Von Andreas Braun
"Rezession statt Erholung"
Trotz weiterer Leitzinssenkungen schliddert die Weltwirtschaft Ende 2001 in die Rezession. Und die wird länger dauern, als viele Beobachter und Anleger glauben, meint Ulrich Hombrecher, Chef-Volkswirt der WestLB. Die Terroranschläge des 11. September haben aus der Konjunkturdelle ein tiefes Wachstumstal gemacht, sagt Hombrecher im Gespräch mit sharper.de. Andreas Braun
sharper.de: Herr Hombrecher, die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen um 50 Basispunkte gesenkt. Hat das ihren Erwartungen entsprochen?
Hombrecher: Meine Prognose lag eigentlich bei 25 Basispunkten, aber die EZB ist ja schwer auszurechnen. 50 Basispunkte gehen aber in Ordnung.
sharper.de: Ein spürbarer Effekt der Zinssenkungen scheint sich allerdings bisher nicht einzustellen. Die US-Notenbank (Fed) versucht seit Jahresbeginn mit einer aggressiven Zinssenkungspolitik die Wirtschaft zu stimulieren - funktioniert dieser Automatismus nicht mehr?
Hombrecher: Doch er funktioniert noch, aber die Wirkungsverzögerung zwischen Leitzinssenkungen und einer Konjunkturerholung, der sogenannte "time lag", ist wegen der Terroranschläge offensichtlich länger als üblich. Geldpolitik wirkt nur, wenn sie auf stabile Erwartungen trifft. Und diese Voraussetzung ist derzeit nicht erfüllt.
Fed tritt zu sehr aufs Gaspedal
sharper.de: Durch die Leitzinssenkungen in den USA wird Liquidität fast schon in die Aktienmärkte getrieben. Ist das nicht eine sehr riskante Spekulation auf die wirtschaftliche Erholung?
Hombrecher: Ich bin der Meinung, dass die Fed in diesem Jahr zu sehr aufs Gaspedal tritt bei dem Versuch, die US-Wirtschaft zu stimulieren. Genauso hat sie meines Erachtens durch eine umgekehrte Zinsspirale die Konjunktur abgewürgt. Die Amerikaner haben in beiden Fällen überzogen reagiert.
sharper.de: Einen solchen Aktionismus kann man der EZB ja wohl kaum vorwerfen...
Hombrecher: Eher das Gegenteil. Die EZB hat zu lange mit Zinssenkungen gezögert. Dabei hat sie wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf den Verbraucherpreisindex geschaut und den mit dem Energiepreisschub verbundenen deflationären Effekt des Einkommensentzugs übersehen.
Rezession statt Konjunkturerholung
sharper.de: Können Sie bereits Aussagen darüber machen, inwieweit die Terroranschläge vom 11. September die Wachstumsaussichten in den USA und in Euroland getrübt haben?
Hombrecher: Wir gehen von einer deutlichen Verschlechterung der Wachstumsaussichten vor allem in den USA aber auch im Euro-Raum aus. Statt einer Konjunkturerholung, die wir vor den Anschlägen für den Herbst erwartet hatten, rutscht die US-Wirtschaft nun in eine Rezession. Die Wirtschaft im Euro-Raum steckt ebenso wie die in Deutschland seit dem Frühjahr in einer Stagnation. Diese wird sich um mindestens ein halbes Jahr verlängern.
sharper.de: Wie sehen Ihre Annahmen für die Konjunktur in den USA und Europa aus?
Hombrecher: In den USA wird das Bruttoinlandsprodukt nach unserer Einschätzung vom dritten zum vierten Quartal mit einer annualisierten Rate von 2,8 Prozent schrumpfen, nach einem Minus von 0,4 Prozent im Vorquartal. Für das erste Quartal 2002 rechnen wir mit einem weiteren Rückgang, und zwar in der Größenordnung von 1,2 Prozent. Danach wird die Konjunktur voraussichtlich wieder anspringen. Für den Euro-Raum erwarten wir für das dritte Quartal eine „schwarze Null“ und für das vierte eine „rote“, also einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Eine Erholung wird frühestens im Verlauf des zweiten Quartals 2002 einsetzen.
sharper.de: Ist diese Annahme unabhängig von den Entwicklungen in Afghanistan?
Hombrecher: Nein, natürlich nicht. Diese Prognosen basieren auf der Annahme, dass es bei einem regional begrenzten Konflikt in Afghanistan bleibt. Sollte er wider Erwarten etwa auf den Nahen Osten überspringen, dann würde eine Grundvoraussetzung unseres Szenarios ins Wanken geraten, nämlich der niedrige Ölpreis.
