Subventionspark Deutschland

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Subventionspark Deutschland

 
07.03.02 06:04
Der Osten darf sich nicht an die Milliarden aus dem Westen gewöhnen

Jetzt fahren sie wieder gen Osten: der Kanzler und sein Herausforderer. Die Bundestagswahl wird im Osten gewonnen oder verloren, erklären die Wahlforscher, da heißt es Präsenz zeigen, um Sympathie werben, Klagen anhören, Optimismus verbreiten. Und natürlich auch Erhellendes über die Zukunft Ost verkünden, möglichst angenehm verpackt. Schließlich geht es um Wählerinnen und Wähler, die mit dem, was aus dem Westen kommt, selten zufrieden sind. Was habt ihr uns zu bieten?, fragen sie die Kandidaten. Und das heißt in der Regel: Wie viel sind wir euch wert?

Der Osten steht auf der Kippe, predigte vor einem Jahr Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der Herold des kleinen Mannes. Das Bild von der Kippe hat sich der Öffentlichkeit eingeprägt, die Realität scheint es zu bestätigen. Es ist unbestritten, dass die ostdeutsche Arbeitslosenquote mit über 19 Prozent höher denn je ist und dass sich kein Trend zum Besseren erkennen lässt. Seit 1997 wächst die Wirtschaft in Westdeutschland stärker als in Ostdeutschland. Der Aufholprozess ist also abgerissen, die Lebensverhältnisse in Ost und West gleichen sich nicht mehr an. Selbst 2001, als die Wachstumsrate West minimal ausfiel, hielt der Osten nicht mit; seine Wirtschaft schrumpfte. Immer wieder ist vom deutschen Mezzogiorno die Rede, von einer Provinz, die auf Dauer von Transfers und damit vom Wohlwollen des reichen Bruders abhängt - ähnlich wie der italienische Süden vom Norden.

In der Tat wird Jahr für Jahr eine Menge Geld in den deutschen Osten transferiert: gut 70 Milliarden Euro, alle sozialen Leistungen und anderen gesetzlichen Verpflichtungen inklusive. Seitdem im vergangenen Sommer Bund und Länder zusammen mit dem Finanzausgleich auch den Solidarpakt II verabschiedeten, steht zudem fest, dass bis zum Jahr 2020 allein für Investitionen in die Infrastruktur rund 150 Milliarden Euro von West nach Ost umverteilt werden. Das ist mehr, als sich die Ministerpräsidenten zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern erhoffen konnten. So ist ihr Ruf nach noch mehr Geld aus der Staatskasse leiser geworden. Sie sehen wohl ein, dass neue Forderungen nicht nur unerfüllbar wären, sondern auch von vielen Steuerzahlern als Provokation verstanden würden.

Wenn Parlamentspräsident Thierse (und in seinem Gefolge der DGB) jetzt eine "zweite große Kraftanstrengung" fordert, dann ist das angesichts der bereits getätigten Milliardentransfers nicht besonders sinnvoll. Geeigneter wäre die Frage, ob sie richtig ausgegeben werden. Bei den Investitionen in die Infrastruktur gibt es wenig zu diskutieren, da bleibt der Rückstand der neuen Bundesländer augenfällig: Die großen Verkehrsachsen in Ostdeutschland weisen immer noch beträchtliche Lücken auf. Schienen und Straßen sind in einem Zustand, der Investoren abschreckt. Hier sorgt der Solidarpakt für Finanzierung und Planungssicherheit; die Landesregierungen müssen nun zeigen, dass sie mit dem ihnen anvertrauten Geld umgehen können - was ihnen nicht immer gelingen dürfte, wenn man an die unsinnigen Investitionen in Freizeitparks und Autorennstrecken denkt. Egal, Infrastruktur hat Priorität, und das ist Konsens.

