FTD Von Jenny Genger, Nicola de Paoli, Christian Baulig, Hamburg, und Jens
Freitagabend, Flughafen Frankfurt, Terminal 1. Am Flugsteig für die
Aktenkoffern. Die Herren wollen nach Hause, aber der Lufthansa-Airbus ist
voll. Aufgeregt reden sie auf die Dame am Check-in-Schalter ein und
Bordkarten aussehen, ihnen aber dennoch keinen Zutritt zum Flugzeug
verschaffen.
Bis sich ein Nadelstreif von hinten durch die Menge schiebt und cool seine
goldene Senator-Karte zückt. Die Lufthansa-Dame schiebt eine Bordkarte
den Neid der anderen im Rücken.
Die Szene spielt sich so oder ähnlich täglich zigfach ab. Meilensammeln ist
für Manager zur Prestigesache geworden. Mitarbeiter entwickeln eine
ungeahnte Kreativität, um Flüge mit der Lufthansa zu rechtfertigen. Fürs
Ansehen und fürs Privatvergnügen, denn kaum eine dienstlich gesammelte
Meile wird für Geschäftsreisen genutzt. Dass die
„Freiflug-Affäre“ Berliner Politiker an dieser Praxis etwas
ändert, ist unwahrscheinlich, denn die Fluggesellschaft hat das Netz so
geschickt geflochten, dass niemand ein großes Interesse daran hat, die
geltende Praxis zu ändern.
Die Sammelwut der deutschen Angestelltenschaft hat Miles & More binnen
neun Jahren zum größten Bonusprogramm Europas werden lassen. Mehr
als 6,5 Millionen Menschen besitzen die Plastikkarte mit dem
Kranich-Symbol. Sammeln kann man bei 34 Fluggesellschaften, einem
Dutzend Hotelketten, einer Hand voll Autovermieter und zig weiteren
Partnern: Wer einen Audi A6 als Dienstwagen ordert, kassiert ebenso eine
Gutschrift wie der Käufer eines Colliers bei Juwelier Christ.
50 000 Meilen in einem Kalenderjahr machen den Lufthansa-Kunden zum
Frequent Traveller, 150 000 Meilen machen ihm zum Senator. Mit diesem
Status kann er aus dem Vollen schöpfen: Für 35 000 Meilen bringt ihn
Lufthansa nach Teneriffa, 65 000 Meilen kostet ein Wochenende im
Adlon-Hotel, eine Sachertorte wird für 20 000 Meilen frei Haus geliefert.
Woher die Meilen stammen, spielt keine Rolle.
Der Anreiz, dienstlich erworbene Meilen für solche Goodies zu nutzen, ist
groß. Gerade einmal die Hälfte der 500 größten deutschen Unternehmen
schreibt ihren Mitarbeitern in Reiserichtlinien oder im Arbeitsvertrag vor,
Bonusmeilen für Geschäftsreisen dienstlich zu nutzen. In der
Praxis wird das aber so gut wie gar nicht kontrolliert, sagt
Ravindra Bhagwanani. Sein Beratungsunternehmen Global Flight
Management berät Unternehmen und Fluggesellschaften bei
Vielfliegerprogrammen.
Den Konzernen geht durch diese Nachlässigkeit bares Geld verloren. Der
Bundestag gibt an, er habe im vergangenen Jahr 383 000 Euro gespart,
dadurch dass gesammelte Meilen der Abgeordneten für Dienstreisen
eingesetzt wurden. Große Firmen können durch Nutzung von
Bonusmeilen für Geschäftsreisen leicht mehrstellige Millionenbeträge
sparen, sagt Meilenexperte Bhagwanani. Bei internationalen
Flügen können durch den Einsatz der Treueprämie die Ticketpreise um
rund zehn Prozent reduziert werden.
Bei den Reisebeauftragten der Großunternehmen sind die
Vielfliegersysteme schon lange umstritten: Wir würden den
Fluggesellschaften auf den Knien danken, wenn sie die
Individualbonusprogramme abschafften, sagt Michael Kirnberger,
Präsident des Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). Stattdessen
sollten die Airlines die Preise für ihre Tickets senken.
Das lehnt die Lufthansa genauso kategorisch ab wie die Forderung nach
getrennten Konten für private und dienstliche Meilen: Dafür sehen
wir keine Veranlassung, sagt ein Sprecher der Fluggesellschaft.
Die Konten seien so durchsichtig, dass eine Verwechslung zwischen privat
und dienstlich erworbenen und genutzten Meilen ausgeschlossen sei.
Ein Einlenken wäre für die Airlines teuer. Der Lufthansa würde ein
mehrstelliger Millionenumsatz verloren gehen, wenn sie den Einfluss auf
die Reiseentscheidung von Angestellten verlöre, schätzt Georg Tacke,
Partner der Bonner Beratungsgesellschaft Simon Kuche und Partners.