Privater Verbrauch ist rückläufig
sharper.de: Wie sehen Sie denn die Hauptursachen für die Konjunkturflaute?
Hombrecher: In den USA hatte sich die wirtschaftliche Entwicklung ja bereits vor den Anschlägen am 11. September fast bis zur Stagnation abgeschwächt. Die letzte Konjunkturstütze war der private Verbrauch. Dieser knickt nun auch ein, nachdem sich das Verbrauchervertrauen stark eingetrübt hat. Zudem ist die Beschäftigung inzwischen deutlich gesunken und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Dies wiederum dämpft die Einkommensexpansion und hat zu einem deutlichen Anstieg der Sparquote geführt. Das wirkt sich besonders in einer Volkswirtschaft wie den USA aus, in der der private Verbrauch rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.
sharper.de: Wie lange wird die Rezession dauern, auf die wir zusteuern?
Hombrecher: In der Regel dauern rezessive Phasen nicht länger als drei Quartale. Die USA haben seit 1950 immerhin acht Mal eine Rezession erlebt. In vier Fällen hat sie ein halbes Jahr gedauert, in weiteren vier Fällen drei Quartale. Ich gehe davon aus, dass wir ab Mitte 2002 wieder ein recht kräftiges Wachstum sehen werden.
sharper.de: Wie können die Regierungen in den USA und in Europa die bevorstehende rezessive Phase abmildern?
Hombrecher: Die US-Regierung hat ja bereits mit einem Hilfsprogramm im Umfang von 55 Milliarden US-Dollar reagiert. Derzeit wird ein zusätzliches Stimulierungspaket geschnürt, das voraussichtlich ein Volumen von 75 Milliarden US-Dollar haben wird. Und schließlich wird die nächste Stufe der Steuerreform in den USA, die im kommenden Jahr in Kraft tritt, die Bürger um 60 Milliarden US-Dollar entlasten. In Europa, besonders in Deutschland, wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, alles zu unterlassen, was die Wirtschaft zusätzlich belastet. Also weder Öko- noch Tabak- noch die Versicherungssteuer zu erhöhen. Aber ich fürchte, die Bundesregierung wird an ihren Plänen festhalten.
Stand:10.11.2001
Schmuggler
"Rezession statt Erholung"
Trotz weiterer Leitzinssenkungen schliddert die Weltwirtschaft Ende 2001 in die Rezession. Und die wird länger dauern, als viele Beobachter und Anleger glauben, meint Ulrich Hombrecher, Chef-Volkswirt der WestLB. Die Terroranschläge des 11. September haben aus der Konjunkturdelle ein tiefes Wachstumstal gemacht, sagt Hombrecher im Gespräch mit sharper.de. Andreas Braun
sharper.de: Herr Hombrecher, die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen um 50 Basispunkte gesenkt. Hat das ihren Erwartungen entsprochen?
Hombrecher: Meine Prognose lag eigentlich bei 25 Basispunkten, aber die EZB ist ja schwer auszurechnen. 50 Basispunkte gehen aber in Ordnung.
sharper.de: Ein spürbarer Effekt der Zinssenkungen scheint sich allerdings bisher nicht einzustellen. Die US-Notenbank (Fed) versucht seit Jahresbeginn mit einer aggressiven Zinssenkungspolitik die Wirtschaft zu stimulieren - funktioniert dieser Automatismus nicht mehr?
Hombrecher: Doch er funktioniert noch, aber die Wirkungsverzögerung zwischen Leitzinssenkungen und einer Konjunkturerholung, der sogenannte "time lag", ist wegen der Terroranschläge offensichtlich länger als üblich. Geldpolitik wirkt nur, wenn sie auf stabile Erwartungen trifft. Und diese Voraussetzung ist derzeit nicht erfüllt.
Fed tritt zu sehr aufs Gaspedal
sharper.de: Durch die Leitzinssenkungen in den USA wird Liquidität fast schon in die Aktienmärkte getrieben. Ist das nicht eine sehr riskante Spekulation auf die wirtschaftliche Erholung?
Hombrecher: Ich bin der Meinung, dass die Fed in diesem Jahr zu sehr aufs Gaspedal tritt bei dem Versuch, die US-Wirtschaft zu stimulieren. Genauso hat sie meines Erachtens durch eine umgekehrte Zinsspirale die Konjunktur abgewürgt. Die Amerikaner haben in beiden Fällen überzogen reagiert.
sharper.de: Einen solchen Aktionismus kann man der EZB ja wohl kaum vorwerfen...
