Endlich geklärt:
Bahnfahren besser als Fliegen
Der wahre Reisende scheißt auf Air Schneckenfresser, Lustkranich und Spaghettalia: Die Bahn bietet so viel mehr. Man muss sie nur zu nehmen wissen.
Bahnhöfe sind Horte des Friedens. Die Bahnhofsmission ist nur ein Beispiel von vielen. Die Gelassenheit, mit der Gepäckträger unser Winken ignorieren, kann als zweites Beispiel dienen. Nie hetzt Stress ausstrahlendes Reinigungspersonal durch die öffentlichen Toiletten; die stillen Örtchen sehen ganz im Gegenteil so aus, als habe dort noch nie einer mit seinem Lappen Unruhe unter Kokken und Kakerlaken verbreitet. Flughäfen dagegen sind Orte der vorauseilenden Terrorabwehr und des praktizierten Orwellstaat-Faschismus. Todesstrahlen durchleuchten unser Handgepäck und finden dann doch nicht die Keramikpistole oder das Teppichmesser. Perverse warme Brüder und Nymphomaninnen fassen uns ans Gemächt. In 10.000 Meter Höhe wachsen Tumore im Hirn und platzen auch gleich, Röntgenwellen aus dem All machen Frauen unfruchtbar und Männer impotent (nun...: nicht alle). Mit einem Wort: Fliegen ist der reine Horror.
Service bei der Bahn: Nie stresst Reinigungspersonal durch Toiletten
Flughäfen haben auch diese Parkplätze. Sie sind unverschämt teuer, stehen wie Beton-Abzesse in der Landschaft und locken rostige Benzinstinker an. Die Bahn dagegen verzichtet auf Parkplätze: Das spornt an, umweltgerecht ohne Auto zum Bahnhof zu reisen. Das verschafft den Taxifahrern nicht nur Arbeit, sondern frische, urlaubserwartungsvolle oder (auf dem Rückweg) erholte Ohren, die den taxifahrertypische Klagen über den Unbill des lokalen Straßenbaus mit Freuden lauschen. Flughäfen stehen dagegen für Vereinsamung: Kalte Gesichter mit dünnen Lippen starren durch Sonnenbrillen in aufgeklappte Notebooks, nie hört man Kinder lachen oder eine lustige Shanty-Melodie inmitten einiger Reihen fröhlicher Menschen in Biergärten. Sowas gibt's an Flughäfen nie, was ein weiterer Beweis für die These dieses Essays ist.
Buchung
Gestresste Vielflieger neiden dem durchschnittlichen Bahnreisenden vor allem seine heitere Gelassenheit. Das fängt schon bei der Buchung an. Eine Bahnfahrkarte kriegen Sie an jedem Bahnhof, am Flughafen kriegen Sie statt dessen Parfüme, Krawatten und Koffer. Zugegeben, das deckt den Bedarf mobiler Shopper: Denn Parfüme braucht man, weil Flughäfen und Flieger stickig und stinkig sind; Krawatten, weil man davon nie genug haben kann, wie von den Karamel-Sahne-Toffees mit der Kuh drauf; und Koffer, weil einem ja soeben das Reisegepäck geklaut worden sein könnte. Oder von Phönix aus nach Atlanta flog statt dorthin, wo Sie jetzt sind.
Brauchen wir aber wirklich Samsonites, Polo-Shirts, Golfschläger und Echtes-Leder-Gürtel? Wir sagen: nö. Wir lieben daher die Bahn, denn die beschränkt sich auf das Wesentliche: Tabak, Bücher, Blumen. Bahnreisende sehen daher auch gleich aufregendes und mutiges Unternehmertum in Aktion, denn wer raucht denn heute noch, wo alle zu Strunz-dummen Vitaminjoggern mutieren? Wer liest noch Bücher, schenkt noch Blumen?
Egal. Fahrkarten gibt es ja immerhin auch. Sind ja nicht unwichtig. Das hat auch die Bahn gemerkt. Nur die kleinen, mittleren und mittelgroßen Bahnhöfe kommen noch ohne Fahrkartenschalter aus. Die großen Bahnhöfe betreiben dagegen zum Verkauf ihrer Fahrkarten ganze Schalterhallen mit Dutzenden von Schaltern, jedenfalls zwischen 9 und 17 Uhr. Die großen Bahn-Hallen der Metropolen sind so großzügig angelegt, dass die Zahl der Bahnfahrer noch jahrelang steigen könnte, ohne das es nötig wäre, alle diese Schalter zu öffnen.
