Von Bernd Niquet
Manchmal fasse ich mir wirklich an den Kopf und bin baff erstaunt über meine eigene Naivität. Wie kann man nur so dämlich sein. Nein, das betrifft nicht die BSE-Krise, denn hier hatte ich das Glück, relativ früh sehr gut informiert zu sein. Es betrifft vielmehr die Schwindeleien am Aktienmarkt, was die Sache natürlich viel gravierender macht. Und dennoch gibt es hier nahezu erstaunliche Parallelen. Denn die Muster sind stets identisch.
Mad Cows
Im Jahre 1990 tauchten in der Bundesrepublik die ersten Anomalien im Verhalten von Rindern und bei ihrem Tod auf, so dass besorgte Spezialisten von einer Übertragung der Rinderseuche BSE auch auf deutsches Viehzeug ausgingen. Doch alle Versuche, damit Aufmerksamkeit zu erzielen und Abhilfe zu schaffen, ernteten wenig Dankbarkeit. Im Gegenteil sogar, denn den entsprechenden Wissenschaftlern wurden daraufhin die Forschungsmittel entzogen und die Tiermediziner mit Kündigungen und Prozessen entlohnt.
Es war also nicht das Unvermögen, sondern der Unwille. Was man nicht sehen will, das sieht man auch nicht. Der Ausgangspunkt der Suche legt bereits fest, was überhaupt gefunden werden kann. Und wenn man nicht testet, kann man etwas, was nur über Tests festgestellt werden kann, schlichtweg nicht finden. Und aus die Maus.
Mad Stocks
Das bringt mich zurück zum Aktienmarkt. Dass hier die Anleger in großer Zahl von den Banken wie den Börsengängern über den Tisch gezogen worden sind, steht mittlerweile außer Frage. Das dürfte jedem, der in dieser Branche arbeitete, vom ersten Tag an klar gewesen sein. Doch auch hier wollte es natürlich niemand hören. Dass die entsprechenden Interessengruppen nicht darauf hingewiesen haben, ist plausibel und fast schon verständlich.
Was mich jedoch seit dem Jahr 1998 auf die Palme gebracht hat, war das unglaubliche Versagen der Wirtschaftspresse. Denn mit schier unvorstellbarer Naivität hatte man nahezu auf jede kritische Berichterstattung verzichtet - und stattdessen fast wörtlich seine Berichte aus den Hochglanzprospekten der Emittenten abgeschrieben. Ich habe mich damals - ganz ohne Neid - nicht selten gefragt, wie Wirtschaftsredakteure mit einem Jahressalär von 120.000 bis 150.000 Mark so etwas abliefern können.
Lug und Trug
Doch heute weiß ich zweierlei: Erstens, die Naivität lag nicht auf Seiten der Wirtschaftspresse, sondern leider bei mir. Und zweitens, auch ein Jahreseinkommen von deutlich über 100.000 Mark kann man immer noch vervielfachen.
Neulich habe ich hierzu aus vertraulicher und verlässlicher Quelle über die Situation zu dieser Zeit in einer bedeutenden Wirtschaftszeitung gehört, deren Namen ich hier leider nicht nennen kann, da der dahinterstehende Verlag bekannt dafür ist, jegliche Kritik sofort mit Klagen zu überziehen.
Das Entscheidende an diesem Fall ist: Es gab Kritik, doch diese Kritik wurde nicht gedruckt, da die Redaktionsleitung Eigeninteressen verfolgte und selbst an diesem größten Galopprennen der jüngsten Geschichte in ganz spezieller und sehr windiger Weise beteiligt war. Und so lieferten die Redakteure dann durchaus kritische Artikel über einzelne Aktienemissionen ab, mussten hinterher jedoch feststellen, dass in die Druckversionen plötzlich einen ganz anderen und durchweg positiven Text enthielten.
Es war also nicht das Unvermögen, sondern der Unwille. Was man nicht sehen will, das sieht man auch nicht. Der Ausgangspunkt der Suche legt bereits fest, was überhaupt gefunden werden kann. Und wenn man aus Gründen des Eigeninteresses alle Suche behindert, dann kann auch nichts gefunden werden. Und aus die Maus.
Ein glänzender Ausblick
Dieses Beispiel mag sicherlich nicht auf die gesamte Presse zutreffen, der trotz exorbitanter Gehälter schlichtweg das Know-How fehlte, diesen Börsenschwindel angemessen zu beurteilen. Doch es zeigt ebenfalls, wie wirkungsvoll derartige Interessenkartelle sind und wie schwer sie letztlich zu durchbrechen sind. Die Gehirnerweichung der Rinder hat also genau wie die Gehirnerweichung der Anleger keine natürliche Ursache, sondern sie ist das Werk einer zynischen Interessenmafia.
Doch damit enthält dieser kritische Bericht auch eine sehr positive Message: Denn zwei Dinge wissen wir ganz sicher. Erstens: Mafiöse Strukturen besitzen ein enormes Beharrungsvermögen. Zweitens: Gehirnerweichungen haben eine lange Inkubationszeit und sind unheilbar. Die Chancen auf exorbitante Kursgewinne in der Zukunft stehen also nicht schlecht.
Dr. Bernd Niquet ist Buchautor. Seine beiden aktuellen Neuerscheinungen "1000 Prozent Gewinn" und "Die Welt der Börse" handeln über den Crash der Hightech-Aktien.