Warren Buffett im Gespräch
Ein Gespräch mit der Investmentlegende Warren Buffett über den US-Aktienmarkt, Risikoanleihen und die Kunst des Wartens.
Wenn Sie derzeit keine günstige Investitionsmöglichkeit finden, sind Sie nicht allein. Auch Warren Buffett hat dieses Problem. Der legendäre Chef der Investmentholding Berkshire Hathaway sitzt auf 24 Milliarden Dollar Barmitteln. Er würde sie nur zu gerne auf den amerikanischen Aktien- und Anleihenmärkten investieren - wenn sich gute Gelegenheiten böten.
Aber Buffett sagte jetzt in einem großen Interview: "Ich finde derzeit am Aktienmarkt nichts." Auch bei US-Regierungs- und Risikoanleihen begeistert ihn das Angebot nicht. "Wir haben mehr Bargeld als Ideen. Die Frage ist, ob diese Situation ungebührlich lang anhalten wird." Buffett bleibt trotzdem "optimistisch", dass sich letztlich gute Chancen ergeben werden. Irgendwann.
Die Situation ist nicht neu. Berkshire Hathaway hat auch in der Vergangenheit schon brachliegende Märkte erlebt. Die Cash-Position der Holding ließ Buffett im ersten Halbjahr 2003 von 10 Milliarden auf 24 Milliarden Dollar anwachsen.
Einfach ruhig bleiben
Dieser hohe Anstieg hat vor allem zwei Gründe: Die Betriebsgewinne stiegen auf 2,7 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr, während die aktiv verwalteten Portfolios langfristige US-Staatsanleihen im Wert von etwa neun Milliarden Dollar abstießen. Berkshire trennte sich von den Regierungspapieren, weil die langfristigen Zinsen auf ein 40-Jahres-Tief gefallen waren - ein kluger Schachzug, wie der seitherige Zinsanstieg gezeigt hat.
Buffett, der sein Leben lang erfolgreich mit Risiken jongliert hat, lässt auch beim derzeitigen Niveau die Finger von US-Staatsanleihen. Wie er sagt, könnte Berkshire mehr aus seinem Investmentportfolio herausholen, wenn die Barmittel in länger laufende Anleihen umgeschichtet würden.
Aber der zusätzliche Gewinn wiegt nach seiner Meinung das Risiko nicht auf. Wie Buffett auch im Jahresbericht von Berkshire betont, ist eine Rendite von weniger als einem Prozent nach Steuern auf kurzfristige Anlagen "kein Grund zur Freude, aber ein erfolgreicher Anleger muss gelegentlich einfach ruhig bleiben können".
Unter Buffetts Führung ist der einstige Versicherungskonzern Berkshire Hathaway durch zahlreiche Übernahmen in den vergangenen Jahren zu einem mächtigen Konglomerat geworden. Mit 60 Tochtergesellschaften kommt das Unternehmen auf einen aktuellen Marktwert von 115 Milliarden Dollar.
2003 hat Buffett allerdings nur zwei größere Akquisitionen gewagt: Clayton Homes, einen Fertighaushersteller, der auch im Kreditgeschäft tätig ist, und McLane, einen führenden Lebensmittelgroßhändler, der 7-Eleven und andere kleine Einkaufsketten beliefert. McLane übernahm Buffett von Wal-Mart. Nun, so hofft er, kommt das Unternehmen auch mit Einzelhändlern ins Geschäft, die mit Wal-Mart in Konkurrenz stehen und die McLane zuvor aus diesem Grund gemieden hatten.
Clayton wiederum wurde von Berkshire für 1,7 Milliarden Dollar gekauft, das Zwölffache des Jahresgewinns nach Steuern - ein Preis, den viele Aktionäre für unangemessen hielten. Sie versuchten, die Übernahme zu verhindern. Vergeblich.
Nach oben gezerrt
An den beiden Zukäufen zeigt sich Buffetts Strategiewandel: Statt Aktienpakete großer Unternehmen zu kaufen, konzentriert sich die Holding nun darauf, Firmen komplett zu übernehmen. Damit hat Berkshire das Sagen über die Verwendung der Gewinne.
Die langfristigen Beteiligungen an Coca-Cola und Gillette, die Berkshire schon Ende der Achtzigerjahre aufbaute, erwiesen sich allerdings als guter Griff. Buffett meint jedoch heute, er hätte sie am Höhepunkt des Bullenmarktes Ende der Neunzigerjahre verkaufen sollen.
