SPIEGEL ONLINE - 01. September 2001, 13:30
URL: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,154583,00.html
11 Wall Street
Von wegen Großer Bruder
Eine Volkswirtschaft nach der anderen versinkt in der Rezession. Und diesmal werden die Amerikaner auch nicht helfen können.
Niemand wird dieser Tage so umhätschelt wie der amerikanische Verbraucher. Vom Präsidenten bekommt er einen 600-Dollar-Scheck, vom Notenbank-Chef eine Zinssenkung nach der anderen. Und ganze Heerscharen von Ökonomen sorgen sich um ihn: Wie fühlen Sie sich diesen Monat? Haben Sie genug Taschengeld? Blicken Sie mit Vertrauen in die Zukunft?
DPA
Zurzeit eher die Randfigur: Wall Street-Bulle
Doch der amerikanische Verbraucher will sich nicht in die Karten schauen lassen. Er ist ein geheimnisvolles, teilweise widersprüchliches Wesen. So hat sich sein Einkommen im Juli um 0,5 Prozentpunkte verbessert (Handelsministerium), sein Befinden im August sich aber um 0,9 Indexpunkte verschlechtert (University of Michigan). Sein Kaufrausch im Juli hat sich um 0,4 Prozentpunkte verlangsamt (Handelsministerium). Und sein Vertrauen? Das ist im August auf einem Viermonatstief angelangt (Conference Board). Dazu muss man allerdings anmerken: Wer bekäme keine Selbstzweifel, wenn er ständig nach seinem Vertrauen gefragt würde?
So viele Einblicke in die Verbraucherseele - das schreit nach professioneller Interpretation. Die Analysten kommen zu dem Schluss, dass es dem amerikanischen Verbraucher noch ganz gut geht. Ein bisschen skeptischer ist er geworden, aber noch nicht hoffnungslos deprimiert. Von dem 38-Milliarden-Dollar-Steuergeschenk der Bush-Regierung erwarten sie im September einen positiven Schub.
Das lässt uns im Rest der Welt zunächst aufatmen, denn vom amerikanischen Verbraucher hängt im Moment ziemlich viel ab. Er sorgt nicht nur für zwei Drittel des Wachstums in den USA, sondern direkt auch für sechs Prozent des weltweiten Wachstums. Seine Laune beeinflusst so ziemlich alles von Aktienmärkten bis hin zu Alan Greenspan. Der amerikanische Verbraucher ist also das letzte Bollwerk gegen die Rezession: Wenn er aufhört Geld auszugeben, dann können wir den baldigen Aufschwung der Weltwirtschaft vergessen.
Doch vielleicht ist es schon zu spät. Rund um den Globus sieht es finster aus: Die deutsche Wirtschaft stagniert, ebenso der Rest Europas. In vielen Ländern Ostasiens und Lateinamerikas schrumpft die Wirtschaft bereits. "Willkommen zur ersten globalen Rezession des 21. Jahrhunderts", schreibt der "Economist".
Zwar ist die US-Wirtschaft auch nach der Revision der Zahlen im zweiten Quartal nicht geschrumpft: Sie wuchs um 0,2 Prozent, aber es ist das schwächste Wachstum seit 1993. Nobelpreisträger Milton Friedman traf am Montag den Punkt: "Ob wir das Wort Rezession benutzen oder nicht, ist nur eine Frage der Semantik", sagte er der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". Und nimmt man den Durchschnitt der Wachstumsraten der drei größten Volkswirtschaften, USA, Japan und Deutschland, dann kommt man bereits auf einen negativen Wert.
Die Gewinnwarnung von Sun am Mittwoch hat uns lautstark daran erinnert, dass die New-Economy-Krise, die die Welt in die Rezession getrieben hat, noch nicht vorbei ist. Der Markt für IT-Produkte ist so gesättigt, dass die Fabriken im Moment nur zu 65 Prozent ausgelastet sind. Die "National Association for Business Economics" nennt Überkapazitäten weiterhin das schwerwiegendste Problem der US-Wirtschaft. Ein Anziehen der Investitionen ist daher nicht in Sicht.
Irgendwann werden diese Nachrichten wahrscheinlich auch einen Eindruck beim ewig optimistischen amerikanischen Verbraucher hinterlassen. Insbesondere die Massenentlassungen drücken bereits auf sein sonniges Gemüt. Von dem Steuergeschenk hat er bisher auch das meiste gespart, für schlechtere Zeiten. Die scheinen unabwendbar.
