ftd.de, Fr, 11.10.2002, 2:00
Geldanlage: Der Regenmacher
Von Alan Beattie
Vom charismatischen CEO bis zum Dotcom-Milliardär - viele Repräsentanten des Bullenmarktes der 90er Jahre stehen heute am Pranger. Als die Schlüsselfigur für den Niedergang der Aktienbörsen gilt der als Superstar gefeierte Fed-Chef Alan Greenspan.
Alan Greenspan
Der Fed-Chef teilt das Schicksal vieler Menschen im öffentlichen Leben: Wer für die Sonne gelobt wird, darf nicht quengeln, wenn er auch die Schuld am Regen bekommt." Vor wenigen Monaten noch schien Alan Greenspan immun gegen solch eine Neubewertung, wie sie in den Worten von Barney Frank, lieberaler Demokrat im Repräsentantenhaus, zum Ausdruck kommt.
Greenspan war der "Maestro" - so der Titel der Biografie von Bob Woodward -, der die längste Nachkriegsexpansion der US-Wirtschaft gelenkt und das Land aus einer der kürzesten Rezessionen der jüngeren Geschichte geführt hat.
Während die Konjunktur in den USA stockt und Anleger verärgert die Reste ihres Aktienportfolios durchwühlen, werden Greenspans Leistungen einer genaueren Prüfung unterzogen.
Die Neubewertung stellt nicht nur den unerschütterlichen Glauben der Anleger an Greenspan infrage, sondern auch die Klugheit seines monatsweisen Managements der US-Wirtschaft. "Wenn der Gutfühlfaktor sich in den nächsten zwei Jahren nicht auszahlt, wird Greenspans Amtszeit eher wie Nickel als Gold glänzen", sagt Paul McCulley, Geschäftsführer der kalifornischen Fondsgesellschaft Pimco.
Defensive Töne
Leitzinsentwicklung 1987-1994
Dass Greenspan sich der wachsenden Opposition durchaus bewusst ist, wurde deutlich in seiner Rede, die er im August 2002 beim jährlichen Wirtschaftssymposium der US-Notenbank in Jackson Hole (Wyoming) hielt. Der auffallend defensive Ton, und wie sehr Greenspan offensichtlich versuchte, sein Vermächtnis zu bewahren, hat viele überrascht.
Die Kritiker führen zwei Hauptanklagepunkte ins Feld. Der erste, schwieriger zu rechtfertigende lautet: Greenspan hätte über die Zinssätze oder Restriktionen bei der Kreditvergabe die boomenden Aktienmärkte abkühlen müssen.
Dass Wertpapiere Ende der 90er überbewertet waren, wird heute nur noch von einer winzigen Gruppe treuer Anhänger bestritten. Doch die Forderung, mithilfe von Zinssätzen Seifenblasen im Aktienmarkt zu bekämpfen, ohne gleichzeitig der Realwirtschaft zu schaden, ist längst nicht allgemein akzeptiert und war damals noch weniger verbreitet als heute.
Schwierigkeiten mit der Vorschau
"Greenspan hat völlig Recht, Kritiker an seine Stelle zu setzen und zu fragen: Welche Standards erlauben so eine vorausschauende Beurteilung?", fragt Gene Sperling, der ehemalige oberste Wirtschaftsberater von Präsident Bill Clinton.
Die meisten Wirtschaftsexperten sind der Ansicht, dass eine starke Straffung der Geldpolitik 1996 oder 1997 außerordentlich riskant gewesen wäre, insbesondere angesichts der politischen Zwänge, denen die US-Notenbank ausgesetzt ist.
Janet Yellen, ehemals Mitglied des Zentralbankrats und jetzt Dozentin in Berkeley, ist sogar der Ansicht, dass Zinserhöhungen zu einer Zeit niedriger und stabiler Inflation unmöglich gewesen wären. "Die Notenbank ist nicht dazu da, die Märkte zu beeinflussen", erklärt sie. "Der gesamte Kongress wäre entschieden dagegen gewesen, der Offenmarktausschuss der Zentralbank verurteilt und erschossen worden."
"Cheerleader der New Economy"
Leitzinsentwicklung 1995-2002
Die zweite Anklage gegen Greenspan lautet, dass er durch Anfeuern der Wirtschaft zur Seifenblase beigetragen habe, indem er zuerst vor "unvernünftigem Überschwang" warnte, dann aber versäumte diese Warnung zu wiederholen.
"Ich stimme zu, dass die Notenbank nicht auf die Bremse treten sollte, um die Aktienkurse zu stoppen", sagt Robert Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale-Universität. "Doch Greenspan tat so, als wüsste er nicht, dass es eine Seifenblase war. Er wurde als Cheerleader der New Economy angesehen."
Kernpunkt dieses Problems ist der enorme Kultstatus, den der Hohepriester des Geldes im Markt hat. Seine Worte - oder zumindest die Auslegung seiner Worte durch die Anleger - scheinen unfehlbar.
