Von Thomas Hanke
Nach drei Jahren Enthaltsamkeit gibt sich der Kanzler wieder als Raubein: Er verdächtigt die EU-Kommission, aus anderen als sachlichen Gründen auf einer Defizit-Frühwarnung für die Bundesrepublik zu bestehen.
Machtpolitische oder - auch die Variante war in Berlin schon zu hören - gar parteipolitische Motive stünden hinter dem Vorgehen der Kommissare. Als Bürokraten pöbelte der Kanzler sie auch noch an.
Andere Gründe als die Finanzpolitik gibt es in der Tat - allerdings sind sie noch viel peinlicher für die Regierung als das hohe Defizit: Der EU-Kommission und einigen Mitgliedsstaaten geht langsam die Geduld mit Deutschlands mickriger wirtschaftlicher Performance aus. Das miserable deutsche Wachstum, so sagen führende EU-Beamte, trage viel zur Verstimmung über Deutschland bei, weil alle Mitgliedsstaaten darunter leiden. Umso geringer ist die Lust, für Deutschland eine Ausnahme von den Stabilitätsvorschriften zu machen.
Die Unzufriedenheit der Partner mit dem deutschen Wachstumsbremser ist politisch wesentlich brisanter als die Frühwarnung. Die ist nur einem kleinen Kreis von Experten verständlich, die Kritik an Deutschland als Schlusslicht beim Wachstum versteht dagegen jeder. Der Vorwurf wirkt wie eine Bestätigung der CDU/CSU-Wahlkampfthese, dank Rot-Grün trage die Bundesrepublik in der EU die rote Laterne.
Kranker Mann Europas
Längst hat sich das Urteil, Deutschland leide an chronischer Wachstumsschwäche und ziehe die EU nach unten, auch international durchgesetzt. Beim World Economic Forum (WEF) ging vielen Ökonomen die Metapher mit großer Selbstverständlichkeit über die Lippen, Deutschland sei der "kranke Mann" Europas. Will Schröder all diese Kritiker auch als Wasserträger der Opposition darstellen?
Es war schon fast rührend, wie der Kanzler in New York die Leistungen seiner Regierung zu verkaufen suchte: Steuerreform, internationale Präsenz mit Soldaten, Greencard. Lauter alte Bekannte. Nur über die Zukunft verlor der Kanzler kein Wort, obwohl die Zuhörer gerade darüber etwas hören wollten: Wie überwindet Schröder die Wachstumsschwäche?
Der Kanzler sitzt einem verhängnisvollen Trugschluss auf: Er vergleicht die Leistungen seiner Regierung permanent mit den letzten Amtsjahren seines Vorgängers. Aber nicht Kohl ist der Maßstab, sondern die internationalen Wettbewerber Deutschlands. So verdienstvoll vieles von dem ist, was Rot-Grün geschaffen hat: Das Tempo reicht nicht, um international mithalten zu können. Kohl war in seinen letzten Jahren schlecht. Aber Schröder ist auch längst nicht gut genug.
Dabei geht es nicht darum, die alte Standort-Leier noch einmal zu spielen, die wir aus den 80er und 90er Jahren kennen. Die Bundesrepublik ist nicht sklerotisch, ihre Unternehmen sind hoch leistungsfähig. Im World Competitiveness Report des WEF besetzt Deutschland deshalb bei der Innovationskraft den dritten Rang. Diese gute Platzierung geht aber auf die Forschungsaufwendungen der Unternehmen, auf ihre Internationalisierung und auf alte Stärken des Landes wie eine relativ hohe Zahl an Patentanmeldungen zurück.
Der Staat hingegen bleibt seinen Teil der Innovations-Anstrengung auf vielen Gebieten schuldig: Informations- und Kommunikationstechnologien genießen bei anderen Regierungen eine viel höhere Priorität, Deutschland liegt hier im internationalen Vergleich nur auf Rang 35. Im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine moderne Volkswirtschaft, rangieren wir an 32. Stelle. Bei der IT-bezogenen Qualifizierung sieht es nur wenig besser aus: Platz 19. Was die Internetanbindung von Schulen angeht, liegen 21 Länder vor der Bundesrepublik, beim Anteil von Studenten an der Bevölkerung sind es 15, darunter Korea und Spanien. Das alles sind Faktoren, die wesentlich vom Staat bestimmt werden.
Man fragt sich, ob die Regierung das Problem überhaupt wahrnimmt. Wettbewerbsfähigkeit scheint sie immer noch durch eine veraltete Brille zu sehen: Steuern senken, Infrastruktur modernisieren, Arbeitskosten vermindern. Das ist alles richtig, stammt aber aus dem Lastenheft der 80er und 90er Jahre. Es ist bedauerlich, dass die Bundesrepublik das damals nicht abgearbeitet hat. Es ist aber umso schlimmer, wenn die heutige Regierung diese Aufgaben nur teilweise erledigt und dann schon die Hände in den Schoß legt.
Staat versagt
Denn in der Gruppe der höchstentwickelten Länder entscheiden nicht mehr die Arbeitskosten darüber, ob ein Staat bei Forschung und marktfähigen Produkten die Nase vorn hat. Da kommen eher die oben genannten Einflussfaktoren zum Zug. Wer dabei gut ist, erreicht eine hohe Arbeitsproduktivität und hohe Wachstumsraten. Wer es nicht ist, dem geht es wie Deutschland: Er wächst kaum, schafft weniger Arbeitsplätze als andere und wird für einen integrierten Wirtschaftsraum wie die EU zur Belastung. Wie wäre es, wenn sich der Kanzler zur Abwechslung mal damit befassen und ein Programm zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation vorlegen würde? Dann müsste er nicht mehr die "EU-Bürokraten" abkanzeln.