Hombrecher: Eher das Gegenteil. Die EZB hat zu lange mit Zinssenkungen gezögert. Dabei hat sie wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf den Verbraucherpreisindex geschaut und den mit dem Energiepreisschub verbundenen deflationären Effekt des Einkommensentzugs übersehen.
Rezession statt Konjunkturerholung
sharper.de: Können Sie bereits Aussagen darüber machen, inwieweit die Terroranschläge vom 11. September die Wachstumsaussichten in den USA und in Euroland getrübt haben?
Hombrecher: Wir gehen von einer deutlichen Verschlechterung der Wachstumsaussichten vor allem in den USA aber auch im Euro-Raum aus. Statt einer Konjunkturerholung, die wir vor den Anschlägen für den Herbst erwartet hatten, rutscht die US-Wirtschaft nun in eine Rezession. Die Wirtschaft im Euro-Raum steckt ebenso wie die in Deutschland seit dem Frühjahr in einer Stagnation. Diese wird sich um mindestens ein halbes Jahr verlängern.
sharper.de: Wie sehen Ihre Annahmen für die Konjunktur in den USA und Europa aus?
Hombrecher: In den USA wird das Bruttoinlandsprodukt nach unserer Einschätzung vom dritten zum vierten Quartal mit einer annualisierten Rate von 2,8 Prozent schrumpfen, nach einem Minus von 0,4 Prozent im Vorquartal. Für das erste Quartal 2002 rechnen wir mit einem weiteren Rückgang, und zwar in der Größenordnung von 1,2 Prozent. Danach wird die Konjunktur voraussichtlich wieder anspringen. Für den Euro-Raum erwarten wir für das dritte Quartal eine „schwarze Null“ und für das vierte eine „rote“, also einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Eine Erholung wird frühestens im Verlauf des zweiten Quartals 2002 einsetzen.
sharper.de: Ist diese Annahme unabhängig von den Entwicklungen in Afghanistan?
Hombrecher: Nein, natürlich nicht. Diese Prognosen basieren auf der Annahme, dass es bei einem regional begrenzten Konflikt in Afghanistan bleibt. Sollte er wider Erwarten etwa auf den Nahen Osten überspringen, dann würde eine Grundvoraussetzung unseres Szenarios ins Wanken geraten, nämlich der niedrige Ölpreis.
Privater Verbrauch ist rückläufig
sharper.de: Wie sehen Sie denn die Hauptursachen für die Konjunkturflaute?
Hombrecher: In den USA hatte sich die wirtschaftliche Entwicklung ja bereits vor den Anschlägen am 11. September fast bis zur Stagnation abgeschwächt. Die letzte Konjunkturstütze war der private Verbrauch. Dieser knickt nun auch ein, nachdem sich das Verbrauchervertrauen stark eingetrübt hat. Zudem ist die Beschäftigung inzwischen deutlich gesunken und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Dies wiederum dämpft die Einkommensexpansion und hat zu einem deutlichen Anstieg der Sparquote geführt. Das wirkt sich besonders in einer Volkswirtschaft wie den USA aus, in der der private Verbrauch rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.
sharper.de: Wie lange wird die Rezession dauern, auf die wir zusteuern?
Hombrecher: In der Regel dauern rezessive Phasen nicht länger als drei Quartale. Die USA haben seit 1950 immerhin acht Mal eine Rezession erlebt. In vier Fällen hat sie ein halbes Jahr gedauert, in weiteren vier Fällen drei Quartale. Ich gehe davon aus, dass wir ab Mitte 2002 wieder ein recht kräftiges Wachstum sehen werden.
sharper.de: Wie können die Regierungen in den USA und in Europa die bevorstehende rezessive Phase abmildern?
Hombrecher: Die US-Regierung hat ja bereits mit einem Hilfsprogramm im Umfang von 55 Milliarden US-Dollar reagiert. Derzeit wird ein zusätzliches Stimulierungspaket geschnürt, das voraussichtlich ein Volumen von 75 Milliarden US-Dollar haben wird. Und schließlich wird die nächste Stufe der Steuerreform in den USA, die im kommenden Jahr in Kraft tritt, die Bürger um 60 Milliarden US-Dollar entlasten. In Europa, besonders in Deutschland, wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, alles zu unterlassen, was die Wirtschaft zusätzlich belastet. Also weder Öko- noch Tabak- noch die Versicherungssteuer zu erhöhen. Aber ich fürchte, die Bundesregierung wird an ihren Plänen festhalten.
Stand:10.11.2001
Schmuggler