Konzerne verzichten am ersten Jahrestag der Terroranschläge auf Werbeanzeigen in den USA. Diese Zurückhaltung bedeutet Ausfälle von bis zu 60 Mio. $ für Zeitungen und TV-Sender. Kein Ereignis der modernen Geschichte erhält in den USA mehr Medienaufmerksamkeit als der 11. September 2001. Bereits Wochen vor dem Jahrestag stiegen die 9/11-Beiträge auf vielen Sendern flutartig an. Am Mittwoch hat Amerika seine TV- und Radiosender, Zeitungen, Magazine und auch Websites und E-Mails nahezu von Werbung freigeräumt, aus Angst, materialistisch und ausbeuterisch zu wirken. Der Beschluss auf Werbeverzicht ist jedoch kein rein patriotischer, gefühlvoller Akt, sondern auch von den Anzeigenkunden erzwungen. Vor allem Großkonzerne haben sich in den vergangenen Wochen zunehmend Werbepausen verordnet, um nicht gewinnsüchtig zu wirken.
Unternehmen wie die Getränkekonzerne Coca-Cola und Pepsi oder die Autohersteller General Motors und Nissan lassen am Mittwoch die Werbung ausfallen. "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", charakterisiert ein TV-Manager die Haltung der Medienunternehmen und ihrer Werber, die an diesem heiklen Tag die Amerikaner nicht brüskieren und unerwünschte Reaktionen auslösen wollen. Die Fernsehsender hatten dennoch bis Dienstag vergeblich gehofft, dass Gespräche mit Anzeigenkunden zu Werbung oder mindestens Sponsoring von Sendungen führen würden. "Wir haben nirgends Werbung platziert - es scheint unangemessen und passt einfach nicht", heißt es beim Kreditkartenunternehmen Mastercard.
Werbeverzicht trifft Medienkonzerne zu denkbar ungünstigem Zeitpunkt
Eine Umfrage des Branchenmagazins "Advertising Age" ergab, dass 34 Prozent der Befragten es unnötig finden, dass Inserenten Werbeverzicht üben. 51 Prozent der Verbraucher sind jedoch der Meinung, dass Werbung am 11. September unangemessen sei. Die Zahl nimmt zu, je näher die Befragten an den Tatorten leben.
Diese Einstellung soll die Medienunternehmen diesen Monat Schätzungen zufolge zwischen 50 und 60 Mio. $ an Werbeeinnahmen kosten. Werbekampagnen, die am 11. September 2001 und in vielen Fällen bis zum 15. September beschnitten oder ganz gestrichen wurden, sollen mit Ausfällen in Höhe von 300 Mio. $ zu Buche geschlagen haben.
Die Auswirkungen der Terroranschläge in New York und Washington auf die Werbeausgaben hat die Medienkonzerne zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt getroffen. Der globale Werbemarkt befand sich auf Grund der Konjunkturschwäche bereits in einer Krise, angefangen hatte die Talfahrt mit dem Ruin der Dotcom-Branche, die viel Geld für Werbung aufgewendet hatten.
Die meisten Spots und Anzeigen, die dieser Tage zu sehen und hören sind, bringen Nachrichten, die nach Meinung der Werber relevant für den 11. September sind und etwa der Opfer, Helden und Hinterbliebenen gedenken. Mit teilweise listigem Marketing gibt sich manches Unternehmen einen patriotischen Anstrich. So schaltete etwa der amerikanische Rüstungskonzern Northrop Grumman am Dienstag ein einseitiges Inserat in der renommierten "New York Times" zu "fortgeschrittenen Kriegsführungssystemen".
Mehr ist mehr
Der 11. September wird einen finanziellen Verlust für die Medienunternehmen bedeuten, aber alle zählen darauf, mit der anteilnehmenden, ausführlichen Berichterstattung ihr Image auf Hochglanz zu polieren. Während die Werbekunden mit der "weniger ist mehr"-Herangehensweise ihre Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen versuchen, demonstrieren die US-Medien, dass mehr eindeutig mehr ist. Nicht nur Nachrichtensender wie CNN, Fox News und MSNBC und die Netzwerke ABC, CBS und NBC schalten am Mittwoch auf Nonstopberichterstattung. Vom Musiksender MTV bis zum Gerichtssender Court TV - die US-Fernsehzuschauer drohen unter Dokumentarfilmen, Berichten aus aller Welt, Gedenkfeiern und der Liveberichterstattung unterzugehen.
Das Gerangel um Interviews mit Feuerwehrmännern, Fluglotsen, Zeugen, Überlebenden startete bereits vor Monaten. Der Sender CBS ergatterte das einzige Interview mit US-Präsident George W. Bush und krönt damit am Mittwoch seine 13 Stunden Liveberichterstattung.