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ARGENTINIEN
Täter verurteilt, Opfer bestraft
Argentiniens Regierung glaubte, sie könne sich über das Gesetz hinwegsetzen. Dafür ist das Land nun vom Obersten Gericht bestraft worden. Die Verschuldung wird wieder steigen - und die dringend benötigten IWF-Kredite rücken in weite Ferne. Allein die Armut hat Hochkonjunktur.
Wie grausam ist doch der englische Humor. "Ein wachsender und wettbewerbsfähiger Industriezweig", so betitelt das Wirtschaftsmagazin "Economist" in seiner neuesten Ausgabe ein Bild, das Argentiniens größten Wachstumsmarkt zeigt: Eine Müllhalde, auf denen Kinder und Männer nur in Lumpen bekleidet nach Lebensmitteln wühlen. Doch der schwarze Humor könnte sich bald als bitterer Ernst erweisen. Schon jetzt lebt jeder zweite Argentinier unter der Armutsgrenze, und bald könnten es noch mehr werden. Am Donnerstag traf der argentinische Oberste Gerichtshof eine Entscheidung, die das Haushaltsdefizit des hoch verschuldeten Landes noch weiter ansteigen lassen wird. Die Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst sind illegal, der Staat muss das Geld zurückzahlen, was er von seinen Angestellten einfach einbehalten hatte. Für den Weg aus der Wirtschaftskrise braucht Argentinien dringend die Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF). Doch angesichts der drohenden neuen Verschuldung wird der IWF kaum zahlen.
REUTERS
Argentinische Arbeiter protestieren im Juli 2001 gegen die Gehaltskürzungen, die Präsident De la Rua angeordnet hatte.
Ein Angestellter des Militärs hatte dagegen geklagt, dass die Bediensteten des öffentlichen Diensts seit Juli vergangenen Jahres 13 Prozent weniger Gehalt erhalten. Der damalige Präsident Fernando de la Rua hatte im Rahmen des Versuchs, die Verschuldung des Landes zurückzufahren, die Gehälter einfach zusammengestrichen. Die argentinische Zeitung "El Nación" rechnete aus, dass der Staat durch die Gehaltskürzungen monatlich 200 Millionen Pesos eingespart habe. Dies entspricht in etwa 50 Millionen Dollar monatlich oder 600 Millionen Dollar jährlich, was im Vergleich zu dem Schuldenberg von über 140 Milliarden Dollar als Tropfen auf den heißen Stein anmute, wie Kritiker der Regierung vorwarfen.
Der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Regierung unter dem neuen Präsident Eduardo Duhalde die Selbstherrlichkeit ihrer Vorgänger ausbaden muss: Die Angestellten und Beamten des öffentlichen Dienstes sollen rückwirkend und zukünftig die ausstehenden 13 Prozent der Löhne, Gehälter und Renten erhalten. Die Kürzungen seien ein verfassungswidriger Eingriff in das Eigentums- und das Arbeitsrecht, entschieden die Richter mit einer Mehrheit von sieben zu zwei.
Die argentinische Regierung warnte nach der Gerichtsentscheidung am Donnerstag sogleich , der Staat habe nicht genügend Geld, um das Urteil zu erfüllen und die Löhne auszuzahlen. Hinter den größten Gläubigern USA und Spanien steht das Land allein bei deutschen Banken mit fünf Milliarden Dollar in der Kreide. Und das Urteil wird die Aussichten des Landes auf neue Kredite nicht verbessern. Der IWF und die internationale Finanzwelt trauen der eilig zusammengeschusterten Regierungsallianz Präsident Duhaldes mit der Opposition und den mächtigen peronistischen Provinzgouverneuren nicht. Experten gehen davon aus, das erst eine neue, stabile Regierung wieder mit IWF-Krediten rechnen kann. Seit Wochen wächst der Druck auf Duhalde, die im Herbst 2003 anstehenden Wahlen vorzuziehen.
AFP/DPA
Argentiniens Präsident Eduardo Duhalde schaffte es nicht, das Land aus der Verschuldung zu führen.
In dem einst wohlhabenden Argentinien wächst momentan neben Inflation und Schulden nur die Armut. Jeder zweite Argentinier lebt bereits unter dem Existenzminimum. Seitdem das Land Ende der neunziger Jahre systematisch in die größte Wirtschaftskrise seiner Geschichte getrieben wurde, hat Argentinien sich inzwischen als zahlungsunfähig erklärt. Weiterhin musste das Land die Währung Peso im Vergleich zum Dollar abwerten. Heute kostet ein Dollar vier argentinische Pesos, etwa vier Mal so viel wie in den neunziger Jahren, als das Land in seiner wirtschaftlichen Blütezeit stand.
Trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage steht in der argentinischen Öffentlichkeit momentan eine andere Sorge auf der Tagesordnung: die Angst ums eigene Leben. Täglich berichten Medien über neue spektakuläre Entführungen, Raubüberfälle und Mord, der laut Statistik alle fünf Minuten passiert. "Bis vor wenigen Jahren hatte Argentinien ein Sicherheitsprofil ähnlich dem von Italien oder Spanien. Heute haben wir Zustände wie in Brasilien oder Venezuela", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" den Chef einer deutschen Sicherheitsberatung in Buenos Aires. Die Gewaltverbrechen versetzen Argentiniens Mittel- und Oberschicht in Angst und Schrecken, zudem werfen die Bürger der Polizei Korruption vor. Angeblich arbeiten Polizisten mit Verbrechern zusammen und verdienen an Raubüberfällen mit.
