Zinssenkung?

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Zinssenkung?

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19.05.05 15:56
Wenn Löhne zu langsam wachsen
Steigende Lohnkosten gelten als Inflationstreiber. Doch die Betrachtung ist einseitig. Denn das Lohnwachstum in Europa ist so niedrig, dass sogar eine Deflation droht. Um dem vorzubeugen, wird die Europäische Zentralbank nicht um Zinssenkungen herumkommen.

Von David Walton

Eine der größten Sorgen der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint gegenwärtig zu sein, dass die hohen Ölpreise sich in Zweitrundeneffekten bei den Löhnen und Gehältern niederschlagen werden. Dabei gehen die Euro-Währungshüter anscheinend davon aus, dass von den Löhnen und Gehältern nur dann Risiken für die Preisstabilität ausgehen, wenn sie rasch erhöht würden.

Doch während die Finanzmärkte - und mit ihnen die EZB - ihr Augenmerk auf die inflationären Wirkungen hoher Ölpreise richten, besteht auf längere Sicht auch die gegenteilige Gefahr deflationärer Effekte infolge geringer Lohnzuwächse. Denn das Lohn- und Lohnstückkostenwachstum in Euroland ist auf ein Niveau gefallen, das mit einer Verbraucherpreisinflation von 0 Prozent in Einklang stünde, sollte es über längere Zeit beibehalten werden.

Die Sorge der EZB in Bezug auf die hohen Öl- und Rohstoffpreise, die abgesehen von ihrem direkten Einfluss auf den Verbraucherpreisindex auch den Unternehmen höhere Kosten verursachen, ist berechtigt. Der Faktor Arbeit fällt jedoch weitaus schwerer ins Gewicht, denn die Löhne und Gehälter machen für die Unternehmen knapp 40 Prozent der Bruttoproduktionskosten aus - verglichen mit 2 bis 3 Prozent im Falle der Energiekosten. Löhne und Gehälter sind in den meisten makroökonomischen Modellen Haupteinflussfaktor der Inflation. Dabei sind die Arbeitskosten und Rohstoffpreise freilich nicht unabhängig voneinander. Und die Notenbanker beobachten üblicherweise sehr sorgfältig, ob die Tariflöhne im Zuge einer ölpreisbedingten Inflationszunahme ebenfalls rascher steigen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich das "Problem" der sehr langsam steigenden Lohnstückkosten im Zuge einer normalen Konjunkturerholung von selbst lösen wird? 1999 stiegen die Lohnstückkosten in Euroland ebenso langsam wie jetzt, zogen aber im Jahr darauf, als die Kapazitätsreserven am Arbeitsmarkt schwanden, wieder kräftig an. Die EZB befürchtet, dass sich die damalige Entwicklung jetzt wiederholen könnte.

Nach unseren Schätzungen hat sich der Anstieg der Lohnstückkosten im vierten Quartal 2004 zwar etwas beschleunigt. Für das erste Quartal 2005 gehen wir aber von einem Rückgang aus. Im Vergleich der Jahre 1999 und 2005 gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen der Position im Konjunkturzyklus und den wirtschaftlichen Aussichten. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Lohnstückkosten wie damals anziehen werden.

Zinssenkungen sind abzusehen

Die Entwicklung der Lohnstückkosten hängt eng mit den Kapazitätsreserven am Arbeitsmarkt zusammen und verbunden damit auch mit der Produktionslücke. Die Bandbreite der Schätzungen ist groß. Wir gehen aber davon aus, dass die Arbeitslosigkeit in Euroland um 1 Prozentpunkt über der inflationsstabilen Arbeitslosenquote liegt und die Wirtschaft 0,5 bis 1 Prozent von der Kapazitätsauslastung entfernt ist.

Angesichts der Kapazitätsreserven am Arbeitsmarkt wird die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer auf absehbare Zeit schwierig bleiben. Nach unseren Erkenntnissen lassen zwei Maßzahlen für die Kapazitätsreserven am Arbeitsmarkt Aussagen über das zukünftige Gewinnwachstum zu. Von diesen beruht eine auf der Arbeitslosigkeit und die andere auf der Zahl der insgesamt in der Industrie gearbeiteten Stunden.

Der Durchschnitt dieser beiden Maßzahlen impliziert eine Stabilisierung des Gewinnwachstums in Euroland bei 1,5 bis 2 Prozent im laufenden Jahr. Demgegenüber beträgt das Gewinnwachstum in Euroland, das mit einer Inflationsrate von 1,5 bis 2 Prozent und einem trendmäßigen Produktivitätswachstum von 1,5 Prozent in Einklang stünde, 3 bis 3,5 Prozent. Dieser Wert liegt deutlich über der in den letzten Monaten beobachteten Wachstumsrate von 1,5 Prozent. Darüber hinaus weisen auch die vielen negativen Nachrichten über die Euroland-Wirtschaft auf eine Zunahme der Kapazitätsreserven hin. Selbst nach den internen Analysen der EZB sind die Aussichten für das Gewinnwachstum bescheiden.

Obwohl die sehr verhaltene Zunahme der Lohnstückkosten in Euroland einen Inflationsrückgang erwarten lässt, und nach den internen Analysen der EZB auch die Löhne und Gehälter weiterhin nur langsam steigen werden, hat der EZB-Rat zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch offensichtlich nicht die Absicht, die Zinsen zu senken.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EZB ihre Zinsentscheidungen nicht im luftleeren Raum trifft, sondern letztlich die Konjunkturdaten vorgeben, welcher geldpolitische Kurs angemessen ist. Je länger sich die EZB sträubt, auf die abwärts gerichteten Preisstabilitätsrisiken zu reagieren, die vom Arbeitsmarkt ausgehen, umso größer werden diese Risiken vermutlich werden. Wir gehen davon aus, dass der EZB-Rat sich zu Zinssenkungen gezwungen sehen wird, wenn er sich mit den wirtschaftlichen Realitäten konfrontiert sieht. Wir prognostizieren, dass die Leitzinsen im dritten Quartal 2005 von 2 auf 1,5 Prozent gesenkt werden.


Wäre ja amüsant...
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