Schlangen
Nur wer hart in einer Schlange bleibt kann sein Auge für Schlangenverhalten schärfen. Schlangen an Flughäfen arbeiten sich wohlgeordnet und zivilisiert ab - das ist langweilig, stumpfsinnig und öde. Da fliegen wieder mal Deutsche nach Mallorca, das bedeutet Gelassenheit, Großmut und gekonntes Schlangestehen ohne jede Art von Irritation, aber eben auch ohne jede Art von Inspiration. Sicher, fantasievolle Geschäftsleute in blauen Anzügen drängeln sich immer wieder mal vor Gebrechliche oder Nonnen, doch diese armen Manager haben ja auch einen verdammt harten Job, während Klapper-Omas und religiöse Fanatiker ohnehin nur auf ihr Ende warten.
Wie anders ist da die Bahn, wie viel mehr bietet sie da durch ihre Schalterhallen. Platzangst kommt nie auf, da stets nur vier von 24 Schaltern geöffnet sind und diese quer über die Schalterhalle verteilt sind. Das macht Sinn, denn es hält Wankelmütige davon ab, die Schlangen zu wechseln. Es ist die Hoffnung auf eine schnellere Abfertigung, die dennoch immer wieder Ansteh-Ambivalente zu solch unüberlegten Schritten treibt. Doch diese Hoffnung trügt: Die Bahn-Bediensteten an den Schaltern haben strenge Anweisung, das Schalter-geschlossen-Schild ans Fenster zu knallen, sobald verdächtig viele Personen zwischen den Schlangen wechseln. Und wer kann es einer Bahn-Angestellten wirklich verübeln, wenn sie den Anblick der wachsenden, wartenden Menschenmassen nicht mehr ertragen kann und vor den gehetzten Armbanduhr-Fahrplan-Armbanduhr-Blicken in die xte Zigarettenpause flüchtet?
Schalter
Die Bahn bringt Menschen zusammen: Schalterhallendesigner designen Schalterhallen hierzu als Orte der Begegnung. Die Pfade der Reisenden, die ihre Rollkoffer mit den kaputten Rollen von den U-Bahn-Schächten und Taxiständen zu den Gleisen schleifen, sind dank komplexer topologischer Gleichungen so gelegt, dass sie sich garantiert mit den Schlangen vor den Fahrkartenschaltern kreuzen. Oder mit den Schlangen, in denen sich verzweifelte Info-Hungernde um die letzten Mini-Zugpläne prügeln, in der irrigen Hoffnung, dass deren Angaben zutreffen.
Der einzelne Schalter selbst ist ein Kunstwerk aus Plexiglas, das zu mehr Interaktivität und Fantasie im Umgang miteinander anregt: Um der Gegenseite mitzuteilen, welche Art von Fahrkarte man haben möchte, bleiben oft nur Gesten und Gebärden. Denn die Stimmen-Entfremdungs-Anlage eines typischen Schalters verhindert wirkungsvoll, dass die potentiellen Fahrgäste sich beim Schalterkauf auf die ausgetrampelten Pfade verbaler Kommunikation begeben können. Das macht den öden Konsum zum attraktiven Abenteuer.
Delikatessen
Wie überhaupt der ganze Bahnhof immer mehr zum abenteuerlichen Themenpark wird, ganz besonders die Gastronomie. Vorbei sind die Zeiten, da man die Wahl hatte zwischen einer simplen, aber fetten Bratwurst mit Senf und dem schlappen Brot der früheren Besatzer. Vorbei das finstre Mittelalter schmieriger Bahnhofs-Pommesbuden, in deren finstrer Schaschlikhöhle allein die Currywurst golden und purpurn herausleuchtete. Vorbei. Die zu Erlebniswelten gestalteten Bereiche fritöser Fettatmosphäre locken mit allerlei internationalen Spezialitäten. Und dank tatkräftiger Polizei und 24-Videoauszeichnung stören weder verschorfte H-Junkies noch die Miniröcke 12jähriger Prostituierter das gastritische Bild bürgerlichen Mampf-Anstands.
