Von Matthias Streitz
Großbritanniens Vorzeigekonzern BP war einst der erste, der Zugang zu den reichen Ölbeständen des Irak gewann. Werden die Förderrechte nach einem US-Sieg neu vergeben, möchte BP sich keineswegs ausstechen lassen - und nutzt deshalb seinen guten Draht zur Downing Street.
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Der Satz, den der Vorstandschef sagte, war so verschachtelt wie bemerkenswert. "Wir haben klargestellt, dass wir gewährleisten wollen, dass nach einem Regimewechsel im Irak bei der Auswahl von Ölfirmen, die ins Land gehen, die gleichen Spielregeln für alle gelten sollten".
Wenig zu verlieren, viel zu gewinnen
Kollegen in der Branche schüttelten damals die Köpfe über Brownes "unvorsichtigen" Satz. Schließlich konnten Kritiker des Krieges, der Regierungen Bush, Blair und der Öl-Konzerne ihn allzu leicht in den falschen Hals bekommen. Hatte Browne da nicht suggeriert, dass George W. Bush den amerikanischen Ölkonzernen zu lukrativen Förderrechten im Irak verhelfen könnte? Appellierte er nicht an die eigene, kriegsbereite Regierung, ebenfalls im Sinne ihrer Industrie zu intervenieren? Bestätigte der BP-Chef etwa die These vom Krieg fürs Öl?
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Schmierige Medizin
Die Russen, die Italiener von Eni, die Franzosen von TotalFinaElf - sie alle waren schneller oder rücksichtsloser, schlossen Vorverträge mit dem Hussein-Regime. Auch die Nachfolger Saddams werden aus diplomatischer Rücksicht zumindest einen Teil davon respektieren müssen. Derweil verhandeln die Emissäre amerikanischer Multis wie ExxonMobil im Geheimen schon mit Exil-Irakern, die als US-freundliche Vasallen in Frage kommen. BP steht zwischen den Fronten: Weil der Konzern im Kern immer noch britisch ist, kann er nicht offen mit dem Feind der Achse Bush-Blair anbandeln. So muss BP auf den Sturz Saddams hoffen, dürfte davon aber weniger profitieren als US-Konkurrenten.
Kein Wunder also, wenn der Underdog öffentlich Fairplay einfordert. Ein paar Erfolge im Spiel ums Öl, so viel ist gewiss, könnte BP gut gebrauchen. Das Jahr 2002 nämlich war eines der Pannen und Probleme. Gleich mehrfach in nur wenigen Wochen musste BP seine ehrgeizigen Ziele für das Wachstum der Fördermengen nach unten korrigieren. Ausreden wie die, ein Hurrikan im Golf von Mexiko habe die Prognosen durcheinander gewirbelt, vergrößerten den Image-Schaden nur: Plante Europas wertvollstes Unternehmen wirklich so unprofessionell?
Die Börse reagierte schockiert. Etwa zeitgleich kratzte eine Unfallserie in Alaska am bisher makellosen Image des Konzerns. Zum ersten Mal seit Beginn seiner Amtszeit 1995 schien Lord Browne fehl- und verwundbar. Da drängte sich die Frage auf: Würde ein Waffengang dem Konzern helfen? Könnte ein Krieg dem Erdöl-Lord ermöglichen, von seinen "innenpolitischen" Problemen abzulenken? Zumindest scheint die Aussicht auf einen Konflikt nicht eben zu schaden: Weil Kriegsangst die Ölpreise anhob, stiegen BPs Nettogewinne im vierten Quartal um fast 50 Prozent auf 2,64 Milliarden Dollar.
Hinzu kommt: Die größtenteils brach liegenden Ölfelder im Irak würden sich gut in Brownes Strategie einfügen, alternde Bestände durch frische, unausgeschöpfte zu ersetzen. Langfristig will der Konzern seine Abhängigkeit von seinen einst wichtigsten Förderfeldern - in der Nordsee und Alaska - mindern und neue Profit-Center in anderen Regionen aufbauen. Die vor Jahrzehnten erschlossenen, alten Gebiete haben ihre Blütezeit hinter sich.
"Aber wir waren zuerst da"
Erst im Januar hat BP deshalb sein legendäres Forties-Ölfeld in der Nordsee für 1,3 Milliarden Dollar an die Apache-Gruppe verkauft - die Erlöse sollen in unverbrauchte Vorkommen anderswo investiert werden. Browne steht unter einigem Druck, denn BP hat den Aktionären eine schnellere Erneuerung der Förderstätten versprochen als die meisten anderen Ölkonzerne. Zudem ist das Upstream-Geschäft, die Entdeckung und Förderung (im Gegensatz zu Verarbeitung und Marketing), für BP bedeutender als für Shell oder Exxon - umso wichtiger ist die Qualität der Felder. Im Irak ist diese so hoch wie fast nirgendwo sonst.
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Dann brach der Weltkrieg aus, die Londoner Regierung spürte den Ressourcendurst ihrer Armee - und verstaatlichte Anglo-Persian. Als britische Truppen schon auf Bagdad marschierten, schrieb ein Minister: "Die Kontrolle dieser Ölbestände wird zum erstklassigen Kriegsziel." Für den BP-Vorläufer wiederum war die tatkräftige Hilfe der Militärs ein erstklassiges Asset. Die erste irakische Ölquelle bei Kirkuk erschloss 1927 ein Anglo-Team. Ein Ereignis, an das sich Lord Browne auch heute gerne erinnert. Vor Reportern brüstete er sich: "Wirklich, wir haben das gesamte Öl im Irak entdeckt."