Hendrik Ankenbrand
ARGENTINIEN
Täter verurteilt, Opfer bestraft
Argentiniens Regierung glaubte, sie könne sich über das Gesetz hinwegsetzen. Dafür ist das Land nun vom Obersten Gericht bestraft worden. Die Verschuldung wird wieder steigen - und die dringend benötigten IWF-Kredite rücken in weite Ferne. Allein die Armut hat Hochkonjunktur.
Wie grausam ist doch der englische Humor. "Ein wachsender und wettbewerbsfähiger Industriezweig", so betitelt das Wirtschaftsmagazin "Economist" in seiner neuesten Ausgabe ein Bild, das Argentiniens größten Wachstumsmarkt zeigt: Eine Müllhalde, auf denen Kinder und Männer nur in Lumpen bekleidet nach Lebensmitteln wühlen. Doch der schwarze Humor könnte sich bald als bitterer Ernst erweisen. Schon jetzt lebt jeder zweite Argentinier unter der Armutsgrenze, und bald könnten es noch mehr werden. Am Donnerstag traf der argentinische Oberste Gerichtshof eine Entscheidung, die das Haushaltsdefizit des hoch verschuldeten Landes noch weiter ansteigen lassen wird. Die Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst sind illegal, der Staat muss das Geld zurückzahlen, was er von seinen Angestellten einfach einbehalten hatte. Für den Weg aus der Wirtschaftskrise braucht Argentinien dringend die Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF). Doch angesichts der drohenden neuen Verschuldung wird der IWF kaum zahlen.
REUTERS
Argentinische Arbeiter protestieren im Juli 2001 gegen die Gehaltskürzungen, die Präsident De la Rua angeordnet hatte.
Ein Angestellter des Militärs hatte dagegen geklagt, dass die Bediensteten des öffentlichen Diensts seit Juli vergangenen Jahres 13 Prozent weniger Gehalt erhalten. Der damalige Präsident Fernando de la Rua hatte im Rahmen des Versuchs, die Verschuldung des Landes zurückzufahren, die Gehälter einfach zusammengestrichen. Die argentinische Zeitung "El Nación" rechnete aus, dass der Staat durch die Gehaltskürzungen monatlich 200 Millionen Pesos eingespart habe. Dies entspricht in etwa 50 Millionen Dollar monatlich oder 600 Millionen Dollar jährlich, was im Vergleich zu dem Schuldenberg von über 140 Milliarden Dollar als Tropfen auf den heißen Stein anmute, wie Kritiker der Regierung vorwarfen.
Der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Regierung unter dem neuen Präsident Eduardo Duhalde die Selbstherrlichkeit ihrer Vorgänger ausbaden muss: Die Angestellten und Beamten des öffentlichen Dienstes sollen rückwirkend und zukünftig die ausstehenden 13 Prozent der Löhne, Gehälter und Renten erhalten. Die Kürzungen seien ein verfassungswidriger Eingriff in das Eigentums- und das Arbeitsrecht, entschieden die Richter mit einer Mehrheit von sieben zu zwei.
Die argentinische Regierung warnte nach der Gerichtsentscheidung am Donnerstag sogleich , der Staat habe nicht genügend Geld, um das Urteil zu erfüllen und die Löhne auszuzahlen. Hinter den größten Gläubigern USA und Spanien steht das Land allein bei deutschen Banken mit fünf Milliarden Dollar in der Kreide. Und das Urteil wird die Aussichten des Landes auf neue Kredite nicht verbessern. Der IWF und die internationale Finanzwelt trauen der eilig zusammengeschusterten Regierungsallianz Präsident Duhaldes mit der Opposition und den mächtigen peronistischen Provinzgouverneuren nicht. Experten gehen davon aus, das erst eine neue, stabile Regierung wieder mit IWF-Krediten rechnen kann. Seit Wochen wächst der Druck auf Duhalde, die im Herbst 2003 anstehenden Wahlen vorzuziehen.
AFP/DPA
Argentiniens Präsident Eduardo Duhalde schaffte es nicht, das Land aus der Verschuldung zu führen.
In dem einst wohlhabenden Argentinien wächst momentan neben Inflation und Schulden nur die Armut. Jeder zweite Argentinier lebt bereits unter dem Existenzminimum. Seitdem das Land Ende der neunziger Jahre systematisch in die größte Wirtschaftskrise seiner Geschichte getrieben wurde, hat Argentinien sich inzwischen als zahlungsunfähig erklärt. Weiterhin musste das Land die Währung Peso im Vergleich zum Dollar abwerten. Heute kostet ein Dollar vier argentinische Pesos, etwa vier Mal so viel wie in den neunziger Jahren, als das Land in seiner wirtschaftlichen Blütezeit stand.
Trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage steht in der argentinischen Öffentlichkeit momentan eine andere Sorge auf der Tagesordnung: die Angst ums eigene Leben. Täglich berichten Medien über neue spektakuläre Entführungen, Raubüberfälle und Mord, der laut Statistik alle fünf Minuten passiert. "Bis vor wenigen Jahren hatte Argentinien ein Sicherheitsprofil ähnlich dem von Italien oder Spanien. Heute haben wir Zustände wie in Brasilien oder Venezuela", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" den Chef einer deutschen Sicherheitsberatung in Buenos Aires. Die Gewaltverbrechen versetzen Argentiniens Mittel- und Oberschicht in Angst und Schrecken, zudem werfen die Bürger der Polizei Korruption vor. Angeblich arbeiten Polizisten mit Verbrechern zusammen und verdienen an Raubüberfällen mit.
Hendrik Ankenbrand