Da ist Osaka Gojira Shushi, der Schlipsträgern und Exotixfans leichte, feine, kleine Speischen bietet, die nicht schwer im Magen liegen, und deren Preis dennoch die hohe Qualität des duftigen Klebereises symbolisiert. Da ist Döner Kebab, ein hochintegrierter bis assimilierter Bestandteil der deutsch-türkischen Kultur, 1971 in Berlin erfunden und noch heute von getürkten Deutschen gern verkauft. Er bringt einen Hauch Istanbul mit Knoblauchyoghurt ins Leben - und wenn er lustig tropft, dann auch mal aufs Hemd. Da ist Chop Suey mit seinem glibbernden Topf halbgaren Gemüses mit Fleischeinwaage, über dessen Herkunft man noch am Abend zuvor informiert worden war, in der Spiegel-TV-Doku über den Alltag deutscher Lebensmittelkontrolleure. Zu erwähnen wären noch der Nordsee-Stand, der in München dasselbe Alaska-Seelachsfilet verkauft wie in Hamburg - ein Zeichen der innigen Freundschaft zwischen "Fischköpfen" und "Bayrischen Bazis". Nicht zu vergessen die Mafiatorten-Mütze, eine beliebte Pizza-Kette, die nie an Teig oder Öl spart, denn Kohlenhydrate und Lipide sind nahrhaft, wohl aber am Belag, denn Pilze und Salami sind ja ohnehin schadstoffbelastet, und Thunfischpizzen erinnern einen doch arg unsanft an die süßen kleinen Babydelphine, die gemeinsam mit den Thunfischen in den Fischwolf kamen.
Check-In
Da bin ich nun wohl ein wenig abgeschweift. Solche Abschweifungen sind ärgerlich, den sie kosten den Leser Zeit. Die könnte er aber auch schlechter investieren, zum Beispiel in ein Check-in bei der Schweineklasse der Touri-Bomber. Ein Fluggast muss da schon Stunden vor dem Abflug am Flughafen erscheinen, um in ca. 3 Minuten ein Gepäckstück auf ein Band zu legen und maximal 2 Worte mit dem uniformierten, blonden und dick geschminkten Fluggast-Abfertigungs-Roboter Marke "Ruppig&Runzelig" zu wechseln.
Warten am Gepäckband: Frauen tragen Kosmetika und Dildos spazieren
Wie anders, wie stressfrei ist da die Bahn: Hier darf jeder sein Gepäck noch selbst in die Hand nehmen und verstauen. Es gibt keine lästige Trennung von Reisekoffern (Smart nennt diese Dinger Autos) und Handgepäck. Zur Erinnerung: Handgepäck im Flugzeug, das sind Rollkoffer von den Abmessungen eines Kühlschrankes; Frauen tragen darin ihre Kosmetika und Dildos spazieren, Männer ihre Pornoheftchen und Kunststoffvaginas, beide ihre ausgedruckten Powerpoint-Folien, die sie sich dann gegenseitig präsentieren, an exotischen Tagungsorten. Und dann immer das Theater, wenn man Ende des Flugs zwanzig graue Samsonites über das Gepäckband kommen - der Bahnreisende greift einfach nach oben und hat sein Gepäck sofort zu Hand, oft kommt es auf lustigen Schunkel-Strecken schon von selbst herunter.
Platz nehmen
Relaxed auch der Weg zum Platz, zumindest für alle, die nicht reserviert haben: es gibt nämlich keinen mehr, also wozu rennen und hetzen? Ebenso gut haben es die Rauchabteil-Reservierer, denn sie dürfen bis zum Ende des Zuges spazieren, um ihren Platz zu finden, und können dabei in aller Ruhe noch zwei, drei Glimmstängel durchziehen.
Normal reserviert Habende erwartet Spaß und Spannung durch unverbindlichen Oberflächensex mit Hunderten von Personen. Denn sie dürfen sich an all jenen vorbeiquetschen, die aus der anderen Richtung kommen und verzweifelt versuchen, die Zahl auf ihrer Reservierung mit der Zahl eines Sitzes zu vergleichen - tja, nicht jeder kann halt ein Mathe-Genie sein. Verwirrung stiftet übrigens meist, dass Reservierungen wenig beeindrucken: auf den reservierten Plätzen sitzen kiffende AStA-Sozialpädagogik-Studenten oder saufende Wehrdienstleistende ("Nato-Ralley"). Beim Versuch, die terroristischen Reservierungs-Enteigner in die Flucht zu schlagen, kommt man immerhin ins Gespräch, was helfen kann, pauschale Vorurteile abzubauen. "Auch diese Menschen bluten, wenn man ihnen den Hartschalenkoffer ins Grinsen rammt." - wer würde das auf einem Flug lernen können? Die Bahn bringt eben Menschen zusammen, die sich im Flugzeug nie zu Gesicht bekämen. Nur der Verteidigungsminister fliegt. Was ebenfalls für die Bahn spricht.
Der Zugbegleiter
Wer sitzt, hat gewonnen. Und kann sich dem Zugbegleiter widmen. Dieses Faltblättchen bewirbt die eine oder andere miese Kaschemme am Wegesrand und informiert über Abfahr- und Ankunftszeiten der Züge des letzten Jahres - und über Zugnamen. Und auch hier schlägt die Bahn jeden Flieger: Flugzeuge heißen schäbig 747, lieblos 737 oder abfällig 767, Zugzeuge dagegen heißen klangvoll "ICE Alfons Schicklgruber" oder ehrlich "EC Eduard Stoiber" oder bedeutend "InterRegio Michel Friedman". Das strahlt menschliche Wärme aus und vermittelt den Gästen aus Übersee, erkennbar an den Let's-Go-Europe-Taschenbüchlein, die Superiorität europäischer Kultur.
