PDS
Der Schatz der Arbeiterklasse
Die PDS, die nun in Berlin regieren will, tat nach der Wende alles, um das SED-Vermögen für die eigene Parteiarbeit zu sichern. Dokumente zeigen, dass Millionenbeträge an verdiente Genossen gingen.
Die Mauer war gerade gefallen, da saß der Kassenwart Gerd Pelikan in seinem Büro im ehemaligen Gebäude der Reichsbank in Berlin und hatte Milliarden zu viel - zwar nur Mark der DDR, aber davon gleich 6,2 Milliarden.
Das Geld musste weg, bevor der Kapitalismus kam.
40 Jahre lang hatte die deutsche Arbeiterklasse für ihre Vorhut, die SED, geschuftet, Alugroschen um Alugroschen in die Parteikasse abgegeben, ohne je gesagt zu bekommen, wofür eigentlich; sie hatte ihre Gesundheit in volkseigenen Betrieben ruiniert, nur um zu sehen, dass die Gewinne irgendwo in Berlin verschwanden - und nun saß Pelikan, vor der Wiedervereinigung letzter Verwalter des Vermögens der PDS, vormals SED, in seinem Büro und musste den Sparstrumpf der deutschen Arbeiterklasse für die Partei in Sicherheit bringen.
Pelikan ist ein Biedermann mit hoher Stimme, der in den wirren Wendezeiten in sein Amt rutschte, "weil er", so ein Genosse von damals, "irgendwann mal eine Buchung gemacht hatte".
Die 6,2 Milliarden Ostmark liquide Mittel waren auf verschiedenen Konten geparkt oder bar gelagert im Panzerschrank 28 im alten ZK-Gebäude der SED. Er erwies sich als wahre Schatztruhe. Neben Dollar und Westmark barg er goldene Uhren, Trauringe, Silberbarren, Goldmünzen und etliche Verdienstorden.
Nicht veranschlagt bei der Wertermittlung zum 1. Januar 1990 wurde ein Batzen Zahngold im Safe, vorsorglich angeschafft, um der kränkelnden Elite des Arbeiterund-Bauern-Staates auch in schlechten Zeiten ein breites Lächeln zu ermöglichen. Ebenfalls unberücksichtigt blieben der umfangreiche Immobilienbesitz, der Wert der zahlreichen parteieigenen Betriebe sowie Gelder, die bereits die SED vor dem Mauerfall im Ausland investiert hatte.
Doch die Zeit drängte. Es war nur noch eine Frage von Wochen, bis die ersten freien Wahlen - sie waren für den 18. März 1990 geplant - die Partei endgültig von der Macht verdrängen würden. Also machten sich die Genossen über die 6,2 Milliarden her.
Nie zuvor in der deutschen Parteiengeschichte hat eine Partei so viel Geld verschoben wie die PDS bei ihrem Neuanfang. In nur sechs Monaten schmolz das gigantische Vermögen zusammen. Es wurde gespendet, verschenkt, gewaschen und auch, scheinbar ganz seriös, an den Staatshaushalt der noch existierenden DDR abgeführt oder in den Partei-Rentenfonds gesteckt (siehe Grafik Seite 42). Am 1. August 1991, es zählte allein die Westmark, waren nur noch 205,7 Millionen Mark in der PDS-Kasse, die dann an die Bundesrepublik gingen.
Seit elf Jahren müht sich die noch von der DDR-Volkskammer eingesetzte Unabhängige Kommission zur Überprüfung der DDR-Parteivermögen (UKPV), die Geldflüsse nachzuvollziehen. Auch versuchte die Kommission zu ermitteln, welche Summen auf Umwegen letztlich wieder in den PDS-Kassen landeten - und vielleicht heute noch landen. Auf eine wirkliche Mithilfe der neuen Herren in der Partei hofften die Kontrolleure allerdings vergebens. "Die PDS hat versucht, Vermögen zu verstecken, und kaum eine unserer Fragen dazu richtig beantwortet", sagt UKPV-Chef Christian von Hammerstein, der im August 1998 einen vorläufigen Abschlussbericht seiner Kommission vorlegte.
Ehemaliger PDS-Finanzstratege Langnitschke (1992), Darlehensvorschlag: "Nach dem Umtausch könnten die Mittel wieder dem Haushalt der PDS zugeführt werden"
Tatsächlich hatte der PDS-Vorstand um den damaligen Vorsitzenden Gregor Gysi, dessen Nachfolger Lothar Bisky und die Finanzchefs Wolfgang Pohl und Wolfgang Langnitschke selbst beschlossen, das Geld nicht nur als Beute, sondern auch als Kapital zu betrachten. Schließlich hatte Karl Marx im ersten Band des "Kapital" geschrieben, dass die erste Phase des Kapitalismus, die "ursprüngliche Akkumulation", mit guten Sitten nur wenig zu tun habe.
