News - 13.11.08 19:29
Weltfinanzgipfel: Viel Lärm, wenig Wirkung
Die 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen beraten am Samstag in Washington über eine Neuordnung der globalen Finanzarchitektur. Die Herausforderung ist enorm, die Chance auf einen Durchbruch gering.
Wohl selten klafften vor einem Gipfeltreffen die Erwartungen und Realitäten so weit auseinander wie vor der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs aus den G20-Ländern an diesem Wochenende in Washington. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat rund um den Globus einen enormen Handlungsdruck für schnelle Gegenmaßnahmen der Politik erzeugt.
Insbesondere in Europa überbieten sich Staatslenker wie Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy und der britische Premierminister Gordon Brown mit Vorschlägen für eine neue Weltfinanzordnung. Zugleich wächst der Druck, die drohende Weltrezession durch eine massive Konjunkturförderung zu mildern.
In den USA und Asien wird der Aktionismus der Europäer in Regulierungsfragen eher skeptisch beurteilt. Die Amerikaner misstrauen grundsätzlich supranationalen Organisationen, die Asiaten fühlen sich weitaus weniger von der Finanzkrise betroffen und wollen sich keinesfalls vom Westen in ihre Wirtschaftsordnung hineinreden lassen.
Damit es in Washington nicht zum ordnungspolitischen Showdown zwischen Europäern und Amerikanern kommt, bemühen sich beide Seiten, die hochgesteckten Erwartungen zu dämpfen und einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Als Kompromiss deutet sich folgende salomonische Formel an: Die G20-Länder einigen sich auf allgemeine Absichtserklärungen für eine bessere Finanzaufsicht und fordern konkret, dass sich jeder Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten mit geld- und fiskalpolitischen Mitteln gegen den globalen Abschwung stemmt.
Im Folgenden werden die Ausgangspositionen der wichtigsten Länder beschrieben:
USA In den USA gibt es zur Finanzkrise derzeit mindestens zwei Positionen: die des scheidenden US-Präsidenten und jene des kommenden. Das Problem dabei: Da George W. Bush seinem Nachfolger keine Hürden hinterlassen will, kann er sich nicht wirklich festlegen. Und da Barack Obama noch nicht im Amt ist, kann er wiederum nicht offen sagen, was er zum Thema Finanzarchitektur tatsächlich denkt. Also sind aus beiden Lagern nur eher vage Kommentare zu hören.
Klar scheint bislang nur zu sein, dass sich weder die scheidende noch die kommende Regierung gänzlich gegen eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte sperren werden. Zu offensichtlich waren dafür die Pannen im System. Doch daraus abzuleiten, dass die Konferenz in Washington der Auftakt zu einem "Bretton Woods II" sein könnte, scheint abwegig. Nicht nur, weil die Bretton-Woods-Institutionen wie der IWF kein großes Ansehen in den USA genießen, sondern vor allem, weil der amerikanische Ansatz vielmehr ein pragmatischer ist: "Lasst uns die Fehler korrigieren, aber nicht das gesamte System auf den Kopf stellen."
Die USA werden sich deshalb am Wochenende auf nichts Verbindliches festlegen, allerdings auch keine Einwände dagegen haben, bestimmte Prinzipien zu deklarieren: Die können von einer strengeren Bankenaufsicht über einheitliche Bilanzierungsregeln bis hin zur Armutsbekämpfung und zum Klimawandel reichen. Alles weitere aber sollen Folgekonferenzen festlegen - unter der Regie des neuen Präsidenten Barack Obama.
Europa Die Europäer haben sich beim EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel auf eine gemeinsame Marschroute verständigt. Grundlage dafür sind Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Zwar sind die Formulierungen aus Paris recht allgemein gehalten. So geht es um mehr Transparenz auf den Finanzmärkten und eine bessere Koordination durch neue Aufsichtskollegs für die 30 größten internationalen Banken. Außerdem wollen die Europäer die Ratingagenturen stärker beaufsichtigen, die Bilanzregeln überprüfen und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einem globalen Frühwarnsystem ausbauen. Sarkozy hat jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass er die totale Kontrolle will: "Kein Finanzinstitut, kein Markt und keine Gesetzgebung dürfen künftig der Regulierung oder Aufsicht entkommen."
Um das zu erreichen, drückt der Franzose mächtig aufs Tempo und will bereits innerhalb von 100 Tagen die Gipfelbeschlüsse umsetzen. Da-mit kommen die Europäer dem kommenden US-Präsidenten Obama zwar entgegen, lassen ihm jedoch nur vier Wochen Zeit, eigene Akzente zu setzen. Es ist deshalb zweifelhaft, ob sich die Amerikaner auf diesen Zeitplan einlassen werden.
