Spiel ohne Ball

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Spiel ohne Ball

 
18.05.01 09:42

Mit der totalen Zerlegung des bewegten Bildes will das Internet dem Fernsehen Konkurrenz machen

Von Detlef Borchers
 
Die Internet-Industrie ist kleinlaut geworden in den vergangenen Monaten und hält sich mit Prognosen hoher Wachstumsraten zurück. Einer der wenigen Bereiche, denen weiterhin eine rosige Zukunft geweissagt wird, ist Streaming Media - die Übertragung von Tönen und Filmen im Netz. Auf der Internet World, die in dieser Woche in Berlin stattfindet, wurde gleich eine separate Konferenz zum Thema eingerichtet. Und auf dem unlängst zu Ende gegangenen European Media Art Festival diskutierten unabhängige Filmemacher, ob sie nicht in Zukunft ihre Werke in Streaming-Datenbanken speichern und auf Anforderung (gegen Geld) verschicken sollten.

Beim Streamen werden keine kompletten Dateien verschickt, sondern ein kontinuierlicher Datenstrom. Der fließt nur so stark, wie es die vorhandenen Internet-Anschlüsse bei den Empfängern erlauben. Auf diese Weise komprimiert, sind übers Internet sogar Live-Übertragungen möglich. Die Konzerte von Popstars stellen regelmäßig Internet-Quotenrekorde auf. Neun Millionen Surfer sahen zum Beispiel nach Angaben der Microsoft-Tochter MSN das halbstündige Londoner Madonna-Konzert. Den deutschen Rekord hält die erste Big Brother-Staffel, bei der gleichzeitig 30 000 Zuschauer über das Internet das Treiben der Container-Insassen beobachteten.

Solche Zahlen suggerieren, dass sich Streaming Media als Massenmedium analog zum Fernsehen entwickelt. Dabei ist das Verfahren für Großereignisse gar nicht besonders geeignet: Der massenhafte Abruf der Datenströme führt nämlich stets zu Verstopfungen im Netz. Das Potenzial der Technik liegt woanders: bei Zielgruppensendungen, etwa dem kleinen Medizinkongress, den nur einige hundert Interessenten sehen wollen. Interessant wäre natürlich auch die Auflösung des TV-Programmes in Hunderte abrufbarer Spartenkanäle.

Doch diese Angebote würden wohl Zuschauer nur selten vom Fernseher zum Computermonitor locken. Das Internet bietet mehr. Transactive Multimedia nennt die Firma Digital Island ihren Werbedienst im Videostream. Die Firma speist mehr als passive Reklame ein. Die Zuschauer können die Werbung anklicken, während die Übertragung weiterläuft. Dann erscheint prompt das passende Bestellformular. Eine andere Methode, an das Portemonnaie des Zuschauers zu kommen, hat die Firma Princeton Video ersonnen: Sie ließ während der Fußball-EM ein Spiel ins Internet streamen, bei dem nicht nur der Ton des Kommentators fehlte, sondern auch das Bild des Balls. Wer Spiele mit Ball und Ton genießen will, soll in Zukunft bezahlen. Wenn er denn dazu bereit ist: Das Spiel ohne Ball hatte durchaus einen eigenen ästhetischen Reiz.

Neben dem Herausrechnen von Inhalten wird das Hineinrechnen eine neue Qualität annehmen. Bandenwerbung in Sportveranstaltungen, die landesspezifische Werbung enthält, aber auch anklickbare, fernsteuerbare Figuren oder Gegenstände sollen den aktiven Konsumenten elektrisieren.

Doch das ist nur der Anfang. Unter dem Stichwort "Immersive Multimedia"werden Streaming-Techniken angeboten, die zur personalisierten Sportsendung führen. Vorreiter ist die Firma Intel, sonst als Prozessorbauer bekannt. Der surfende Zuschauer wird bei Sportsendungen mit zusätzlichen Informationen versorgt, die dem Live-Betrachter vor Ort fehlen. Ein bekanntes Beispiel sind die eingeblendeten Abstände der Spieler, wenn sie beim Freistoß eine Mauer bilden. Bei der WM 2002 soll dieses System weiter ausgebaut werden: Die israelische Firma Orad Hi-Tec hat ein Verfahren namens CyberPaintentwickelt, bei dem die Kommentatoren ein Fernsehbild einfrieren können. Darauf lassen sich dann Spielzüge skizzieren und einzelne Spieler markieren. Geht die Live-Übertragung weiter, rechnet CyberPaint die Skizzen in das laufende Bild ein und führt die Stricheleien analog zur Kameraperspektive mit. Möglich wird dies, weil starke Grafikrechner das Bild analysieren, dabei die Perspektive feststellen und markante Bildpunkte herausfiltern.

Aus diesem Verfahren destillierte die Tochterfirma OradNet das System TOPlay Soccer, bei dem das gesamte Spiel von einem Web-Server für die Internet-Übertragung in eine 3-D-Animation umgerechnet wird. Dieses an ein Computerspiel erinnernde Match kann der Zuschauer dann etwa aus der Perspektive seines Lieblingsspielers in selbst gewählter Zeitlupe verfolgen. Auch der Betreiber einer Sport-Website kann diese "Übertragung" verändern, sodass der Klick auf ein Spielertrikot die Bestellung im virtuellen Fanshop auslöst. Wie live das Spiel zu einem Bild umgesetzt wird, hängt allein von der Leistungsfähigkeit des eingesetzten Computers ab. Schon jetzt zeichnet sich ein Streit darüber ab, wie die aufbereitete Darstellung eines Fußballspiels im Netz sich mit den Lizenzen für TV-Übertragungen verträgt, die Fußballverbände wie die Fifa streng nationalisiert vergeben.

Der Client von TOPlay Soccer wurde zum Monatsanfang auf der Website von OradNet zum Download freigegeben. Eine Variante des Systems heißt CyberPlayund ist für die TV-Anstalten gedacht, die Spiele senden: Auch sie können die Fußballspieler bald wie Comicfiguren auf dem Bildschirm zappeln lassen.



Quelle: (c) DIE ZEIT   21/2001    
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