Comeback der Kellerkinder

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Comeback der Kellerkinder

 
05.11.06 11:16
HANDELSBLATT, Sonntag, 5. November 2006, 09:07 Uhr
OpenBC, Qype und Co. suchen ihre Chance

Comeback der Kellerkinder

Von Peter Turi, Wirtschaftswoche

Auch bei der zweiten Internet-Welle haben die Amerikaner die Nase vorne. Doch die Deutschen holen auf.


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Lars Hinrichs: Sein Netzwerk für Geschäftskontakte wagt den Börsengang.

DÜSSELDORF. Als Lars Hinrichs am 5. September 2001 per E-Mail seinen Geschäftspartnern die Insolvenz seines Internet-Startups Böttcher Hinrichs AG mitteilte, setzte er ein trotziges PS darunter: „Wir werden uns schnell wiedersehen.“ Hinrichs, heute 29, hat sein Versprechen gehalten. 2003 war Lars Hinrichs wieder da. Demnächst wird OpenBC, sein digitales Netzwerk für Geschäftskontakte, seinen Namen ändern und - auch wenn Hinrichs noch dementiert - an die Börse gehen. Geschätzter Firmenwert: 200 Millionen Euro.

"Nicht zu viel", findet Wagnis-Finanzierer Christian Leybold vom Venture-Geber BV Capital in Hamburg. Denn Hinrichs OpenBC wächst nicht nur dynamisch, sondern schreibt auch tiefschwarze Zahlen. Von den rund 1,5 Millionen Nutzern sind über 150 000 bereit, für eine Premium-Ausgabe 5,95 Euro pro Monat zu zahlen - macht zehn Millionen Euro Jahresumsatz. Äußerst ungewöhnlich für ein Unternehmen der neuen Internet-Generation (Web 2.0), wo fast alle Services umsonst sind und die meisten Anbieter vom Sparen und der Hoffnung auf Werbefinanzierung leben.

Hinrichs will Europa und Asien erobern. Bereits in neun Ländern ist sein Dienst mit eigenem Manager aktiv. In China, dem derzeit heißesten Internet-Markt, hat Hinrichs im Sommer die Great Firewall überstiegen. Im vierten Stock am Hamburger Gänsemarkt 43 ist das Comeback der New Economy mit Händen zu greifen. Eine halbe Hundertschaft junger Menschen werkelt auf 600 Quadratmetern. Manche hängen in Zehnerreihen still und konzentriert am Flachbildschirmen. Andere wuseln, zum Teil mit Headsets auf dem Kopf, umher.

Der zweite Web-Boom findet die deutschen Startups, Finanziers und Medienunternehmen grimmig entschlossen: "Diesmal werden uns die Amerikaner nicht vorführen", sagt Marcel Reichart, bei Hubert Burda Media für die Unternehmensentwicklung zuständig. E-Commerce und Suchmaschinen beherrschen Amazon, Ebay und Google. Bei Content und Community wollen die Deutschen gegenhalten. Eine neue Gründerwelle rollt durchs Land.

Weltweit sorgen derzeit schnelle Datenleitungen, bewegte Bilder und ein Werbeboom für ein kraftvolles Comeback des Internets bei Nutzern, Investoren und Medienunternehmen. Die Trends kommen weiter aus den USA - die Deutschen behindert ein kleiner Heimatmarkt, eine vergleichsweise geringe Verbreitung von Breitbandanschlüssen, zögerliche Konsumenten und die unterentwickelte Gründer-Kultur im Lande. Nur an Investoren fehlt es nicht - deutsche Web-2.0-Pioniere wie OpenBC, Qype, StudiVZ und Plazes suchen ihre Chance.

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Lesen Sie weiter auf Seite 2: Die größte Community der Welt, YouTube, hat 100 Millionen Mitglieder.

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Die Ausgangslage ist schwierig: Unter den 100 meistbesuchten Web-Sites weltweit findet sich nur eine deutsche - T-Online. Die größte Community der Welt, YouTube, hat 100 Millionen Mitglieder, die deutsche Nummer eins, OpenBC, 1,5 Millionen. Aber: "Es ist wie beim Fußball - die Kleinen holen auf", sagt Stefan Glänzer, Gründer des Auktionshauses Ricardo.de und Betreiber des weltweiten Musikdienstes Last.fm. "Die Amerikaner haben das Internet erfunden und die erste Runde mit 7:0 gewonnen", sagt Glänzer. "Beim Web 2.0 steht's nur noch 4:2. Und in der nächsten Saison, in vier bis fünf Jahren, wird's richtig spannend."

