Zur Kasse, Deutschland

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ashoka:

Zur Kasse, Deutschland

 
16.10.02 17:05


Unternehmer, Besserverdienende und Arbeitslose werden künftig mit höheren Abgaben und geringeren Vergünstigungen rechnen müssen



Wer muss bluten? Diese Frage bewegt am meisten, wenn der Staat seine Steuern erhöht. Aber auch am Tage eins nach den Koalitionsverhandlungen gilt: So genau weiß man es nicht. Bekannt ist, dass 4,2 Milliarden Euro zusätzlich in den Haushalt fließen sollen, indem Vergünstigungen gestrichen werden.

Aber viele der Vorschläge, die am Montagabend von Rot-Grün vorgestellt wurden, gelten intern als "ein bisschen heikel". Das trifft etwa für die Regelung zu, dass Unternehmen künftig nur noch die Verluste der vergangenen sieben Jahre einsetzen dürfen, um ihre Steuern zu mindern. "Kann man den Firmen einfach so ihre Verluste klauen?" Diese Frage ist in der rot-grünen Regierung durchaus umstritten. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Idee, bei Aktienbesitzern die Spekulationsgewinne zu besteuern. "Denn dann müssen wir auch die Verluste berücksichtigen."

Dennoch bleibt festzuhalten: Falls die Prognosen der Regierung stimmen, werden die Unternehmen durchaus zur Kasse gebeten. Nach einer Berechnung des Bundesfinanzministeriums, die der taz vorliegt, sollen die großen Firmen im Jahr 2006 zusätzlich 11,515 Milliarden Euro zahlen; davon erhält der Bund dann knapp vier Milliarden. Hinzu kommt die Ökosteuer, die energieintensiven Betriebe jährlich eine Milliarde Euro mehr kosten soll.

Aber die Steuereinnahmen sind nur das eine. Noch wichtiger sind die Einsparungen von 7,4 Milliarden Euro im Jahr 2003. Sie entscheiden endgültig über die Frage: Wer soll bluten?

Also: Eine Milliarde Euro soll gespart werden, indem der Bundeszuschuss zur Rentenkasse nicht noch weiter steigt, der im letzten Jahr 104 Milliarden Mark betrug. Diese Operation Bundeszuschuss verlangt wiederum einen Rattenschwanz von Maßnahmen: Zunächst darf der Beitragssatz zur Rentenversicherung nur von 19,1 auf maximal 19,3 Prozent zunehmen. Dazu wiederum muss die Schwankungsreserve abgeschmolzen werden - von derzeit 12,3 Milliarden Euro auf etwa 9 Milliarden. Und außerdem muss die Beitragsbemessungsgrenze von 4.500 auf 5.000 Euro Monatsverdienst steigen. Das bedeutet: Besserverdienende und Arbeitgeber zahlen jeweils etwa 600 Millionen Euro zusätzlich in die Rentenkassen ein. Allerdings, das ist der Haken: Später können diese Beitragszahler höhere Renten beanspruchen; der Sanierungseffekt ist nur vorübergehend. So weit, so gut. Doch fehlen immer noch 6,4 Milliarden, um das Defizit 2003 zu decken. Wie man diese Summe genau aufbringen will, bleibt vage. Eines aber ist überdeutlich: Diese Hälfte aller Einsparungen müssen letztlich die Arbeitslosen beisteuern.

Vier Milliarden, so ist aus Regierungskreisen zu hören, sollen die Hartz-Reformen für den Arbeitsmarkt erwirtschaften. Zum Beispiel hofft man auf eine "schnellere Vermittlung der Arbeitslosen". Allerdings weiß auch Rot-Grün, dass die Zahl der Arbeitslosen im Winter auf etwa 4,7 Millionen steigen dürfte. Ganz offen gibt man in Koalitionskreisen zu, dass "die Planung ungewiss" sei. Aber: "Dann schaun wir weiter."

Trotzdem, das steht fest, soll die Bundesanstalt für Arbeit 2003 ohne einen Bundeszuschuss auskommen. In diesem Jahr beträgt er offiziell zwei Milliarden Euro, doch wird er wohl real auf weit über vier Milliarden Euro steigen. Wo also kann man sparen in den Arbeitsämtern? "Das wissen wir auch nicht", heißt es dort. Die Koalition formuliert es etwas anders und "weiß es noch nicht abschließend".

Und schließlich gibt es da noch die Vereinbarung, bei der Arbeitslosenhilfe künftig das Einkommen des Ehepartners noch stärker zu berücksichtigen. 1,5 Milliarden Euro sollen so gespart werden. Das jedenfalls sagte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering am Montagabend. In Regierungskreisen ist man durchaus erstaunt: "Wir sind immer von 2,3 Milliarden Euro ausgegangen."

Wie auch immer, zumindest eines geben die Statistiken der Arbeitsämter schon her: Es wären etwa 18 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger betroffen. Das sind 350.000 Menschen in Deutschland - und sie müssen am meisten bluten.


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