((bekommt jemand von euch noch mit, was in der welt passiert? oder fehlt hier einfach die dramatik...?))
Er trifft teuflisch gut: Acht Menschen hat er bisher niedergeschossen, sechs davon sind tot. Reportage über eine Stadt unter dem Terror eines völlig unbekannten, völlig unberechenbaren Scharfschützen
Es ist kein Trost, dass der Killer nicht aus Rassenhass tötet, aus mordlüsterner Misogynie oder aus Verachtung für Immigranten. Sondern wahllos - aus Sport und Lust am präzisen Kunstschuss. Ein Menschenjäger spielt Gott, gibt Gnade oder Tod. Man wird das Ekel erregende Gefühl nicht los, dass er dabei grinst. Selbstzufrieden mit dem final-eleganten Schuss, leicht kopfschüttelnd, wenn er sein Ziel verfehlt, es also "nur" verwundet.
Aber es macht ihn - eine "sie" kann sich niemand vorstellen - die frivole Wahllosigkeit, mit der er seine Opfer aus 150 Meter Entfernung niederstreckt, nicht nur so widerwärtig. Auch ein Täterprofil ist schwer zu verfertigen, wenn einer zu feige ist, um in irgendeiner Weise aufzufallen. Man erahnt weder das Alltagsgesicht, das ihn tarnt, noch die Fratze des perfektionistischen Psychopathen am Abzug. Man weiß nichts über den Mann, der seit dem vergangenen Mittwochabend 17.20 Uhr Ostküstenzeit sechs Menschen auf offener Straße im Großraum Washington erschossen und zwei Opfer schwer verwundet hat.
Zuletzt traf er einen 13-Jährigen wenige Schritte vor dessen Schule. Zeugen haben niemanden davonlaufen oder per Auto fliehen sehen. Ein Augenzeuge meint, dass der Unbekannte, vielleicht mit einem Komplizen am Steuer, in einem weißen Kleinlastwagen auf die Jagd ging. Doch die meisten Zeugen sahen nicht einmal einen solchen Laster. Sie hörten den peitschenden Knall, als das Hochgeschwindigkeitsgeschoss vom Kaliber 223 abgefeuert wurde. Und den Opfern, getroffen beim Betanken ihres Wagens, beim Rasenmähen, beim Verladen von Einkäufen, auf einer Bank sitzend, ist nur gemeinsam, dass sie lange genug still hielten, um ein Ziel abzugeben.
In Montgomery County, einem wohlhabenden Landkreis nordwestlich der Hauptstadt, begann die Mordserie, und sie verdichtete sich hinreichend, um auf ein "geographisches Profil" zu hoffen, das mit Computermodellen den möglichen Wohnort und neue Tatorte ermittelt. Allein, es brachte nichts. Waffenbesitz und die Kunstfertigkeit, mit einem Hochleistungsgewehr auf 100 bis 200 Meter einen Menschen zu treffen, sind kaum ergiebige Anhaltspunkte im waffennärrischen Amerika. Feuerwaffen aller Art sind für Erwachsene im Staat Maryland ohne Lizenz und ohne jede Registrierung (sowohl der Waffe wie des Käufers) zu beschaffen. Und Scharfschützen im US-Militär? Auch Fehlanzeige. Sie entwickeln nennenswerten Handwerksstolz erst bei Entfernungen von 400 bis 450 Metern.
Die Chancen, den Mörder auf frischer Tat zu stellen, mögen mit der Zahl seiner Opfer steigen. Es war ein Strafzettel, der einst dem New Yorker Serienmörder David Berkowitz, berüchtigt von Juli 1976 bis August 1977 als "Son of Sam", zum Verhängnis wurde. Er hatte fünf junge Frauen und einen Mann erschossen - und hätte weiter gemordet, wäre er nur inkognito U-Bahn gefahren.
Schon ist die öffentlich zermarterte Miene des schwarzen Polizeichefs von Montgomery County, Charles A. Moose, vertraut wie das Antlitz eines schwer kranken Freundes. Moose hat nur schlechte Nachrichten, immer. Es soll 800 "glaubwürdige Spuren" geben, aber er meint, dass seine Detektive noch nicht mit den richtigen Leuten reden, die etwas wissen könnten. Charles Moose ist kein Mann großer Worte, er quält sich mit der Hochsprache und verbindlichen Leerformeln. Es ehrt ihn, dass er darunter leidet, nichts zu berichten zu haben.