Gebremst wurde Sarkozy bereits von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premier Brown. Die französischen Ideen von einer allmächtigen Weltfinanzbehörde und einem allmächtigen IWF sind Deutschen und Briten zu radikal. Insbesondere Brown, der noch vor kurzem einem neuen "Bretton-Woods-Abkommen" das Wort redete, misstraut dem Interventionismus der Franzosen und will die Londoner City vor einer staatlichen Überregulierung schützen. Merkel erwartet heute Vorschläge der Arbeitsgruppe zur Reform der Finanzmärkte unter der Leitung des früheren Bundesbankers Otmar Issing.
Schwellenländer Die Schwellenländer der G20 sind sich bislang nur darin einig, dass sie bei einer neuen Weltfinanzordnung ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie sich in eine verstärkte internationale Finanzaufsicht ein-binden lassen wollen. So hält China zum Beispiel die Regulierungszügel im Inland fest in der Hand. Ratschläge von außen verbittet sich Peking jedoch. Dieses Misstrauen ist insbesondere in Asien weit verbreitet und richtet sich vor allem gegen den IWF. Der hatte den asiatischen Ländern vor zehn Jahren während der damaligen Finanzkrise wirtschaftspolitisch die Daumenschrauben angelegt, um marktwirtschaftliche Reformen durchzusetzen.
Die Begeisterung für einen noch mächtigeren IWF hält sich deshalb in Grenzen. Zudem fürchten die Schwellenländer, dass eine stärkere Regulierung der internationalen Finanzmärkte auf Kosten ihrer wirtschaftlichen Expansion gehen könnte. Ein Preis, den die Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China nicht bereit sind zu zahlen. "Die Aussicht, dass neue Regeln die Rückkehr auf den Wachstumspfad verzögern, ist eine große Sorge", sagt Tim Condon, Analyst bei der ING-Gruppe in Singapur. Zudem spüren die Newcomer, dass sie in die finanzielle Pflicht genommen werden, wenn sie auf der internationalen Bühne eine größere Rolle spielen. Chinas Premier Wen Jiabao hat deshalb auf die Offerten des Westens sehr vorsichtig reagiert. Der größte Beitrag, den sein Land leisten könne, sei die Beibehaltung eines schnellen und stabilen Wachstums zu Hause, sagte er.
Quelle: Handelsblatt.com
Weltfinanzgipfel: Viel Lärm, wenig Wirkung
Die 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen beraten am Samstag in Washington über eine Neuordnung der globalen Finanzarchitektur. Die Herausforderung ist enorm, die Chance auf einen Durchbruch gering.
Wohl selten klafften vor einem Gipfeltreffen die Erwartungen und Realitäten so weit auseinander wie vor der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs aus den G20-Ländern an diesem Wochenende in Washington. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat rund um den Globus einen enormen Handlungsdruck für schnelle Gegenmaßnahmen der Politik erzeugt.
Insbesondere in Europa überbieten sich Staatslenker wie Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy und der britische Premierminister Gordon Brown mit Vorschlägen für eine neue Weltfinanzordnung. Zugleich wächst der Druck, die drohende Weltrezession durch eine massive Konjunkturförderung zu mildern.
In den USA und Asien wird der Aktionismus der Europäer in Regulierungsfragen eher skeptisch beurteilt. Die Amerikaner misstrauen grundsätzlich supranationalen Organisationen, die Asiaten fühlen sich weitaus weniger von der Finanzkrise betroffen und wollen sich keinesfalls vom Westen in ihre Wirtschaftsordnung hineinreden lassen.
Damit es in Washington nicht zum ordnungspolitischen Showdown zwischen Europäern und Amerikanern kommt, bemühen sich beide Seiten, die hochgesteckten Erwartungen zu dämpfen und einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Als Kompromiss deutet sich folgende salomonische Formel an: Die G20-Länder einigen sich auf allgemeine Absichtserklärungen für eine bessere Finanzaufsicht und fordern konkret, dass sich jeder Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten mit geld- und fiskalpolitischen Mitteln gegen den globalen Abschwung stemmt.
Im Folgenden werden die Ausgangspositionen der wichtigsten Länder beschrieben:
USA In den USA gibt es zur Finanzkrise derzeit mindestens zwei Positionen: die des scheidenden US-Präsidenten und jene des kommenden. Das Problem dabei: Da George W. Bush seinem Nachfolger keine Hürden hinterlassen will, kann er sich nicht wirklich festlegen. Und da Barack Obama noch nicht im Amt ist, kann er wiederum nicht offen sagen, was er zum Thema Finanzarchitektur tatsächlich denkt. Also sind aus beiden Lagern nur eher vage Kommentare zu hören.