Barney Frank, ein liberaler Demokrat im Repräsentantenhaus, hat den Ruf eines konstruktiven Kritikers der Fed. Bei Betrachtung des letzten Zehnjahreszeitraumes spricht er sich für mehr Skepsis gegenüber dem Amt des Notenbank-Chefs an sich aus, statt sämtliche Schuld beim Amtsinhaber persönlich zu suchen. Frank: "Die Aura der Unfehlbarkeit ist für die Demokratie sehr schlecht."
Kein Urteil möglich
Eine wahrheitsgetreue Beurteilung der Greenspan-Ära dürfte erst möglich sein, wenn in den kommenden Jahren klarer wird, ob die schwache Rezession die einzige Folge der geplatzten Kursblase am Aktienmarkt bleibt.
Sollten die Negativentwicklungen jedoch andere Dimensionen annehmen, kann dies nicht nur einem einzelnen Mann angelastet werden. Vielmehr stellt sich die Frage: Welchen Einfluss haben Notenbank
Mitglieder überhaupt?
McCulley verweist in diesem Zusammenhang auf den bemerkenswerten Inhalt der Jackson-Hole-Rede. Hoch in den Rocky Mountains gab Greenspan zu, dass die erfolgreiche Stabilisierung der Realwirtschaft zu einer unkontrollierten, irrationalen Übertreibung an den Aktienmärkten beigetragen habe.
"Greenspan bezeichnete den Erfolg des unternehmerischen Kapitalismus - doppelt effektiv durch den außergewöhnlichen Sieg über die Inflation - als Rezept für einen irrationalen Überschwang an den Aktienmärkten", sagt McCulley. "Wenn nach dem gegenwärtigen makroökonomischen Maßnahmenkatalog tatsächlich Börsenblasen die natürlichen Folge der Hegemonie der Zentralbanker sind, wette ich darauf, dass der demokratische Prozess dieses System ändern wird."
Diese Einsicht ist eine wichtige Lektion, die wir aus der "Greenspan Bubble" lernen können, aber auch Greenspans bestes Argument: Zentralbankiers sind bei weitem nicht so mächtig, wie angenommen wird. Wenn sich dieses Argument durchsetzt, dürfte die Rede von Jackson Hole in die Geschichte eingehen als Eingeständnis von Unfähigkeit - nicht aber als Rechtfertigungsversuch der Fed.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen: AP, FTD
Geldanlage: Der Regenmacher
Von Alan Beattie
Vom charismatischen CEO bis zum Dotcom-Milliardär - viele Repräsentanten des Bullenmarktes der 90er Jahre stehen heute am Pranger. Als die Schlüsselfigur für den Niedergang der Aktienbörsen gilt der als Superstar gefeierte Fed-Chef Alan Greenspan.
Alan Greenspan
Der Fed-Chef teilt das Schicksal vieler Menschen im öffentlichen Leben: Wer für die Sonne gelobt wird, darf nicht quengeln, wenn er auch die Schuld am Regen bekommt." Vor wenigen Monaten noch schien Alan Greenspan immun gegen solch eine Neubewertung, wie sie in den Worten von Barney Frank, lieberaler Demokrat im Repräsentantenhaus, zum Ausdruck kommt.
Greenspan war der "Maestro" - so der Titel der Biografie von Bob Woodward -, der die längste Nachkriegsexpansion der US-Wirtschaft gelenkt und das Land aus einer der kürzesten Rezessionen der jüngeren Geschichte geführt hat.
Während die Konjunktur in den USA stockt und Anleger verärgert die Reste ihres Aktienportfolios durchwühlen, werden Greenspans Leistungen einer genaueren Prüfung unterzogen.
Die Neubewertung stellt nicht nur den unerschütterlichen Glauben der Anleger an Greenspan infrage, sondern auch die Klugheit seines monatsweisen Managements der US-Wirtschaft. "Wenn der Gutfühlfaktor sich in den nächsten zwei Jahren nicht auszahlt, wird Greenspans Amtszeit eher wie Nickel als Gold glänzen", sagt Paul McCulley, Geschäftsführer der kalifornischen Fondsgesellschaft Pimco.
Defensive Töne
Leitzinsentwicklung 1987-1994
Dass Greenspan sich der wachsenden Opposition durchaus bewusst ist, wurde deutlich in seiner Rede, die er im August 2002 beim jährlichen Wirtschaftssymposium der US-Notenbank in Jackson Hole (Wyoming) hielt. Der auffallend defensive Ton, und wie sehr Greenspan offensichtlich versuchte, sein Vermächtnis zu bewahren, hat viele überrascht.
Die Kritiker führen zwei Hauptanklagepunkte ins Feld. Der erste, schwieriger zu rechtfertigende lautet: Greenspan hätte über die Zinssätze oder Restriktionen bei der Kreditvergabe die boomenden Aktienmärkte abkühlen müssen.