Würde hat Moose. Und ein großes Herz, das ihm übergeht und Tränen über die Wangen rinnen lässt, als er stockend vor ohnmächtiger Wut von dem niedergeschossenen Jungen spricht: "Irgendjemand ist so gemein. Alle Opfer waren unschuldig und wehrlos. Aber heute haben wir die Linie überschritten. Das haben unsere Kinder nicht verdient." Natürlich nicht, niemand hat das verdient, es klingt furchtbar banal. Die Eltern fleht Moose an, "heute Abend ihren Job zu machen". Nämlich für ihre Kinder da zu sein, sie in den Arm zu nehmen und ehrlich über "bad guys", böse Menschen da draußen, zu reden. Mit den eigenen Kindern zu reden, weiß der Polizeichef, ist zu friedlichen Zeiten durchaus nicht für jeden selbstverständlich im reichen, sicheren Montgomery County.
Bereits letzten Donnerstag hatten die Behörden die Schulen -darunter auch die Deutsche Schule in Potomac (Maryland) - unter Polizeischutz und gestellt und "Code Blue" verhängt. Der Alarmcode bezeichnet nichts Geringeres als den inneren Belagerungszustand. Alle Tore und Türen werden nach Unterrichtsbeginn verschlossen, niemand darf sich auch während der Pausen außerhalb der Gebäude aufhalten, der Unterricht findet bei elektrischem Licht hinter herabgelassenen Jalousien oder geschlossenen Vorhängen statt. Alle Nachmittagsaktivitäten fallen aus. Eltern, die ihre Kinder abholen wollen, müssen sich ausweisen. Sie sind gehalten, keine Hysterie zu verbreiten und mit den Kindern am Abendbrottisch das Problem des Serienmörders zu besprechen, und zwar "offen und aufrichtig".
Mit den fragilen Sicherheiten der Vorstädte, den noblen wie den schäbigen, spielt der Killer. Man stellt sich vor, wie er sein Schussfeld wählt und wartet, bis jemand ihm gerade recht kommt. Gewiss, er ließ sich gehen und wurde nachlässig neulich, als er innerhalb von zwei Stunden und acht Quadratkilometern vier Menschen mit je einem einzigen Schuss ermordete. Er hat sich gehen lassen wie jeder Angeber mit dem Luftgewehr am Kirmesschießstand - das hat vielleicht jenem unglücklichen Jungen das Leben gerettet.
Der Lohn des Mörders ist der Machtrausch beim Anblick der Todgeweihten, seine Trophäen sind die atemlosen Medienberichte, die bebenden Zeugen, die Angst von Bürgern, die plötzlich ungern an roten Fußgängerampeln warten und das Bedürfnis unterdrücken müssen, im Zickzack über die Straße zu laufen und bei jeder Fehlzündung in Deckung zu springen.
Wie muss der Killer seinen Terror genießen und die Furcht, die er stiftet, während er unerkannt unter seinen Opfern lebt. Wie lange beobachtet er sie durch sein Zielfernrohr, bevor er abdrückt? Der ehemalige FBI-Beamte Clint van Zant glaubt, dass es ihm ein Vergnügen und ein Verlangen ist und dass er viel davon braucht: "Er tötet gern, es gibt ihm einen Kick wie Heroin, es ist ein enormer Hass in ihm." Kein Teenager mehr, ein junger Kerl, der seine Männlichkeit im perversen Kunstschuss genießt. Ihr aller guter Nachbar, der brav grillt am Unabhängigkeitstag, die Flasche Corona in der Hand, wie alle eben.
Scharfschützen - das waren bisher Bilder vermummter Helden auf Dächern von Ministerien oder Banken bei Geiselnahmen, das waren Bewacher von Regierungschefs, gelegentlich Attentäter von Präsidenten, das waren Feinmechaniker des Tötens in Stalingrad oder Indochina. Nun werden auf den Straßen um die amerikanische Hauptstadt Attentate auf Namenlose verübt. Passanten und Schulkinder dienen einem Killer, von dem niemand auch nur die leiseste Vorstellung hat, als Schießbudenfiguren. Wie soll man das den Schülern erklären?
ob der gute einfach nur durchknallt?
kein vertrauen mehr ins system?
oder sind das terrorakte?