Klar scheint bislang nur zu sein, dass sich weder die scheidende noch die kommende Regierung gänzlich gegen eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte sperren werden. Zu offensichtlich waren dafür die Pannen im System. Doch daraus abzuleiten, dass die Konferenz in Washington der Auftakt zu einem "Bretton Woods II" sein könnte, scheint abwegig. Nicht nur, weil die Bretton-Woods-Institutionen wie der IWF kein großes Ansehen in den USA genießen, sondern vor allem, weil der amerikanische Ansatz vielmehr ein pragmatischer ist: "Lasst uns die Fehler korrigieren, aber nicht das gesamte System auf den Kopf stellen."
Die USA werden sich deshalb am Wochenende auf nichts Verbindliches festlegen, allerdings auch keine Einwände dagegen haben, bestimmte Prinzipien zu deklarieren: Die können von einer strengeren Bankenaufsicht über einheitliche Bilanzierungsregeln bis hin zur Armutsbekämpfung und zum Klimawandel reichen. Alles weitere aber sollen Folgekonferenzen festlegen - unter der Regie des neuen Präsidenten Barack Obama.
Europa Die Europäer haben sich beim EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel auf eine gemeinsame Marschroute verständigt. Grundlage dafür sind Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Zwar sind die Formulierungen aus Paris recht allgemein gehalten. So geht es um mehr Transparenz auf den Finanzmärkten und eine bessere Koordination durch neue Aufsichtskollegs für die 30 größten internationalen Banken. Außerdem wollen die Europäer die Ratingagenturen stärker beaufsichtigen, die Bilanzregeln überprüfen und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einem globalen Frühwarnsystem ausbauen. Sarkozy hat jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass er die totale Kontrolle will: "Kein Finanzinstitut, kein Markt und keine Gesetzgebung dürfen künftig der Regulierung oder Aufsicht entkommen."
Um das zu erreichen, drückt der Franzose mächtig aufs Tempo und will bereits innerhalb von 100 Tagen die Gipfelbeschlüsse umsetzen. Da-mit kommen die Europäer dem kommenden US-Präsidenten Obama zwar entgegen, lassen ihm jedoch nur vier Wochen Zeit, eigene Akzente zu setzen. Es ist deshalb zweifelhaft, ob sich die Amerikaner auf diesen Zeitplan einlassen werden.
Gebremst wurde Sarkozy bereits von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premier Brown. Die französischen Ideen von einer allmächtigen Weltfinanzbehörde und einem allmächtigen IWF sind Deutschen und Briten zu radikal. Insbesondere Brown, der noch vor kurzem einem neuen "Bretton-Woods-Abkommen" das Wort redete, misstraut dem Interventionismus der Franzosen und will die Londoner City vor einer staatlichen Überregulierung schützen. Merkel erwartet heute Vorschläge der Arbeitsgruppe zur Reform der Finanzmärkte unter der Leitung des früheren Bundesbankers Otmar Issing.
Schwellenländer Die Schwellenländer der G20 sind sich bislang nur darin einig, dass sie bei einer neuen Weltfinanzordnung ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie sich in eine verstärkte internationale Finanzaufsicht ein-binden lassen wollen. So hält China zum Beispiel die Regulierungszügel im Inland fest in der Hand. Ratschläge von außen verbittet sich Peking jedoch. Dieses Misstrauen ist insbesondere in Asien weit verbreitet und richtet sich vor allem gegen den IWF. Der hatte den asiatischen Ländern vor zehn Jahren während der damaligen Finanzkrise wirtschaftspolitisch die Daumenschrauben angelegt, um marktwirtschaftliche Reformen durchzusetzen.
Die Begeisterung für einen noch mächtigeren IWF hält sich deshalb in Grenzen. Zudem fürchten die Schwellenländer, dass eine stärkere Regulierung der internationalen Finanzmärkte auf Kosten ihrer wirtschaftlichen Expansion gehen könnte. Ein Preis, den die Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China nicht bereit sind zu zahlen. "Die Aussicht, dass neue Regeln die Rückkehr auf den Wachstumspfad verzögern, ist eine große Sorge", sagt Tim Condon, Analyst bei der ING-Gruppe in Singapur. Zudem spüren die Newcomer, dass sie in die finanzielle Pflicht genommen werden, wenn sie auf der internationalen Bühne eine größere Rolle spielen. Chinas Premier Wen Jiabao hat deshalb auf die Offerten des Westens sehr vorsichtig reagiert. Der größte Beitrag, den sein Land leisten könne, sei die Beibehaltung eines schnellen und stabilen Wachstums zu Hause, sagte er.
Quelle: Handelsblatt.com