URL: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,154583,00.html
11 Wall Street
Von wegen Großer Bruder
Eine Volkswirtschaft nach der anderen versinkt in der Rezession. Und diesmal werden die Amerikaner auch nicht helfen können.
Niemand wird dieser Tage so umhätschelt wie der amerikanische Verbraucher. Vom Präsidenten bekommt er einen 600-Dollar-Scheck, vom Notenbank-Chef eine Zinssenkung nach der anderen. Und ganze Heerscharen von Ökonomen sorgen sich um ihn: Wie fühlen Sie sich diesen Monat? Haben Sie genug Taschengeld? Blicken Sie mit Vertrauen in die Zukunft?
DPA
Zurzeit eher die Randfigur: Wall Street-Bulle
Doch der amerikanische Verbraucher will sich nicht in die Karten schauen lassen. Er ist ein geheimnisvolles, teilweise widersprüchliches Wesen. So hat sich sein Einkommen im Juli um 0,5 Prozentpunkte verbessert (Handelsministerium), sein Befinden im August sich aber um 0,9 Indexpunkte verschlechtert (University of Michigan). Sein Kaufrausch im Juli hat sich um 0,4 Prozentpunkte verlangsamt (Handelsministerium). Und sein Vertrauen? Das ist im August auf einem Viermonatstief angelangt (Conference Board). Dazu muss man allerdings anmerken: Wer bekäme keine Selbstzweifel, wenn er ständig nach seinem Vertrauen gefragt würde?
So viele Einblicke in die Verbraucherseele - das schreit nach professioneller Interpretation. Die Analysten kommen zu dem Schluss, dass es dem amerikanischen Verbraucher noch ganz gut geht. Ein bisschen skeptischer ist er geworden, aber noch nicht hoffnungslos deprimiert. Von dem 38-Milliarden-Dollar-Steuergeschenk der Bush-Regierung erwarten sie im September einen positiven Schub.
Das lässt uns im Rest der Welt zunächst aufatmen, denn vom amerikanischen Verbraucher hängt im Moment ziemlich viel ab. Er sorgt nicht nur für zwei Drittel des Wachstums in den USA, sondern direkt auch für sechs Prozent des weltweiten Wachstums. Seine Laune beeinflusst so ziemlich alles von Aktienmärkten bis hin zu Alan Greenspan. Der amerikanische Verbraucher ist also das letzte Bollwerk gegen die Rezession: Wenn er aufhört Geld auszugeben, dann können wir den baldigen Aufschwung der Weltwirtschaft vergessen.
Doch vielleicht ist es schon zu spät. Rund um den Globus sieht es finster aus: Die deutsche Wirtschaft stagniert, ebenso der Rest Europas. In vielen Ländern Ostasiens und Lateinamerikas schrumpft die Wirtschaft bereits. "Willkommen zur ersten globalen Rezession des 21. Jahrhunderts", schreibt der "Economist".
Zwar ist die US-Wirtschaft auch nach der Revision der Zahlen im zweiten Quartal nicht geschrumpft: Sie wuchs um 0,2 Prozent, aber es ist das schwächste Wachstum seit 1993. Nobelpreisträger Milton Friedman traf am Montag den Punkt: "Ob wir das Wort Rezession benutzen oder nicht, ist nur eine Frage der Semantik", sagte er der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". Und nimmt man den Durchschnitt der Wachstumsraten der drei größten Volkswirtschaften, USA, Japan und Deutschland, dann kommt man bereits auf einen negativen Wert.
Die Gewinnwarnung von Sun am Mittwoch hat uns lautstark daran erinnert, dass die New-Economy-Krise, die die Welt in die Rezession getrieben hat, noch nicht vorbei ist. Der Markt für IT-Produkte ist so gesättigt, dass die Fabriken im Moment nur zu 65 Prozent ausgelastet sind. Die "National Association for Business Economics" nennt Überkapazitäten weiterhin das schwerwiegendste Problem der US-Wirtschaft. Ein Anziehen der Investitionen ist daher nicht in Sicht.
Irgendwann werden diese Nachrichten wahrscheinlich auch einen Eindruck beim ewig optimistischen amerikanischen Verbraucher hinterlassen. Insbesondere die Massenentlassungen drücken bereits auf sein sonniges Gemüt. Von dem Steuergeschenk hat er bisher auch das meiste gespart, für schlechtere Zeiten. Die scheinen unabwendbar.