Die Amerikaner profitierten vor gut sechs Jahren beim Internet 1.0 von der Globalisierung und der Schlafmützigkeit der Europäer. Jetzt lernen sie die Kehrseite der vernetzten Welt kennen: Das Web 2.0 exportiert Ideen schneller als Unternehmer. Die nationalen Nachahmer, sogenannte Copycats, bauen Communitys mit Hunderttausenden Nutzern auf, ehe MySpace, YouTube und Co. ihre Geschäftsideen exportieren können. Social Networks und User Generated Content, also soziale Netzwerke und vom Nutzer produzierte Inhalte, funktionieren naturgemäß dezentral.

Noch steht Hinrichs mit seinem geplanten Börsengang ziemlich alleine da. "Aber wenn's gut läuft, erleben wir künftig zwei bis drei Börsengänge pro Jahr", sagt Ven- ture-Capitalist Leybold. Die Kandidaten setzen auf Online-Games wie Wazap oder E-Sport, auf E-Commerce wie ImmobilienScout 24 oder auf lokale Informationen wie Plazes.com oder auf eine Alternative zur SMS wie Mabber.de.

Investitionen in Internet-Startups lohnen wieder - auch und gerade in Deutschland. "Vor drei Jahren wurden Gründer mit einer Internet-Idee bei Ven- ture-Capitalists in 30 Sekunden am Telefon abgewimmelt", sagt Martin Weber, Geschäftsführer von Holtzbrinck Ventures, heute können sich gute Startups die Finanziers praktisch aussuchen. Für viele VCs sind Web-2.0-Firmen allerdings zu klein. Die fünf Millionen, die ein klassischer VC-Geber gern pro Unternehmen gibt, sind bei den Startups kaum unterzukriegen. Die erste Million sei früher für Software fällig gewesen, sagt Weber. "Heute kann man mit 100 000 Euro eine Web-2.0-Firma starten."

Frank Böhnke von Wellington Partners ist auch in Krisenzeiten beim Internet geblieben - und damit gut gefahren. Böhnke machte Geld mit dem Verkauf von Alando (an Ebay), Scout24 (an T-Online) und Ciao (an Greenfield), versenkte Geld bei Firmen wie FairAd.de und mit Firmen-Marktplätzen. Mit OpenBC gelang Böhnke ein Scoop: Schafft Gründer Lars Hinrichs (Böhnke: "ein ambitionierter und talentierter Unter- » nehmer") wie erwartet einen erfolgreichen Börsengang, würde Wellington die eingesetzten sechs Millionen Euro für 20 Prozent des Unternehmens mehr als versechsfachen.

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Lesen Sie weiter auf Seite 3: Die Gretchenfrage für alle Gründer: Is it a feature or a business?

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Investiert hat Böhnke auch in die Spiele-Suchmaschine Wazap.com, eine deutsch-japanische Gründung, die in Japan bereits eine große Community um sich schart. "Die neuen Gründer denken viel internationaler", lobt Böhnke. Sie seien zudem "kostenbewusst und realistisch". Die Gründer wissen: Wer zu viel Geld ausgibt, ist schnell weg vom Fenster. Also arbeiten sie in Hinterhöfen, Kellerbüros und winzigen Buden an gebrauchten Schreibtischen mit wenigen Leuten und viel Enthusiasmus. "Extreme Fokussierung aufs Produkt", sieht Pionier Glänzer, "allein die Qualität entscheidet." Statt teurer Werbung sorgt virales Marketing, also Mundpropaganda zufriedener Nutzer, für Wachstum.

Die Gretchenfrage für alle Gründer: Is it a feature or a business? Ist es nur ein technisches Angebot oder begründet es ein Unternehmen? Lars Hinrichs warnt: "Viele 2.0-Anwendungen sind nett, haben aber kein Geschäftsmodell." Elemente wie Blogs können Etablierte problemlos auf ihren eigenen Sites einbauen.

Johnny Haeusler, mit Spreeblick.com Deutschlands bekanntester Blogger, gelernter Musiker, Radiomoderator und Mediengestalter, sitzt mit seinem Blog-Verlag in einem Kreuzberger Keller auf 70 Quadratmetern. Sein Plan, mit befreundeten Blogs ein Vermarktungs-Netz aufzuziehen, ist gerade gescheitert: Die Leser von Spreeblick waren nicht zu den Partner-Seiten zu bewegen. Ohnehin gilt Haeusler bei Werbekunden als schwierig: Er schreibt Werbekunden schon mal vor, wie ihre Anzeige aussehen sollte, damit sie auf seine Seiten passen. Und gibt Statements ab wie "Ist mir total scheißegal, ob BMW inseriert oder nicht" und "Wir sind 'ne Art Gegenkultur". Lars Hinrichs sieht im deutschen Web 2.0 bereits die Gefahr der Überhitzung: "Es wird bei den Communitys nur jeweils einen oder zwei geben, die in jeder Kategorie das Geschäft machen. Da ist es nicht gut, wenn zu viele Investoren mit zu viel Geld unterwegs sind." "Der Hype 2.0 ist da", sagt Venture-Capitalist Leybold. Aber eher bei den Anlegern als bei den Startups.