Die Kurse der beiden Aktien, ebenso wie deren Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das damals bei etwa 50 lag, haben sich in etwa halbiert. "Coke und Gillette waren von der manischen Entwicklung nur am Rande berührt, aber die Kurse wurden mit nach oben gezerrt." Derzeit werden die beiden Aktien zum 20- bis 25fachen des für 2003 erwarteten Gewinns gehandelt.
Einer der besten Berkshire-Deals der vergangenen Jahre war wohl die Übernahme einer Kontrollmehrheit an Mid-American Energy. Berkshire zahlte für den 80-Prozent-Anteil an dem Energieversorger etwa zwei Milliarden Dollar und streicht jetzt dafür jährlich mehr als 300 Millionen Dollar Gewinn ein.
In den vergangenen Monaten konnte Mid-American zwei große Erdgaspipelines günstig erwerben. "Mid-American wird in zehn Jahren ein ganz großes Unternehmen sein", sagt Buffett, "das Wachstum kommt in Schüben." Aber wie er zu sagen pflegt: "Langfristig verdienen wir lieber 15 Prozent mit Durststrecken als 12 Prozent ohne."
Besonderes Vertrauen in Technologieaktien hat Buffett nie gesetzt, und über die aktuelle Bewertungslücke zwischen den großen Technologie- und Pharmawerten kann er sich nur wundern. Intel und Cisco Systems haben ein doppelt so hohes KGV wie die Pharmamarktführer Pfizer und Johnson & Johnson. "Im Ganzen gesehen sind Medikamente aber das bessere Geschäft als Technologie", meint Buffett.
Echte Stars
Diese Branche erziele höhere Kapitalrenditen und verfüge dank Patentschutz über langlebigere Produkte. "Nehmen sie die zehn umsatzstärksten Unternehmen: In der Pharmabranche erzielen auch die Unternehmen auf Platz acht und neun noch gute Gewinne. Und Pharmafirmen gehen praktisch nie Pleite", sagt Buffett. Im Technologiesektor hingegen "sind die Stars echte Stars", aber es gibt nicht so viele davon. Außerdem seien sie anfälliger für zyklische Entwicklungen.
Buffett ist ein großer Fan der Einzelhandelskette Wal-Mart. Es sei einer seiner größten Fehler gewesen, die Aktie nicht schon vor Jahren zu kaufen, weil sie ihm bereits damals überbewertet erschien. "Das hat uns acht Milliarden Dollar gekostet."
Angesichts der starken Marktstellung von Wal-Mart hält er - ganz im Gegensatz zu vielen anderen wertorientierten Anlegern - die Supermarktaktie immer noch für unterbewertet: Wal-Mart ist inzwischen zum größten US-Lebensmitteleinzelhändler avanciert und nach seiner Ansicht dabei, die anderen Supermärkte "umzubringen".
Der 73-jährige Buffett gibt nur selten Interviews. Das "Barron’s"-Gespräch wurde beim Mittagessen (ein Schinken-Tomaten-Sandwich und ein Eistee) sowie in seinem unscheinbaren Büro in der Provinzstadt Omaha, Nebraska, geführt. Ganz untypisch für den Chef eines großen Unternehmens hat Buffett keinen Computer und auch kein Finanzdatenterminal in seinem Büro. Seine E-Mails liest er erst, nachdem sie ihm von seiner Sekretärin ausgedruckt wurden.
"Barron’s" führte das Interview an dem Tag, an dem der Versicherungsanalyst Vinay Saqi von Morgan Stanley eine Erstanalyse von Berkshire mit der Empfehlung "Übergewichten" und einem Kursziel von 90 000 Dollar (aktuell etwa 76 200 Dollar) veröffentlichte. Gleichzeitig setze Saqi den Konkurrenten AIG von Neutral auf Untergewichten. Buffetts Reaktion: Saqi hätte besser umgekehrt Berkshire eine niedrigere und AIG eine höhere Bewertung gegeben - weil "Hank (der AIG-Chef Hank Greenberg) auf so etwas Wert legt. Ich nicht".
Die Berkshire-Aktie hat 2003 bisher nur vier Prozent zugelegt, obwohl die Gewinne und der Buchwert gestiegen sind. Das kümmert Buffett jedoch nicht. Sein Augenmerk gilt nicht dem Aktienkurs des Unternehmens, er will keine Aktionärsbasis, die sich mit "Krimskrams" aufhält.
Vielmehr legt er Wert auf Aktionäre, die in langen Zeiträumen denken. Mit nur drei Prozent ist der Umsatz bei Klasse A-Aktien des Unternehmens auffallend gering. Der Investorenmeister kann stolz sein, dass seine Aktionäre seinem Rat offensichtlich folgen.