Umstrittener ist die Frage, wie der Industrie im deutschen Osten neues Leben eingehaucht werden kann. Dass der Industrialisierungsgrad aus den Tagen der Kombinate und Volkseigenen Betriebe der Vergangenheit angehört, muss jedermann klar sein. Aber es reicht auch nicht, die ostdeutsche Wirtschaft einzig auf Dienstleistungen aufzubauen. Ohne Industrie geht es nicht, und im Grunde braucht die ostdeutsche Wirtschaft dreierlei, um für die Zukunft gewappnet zu sein: Großunternehmen als solide Basis, mittelständische Betriebe als Ferment der wirtschaftlichen Aktivitäten, Existenzgründer zur Durchsetzung neuer Ideen. Aber wo mit der Förderung ansetzen?

Die reale Entwicklung gibt Hinweise: Nur wo industrielle Zentren entstanden sind, entwickeln sich auch funktionierende Netze: Industrie zieht Kleinbetriebe und produktionsnahe Dienstleister an; Investitionen bewirken dort die größten Multiplikatoreffekte, wo sie bereits auf Wachstum stoßen. Das neu erstandene Chemiedreieck zeigt, wie auf alter Tradition ein neues industrielles Zentrum wachsen kann, das andere Betriebe bis zum Handwerker und Existenzgründer anzieht. Vergleichbare Erfahrungen verbinden sich mit dem industriellen Aufstieg von Dresden oder Leipzig.

Die Idee, um industrielle Kerne herum konzentriert Neues aufzubauen, erweist sich als richtig. Heute entwickelt sich die Industrie in Ostdeutschland dynamischer als im Westen, wenn auch auf weit bescheidenerer Basis. Gezielte Förderung regionaler Wachstumspole statt flächendeckender Subventionierung - das muss der Schwerpunkt der kommenden Jahre sein. Das heißt auch Abschied nehmen von der Vorstellung, unwirtschaftliche Wirtschaftszweige wie das Baugewerbe könnten vor einem schmerzhaften Schrumpfungsprozess bewahrt werden. Dafür ist jeder Euro zu schade, weil er an anderer Stelle ertragreicher investiert werden könnte.

Ziel solcher Anstrengungen ist und bleibt die Angleichung der Lebensbedingungen in ganz Deutschland. Dabei hilft der Finanzausgleich, doch ist er keine Lösung. Zu gewaltig ist der Abstand zwischen Ost und West bei der erwirtschafteten Leistung. Gegenwärtig erreicht das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt je Einwohner nur 60 Prozent des durchschnittlichen Wertes im Westen. Erst mit 80 Prozent wären die ärmsten westdeutschen Bundesländer eingeholt, dann könnte von Angleichung geredet werden. Das ist nicht mit Sozialtransfers zu schaffen, sondern mit Investitionen. Nur sie legen die Basis für Wirtschaftskraft, die allein die Ursachen der Ungleichheit beseitigt.

Im Jahr 2020 läuft der Solidarpakt aus. Spätestens dann wird es für die ostdeutsche Wirtschaft keine Spezialbehandlung mehr geben. Sie wird mit der Förderung auskommen müssen, die auch für die Konkurrenz im Westen gilt. Die finanziellen Segnungen aus den Europäischen Strukturfonds sind dann ohnehin erschöpft. Gewiss, 2020 ist noch lange hin. Aber es verhält sich wie mit Drogenabhängigen: Wer jetzt das Feilschen um Subventionen zur Grundlage der Wirtschaftspolitik macht, wird auch in zwanzig Jahren nicht davon wegkommen.

Eine zweite Kraftanstrengung für den Osten? Sie kann nur darin bestehen, den Bürgern klar zu machen, dass die Zeit der Transfers begrenzt ist. Auch Wahlen dürfen nicht der Anlass dafür sein, dass die einen Kandidaten ihre gewohnten Klagelieder anstimmen und die anderen mit Spendiergehabe durch die Lande ziehen. Ostdeutsche Politiker tragen da keine geringere Verantwortung als westdeutsche.
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