Dass Wertpapiere Ende der 90er überbewertet waren, wird heute nur noch von einer winzigen Gruppe treuer Anhänger bestritten. Doch die Forderung, mithilfe von Zinssätzen Seifenblasen im Aktienmarkt zu bekämpfen, ohne gleichzeitig der Realwirtschaft zu schaden, ist längst nicht allgemein akzeptiert und war damals noch weniger verbreitet als heute.
Schwierigkeiten mit der Vorschau
"Greenspan hat völlig Recht, Kritiker an seine Stelle zu setzen und zu fragen: Welche Standards erlauben so eine vorausschauende Beurteilung?", fragt Gene Sperling, der ehemalige oberste Wirtschaftsberater von Präsident Bill Clinton.
Die meisten Wirtschaftsexperten sind der Ansicht, dass eine starke Straffung der Geldpolitik 1996 oder 1997 außerordentlich riskant gewesen wäre, insbesondere angesichts der politischen Zwänge, denen die US-Notenbank ausgesetzt ist.
Janet Yellen, ehemals Mitglied des Zentralbankrats und jetzt Dozentin in Berkeley, ist sogar der Ansicht, dass Zinserhöhungen zu einer Zeit niedriger und stabiler Inflation unmöglich gewesen wären. "Die Notenbank ist nicht dazu da, die Märkte zu beeinflussen", erklärt sie. "Der gesamte Kongress wäre entschieden dagegen gewesen, der Offenmarktausschuss der Zentralbank verurteilt und erschossen worden."
"Cheerleader der New Economy"
Leitzinsentwicklung 1995-2002
Die zweite Anklage gegen Greenspan lautet, dass er durch Anfeuern der Wirtschaft zur Seifenblase beigetragen habe, indem er zuerst vor "unvernünftigem Überschwang" warnte, dann aber versäumte diese Warnung zu wiederholen.
"Ich stimme zu, dass die Notenbank nicht auf die Bremse treten sollte, um die Aktienkurse zu stoppen", sagt Robert Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale-Universität. "Doch Greenspan tat so, als wüsste er nicht, dass es eine Seifenblase war. Er wurde als Cheerleader der New Economy angesehen."
Kernpunkt dieses Problems ist der enorme Kultstatus, den der Hohepriester des Geldes im Markt hat. Seine Worte - oder zumindest die Auslegung seiner Worte durch die Anleger - scheinen unfehlbar.
Barney Frank, ein liberaler Demokrat im Repräsentantenhaus, hat den Ruf eines konstruktiven Kritikers der Fed. Bei Betrachtung des letzten Zehnjahreszeitraumes spricht er sich für mehr Skepsis gegenüber dem Amt des Notenbank-Chefs an sich aus, statt sämtliche Schuld beim Amtsinhaber persönlich zu suchen. Frank: "Die Aura der Unfehlbarkeit ist für die Demokratie sehr schlecht."
Kein Urteil möglich
Eine wahrheitsgetreue Beurteilung der Greenspan-Ära dürfte erst möglich sein, wenn in den kommenden Jahren klarer wird, ob die schwache Rezession die einzige Folge der geplatzten Kursblase am Aktienmarkt bleibt.
Sollten die Negativentwicklungen jedoch andere Dimensionen annehmen, kann dies nicht nur einem einzelnen Mann angelastet werden. Vielmehr stellt sich die Frage: Welchen Einfluss haben Notenbank
Mitglieder überhaupt?
McCulley verweist in diesem Zusammenhang auf den bemerkenswerten Inhalt der Jackson-Hole-Rede. Hoch in den Rocky Mountains gab Greenspan zu, dass die erfolgreiche Stabilisierung der Realwirtschaft zu einer unkontrollierten, irrationalen Übertreibung an den Aktienmärkten beigetragen habe.
"Greenspan bezeichnete den Erfolg des unternehmerischen Kapitalismus - doppelt effektiv durch den außergewöhnlichen Sieg über die Inflation - als Rezept für einen irrationalen Überschwang an den Aktienmärkten", sagt McCulley. "Wenn nach dem gegenwärtigen makroökonomischen Maßnahmenkatalog tatsächlich Börsenblasen die natürlichen Folge der Hegemonie der Zentralbanker sind, wette ich darauf, dass der demokratische Prozess dieses System ändern wird."
Diese Einsicht ist eine wichtige Lektion, die wir aus der "Greenspan Bubble" lernen können, aber auch Greenspans bestes Argument: Zentralbankiers sind bei weitem nicht so mächtig, wie angenommen wird. Wenn sich dieses Argument durchsetzt, dürfte die Rede von Jackson Hole in die Geschichte eingehen als Eingeständnis von Unfähigkeit - nicht aber als Rechtfertigungsversuch der Fed.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen: AP, FTD