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Die Lobby-Maschinerie läuft
Der britische Premier hat den Ingenieur Browne in den Stand eines Lords heben lassen, beide Männer konferieren regelmäßig in Downing Street No. 10. Blairs frühere Beraterin Anji Hunter avancierte 2001 zu Brownes Kommunikationschefin, BPs Ex-Chairman Lord Simon amtierte zeitweise als Handelsminister in Blairs Kabinett. Auch deshalb trägt BP den Spottnamen "Blair Petroleum". Dass die Blair-Regierung beim "Großen Bruder" in Washington ein freundliches Wort für ihren größten Konzern einlegen würde, scheint mehr als wahrscheinlich. BP soll in London und Washington zudem die eigene Lobby-Maschinerie angeworfen haben, um Brownes Verlangen nach "gleichen Spielregeln für alle" zu bekräftigen.
Natürlich stünde der BP-Konzern nicht vor dem Bankrott, wenn er seinen Willen im Irak nicht bekommt. Von dem brutalen Rückschlag, den die Briten erlitten, als Bagdad ihre Ölförderstätten 1972 verstaatlichte, haben sie sich inzwischen erholt. Nach außen hin erweckte Lord Browne bis zu seinem Tabubruch im Oktober sogar oft den Anschein, er habe alle Hoffnung auf eine Rückkehr in den Irak aufgegeben.
So liegt von den sechs Regionen, die Browne zu Zentren künftiger Förderung aufbauen will - Trinidad, mexikanischer Golf, Angola, Indonesien, Russland und Aserbaidschan - nur die letzte überhaupt in der Nachbarschaft des Irak. Brownes Ausweichstrategie allerdings beweist nicht, dass er wenig hält vom Öl Arabiens - sondern allein, dass er es derzeit nicht bekommen kann und sich dem Faktischen fügt. Würden die Ressourcen des Irak wieder zugänglich, wäre es unternehmerisch töricht, sie freiwillig anderen zu überlassen.
Troja, Bagdad und der russische Springer
Selbst BPs Vorstoß in Erdölländer außerhalb des Nahen Ostens scheint nicht immer frei von Hintergedanken an den Irak. Ein Beispiel ist Brownes jüngste Milliardenwette: BP investiert die Rekordsumme von 6,75 Milliarden Dollar, um ein Jointventure mit örtlichen Partnern zum drittgrößten Ölkonzern Russlands aufzubauen. Während alle Welt wie hypnotisiert auf Saddams Bohrtürme starrt, so scheint es, legt der kluge Lord-Stratege ganz andere Eisen ins Feuer.
Zumindest der britische "Independent on Sunday" argwöhnt aber, dass Browne sein russisches Investment für eine Art trojanischen Pferdetrick nutzen könnte. Einer der russischen Partner, Sidanco, habe sich schließlich schon Lizenzen im Irak gesichert. Offenkundig versuche "Blair Petroleum" auf Umwegen, Zugang zum Reichtum Babylons zu erhalten - eine These, die auch in Kreisen der Opec kursiere, so der "Independent".
Kurzfristige Gefahren, langfristige Chancen
Ganz gefahrlos wäre ein Krieg für BP freilich nicht, selbst wenn er kurz bleibt. Da ist zum einen das kurzfristige Risiko, das sich aus schwankenden Ölpreisen ergibt. Dass zumindest Börsianer diese Gefahr ernst nehmen, zeigt der BP-Aktienkurs. Trotz steigender Ölpreise blieb das BP-Papier seit September deutlich hinter dem FTSE-100-Index zurück. Ein Paradoxon? Nur scheinbar - denn Händler mutmaßen, dass sich die Barrel-Preise nach einem neuen Wüstensturm ähnlich entwickeln wie beim Krieg 1991. Erst schossen sie kurzfristig auf rund 40 Dollar hoch, um noch vor Beginn der Bodenoffensive zu kollabieren.
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Hoffnung aus Kuweit
Weitaus gravierender wären die Folgen für BP, wenn ein "schneller" Interventionskrieg außer Kontrolle geriete. Entzündet eine US-Invasion einen Flächenbrand in der islamischen Welt, wären wohl nicht nur BPs Jointventures in Saudi-Arabien bedroht. Manche alt gedienten Öl-Männer in London fürchten denn auch, dass ein Irak-Krieg zum "zweiten Suez" eskaliert. Die britische Intervention am Kanal in Ägypten erzürnte 1957 die gesamte arabische Welt, warf Shell und BP dramatisch zurück - und legte die Basis für Opec-Gründung und Enteignungswellen der siebziger Jahre.
Auch Lord Edmund John Philipp Browne of Madingley muss also hoffen, dass ein neuer Golfkrieg ähnlich schnell vorüberginge wie der letzte. Der war im Übrigen ein Beispiel dafür, dass es sich auch für Briten rechnen kann, wenn Amerikaner Territorien "befreien". Denn auch in Kuweit waren BPs Beteiligungen 1975, auf dem Zenit der Opec-Macht, verstaatlicht worden. Seit dem Einmarsch der Amerikaner ist BP wieder mit Jointventures präsent. Die Kuweiter erwiesen BP gar eine besondere Ehre: Der Konzern war der Erste, den sie zurück in ihr Land einluden.