Wettrudern der Deichgrafen

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Wettrudern der Deichgrafen

 
15.08.02 16:47
Wettrudern der Deichgrafen


Von Markus Deggerich

Auch wenn die Parteien beteuern, in der Not müsse der Wahlkampf zurückstecken. Die Hochwasser-Katastrophe im Osten könnte der in Umfragen abgeschlagenen Regierungskoalition Auftrieb geben. Der Kanzler und seine Minister surfen gekonnt als Krisenmanager auf der Betroffenheitswelle, Union und FDP versuchen mitzuhalten.

 

Berlin - Die Gummistiefel musste der Kanzler sich noch leihen, doch den Titel will er sich verdienen. Seitdem die einen Deutschen im Trockenen vor dem Fernseher fassungslos zusehen, wie die anderen Deutschen im Katastrophengebiet versinken, ist das Jahrhunderthochwasser für alle Politiker Chefsache und "nationale Aufgabe". Mit dem Vorwurf an den jeweils anderen, man möge die Not doch bitte im Wahlkampf nicht instrumentalisieren, rücken die Volksvertreter jeweils mit großem (Medien-)Gefolge ins Krisengebiet vor. Mitgefühl, Hilfe und Handlungsfähigkeit gilt es zu demonstrieren beim Wettlauf um den Titel "Deichgraf", den sich Matthias Platzeck in Brandenburg einst beim Oderhochwasser inklusive bombastischer Umfragewerte erwarb.
Der Kampf gegen das Hochwasser kann sich politisch durchaus lohnen: Schon zwei politische Karrieren wurden in der Vergangenheit dadurch beflügelt. Für den späteren SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde es zum Sprungbrett in die Bundespolitik, dass er 1962 die Sturmflut in seiner Heimatstadt Hamburg als Innensenator bewältigte. Und Brandenburgs früherer Umweltminister Platzeck wurde schließlich Landesvater.

   

Der Kanzler medienwirksam in Gummistiefeln im überfluteten Grimma, sein Umweltminister samt Außenminister in Dessau, der frisch gebackene Verteidigungsminister bei den Sandsäcke schleppenden Soldaten im bayerischen Passau: Da darf die Gegenseite nicht untätig bleiben. Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) wird am Freitag in die Hochwassergebiete in Sachsen und Sachsen-Anhalt reisen, begleitet von seinen Parteifreunden und Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Georg Milbradt und Wolfgang Böhmer. Bei Kanzler und Kandidat wird betont: Der eine unterbricht seinen Wahlkampf und der andere seinen Urlaub. Selbstlos, beides, selbstredend.

Am Donnerstag richtete der Kanzler eine Task-Force ein und verkündete unbürokratische finanzielle Soforthilfe, "die bar angewiesen wird" - ohne allerdings genauer zu erläutern, aus welchem Topf des Bundeshaushalts die Millionen fließen werden. Der Kanzler gibt, der Kanzler handelt, der Kanzler führt. Er ist in der Pole Position, denn das ist sein Job, das wird von ihm erwartet. Während aller Aktionismus bei der Union so wirkt, als wolle sie sich dranhängen.

Union und FDP kriegen nasse Füße

Die Flut spült Rot-Grün nach oben. Die bisher im Wahlkampf kraftlos wirkenden Grünen haben ihr Ur-Thema neu entdeckt: Haben sie nicht immer für eine nachhaltige Klimapolitik gekämpft, gegen Flussbegradigungen und gegen die überbordende Versiegelung der Landschaft? Hatte die Opposition nicht Umweltanliegen und die Gefahren des Klimawandels immer auf die leichte Schulter genommen, die Ökosteuer rabiat bekämpft?