Wohin und in welchen Teilbeträgen die 6000 Millionen DDR-Mark in diesen wilden sechs Monaten auch flossen - stets war das Bemühen zu spüren, so viel wie möglich der eigenen Klientel zuzuschustern, wenn nicht gar über Strohmänner das Geld im Verfügungsbereich der Partei zu parken.
So manches Detail der milliardenschweren Geldverschiebung in der Zeit der Wende ist in den vergangenen Jahren bereits bekannt geworden - neben der UKPV und der Treuhand mühten sich auch zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestags um Aufklärung. Doch wie trickreich und mit welch gigantischen Summen die PDS damals tatsächlich agierte, weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht.
In merkwürdiger Eintracht gingen die anderen Parteien mit eher leichter Hand über die bislang vorliegenden Erkenntnisse hinweg. Sie verzichteten sogar darauf, die SED/PDS-Geldtransaktionen im Wahlkampf groß zu thematisieren. Lag es daran, dass zumindestens CDU und FDP ebenfalls kräftig vom Vermögen der DDR-Blockparteien profitierten?
Nun aber, da die dunkelroten Trickser von einst in einer Koalition mit der SPD die marode Hauptstadt sanieren sollen, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Staatsgeldern und der Verantwortung für den PDS-Finanzskandal neu. Im Zentrum der Affäre: Gysi, damals wie heute Vormann der Postkommunisten.
Auch bröckelt nach einem Jahrzehnt des kollektiven Schweigens das Kartell der Vertuscher. Vernichtet geglaubte Dokumente tauchen auf, neue Details der Geldströme werden bekannt. Und das Misstrauen, die PDS könne womöglich noch heute vom versteckten Vermögen zehren, wächst wieder. Zwei Jahre nach Auffliegen der Schwarzkonten-Affäre der CDU liegt der Verdacht nahe, auch die PDS könnte sich folgenschwerer Verstöße gegen die Grundsätze einer sauberen Parteienfinanzierung schuldig gemacht haben. Aus vielen dieser Transaktionen, bestätigt heute der frühere Schatzmeister des PDS-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, Matthias Hertel, "ist Geld an die Partei zurückgeflossen". Auch Chef-Kontrolleur Hammerstein glaubt, "dass die Wahrscheinlichkeit nicht geringer geworden ist, dass die PDS immer noch über unbekannte Kassen und Gelder verfügt". Dabei könne es sich um "ein Konto in der Schweiz" handeln oder um das Guthaben "eines braven Parteisoldaten, der im Plattenbau sitzt und das PDS-Geld von 1990 immer noch auf der Kante liegen hat" (siehe Interview Seite 45). Die PDS bestreitet das.
Jedenfalls ging und geht es den jetzt demokratischen Sozialisten finanziell prächtig. Im ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlkampf 1990 gaben sie 4,3 Millionen Mark aus. Wurde in den Jahren danach mal ein roter Heißluftballon als Werbegag gebraucht, wurde er einfach für 200 000 Mark gekauft. Das alles, pflegt der heutige Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zu sagen, lasse sich aus einem Beitrags- und Spendenaufkommen von jährlich rund 24 Millionen Mark bezahlen.
Wobei die Spenderstruktur der PDS im Vergleich zu den übrigen Parteien eine ganz spezielle ist: Sie verfügt über nur wenige Großspender, deren Namen offen zu legen wären. Das meiste Geld kommt in Kleinbeträgen unter 20 000 Mark rein, die nach dem Parteiengesetz nicht kennzeichnungspflichtig sind. Der Rechenschaftsbericht 1999 der PDS weist aus, dass 23 Millionen Mark sogar durch Einzelspenden von jeweils weniger als 6000 Mark zusammenkamen - und das bei einer Partei, die sich als Anwalt der Zu-kurz-Gekommenen versteht.