Dass kaum ein Unternehmen die Meilen seiner Mitarbeiter erfasst, ist Teil
des Kalküls, das die Fluggesellschaften verfolgen. Die Kontrolle ist den
meisten Firmen zu aufwändig. Wir vertrauen unseren
Mitarbeitern, sagt eine Sprecherin des Siemens-Konzerns, der
seine Angestellten anhält, auf Geschäftsflügen gesammelte Meilen nur für
dienstliche Zwecke zu verwenden.
DaimlerChrysler hat ähnliche Richtlinien. Dass Mitarbeiter gezielt
Lufthansa-Flüge buchen, um ihren Vielfliegerstatus zu verbessern, schließt
ein Sprecher aus. Man habe schließlich ein zentrales Reisebüro.
Flüge werden grundsätzlich nur nach den günstigsten Tarifen
ausgesucht.
Von wegen. Vielfliegerprogramme wie Miles & More setzen jedes Streben
nach Kostensenkung wirkungsvoll außer Kraft. Die
Kundenbindungsprogramme der Fluggesellschaften setzen an allen
relevanten Stellen der Reiseplanung an, sagt
Unternehmensberater Tacke.
O Angestellte legen Termine so, dass sie mit dem günstigeren
Lufthansa-Konkurrenten nicht zu erreichen sind. Wem nur noch ein paar
Meilen zum Frequent-Traveller-Status fehlen, besucht doch noch den
Fachkongress in London, der sich im vergangenen Jahr eigentlich als
wenig ergiebig erwiesen hat.
O Reisestellen binden sich zumeist durch Firmenprogramme an
Fluggesellschaften und erhalten dafür Rabatte oder Provisionen.
O Reisestellenleiter und Controller, die Reisekosten dämpfen sollen, haben
im Grunde auch kein Interesse an einer strikten Trennung von dienstlichen
und privaten Meilen. Denn ihre Meilenkontos gehören oft zu den dicksten
im Betrieb.
Die Fluggesellschaften, die Geschäftskunden mit ihren Programmen locken,
nehmen es nicht nur billigend in Kauf, dass diese gegen Reiserichtlinien
der Unternehmen verstoßen. Sie fördern es sogar: Die Lufthansa führt für
die ausgegebenen Meilen freiwillig eine Steuerpauschale ab. Damit ist der
Kunde beim Einlösen des Bonus davon befreit, seinen geldwerten Vorteil
beim Finanzamt anzugeben.
Dieses clevere System hat sich Robert Crandall erdacht. Der ehemalige
Chef von American Airlines (AA) fand Anfang der 80er Jahre heraus, dass
fünf Prozent seiner Kunden für 40 Prozent des Umsatzes sorgten. Diese
Vielflieger erhielten Meilen, die sie zunächst nur für AA-Flüge, später auch
gegen andere Prämien einlösen konnten. Delta, TWA und United Airlines
folgten mit ähnlichen Programmen.
Sogar die Deutsche Bahn zieht jetzt mit dem
Comfort-Programm nach: Für jeden Euro des
Fahrkartenpreises wird ein Punkt gutgeschrieben. Wer 2000 Punkte
erreicht, darf spezielle Wartezonen nutzen und hat in ausgebuchten
Zügen die Chance auf einen Sitzplatz. Parallel ködert das
Staatsunternehmen auch mit Lufthansa-Meilen. Wer für bestimmte
ICE-Züge oder den Metropolitan ein Erster-Klasse-Ticket bucht, bekommt
500 Meilen gutgeschrieben.
Das alles soll die Kundenbindung erhöhen. Für Lufthansa und
andere Airlines ist es sinnvoll, die Wechselkosten für Kunden zu anderen
Gesellschaften so hoch wie möglich zu halten, sagt Bernd W.
Wirtz, Betriebswirtschaftsprofessor an der Privat-Universität
Witten/Herdecke. Je dicker das Meilenkonto, desto geringer die
Wechselwahrscheinlichkeit.
Die Lufthansa macht sich das Prestigestreben ihrer Kunden geschickt
zunutze. Die Senator-Karte wurde als eine Art Adelstitel
gesehen, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. Berufseinsteiger waren beeindruckt,
nach kurzer Zeit auf ihren Flügen zwischen den Vorständen großer
Unternehmen zu sitzen. Sie durften die eleganten Lounges am Flughafen
benutzen, bekamen selbst auf Spontanreisen noch garantiert einen Platz
in der Business Class.
Dieser Effekt kann am Ende sogar dem Unternehmen nützen, sagt Klaus
Dingeldey von der Unternehmensberatung Dr. Fried und Partner:
Die Meilen sind ein hoher Motivationshebel für die
Mitarbeiter.
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