Beim Hamburger Startup Qype zahlen Investoren bereits doppelt so viel wie Leybold bereit gewesen wäre. Qype, eine Art Gelbe Seiten auf Basis von Nutzer-Empfehlungen, hat bisher nicht genug Nutzer, um an lokale Werbekunden heranzukommen. Dazu kommt: Local Based Services, also lokale Angebote, leiden darunter, dass es verhältnismäßig teuer und aufwendig ist, den Friseur und die Pizzeria an der Ecke als Kunden zu gewinnen.

Die Medienunternehmen sind gewarnt. Content und Community sehen sie als ihren Claim. Es gibt drei Möglichkeiten, ins Geschäft zu kommen, sagt Stephan Roppel, Geschäftsführer von Holtzbrincks Elab: "Selbst gründen, früh einsteigen oder teuer zukaufen." Viele Medien versuchen sich selbst an Communitys. RTL baut das Videoportal Clipfish.de, der notorische Internet-Prophet Hubert Burda will mit Focus Online Live Werbespots verkaufen, Holtzbrinck betreibt mit German-Blogs einen Blogverbund. Roppel will zum Jahresende die Angebote GuteFrage.net und Kiwoo.de zu einem nutzergetriebenem Experten-Netzwerk nach dem Vorbild der Web-Lebenshelfer von About.com verschmelzen.

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Lesen Sie weiter auf Seite 4: Wenn's nix wird, geht immer noch kaufen.

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Wenn's nix wird, geht immer noch kaufen: ProSieben sichert sich Anteile an MyVideo, Holtzbrinck an StudiVZ. Das Geld sitzt locker, seit Rupert Murdoch für 580 Millionen Dollar MySpace kaufte und durch einen einzigen Werbe-Deal mit Google refinanziert hat. "Wir schauen uns an, was auf dem Markt ist", sagt Burda-Stratege Reichart. "Wir wollen noch zukaufen, aber das Angebot an guten Firmen ist begrenzt." Konkurrent Holtzbrinck hat sich gerade ein Filetstück gesichert: Für einen zweistelligen Millionenbetrag erwarb Holtzbrinck Ventures gerade diskret eine Minderheitsbeteiligung an StudiVZ.de, einer schnell wachsenden Studenten-Community nach dem Vorbild der US-Seite Facebook. "Von Studenten für Studenten" ist der Eindruck, den der 26-jährige Gründer Ehssan Dariani gern aufrechterhalten möchte.

Ist das nicht zu teuer? Über zehn Millionen Euro für eine Firma, die erst vor einem knappen Jahr von E-Commerce-Pionier Lukasz Gadowski (Spreadshirt.de) mitgegründet wurde, für das zwei Dutzend Studenten in einem Berliner Hinterhof-Büro mit Wasserschaden arbeiten, und das noch keinen Euro Umsatz gemacht hat? Werbung soll erst Ende 2006 starten - allerdings dezent. Denn: "Das höchste Gut einer Community ist das Vertrauen ihrer Mitglieder", sagt Dariani. Derzeit konzentriert sich StudiVZ darauf, Mitglieder zu gewinnen und nach Frankreich, Italien, Spanien und Polen zu expandieren. 500 000 Mitglieder und hohes Wachstum machen StudiVZ zur klaren Nummer eins für Studenten in Deutschland. Das US-Pendant Facebook hat fast zehn Millionen Mitglieder und steht gerade für 800 Millionen bis 1,4 Milliarden Dollar zum Verkauf.

Ironischer Weise steht einigen Gründern eine deutschen Tugend im Wege: Es herrscht eine neue Bescheidenheit. Während US-Gründer schnell den Weltmarkt im Auge haben und die Finanziers, Mitarbeiter und das Klima finden, ihre Firmen grundsätzlich als "the next big thing" für die ganze Welt entwickeln, sind die Deutschen bescheidener. "Ohne Proof of concept geht gar nix", sagt Vasco Sommer von der Blogger-Community Blog.de: Erst mal beweisen, dass das Geschäftsmodell funktioniert.

Das könnte ein Fehler sein: Im schnelllebigen Web-Geschäft sind die Märkte verteilt, lange bevor irgendwer Geld verdient.

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Quelle: Wirtschaftswoche

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