Abtransport von Ostmark (1990): Zum besten Kurs in harte Mark umgerubelt
Das alles macht die Kontrolleure misstrauisch. Während die Zeitungen anderer Parteien als Wochenblätter herumkrebsen, erscheint das PDS-nahe "Neue Deutschland" seit Jahren unbeirrt als Tageszeitung, obwohl das Blatt kaum Anzeigen aufweist. Er habe mal, klagt Hammerstein, Geschäftsführer Bartsch gefragt, wie seine Partei das finanziere - "und nur die flapsige Antwort bekommen: ,Die PDS hat eben opferbereite Spender'". Dass das Geld für die Zeitung aus dem ersparten Schatz der DDR-Arbeiterklasse stammen könnte - diese Vermutung weist Bartsch weit von sich.
Die Intention der früheren Einheitssozialisten, das übernommene Vermögen in die neue Zeit zu retten, ist jedenfalls unbestritten. "Die PDS würde es heute nicht geben, hätte man diese Maßnahmen damals nicht getroffen", sagt Bartsch heute, der 1991 Schatzmeister wurde.
Gysi selbst hatte auf dem Parteitag im Dezember 1989 die Delegierten beschworen, "keine Auflösung der SED zu beschließen, da sonst das Parteivermögen verloren geht". Vier Tage nach der Umbenennung wurde eine elfköpfige "Arbeitsgruppe zum Schutz des Vermögens der SED/PDS" eingesetzt - ihr Chef war Gerd Pelikan.
Die "wirksamen Schritte gegen Angriffe auf das Eigentum der SED/PDS" (Parteitagsauftrag) zeugen teilweise von krimineller Energie. Eine Idee, so stellte das Landgericht Berlin 1995 in einem Prozess gegen untreue Nutznießer des PDS-Vermögens fest, habe Anwalt Gysi selbst entwickelt und gleich den ausgeklügelten Plan mitgeliefert, "sich zur Vermögenssicherung der Vergabe von Darlehen zu bedienen und diese mit Treuhandverhältnissen zu kombinieren".
Was so kompliziert klingt, schien ganz einfach. Bewährte Parteigänger sollten von der PDS Darlehen erhalten, das Geld für die Partei in Firmen investieren oder aufbewahren - und es bei Bedarf zurückgeben. Kurz: spezielle schwarze Kassen für rote Genossen.
Am 17. April 1990 wurde Pelikan bevollmächtigt, "für den Parteivorstand der PDS auf der Grundlage von Beschlüssen des Parteivorstandes der PDS Treuhand- und Darlehensverträge zu schließen und alle hierzu erforderlichen Erklärungen abzugeben". Die Vollmacht, ausgestellt auf einem Briefpapier des Parteivorstands, hat Gregor Gysi persönlich unterschrieben, dem offiziellen Briefkopf wurde noch mit der Schreibmaschine ein "Vorsitzender" hinzugefügt. Unter der Urkunde Nummer 4/1990 beglaubigte die Notarin Sabine Herrmann die Unterschrift Gysis ("ausgewiesen durch Personalausweis für Bürger der DDR Nr. A 1 109 889") und bestätigte, dass dieser "alleinvertretungsberechtigt" sei.
Als Zeuge vor dem Berliner Landgericht verweigerte Gysi 1995 die Aussage, "um mich nicht selbst zu belasten", und erklärte lediglich, er habe "keine Kenntnis von Geldverschiebungen gehabt". Heute sagt Gysi, die Vollmacht sei nötig gewesen, "damit ich nicht immer alles selbst unterschreiben musste". Er habe für die reine Parteiarbeit "einen Stellvertreter gebraucht". Immerhin räumt er ein, "da sind Dinge gelaufen, die wären besser nicht gelaufen". Sein damaliger Stellvertreter Wolfgang Pohl beschrieb dagegen die Parteilinie so: "Die Strategie ist beschlossen, das ,Wie' ist eure Sache, belastet uns nicht mit Details."
Also musste Pelikan zusehen, wie er die Darlehensbeträge sicher in den Kapitalismus schleusen konnte. Das Problem, vor dem er sich sah: Er war kein Anleger. Er hatte nie gelernt, mit Geld zu wirtschaften. Genauso wenig wie die ganze Einheitspartei. Hätte die SED es gekonnt, wäre die DDR nie so jämmerlich untergegangen.
In den folgenden Wochen wurde gegründet, beglaubigt, umgeschrieben und verschoben wie zu den besten Wirtschaftswunderzeiten. Im Büro der Notarin Herrmann in der Neuen Roßstraße, 500 Meter vom ZK-Gebäude entfernt, standen die Neukapitalisten mit dem PDS-Parteibuch Schlange. Für Herrmann keine ungewohnte Aufgabe: Als es die DDR noch wirklich gab, war sie als Lottofee des Ostens für die Beglaubigung der wöchentlichen Hauptgewinne zuständig.
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