Er trifft teuflisch gut: Acht Menschen hat er bisher niedergeschossen, sechs davon sind tot. Reportage über eine Stadt unter dem Terror eines völlig unbekannten, völlig unberechenbaren Scharfschützen
Es ist kein Trost, dass der Killer nicht aus Rassenhass tötet, aus mordlüsterner Misogynie oder aus Verachtung für Immigranten. Sondern wahllos - aus Sport und Lust am präzisen Kunstschuss. Ein Menschenjäger spielt Gott, gibt Gnade oder Tod. Man wird das Ekel erregende Gefühl nicht los, dass er dabei grinst. Selbstzufrieden mit dem final-eleganten Schuss, leicht kopfschüttelnd, wenn er sein Ziel verfehlt, es also "nur" verwundet.
Aber es macht ihn - eine "sie" kann sich niemand vorstellen - die frivole Wahllosigkeit, mit der er seine Opfer aus 150 Meter Entfernung niederstreckt, nicht nur so widerwärtig. Auch ein Täterprofil ist schwer zu verfertigen, wenn einer zu feige ist, um in irgendeiner Weise aufzufallen. Man erahnt weder das Alltagsgesicht, das ihn tarnt, noch die Fratze des perfektionistischen Psychopathen am Abzug. Man weiß nichts über den Mann, der seit dem vergangenen Mittwochabend 17.20 Uhr Ostküstenzeit sechs Menschen auf offener Straße im Großraum Washington erschossen und zwei Opfer schwer verwundet hat.
Zuletzt traf er einen 13-Jährigen wenige Schritte vor dessen Schule. Zeugen haben niemanden davonlaufen oder per Auto fliehen sehen. Ein Augenzeuge meint, dass der Unbekannte, vielleicht mit einem Komplizen am Steuer, in einem weißen Kleinlastwagen auf die Jagd ging. Doch die meisten Zeugen sahen nicht einmal einen solchen Laster. Sie hörten den peitschenden Knall, als das Hochgeschwindigkeitsgeschoss vom Kaliber 223 abgefeuert wurde. Und den Opfern, getroffen beim Betanken ihres Wagens, beim Rasenmähen, beim Verladen von Einkäufen, auf einer Bank sitzend, ist nur gemeinsam, dass sie lange genug still hielten, um ein Ziel abzugeben.
In Montgomery County, einem wohlhabenden Landkreis nordwestlich der Hauptstadt, begann die Mordserie, und sie verdichtete sich hinreichend, um auf ein "geographisches Profil" zu hoffen, das mit Computermodellen den möglichen Wohnort und neue Tatorte ermittelt. Allein, es brachte nichts. Waffenbesitz und die Kunstfertigkeit, mit einem Hochleistungsgewehr auf 100 bis 200 Meter einen Menschen zu treffen, sind kaum ergiebige Anhaltspunkte im waffennärrischen Amerika. Feuerwaffen aller Art sind für Erwachsene im Staat Maryland ohne Lizenz und ohne jede Registrierung (sowohl der Waffe wie des Käufers) zu beschaffen. Und Scharfschützen im US-Militär? Auch Fehlanzeige. Sie entwickeln nennenswerten Handwerksstolz erst bei Entfernungen von 400 bis 450 Metern.
Die Chancen, den Mörder auf frischer Tat zu stellen, mögen mit der Zahl seiner Opfer steigen. Es war ein Strafzettel, der einst dem New Yorker Serienmörder David Berkowitz, berüchtigt von Juli 1976 bis August 1977 als "Son of Sam", zum Verhängnis wurde. Er hatte fünf junge Frauen und einen Mann erschossen - und hätte weiter gemordet, wäre er nur inkognito U-Bahn gefahren.
Schon ist die öffentlich zermarterte Miene des schwarzen Polizeichefs von Montgomery County, Charles A. Moose, vertraut wie das Antlitz eines schwer kranken Freundes. Moose hat nur schlechte Nachrichten, immer. Es soll 800 "glaubwürdige Spuren" geben, aber er meint, dass seine Detektive noch nicht mit den richtigen Leuten reden, die etwas wissen könnten. Charles Moose ist kein Mann großer Worte, er quält sich mit der Hochsprache und verbindlichen Leerformeln. Es ehrt ihn, dass er darunter leidet, nichts zu berichten zu haben.