© 2002 Financial Times Deutschland
Nach drei Jahren Enthaltsamkeit gibt sich der Kanzler wieder als Raubein: Er verdächtigt die EU-Kommission, aus anderen als sachlichen Gründen auf einer Defizit-Frühwarnung für die Bundesrepublik zu bestehen.
Machtpolitische oder - auch die Variante war in Berlin schon zu hören - gar parteipolitische Motive stünden hinter dem Vorgehen der Kommissare. Als Bürokraten pöbelte der Kanzler sie auch noch an.
Andere Gründe als die Finanzpolitik gibt es in der Tat - allerdings sind sie noch viel peinlicher für die Regierung als das hohe Defizit: Der EU-Kommission und einigen Mitgliedsstaaten geht langsam die Geduld mit Deutschlands mickriger wirtschaftlicher Performance aus. Das miserable deutsche Wachstum, so sagen führende EU-Beamte, trage viel zur Verstimmung über Deutschland bei, weil alle Mitgliedsstaaten darunter leiden. Umso geringer ist die Lust, für Deutschland eine Ausnahme von den Stabilitätsvorschriften zu machen.
Die Unzufriedenheit der Partner mit dem deutschen Wachstumsbremser ist politisch wesentlich brisanter als die Frühwarnung. Die ist nur einem kleinen Kreis von Experten verständlich, die Kritik an Deutschland als Schlusslicht beim Wachstum versteht dagegen jeder. Der Vorwurf wirkt wie eine Bestätigung der CDU/CSU-Wahlkampfthese, dank Rot-Grün trage die Bundesrepublik in der EU die rote Laterne.
Kranker Mann Europas
Längst hat sich das Urteil, Deutschland leide an chronischer Wachstumsschwäche und ziehe die EU nach unten, auch international durchgesetzt. Beim World Economic Forum (WEF) ging vielen Ökonomen die Metapher mit großer Selbstverständlichkeit über die Lippen, Deutschland sei der "kranke Mann" Europas. Will Schröder all diese Kritiker auch als Wasserträger der Opposition darstellen?
Es war schon fast rührend, wie der Kanzler in New York die Leistungen seiner Regierung zu verkaufen suchte: Steuerreform, internationale Präsenz mit Soldaten, Greencard. Lauter alte Bekannte. Nur über die Zukunft verlor der Kanzler kein Wort, obwohl die Zuhörer gerade darüber etwas hören wollten: Wie überwindet Schröder die Wachstumsschwäche?
Der Kanzler sitzt einem verhängnisvollen Trugschluss auf: Er vergleicht die Leistungen seiner Regierung permanent mit den letzten Amtsjahren seines Vorgängers. Aber nicht Kohl ist der Maßstab, sondern die internationalen Wettbewerber Deutschlands. So verdienstvoll vieles von dem ist, was Rot-Grün geschaffen hat: Das Tempo reicht nicht, um international mithalten zu können. Kohl war in seinen letzten Jahren schlecht. Aber Schröder ist auch längst nicht gut genug.
Dabei geht es nicht darum, die alte Standort-Leier noch einmal zu spielen, die wir aus den 80er und 90er Jahren kennen. Die Bundesrepublik ist nicht sklerotisch, ihre Unternehmen sind hoch leistungsfähig. Im World Competitiveness Report des WEF besetzt Deutschland deshalb bei der Innovationskraft den dritten Rang. Diese gute Platzierung geht aber auf die Forschungsaufwendungen der Unternehmen, auf ihre Internationalisierung und auf alte Stärken des Landes wie eine relativ hohe Zahl an Patentanmeldungen zurück.
Der Staat hingegen bleibt seinen Teil der Innovations-Anstrengung auf vielen Gebieten schuldig: Informations- und Kommunikationstechnologien genießen bei anderen Regierungen eine viel höhere Priorität, Deutschland liegt hier im internationalen Vergleich nur auf Rang 35. Im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine moderne Volkswirtschaft, rangieren wir an 32. Stelle. Bei der IT-bezogenen Qualifizierung sieht es nur wenig besser aus: Platz 19. Was die Internetanbindung von Schulen angeht, liegen 21 Länder vor der Bundesrepublik, beim Anteil von Studenten an der Bevölkerung sind es 15, darunter Korea und Spanien. Das alles sind Faktoren, die wesentlich vom Staat bestimmt werden.
Man fragt sich, ob die Regierung das Problem überhaupt wahrnimmt. Wettbewerbsfähigkeit scheint sie immer noch durch eine veraltete Brille zu sehen: Steuern senken, Infrastruktur modernisieren, Arbeitskosten vermindern. Das ist alles richtig, stammt aber aus dem Lastenheft der 80er und 90er Jahre. Es ist bedauerlich, dass die Bundesrepublik das damals nicht abgearbeitet hat. Es ist aber umso schlimmer, wenn die heutige Regierung diese Aufgaben nur teilweise erledigt und dann schon die Hände in den Schoß legt.
Staat versagt
Denn in der Gruppe der höchstentwickelten Länder entscheiden nicht mehr die Arbeitskosten darüber, ob ein Staat bei Forschung und marktfähigen Produkten die Nase vorn hat. Da kommen eher die oben genannten Einflussfaktoren zum Zug. Wer dabei gut ist, erreicht eine hohe Arbeitsproduktivität und hohe Wachstumsraten. Wer es nicht ist, dem geht es wie Deutschland: Er wächst kaum, schafft weniger Arbeitsplätze als andere und wird für einen integrierten Wirtschaftsraum wie die EU zur Belastung. Wie wäre es, wenn sich der Kanzler zur Abwechslung mal damit befassen und ein Programm zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation vorlegen würde? Dann müsste er nicht mehr die "EU-Bürokraten" abkanzeln.
© 2002 Financial Times Deutschland