungsfonds erwartet als Folge der Finanzkrise einen enormen Umbruch im Finanzsektor. "Die Finanzmärkte werden am Ende sowohl mit Blick auf die Strukturen der Märkte als auch auf die Institutionen selbst nicht mehr so sein, wie sie einmal waren", sagte IWF-Vizechef John Lipsky.
"Es gibt keinen Zweifel, dass die Krise
- und die Antwort der Politik - das Tempo der Konsolidierung im Finanzsektor beschleunigt hat", sagte der ehemalige Vize-Präsident der US-Großbank JP Morgan der FTD. Lipsky sprach davon, dass dies "vielleicht die größte Finanzkrise seit Jahrzehnten, womöglich seit den 1930er-Jahren" sei: "Wenn überhaupt haben sich die Probleme als noch etwas größer als erwartet erwiesen", sagte er. Dennoch betonte er, dass es derzeit auch einige Hoffnungsschimmer gebe. So gebe es Signale für eine künftige Stabilisierung des US-Häusermarkts. Zugleich sieht er aktuell bei einigen Vermögenswerten ein "Unterschießen der Preise".
Die Aussagen Lipskys sind die bislang klarsten Belege von offizieller Stelle oder einer führenden internationalen Organisationen dafür, dass die Krise eine grundlegende Neuordnung des Finanzsystems nach sich ziehen kann. Am Montag hatte die Krise mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers neue Dramatik erhalten. Das Gespräch mit Lipsky fand vergangene Woche statt.
Im Mittelpunkt der "erheblichen Veränderungen und Restrukturierungen" im Finanzsektor sieht Lipsky, dass die Finanzinstitute ihre Verschuldung senken. Das werde die Institute selbst wie die Märkte erheblich prägen. "Weder der Appetit auf Finanzrisiken noch der frühere Risikograd werden zu den Rekordständen von 2006 bis Mitte 2007 zurückkehren", sagte Lipsky.
Deutliche Konsequenzen bei Finanzprodukten
Der Bankenexperte prognostiziert auch deutliche Konsequenzen bei Finanzprodukten In der "Phase starken Wachstums bei niedriger Inflation" und der deswegen hohen Risikobereitschaft vieler Marktakteure habe es viele Innovationen gegeben. "Sie alle werden früher oder später einem Test durch die Märkte unterzogen, und nicht alle bestehen den Test", sagte Lipsky. Die Praxis der Verbriefungen und des so genannten Originate-to-Distribute-Modells verteidigte er: "Man muss sehen, dass jene Institutionen, die die größten Verluste zu beklagen haben, zwar Kredite abgeschlossen, sie aber nicht weitergegeben haben." Deswegen sei es "nicht unbedingt richtig, diesem Modell so viel Schuld zuzuweisen".
Lipsky erwartet, dass die Finanzmärkte "noch einige Zeit" unter dem Druck zur Anpassung bleiben. "Wenn dieser Prozess gut gehandhabt wird, wird er die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unterstützen nicht schwächen", so der IWF-Vize.
Angesichts des Ursprungs der Krise sieht Lipsky das US-Finanzsystem als besonders gefährdet an. "In den USA ist der Häusermarkt viel stärker direkt mit dem Finanzsektor verbunden als in Europa, weil er hoch verschuldet ist. Eine Abschwächung am Häusermarkt kann daher den Finanzsektor dramatisch belasten."
Vorsichtig zeigte sich Lipsky aber zur Einschätzung, dass Erschütterungen in Europa ausgeschlossen sind. "Ich hoffe, dass wir keine große Bankenpleite in Europa erleben werden. Aber Regulierer und Fiskalbehörden sollten immer nach dem Prinzip handeln: Sag niemals nie." Die Verantwortlichen in der Euro-Zone forderte er auf, sich Gedanken zu machen, was passiert, wenn ein großes, grenzüberschreitend tätiges Institut Probleme hat: "Es ist für die politischen Entscheider angebracht, angesichts möglicher Risiken auf der Hut zu sein und gründlich darüber nachzudenken, wie sie im Fall der Fälle reagieren würden." Und dafür sei die Euro-Zone unzureichend vorbereitet, so die Meinung vieler.
Bei allen Gefahren für das Finanzsystem verwies Lipsky aber auch auf positive Signale. "Wir gehen davon aus, dass nächstes Jahr ein Ende des Rückgangs bei den Vermögenspreisen zu sehen ist", sagte er. Von zentraler Bedeutung sei dabei der US-Häusermarkt. "Wir erwarten, dass dieser im Laufe der ersten Jahreshälfte 2009 die Talsohle überwinden wird", sagte Lipsky: "Der erhebliche Rückgang bei US-Häuserpreisen führt langsam dazu, dass Indizes für die Bezahlbarkeit von Häusern auf Niveaus zurückkehren, die einigermaßen normal sind."
Seiner Einschätzung nach sind die Preise vieler Vermögenswerte stärker gefallen, als es fundamental gerechtfertigt ist: "Nach Jahren des Überschießens von Vermögenspreisen und zu geringer Risikowahrnehmung sehen wir nun womöglich eine Art Unterschießen der Preise und eine zu starke Risikoaversion."
Zunehmende Spekulationen auf eine globale Wirtschaftsrezession wies er zurück: "Obwohl die Risiken eines Abwärtstrends offenkundig sind, sehen wir keine klare Berechtigung für eine solche Vorhersage." Die Konjunktur in Industrieländern sieht er in der zweiten Jahreshälfte in einer "sehr schleppenden oder nahezu stagnierenden Phase". Für 2009 erwartet er aber eine "allmähliche Erholung". "Diese wird aber die finanziellen Spannungen nicht schnell beseitigen können", sagte Lipsky.
Dass sich die Wirtschaft trotz der enormen Finanzverwerfungen recht robust hält, liegt laut Lipsky zum Teil an einer "besseren makroökonomischen Reaktion auf die Probleme". Möglicherweise habe sich aber auch das Zusammenspiel zwischen Finanzsektor und Realwirtschaft verändert. Lipsky kündigte an, dass der IWF derzeit eine neue Arbeitsgruppe zusammenstellt, die diese Zusammenhänge genau analysieren soll.
Lipsky über ... ... die Euro-Inflation "Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der Euro-Zone bis Ende 2009 unter 2,0 Prozent fällt." Die EZB hatte die Märkte unlängst mit der Prognose überrascht, ihr Preisziel von knapp 2,0 Prozent erst 2010 zu erreichen....
Konjunkturpakete "Die deutsche Fiskalpolitik hat bereits moderat stimulierend gewirkt. Wir sehen derzeit keinen Grund für den Schluss, dass darüber hinausgehende fiskalische Maßnahmen eindeutig erforderlich wären - weder in Deutschland noch in der Euro-Zone." ... Deutschland und Staatsfonds "Deutschland hat enorm profitiert von der Schaffung offener Märkte für Güter, Dienstleistungen und Kapital. Ich bin sicher, dass Deutschland auch weiterhin jene Politik unterstützen wird, die diese offenen Märkte möglich gemacht hat." Deutschland hat das Außenwirtschaftsgesetz geändert, um mehr Einspruch bei Investoren zu haben.
Autor/Autoren: Mark Schrörs (Frankfurt)
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