Würde hat Moose. Und ein großes Herz, das ihm übergeht und Tränen über die Wangen rinnen lässt, als er stockend vor ohnmächtiger Wut von dem niedergeschossenen Jungen spricht: "Irgendjemand ist so gemein. Alle Opfer waren unschuldig und wehrlos. Aber heute haben wir die Linie überschritten. Das haben unsere Kinder nicht verdient." Natürlich nicht, niemand hat das verdient, es klingt furchtbar banal. Die Eltern fleht Moose an, "heute Abend ihren Job zu machen". Nämlich für ihre Kinder da zu sein, sie in den Arm zu nehmen und ehrlich über "bad guys", böse Menschen da draußen, zu reden. Mit den eigenen Kindern zu reden, weiß der Polizeichef, ist zu friedlichen Zeiten durchaus nicht für jeden selbstverständlich im reichen, sicheren Montgomery County.
Bereits letzten Donnerstag hatten die Behörden die Schulen -darunter auch die Deutsche Schule in Potomac (Maryland) - unter Polizeischutz und gestellt und "Code Blue" verhängt. Der Alarmcode bezeichnet nichts Geringeres als den inneren Belagerungszustand. Alle Tore und Türen werden nach Unterrichtsbeginn verschlossen, niemand darf sich auch während der Pausen außerhalb der Gebäude aufhalten, der Unterricht findet bei elektrischem Licht hinter herabgelassenen Jalousien oder geschlossenen Vorhängen statt. Alle Nachmittagsaktivitäten fallen aus. Eltern, die ihre Kinder abholen wollen, müssen sich ausweisen. Sie sind gehalten, keine Hysterie zu verbreiten und mit den Kindern am Abendbrottisch das Problem des Serienmörders zu besprechen, und zwar "offen und aufrichtig".
Mit den fragilen Sicherheiten der Vorstädte, den noblen wie den schäbigen, spielt der Killer. Man stellt sich vor, wie er sein Schussfeld wählt und wartet, bis jemand ihm gerade recht kommt. Gewiss, er ließ sich gehen und wurde nachlässig neulich, als er innerhalb von zwei Stunden und acht Quadratkilometern vier Menschen mit je einem einzigen Schuss ermordete. Er hat sich gehen lassen wie jeder Angeber mit dem Luftgewehr am Kirmesschießstand - das hat vielleicht jenem unglücklichen Jungen das Leben gerettet.
Der Lohn des Mörders ist der Machtrausch beim Anblick der Todgeweihten, seine Trophäen sind die atemlosen Medienberichte, die bebenden Zeugen, die Angst von Bürgern, die plötzlich ungern an roten Fußgängerampeln warten und das Bedürfnis unterdrücken müssen, im Zickzack über die Straße zu laufen und bei jeder Fehlzündung in Deckung zu springen.
Wie muss der Killer seinen Terror genießen und die Furcht, die er stiftet, während er unerkannt unter seinen Opfern lebt. Wie lange beobachtet er sie durch sein Zielfernrohr, bevor er abdrückt? Der ehemalige FBI-Beamte Clint van Zant glaubt, dass es ihm ein Vergnügen und ein Verlangen ist und dass er viel davon braucht: "Er tötet gern, es gibt ihm einen Kick wie Heroin, es ist ein enormer Hass in ihm." Kein Teenager mehr, ein junger Kerl, der seine Männlichkeit im perversen Kunstschuss genießt. Ihr aller guter Nachbar, der brav grillt am Unabhängigkeitstag, die Flasche Corona in der Hand, wie alle eben.
Scharfschützen - das waren bisher Bilder vermummter Helden auf Dächern von Ministerien oder Banken bei Geiselnahmen, das waren Bewacher von Regierungschefs, gelegentlich Attentäter von Präsidenten, das waren Feinmechaniker des Tötens in Stalingrad oder Indochina. Nun werden auf den Straßen um die amerikanische Hauptstadt Attentate auf Namenlose verübt. Passanten und Schulkinder dienen einem Killer, von dem niemand auch nur die leiseste Vorstellung hat, als Schießbudenfiguren. Wie soll man das den Schülern erklären?
ob der gute einfach nur durchknallt?
kein vertrauen mehr ins system?
oder sind das terrorakte?