Leider endet die spannende Lektüre des Zugbegleiters oft jäh, meist 30 Minuten nach der offiziellen Abfahrtszeit, denn dann fährt der Zug los. Daran sieht man eben, dass die Deutschen keine Pünktlichkeits-Bürokraten sind, sondern das alles locker sehen, anders als bei den Uhrwerks-Faschisten an den Flughäfen. Die Bahn versprüht damit südländischen Charme und konnte so das Herz vieler Reisender gewinnen. Zumal die bange Frage nach der Erreichbarkeit rücksichtsloser Anschlusszüge jeden Transatlantikflug-TV-Thriller an Spannung aussticht.
Bordrestaurant
Wo wir beim Vergleichen sind: Flugzeugnahrung vs. "in der Mitte des Zuges ein Bordrestaurant, in dem Sie das Mitropa-Team gerne erwartet". Während Lufthansa & Co. ihren Fluggästchen nämlich dreist & lieblos Tabletts mit geschrumpften, farbentsättigten, denaturierten Fetzen klebriger Gemüse- und Tierleichenteile vor den Latz knallt und zum Runterwürgen nicht mal mehr verdauungsfördernde Drinks anbietet (abgeschobenen Asylbewerber sicher schon, denn den Asylanten schiebt's der Staat ja vorne und hinten rein, die werden ja angeblich sogar Erste Klasse in den örtlichen Gulag geflogen), lässt die Bahn dem Reisenden volle Freiheit bei der Gestaltung seiner individuellen Reisemahlzeit.
Gleichgewichtsübungen in geräumigen Waggons: vom Mitropa-Team gerne erwartet
Während die Flug-Fresser, in enge Sitzen geschnallt, über Butter- und Schmelzkäse-Portionspäckchen binnen Sekunden Herzkranz-Fett ansetzen, erwartet Bahnreisende ein sportliches Erlebnis: der Ausflug ins Mitropa-Zugrestaurant. Das übt auch die Gleichgewichtssinne, der wer will die beiden Kaffees in schwabbeligen Pappbechern, die einem ja schon schier die Hand verbrühen, einem Sitzenden auf den Notebook kippen? Niemand. Also ist Konzentration gefordert, und es ist kein Zufall, dass Bahnreisende in der Pisa-Studie besser abschneiden.
Zuweilen kommt im Zug auch ein Gastarbeiter mit einem fahrenden Wagen vorbei und bietet dem Reisenden verschiedene Mitropa-Spezialitäten an, in der Regel täuschend echt nachgemachte Nahrungsmittel aus Pappmaché sowie die bekannten Industrie-Drinks der Carzino-Gen Corporation. Freilich, das bringt immer wieder mal einen gewissenhaften Patrioten auf, denn man sieht eigentlich nur Speisewagen-Herumfahrer ausländischer Herkunft, folglich haben all diese vielen, vielen Ausländer guten, deutschen Speisewagen-Herumfahrern den Job weggenommen. Und das ist typisch: Die Sozis lassen Milliarden Computer-Inder über unsere fahrenden Zugrestaurants schwappen, während aufrechte Deutsche nicht mal mehr bei der Müllabfuhr oder als Schuhputzer oder als Döner-Kebab-Männer Jobs kriegen.
Fazit
Bahnfahren ist besser als Fliegen, diese These ist nun bewiesen. Wurde etwas vergessen? Das Gebimmel der Handys, dass sich als Melodienwettbewerb spielerisch nutzen lässt? Junge Männer mit Notebooks an ICE-Steckdosen, die sich auf dem DVD-Laufwerk mit japanischen Hentai-Bukakke-Videos vergnügen? Die Klimaanlage, die für ausgeglichene 13 Grad (im Hochsommer) bzw. 28 Grad (im Winter) sorgt? Die Bahncard, die einem satt überlappende 50 Promille Rabatt beschert (vom Grundpreis; auf folgenden Strecken:...; außer an folgenden Tagen:...; nicht in diesen Zügen:..; (jeweils Symbole; Legende links unten, leider abgeschnitten))?
Übrigens: Das Zugpersonal ist angesichts der Umstände überwiegend freundlich. Schade nur, das es bald wegrationalisiert wird, damit sich der Bahn-AG-Vorstand das Salär erhöhen kann.
Zara | ZYN! Magazin