Union und FDP kriegen nasse Füße und stehen in Umweltfragen nackt da. Manche Kommentare sind verheerend. Wie dieser: "Gäbe es in der Hochwasser-Krise einen Preis für Dreistigkeit, er ginge absolut konkurrenzlos an Angela Merkel. So viel Chuzpe muss man erst mal haben: zu behaupten, die Union habe in ihrem famosen Kompetenzteam keinen fürs Thema Umwelt aufgestellt, weil das doch die Sache von IHM persönlich, von Edmund Stoiber sei. Vom Umweltpolitiker Stoiber indes ist allenfalls erinnerlich, dass er 1. die Ökosteuer stoppen, 2. die Atomkraftwerke vielleicht nicht so schnell vom Netz nehmen und 3. den Umweltschutz bei Unternehmen zur freiwilligen Veranstaltung machen will", lästerte die "Frankfurter Rundschau". Generalsekretär Laurenz Meyer räumte am Donnerstag schon kleinlaut ein, dass man sich in der Frage Umweltexperte im Kompetenzteam "heute vielleicht anders entscheiden würde".  


Überschwemmte Städte und unvorstellbare Wassermassen, Tote, Verletzte und gigantische Schäden - angesichts der Unwetterkatastrophe fordert Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Atempause im Wahlkampf und verneint jegliche Interessenkollision.

Dennoch treten sich die Politiker im Krisengebiet fast auf die Füße. Der Bundeskanzler hatte sich kurzerhand entschlossen, ins überschwemmte Dresden zu fliegen, bevor er sich für Grimma entschied. Damit stahl er allerdings Jürgen Trittin zunächst die Schau. Der grüne Bundesumweltminister, in den vergangenen Tagen gefragter Interviewpartner zu Klimaschutz, globaler Erwärmung und den Folgen, hatte seinen Besuch in der Elbmetropole schon vor dem Regierungschef angekündigt.

Trittin wird von Pieper empfangen

Trittin, wohl ahnend, welcher Name mehr Aufmerksamkeit absorbieren würde, änderte flugs die Reiseroute - nun stand nur noch ein Besuch im weit weniger bekannten Dessau in Sachsen-Anhalt auf dem Programm. Doch selbst den Auftritt musste er teilen. Denn noch ein Polit-Promi zwängte sich zu Trittin in den eilends organisierten Hubschrauber: Grünen-Spitzenkandidat und Außenminister Joschka Fischer begleitete seinen Parteifreund. Die dritte grüne Kraft im Kabinett, Verbraucherministerin Renate Künast, besuchte geschädigte Bauern in Brandenburg, Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) Soldaten beim Einsatz im bayerischen Passau.

FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper wollte da anscheinend nicht hinten anstehen, obwohl ihr Chef Guido Westerwelle schon lautstark das Schaulaufen der Politiker geißelte. Zur Überraschung von Fischer und Trittin gehörte die aus Sachsen-Anhalt stammende Politikerin zum Begrüßungskomitee am Dessauer Flugfeld. Auf ihren wenig hochwassertauglichen grauen Lackpumps hängte sie sich einfach an die Gruppe der Grünen-Promis an und schüttelte - wie die Minister - fleißig Helferhände. "Ich habe mich spontan entschieden, mir das anzusehen", behauptete sie.

"Es ist ein Unding"

Prompt versuchte Trittins Sprecher, Pieper einen Strich durch die Publicity-Rechnung zu machen. Den Journalisten im Begleitbus präsentierte er einen Umweltschützer, der schimpfte: "Es ist ein Unding, wie sich Frau Pieper hier in Szene setzt." Schließlich habe sich die FDP-Frau massiv für den Ausbau der Elbe eingesetzt, der die Hochwasserproblematik verschärfen würde.

SPD und Grüne werben unterdessen landauf, landab relativ ungestört von der Opposition für ihre Umwelt- und Klimaschutzpolitik. Die Regierungsparteien, seit Wochen im Umfragetief, sehen unverhofft einen Hoffnungsschimmer am trüben Horizont. "Wir rechnen mit einer zweiten Welle", sagte Schröder am Donnerstag im Hinblick auf die aus Tschechien anrollende Flut. Man darf auch mit weiteren Besucherwellen rechnen.
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