ANDREW BARY
30.10.2003
Ein Gespräch mit der Investmentlegende Warren Buffett über den US-Aktienmarkt, Risikoanleihen und die Kunst des Wartens.
Wenn Sie derzeit keine günstige Investitionsmöglichkeit finden, sind Sie nicht allein. Auch Warren Buffett hat dieses Problem. Der legendäre Chef der Investmentholding Berkshire Hathaway sitzt auf 24 Milliarden Dollar Barmitteln. Er würde sie nur zu gerne auf den amerikanischen Aktien- und Anleihenmärkten investieren - wenn sich gute Gelegenheiten böten.
Aber Buffett sagte jetzt in einem großen Interview: "Ich finde derzeit am Aktienmarkt nichts." Auch bei US-Regierungs- und Risikoanleihen begeistert ihn das Angebot nicht. "Wir haben mehr Bargeld als Ideen. Die Frage ist, ob diese Situation ungebührlich lang anhalten wird." Buffett bleibt trotzdem "optimistisch", dass sich letztlich gute Chancen ergeben werden. Irgendwann.
Die Situation ist nicht neu. Berkshire Hathaway hat auch in der Vergangenheit schon brachliegende Märkte erlebt. Die Cash-Position der Holding ließ Buffett im ersten Halbjahr 2003 von 10 Milliarden auf 24 Milliarden Dollar anwachsen.
Einfach ruhig bleiben
Dieser hohe Anstieg hat vor allem zwei Gründe: Die Betriebsgewinne stiegen auf 2,7 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr, während die aktiv verwalteten Portfolios langfristige US-Staatsanleihen im Wert von etwa neun Milliarden Dollar abstießen. Berkshire trennte sich von den Regierungspapieren, weil die langfristigen Zinsen auf ein 40-Jahres-Tief gefallen waren - ein kluger Schachzug, wie der seitherige Zinsanstieg gezeigt hat.
Buffett, der sein Leben lang erfolgreich mit Risiken jongliert hat, lässt auch beim derzeitigen Niveau die Finger von US-Staatsanleihen. Wie er sagt, könnte Berkshire mehr aus seinem Investmentportfolio herausholen, wenn die Barmittel in länger laufende Anleihen umgeschichtet würden.
Aber der zusätzliche Gewinn wiegt nach seiner Meinung das Risiko nicht auf. Wie Buffett auch im Jahresbericht von Berkshire betont, ist eine Rendite von weniger als einem Prozent nach Steuern auf kurzfristige Anlagen "kein Grund zur Freude, aber ein erfolgreicher Anleger muss gelegentlich einfach ruhig bleiben können".
Unter Buffetts Führung ist der einstige Versicherungskonzern Berkshire Hathaway durch zahlreiche Übernahmen in den vergangenen Jahren zu einem mächtigen Konglomerat geworden. Mit 60 Tochtergesellschaften kommt das Unternehmen auf einen aktuellen Marktwert von 115 Milliarden Dollar.
2003 hat Buffett allerdings nur zwei größere Akquisitionen gewagt: Clayton Homes, einen Fertighaushersteller, der auch im Kreditgeschäft tätig ist, und McLane, einen führenden Lebensmittelgroßhändler, der 7-Eleven und andere kleine Einkaufsketten beliefert. McLane übernahm Buffett von Wal-Mart. Nun, so hofft er, kommt das Unternehmen auch mit Einzelhändlern ins Geschäft, die mit Wal-Mart in Konkurrenz stehen und die McLane zuvor aus diesem Grund gemieden hatten.
Clayton wiederum wurde von Berkshire für 1,7 Milliarden Dollar gekauft, das Zwölffache des Jahresgewinns nach Steuern - ein Preis, den viele Aktionäre für unangemessen hielten. Sie versuchten, die Übernahme zu verhindern. Vergeblich.
Nach oben gezerrt
An den beiden Zukäufen zeigt sich Buffetts Strategiewandel: Statt Aktienpakete großer Unternehmen zu kaufen, konzentriert sich die Holding nun darauf, Firmen komplett zu übernehmen. Damit hat Berkshire das Sagen über die Verwendung der Gewinne.
Die langfristigen Beteiligungen an Coca-Cola und Gillette, die Berkshire schon Ende der Achtzigerjahre aufbaute, erwiesen sich allerdings als guter Griff. Buffett meint jedoch heute, er hätte sie am Höhepunkt des Bullenmarktes Ende der Neunzigerjahre verkaufen sollen.
