Aus der Financial Times (FTD) vom 11.9.2000:
Microsoft: Schwerer Rückschlag beim Digital-Fernsehen
Von Thomas Clark, Hamburg
Der größte Fernsehkabelbetreiber Europas, United Pan-Europe Communications (UPC), hat seinem Minderheitsgesellschafter Microsoft eine Ohrfeige verpasst. UPC wird in einem seiner wichtigsten europäischen Kabelnetze die Digital-TV-Software des Microsoft-Konkurrenten Liberate verwenden.
Wie das Unternehmen am Wochenende bekannt gab, erhalten die 480.000 Kunden des hochmodernen UPC-Kabelnetzes in Wien Dekoderboxen mit einem Betriebssystem von Liberate.
Die Entscheidung des Kabelbetreibers ist ein schwerer Schlag für Microsoft, das mit 7,8 Prozent an UPC beteiligt ist und es gerne gesehen hätte, wenn auf den TV-Bildschirmen der Wiener Haushalte die Software von Microsoft und nicht die von Liberate aufleuchten würde. Dass es dazu nicht kam, hat sich Microsoft allerdings selbst zuzuschreiben. Erst vergangenen Monat musste der Konzern eingestehen, dass sein Betriebssystem für Digital-TV frühestens 2001 einsatzbereit sein wird. So lange wollte UPC nicht warten.
Microsoft tut sich schwer
Die Verzögerungen bei Microsoft machen deutlich, wie schwerfällig sich der Software-Konzern bei dem Versuch anstellt, seine Produkte außerhalb des PC-Marktes zu etablieren. Denn die Überlegung, dass der Fernsehapparat nach dem PC das nächste Gerät ist, das Microsoft mit seiner Software erobern kann, hatte Bill Gates schon vor drei Jahren. Seit 1997 beteiligt sich Bill Gates’ Firma mit Milliardenbeträgen an diversen Fernsehkabelfirmen diesseits und jenseits des Atlantiks.
Sein Kalkül dabei: Die Kabelgesellschaften spielen bei der Einführung des digitalen Fernsehens eine wesentliche Rolle. Sie werden ihre Kunden schon bald mit Dekoderboxen ausstatten, um die digitale Fernsehwelt mit hunderten Kanälen, Internet-Zugang sowie neuen Multimedia-Anwendungen wahr zu machen. Die Wahl der Software, mit der diese Dekoderboxen betrieben werden, ist entscheidend für Microsofts geplanten Eintritt in die Wohnzimmer dieser Welt. Beteiligungen an Kabelfirmen, so die Überlegung bei Gates, würden helfen, dass sich diese für Microsofts Digital-TV-Software und nicht eine andere entscheiden.
Eine an sich durchaus kluge Strategie, die leider nur einen Haken hat, wie sich jetzt herausstellt: Während Firmen wie Liberate oder Open-TV jahrelang erprobte Betriebssoftware für Dekoderboxen anbieten können, ist jene von Microsoft selbst nach zwei Jahren über das Entwicklungsstadium noch nicht hinausgekommen.
Wenn Microsoft weiter so trödelt, dann könnten sich die Investitionen des Software-Riesen von rund 10 Mrd. $ (22,5 Mrd. DM) in Kabelfirmen bald als nutzlos erweisen. UPC ist schließlich nicht der erste Kabelkonzern, der sich nach einer Alternative für die lange versprochene Digital-TV-Software von Microsoft umgesehen hat. Auch die britische Kabelfirma Telewest, bei der sich Microsoft für 3 Mrd. $ eingekauft hat, entschloss sich dazu, Software von Liberate zu verwenden. Selbst AT&T, größter Kabelbetreiber der USA, hat seinem Partner Microsoft den Rücken gekehrt.
Vorstand bleibt gelassen
Nach außen gibt sich Microsoft über die UPC-Entscheidung gelassen. Dem Konzern ginge es um die langfristigen Einsatz seiner Digital-TV-Software, nicht um Städte-Siege, sagte Ed Graczyk, Direktor von Microsoft-TV der Nachrichtenagentur Reuters. Insgeheim weiß das Management aus seiner Erfahrung in der PC-Welt aber ganz genau, dass gerade bei Betriebssoftware Zuspätkommen "tödlich" sein kann. Hat sich der Nutzer an ein System gewöhnt, ist er oft nicht bereit, sich auf ein neues System einzustellen - selbst wenn dieses besser sein sollte.
Hinzu kommt, dass bei Betriebssoftware für Digital-TV ein Markteintritt noch schwerer ist als bei PC, da zahlreiche Pay-TV-Firmen eigene Software entwickelt haben. So läuft die D-Box von Kirchs Premiere World mit dem Betriebssystem Beta-Nova, das eine Kirch-Tochterfirma entwickelt hat. Auch der französische Pay-TV-Konzern Canal Plus ließ ein eigenes Betriebsystem programmieren.
Bringt Microsoft seine bislang unter dem Codenamen "Whistler" entwickelte Software für Digital-TV also nicht bald zur Marktreife, bleibt dem Konzern nur noch eines: Er muss einen Konkurrenten wie Liberate kaufen, um sich den Zugang zu diesem Markt zu sichern. Die Beteiligung an den Kabelnetzbetreibern wäre damit allerdings sinnlos geworden.
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