Bei amerikanischen Analysten scheint sich ein neuer Trend abzuzeichnen: Sie erstellen keine Gewinnprognosen für einzelne Unternehmen anhand der Unternehmensdaten mehr, sondern analysieren eine ganze Branche makroökonomisch, um dann nach einzelnen Unternehmen zu differenzieren.
Analystin Jessica Reif Cohen von Merrill Lynch hat jetzt eine solche Analyse für die US-Medienbranche durchgeführt. Ihr Ergebnis: Eine Rezession wird nicht jedes Unternehmen gleich schwer treffen. Ihr Szenario basiert auf der Annahme, dass eine Abkühlung der US-Konjunktur zu geringeren Werbeeinnahmen führt. Vor diesem Hintergrund berechnet sie das Gewinnwachstum für Time Warner, Walt Disney, Fox Entertainment Group, News Corporation und Viacom. Am attraktivsten erscheint ihr Fox Entertainment, während Disney mit den höchsten Kursverlusten rechnen müsse.
"Von Zeit zu Zeit müssen wir einen Schritt zurücktreten und die Branche im makroökonomischen Umfeld betrachten", erklärte Cohen in einem Interview. "Die Anleger machen sich offenbar Sorgen über eine Rezession, und in einem schlechteren wirtschaftlichen Umfeld wachsen die Werbeeinnahmen langsamer." Cohen schätzt, dass Time Warner rund 27 Prozent seines Umsatzes für dieses Jahr mit Werbung erzielen wird, bei Disney sollen es 28 Prozent sein. Einen wesentlich höheren Werbeanteil sollen Fox mit 45 Prozent, Viacom mit 47 und News Corporation mit 50 Prozent erzielen. Cohen erwartet, dass der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen in der Branche im nächsten Jahr durch die geringeren Werbeeinnahmen zwischen 21 und 52 Prozent absacken wird.
Verringertes Wachstum
Die Analystin rechnet damit, dass das Wachstum des Cash-Flow bei Viacom von heute 25 Prozent auf 19 Prozent im Jahr 2001 fällt. Bei Fox soll das Wachstum von 31 Prozent auf 19 Prozent sinken, bei Time Warner von acht auf 7,5 Prozent, und bei News Corporation soll das Cash-Flow-Wachstum sich von 22 auf 11 Prozent halbieren.
Dennoch rechnet Cohen nicht mit einem Kurseinbruch, denn die Aktien der Medien- und Unterhaltungsbranche hätten in diesem Jahr bereits nachgegeben, und die schlechteren Aussichten seien bereits in den Kurs eingepreist. Fox sind von ihrem Höchststand im Juli um 39 Prozent eingebrochen, für Cohen ein stärkerer Einbruch als gerechtfertigt. Auch Viacom-Aktien sind von ihrem Höchststand im August um 24 Prozent abgesackt und haben damit den Einbruch bei Werbeeinnahmen vorweggenommen, sagt Cohen. Die einzige Ausnahme ist Disney. Die Aktie hat in diesem Jahr 24 Prozent zugelegt und dürfte bei niedrigeren Werbeeinnahmen einbrechen.
Investoren erwarten für die Zukunft mehr Berichte wie den von Cohen, weil eine neue Vorschrift der amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde in Kraft getreten ist. Nach dieser Vorschrift dürfen Unternehmen Informationen nicht mehr selektiv weitergeben, sodass es für Analysten jetzt schwieriger ist, ihre Gewinnprognosen auf Informationen der von ihnen beobachteten Firmen zu basieren. Sie müssen sich nach alternativen Methoden umsehen, um die Aussichten für die von ihnen beobachteten Firmen zu bewerten. "Analysten werden vermehrt eigenständig arbeiten müssen, anstatt einen Großteil der Informationen aus den Firmen zu bekommen, und das gefällt mir", sagt Mark Greenberg, der den Invesco Leisure Fund in Denver verwaltet.
"Worst-Case-Szenario"
Einige Investoren bezweifeln, dass ein Analyst in der Lage ist, das Ausmaß eines Konjunkturabschwungs exakt vorherzusagen. Cohen räumt ein, dass ihr Bericht einen großen Bereich abdeckt und nicht allzu präzise ist. "Wir haben es einfach einmal versucht", sagt sie. Ein Bericht wie der ihrige "bildet oft ein Worst-Case-Szenario ab", das nicht unbedingt eintreten müsse, weil die Unternehmen auf sinkende Werbeeinnahmen schnell mit Kosteneinsparungen reagieren könnten. Cohen kommt seit sieben Jahren bei den Umfragen von Institutional Investor auf einen der ersten Plätze bei den Analysten für Kabel-, Unterhaltungs- und Fernsehwerte.
Unabhängig von der geringen Präzision des Berichts erklären Investoren, dass für ihre Anlageentscheidung ein makroökonomischer Blick auf eine bestimmte Branche wichtig sei, insbesondere da die amerikanische Zentralbank seit 1999 bereits sechsmal die Zinsen erhöht habe. "Es gibt Anzeichen, dass sich die Wirtschaft sowohl hier als auch im Ausland abschwächt, aber niemand weiß, wie stark diese Abschwächung sein wird", sagt Greenberg. "Ich kann am sichersten Gewinne erzielen, wenn ich herausfinde, welche Unternehmen der Branche in den nächsten Jahren am schnellsten wachsen werden."