Die Kurse der beiden Aktien, ebenso wie deren Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das damals bei etwa 50 lag, haben sich in etwa halbiert. "Coke und Gillette waren von der manischen Entwicklung nur am Rande berührt, aber die Kurse wurden mit nach oben gezerrt." Derzeit werden die beiden Aktien zum 20- bis 25fachen des für 2003 erwarteten Gewinns gehandelt.
Einer der besten Berkshire-Deals der vergangenen Jahre war wohl die Übernahme einer Kontrollmehrheit an Mid-American Energy. Berkshire zahlte für den 80-Prozent-Anteil an dem Energieversorger etwa zwei Milliarden Dollar und streicht jetzt dafür jährlich mehr als 300 Millionen Dollar Gewinn ein.
In den vergangenen Monaten konnte Mid-American zwei große Erdgaspipelines günstig erwerben. "Mid-American wird in zehn Jahren ein ganz großes Unternehmen sein", sagt Buffett, "das Wachstum kommt in Schüben." Aber wie er zu sagen pflegt: "Langfristig verdienen wir lieber 15 Prozent mit Durststrecken als 12 Prozent ohne."
Besonderes Vertrauen in Technologieaktien hat Buffett nie gesetzt, und über die aktuelle Bewertungslücke zwischen den großen Technologie- und Pharmawerten kann er sich nur wundern. Intel und Cisco Systems haben ein doppelt so hohes KGV wie die Pharmamarktführer Pfizer und Johnson & Johnson. "Im Ganzen gesehen sind Medikamente aber das bessere Geschäft als Technologie", meint Buffett.
Echte Stars
Diese Branche erziele höhere Kapitalrenditen und verfüge dank Patentschutz über langlebigere Produkte. "Nehmen sie die zehn umsatzstärksten Unternehmen: In der Pharmabranche erzielen auch die Unternehmen auf Platz acht und neun noch gute Gewinne. Und Pharmafirmen gehen praktisch nie Pleite", sagt Buffett. Im Technologiesektor hingegen "sind die Stars echte Stars", aber es gibt nicht so viele davon. Außerdem seien sie anfälliger für zyklische Entwicklungen.
Buffett ist ein großer Fan der Einzelhandelskette Wal-Mart. Es sei einer seiner größten Fehler gewesen, die Aktie nicht schon vor Jahren zu kaufen, weil sie ihm bereits damals überbewertet erschien. "Das hat uns acht Milliarden Dollar gekostet."
Angesichts der starken Marktstellung von Wal-Mart hält er - ganz im Gegensatz zu vielen anderen wertorientierten Anlegern - die Supermarktaktie immer noch für unterbewertet: Wal-Mart ist inzwischen zum größten US-Lebensmitteleinzelhändler avanciert und nach seiner Ansicht dabei, die anderen Supermärkte "umzubringen".
Der 73-jährige Buffett gibt nur selten Interviews. Das "Barron’s"-Gespräch wurde beim Mittagessen (ein Schinken-Tomaten-Sandwich und ein Eistee) sowie in seinem unscheinbaren Büro in der Provinzstadt Omaha, Nebraska, geführt. Ganz untypisch für den Chef eines großen Unternehmens hat Buffett keinen Computer und auch kein Finanzdatenterminal in seinem Büro. Seine E-Mails liest er erst, nachdem sie ihm von seiner Sekretärin ausgedruckt wurden.
"Barron’s" führte das Interview an dem Tag, an dem der Versicherungsanalyst Vinay Saqi von Morgan Stanley eine Erstanalyse von Berkshire mit der Empfehlung "Übergewichten" und einem Kursziel von 90 000 Dollar (aktuell etwa 76 200 Dollar) veröffentlichte. Gleichzeitig setze Saqi den Konkurrenten AIG von Neutral auf Untergewichten. Buffetts Reaktion: Saqi hätte besser umgekehrt Berkshire eine niedrigere und AIG eine höhere Bewertung gegeben - weil "Hank (der AIG-Chef Hank Greenberg) auf so etwas Wert legt. Ich nicht".
Die Berkshire-Aktie hat 2003 bisher nur vier Prozent zugelegt, obwohl die Gewinne und der Buchwert gestiegen sind. Das kümmert Buffett jedoch nicht. Sein Augenmerk gilt nicht dem Aktienkurs des Unternehmens, er will keine Aktionärsbasis, die sich mit "Krimskrams" aufhält.
Vielmehr legt er Wert auf Aktionäre, die in langen Zeiträumen denken. Mit nur drei Prozent ist der Umsatz bei Klasse A-Aktien des Unternehmens auffallend gering. Der Investorenmeister kann stolz sein, dass seine Aktionäre seinem Rat offensichtlich folgen.
ANDREW BARY
30.10.2003