Gefühl der Dringlichkeit
Branchenführer Sony hat den Anschluss verpasst - an die Konkurrenz und die technische Entwicklung. Nun wird der japanische Konzern radikal umgebaut.
So hatte die Öffentlichkeit Nobuyuki Idei noch nie erlebt. Kleinlaut und sichtlich zerknirscht referierte der sonst wortgewaltige Chef des Elektronikriesen Sony eine Negativbilanz, die sogar Pessimisten nicht erwartet hatten. Um erschreckende 36 Prozent hatte der Konzern die selbst gesteckten Gewinnziele für das gerade abgelaufene Geschäftsjahr verfehlt. Und für das letzte Quartal musste Idei sogar einen Rekordverlust von 925 Millionen Dollar beichten.
Das war Ende April, und die Horrorzahlen lösten in Japan fast eine Börsenkrise aus. Innerhalb von zwei Tagen fiel der Kurs des Sony-Papiers um 27 Prozent und drückte damit den Tokioter Aktienindex auf den niedrigsten Stand seit 1982.
"Die Sony-Führung", schimpfte ein Investmentbanker, "hat uns getäuscht, es gab vorab nicht mal eine simple Gewinnwarnung." Und ein anderer spottete: "Die führen ihren Laden wie einen Sushi-Shop."
"Bis zur letzten Minute" habe der Konzern "nicht realisiert, wie schlimm die Lage ist", entschuldigte ein Sony-Vorstand das Schweigen, und der Chef selbst zeigte Einsicht: "Wir hinken hinter der Branchenentwicklung her." Der Vorstand werde deshalb ein umfassendes Spar- und Umbauprogramm erarbeiten. Idei: "Wir müssen eine Generalüberholung vornehmen."
Am Dienstag vergangener Woche legte Idei, 65, das Ergebnis der fünfmonatigen Fleißarbeit vor. Doch das mit Spannung erwartete Reformprogramm löste bei Branchenkennern keinerlei Begeisterung aus. Denn der Sony-Mann, der noch vor wenigen Jahren als "Hightech-Guru"und "Visionär" gefeiert wurde, hatte nicht mehr zu bieten, als anderen Konzernlenkern in ähnlichen Krisenfällen auch einfällt: Werkschließungen, Kostenreduzierung und die Streichung von 20 000 Stellen.
Von Neuausrichtung, von einem Strategiewechsel keine Spur. Nicht einmal die Sparmaßnahmen sind neu. "Es scheint", urteilt das Wirtschaftsblatt "Nikkei Weekly", "als verliere Sony im digitalen Zeitalter die Initiative."
Dabei schien der einstige Vorzeigekonzern aus Tokio für diese Ära lange Zeit weit besser gerüstet als alle Konkurrenten. Schon Ende der achtziger Jahre hatte sich Sony mit der Übernahme der Plattenfirma CBS sowie der traditionsreichen Columbia-Studios in Hollywood ins Entertainment-Geschäft gewagt. Damit, so das Kalkül von Ideis Vorgänger Norio Ohga, könne der Konzern künftig das komplette Angebot fürs Heimkino oder die Musikanlage aus einer Hand anbieten.
Die Vorteile der Vernetzung blieben bis heute aber kaum mehr als eine verlockende Idee. In der Realität kämpften die Konzernteile bislang allzu oft gegen- als miteinander. "Sony redet von Träumen für die Zukunft", mokiert sich Fondsmanager Shuichi Hida, "aber die haben nichts, was auf kurze Sicht Gewinn verspricht."
Immer noch macht der Konzern 73 Prozent seiner Umsätze mit elektronischen Geräten wie Fernsehern, DVD-Playern und Videospielkonsolen. Doch die Konkurrenz in der Unterhaltungselektronik ist inzwischen härter denn je. Nur noch 0,8 Prozent vom Umsatz im Elektronikgeschäft bleiben bei Sony als Gewinn hängen.
Immer stärker geraten die erfolgsgewohnten japanischen Branchenriesen, die einst fast alle amerikanischen und europäischen Konkurrenten überrollten, unter Druck zahlloser Newcomer aus Korea, Taiwan und China. Denn seit die Elektronik mit immer mehr digitalen Komponenten ausgestattet wird, die auf einem Chip Platz finden, sind die Produktionsgeheimnisse der alteingesessenen Konzerne nicht mehr viel wert. Gefragt sind nun Innovationen, die nicht jede Firma bei einem Chiphersteller kaufen kann.
Doch ausgerechnet da scheint das Unternehmen seine frühere Kreativität verloren zu haben. Seit Ideis Amtsantritt vor acht Jahren hat der einstige Trendsetter in Sachen Unterhaltungselektronik keinen technologisch bahnbrechenden Bestseller mehr auf den Markt gebracht. Und nicht selten, wie bei der Einführung der DVD, des DVD-Recorders oder der LCD-Technik, hinkt Sony sogar der Branche hinterher. "Sony ist nicht mehr sexy", urteilt Jesper Koll, Chefvolkswirt von Merrill Lynch Japan, kurz und bündig.
"Der Markt ändert sich radikal, und Sony muss sich ebenfalls wandeln", mit diesen Worten trat Idei 1995 an, als er als Jüngster unter den 15 Vorständen zum Chef des Konzerns gekürt wurde. Vollmundig versprach er, den Konzern auf Effizienz zu trimmen.
Tatsächlich blieb bei Sony alles beim Alten. Während Konkurrenten wie Matsushita (Panasonic), Philips oder Samsung in den vergangenen Jahren ihre Fabriken modernisierten und den Vertrieb und die Logistikstrukturen strafften, vertraute Sony vor allem auf den Glanz der Marke.
Branchenkenner gehen davon aus, dass die Produktionskosten bei Sony inzwischen um 15 Prozent höher liegen als bei den wichtigsten Konkurrenten. Doch wegen der üppigen Gewinne mit der Videospielkonsole Playstation, die noch von Vorgänger Ohga auf den Weg gebracht worden war, "fehlte bei Sony stets ein Gefühl der Dringlichkeit", muss Idei nun eingestehen.
Hinzu kamen gravierende Fehleinschätzungen - so etwa bei der Fernsehgerätetechnik. Konkurrenten wie Sharp, Samsung oder LG.Philips hatten früh den Trend zu Flachbildschirmen mit LCD-Technik und großformatigen Plasmamonitoren erkannt, Sony dagegen setzte weiter auf die traditionelle Technik. "Keine eigene Plasma- und LCD-Fertigung zu haben ist eine Stärke von Sony", behauptete Idei sogar noch im vergangenen Jahr.
Nun musste sich auch Idei eines Besseren belehren lassen. Bis 2006 sollen 12 der 17 Werke für TV-Röhren geschlossen werden, stattdessen investiert Sony in moderne LCD-Technik. Doch aus eigener Kraft kann Sony den Vorsprung der Konkurrenz nicht mehr aufholen. Idei ist deshalb gezwungen, ausgerechnet bei den in Japan unbeliebten Koreanern Hilfe zu suchen. Ab 2005 will Sony gemeinsam mit Samsung in einer Fabrik 100 Kilometer südlich von Seoul LCD-Monitore herstellen.
Geleitet wird die Gemeinschaftsfirma, das war die Bedingung von Samsung, von einem Koreaner - welch eine Schmach für Idei.
KLAUS-PETER KERBUSK
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