PRESSESCHAU: D-Brasilien

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PRESSESCHAU: D-Brasilien

 
01.07.02 12:14
Quelle-Spiegel online
bzw. www.indirekter-freistoss.de
PRESSESCHAU

"Unpopulär, aber hoch geachtet"

Der tägliche Fußball-Pressespiegel von "indirekter freistoss". Heute: Das WM-Finale, die Vize-Weltmeisterschaft, das Kahn-Drama und der wiedergewonnene Respekt gegenüber der Nationalmannschaft.

Die deutsche und deutschsprachige Tagespresse ist fast ausnahmslos begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft. "So pathetisch es klingen mag: Fußball-Deutschland muss stolz sein", meint die "Süddeutsche Zeitung" und spricht in Anbetracht des couragierten Finalauftritt von "einem kleines Fußballwunder" und sah "das Finale, in dem sich der deutsche Fußball neu definierte". Die "Neue Züricher Zeitung" bemerkt: "Kein anderes Team forderte die Brasilianer so offen und direkt heraus." Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" jubiliert: "Brasilien ist Weltmeister - Deutschland die beste Mannschaft der Welt. Was wie ein Widerspruch anmutet, war beim wunderbaren, aber für die Deutschen sportlich traurigen WM-Finale von Yokohama die großartige Auflösung der weltweiten Frage, was geschieht, wenn zwei so verschieden veranlagte Fußballimperien in ihrem ersten Endspiel aufeinandertreffen." Dahingegen sah die "Frankfurter Rundschau" weiterhin die vermeintlichen Gegensätze der beiden extremen Fußballkulturen walten: "Der Deutsche mag rennen und kämpfen und hoch flanken und auch gut halten, doch seine Mittel sind zu beschränkt, um den unvorhersehbaren, lasziven Fußball der Brasilianer aufhalten zu können."
Als tragisches Moment begreift man durchweg den kapitalen Fehlgriff des "Götterlieblings Kahn" ("Gazetta24"). "Ein Abpraller. Aus und vorbei die Strategie und gleichzeitig auch der Mythos um Oliver Kahn", schreibt die "NZZ". Jedoch wirft die "FAZ" ein: "Vorwürfe macht Kahn nur einer - er selbst." In der Tat: "Noch nie hat man den besten Torwart der Welt so geschlagen gesehen" ("NZZ").

"Noch 1438-mal schlafen"


Nach dem Finale und den viel versprechenden Darbietungen der Völler-Equipe halten wir Fußballsüchtigen es mit dem Motto der "SZ": "Noch 1438-mal schlafen", dann beginnt die nächste WM, und zwar als Heimspiel.

Michael Horeni ("FAZ") ist vom deutschen Finalauftritt begeistert. "Der imponierendste deutsche Auftritt hinterließ vor allem einen tieftraurigen Kapitän. Aber es kehrt auch eine Mannschaft von der WM zurück, auf die der deutsche Fußball und ihr Teamchef, der sie in so kurzer Zeit und unter großem öffentlichen Druck geformt hat, stolz sein können - ohne jede Einschränkung. Denn die Überraschung dieser WM und des letzten Abends in Yokohama hieß ohne jeden Zweifel Deutschland. Vom ersten bis zum allerletzten Tag wurde diese Mannschaft auf verlorenem Posten gewähnt, weil vor allem die Einzelspieler einer weltmeisterlichen Einzelfallprüfung nicht standzuhalten schienen. Doch auch vor der größten anzunehmenden Herausforderung ließ sich ein durch und durch gefestigtes Team nicht mehr schrecken und lieferte ein Finale, dessen Verlauf auch die größten Kenner des Fußballs verblüffen konnte. Der Riesenmut der angeblich spielerischen Zwerge machte aus dem Endspiel eine in jeder Beziehung ausgeglichene Sache, bis das Schicksal die Wege von Kahn und Ronaldo, den Anführern ihrer Teams, bestimmte."

"Vorurteile überzeugend widerlegt"


"Seltsam", findet Ludger Schulze ("SZ"): "Die Deutschen kontrollierten das Spiel und waren insgesamt das stabilere Team, aber die genialischen Inspirationen hatten die Brasilianer. Sie wussten, dass sie der Welt auch in der Niederlage eine faszinierende Vorstellung geboten hatten, die alle Vorurteile über die schwerfälligen, vom Glück verfolgten Deutschen überzeugend widerlegte. Diesmal hatte sie dieses Glück einfach im Stich gelassen (...) Die Deutschen spielten am Anfang wunderbar, genau jenen Stil, den man von den Brasilianern erwartet hätte. Schneider düpierte seine Gegenspieler mit Beinschuss, Neuville lupfte die Kugel über seinen Widersacher, die Abwehr ließ sich von den großen Namen Ronaldo, Rivaldo vorerst nicht irritieren. Nach einer Viertelstunde durfte man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass diese Außenseiter dem Favoriten mächtig zusetzen würden."

Ralf Wiegand ("SZ") ist überrascht. "Verloren zu haben, ist das Erwartbare. So zu verlieren, war nicht zu erwarten. Dass Brasilien in Schönheit sterben könnte gegen eine deutsche Elf, die mauert und lauert, das war in den Prognosen für möglich gehalten worden, in den finsteren Vorhersehungen, die diese große südamerikanische Fußballseele mit einschlossen und ihre Neigung, manchmal zu einem schwarzen Loch zu werden, in dem sie sich selbst versenken, diese Künstler, wenn es nicht läuft. Aber dass das deutsche Kämpferkollektiv sich in einem Endspiel plötzlich auf das Niveau der Schönsten dieses Sports aufschwingen könnte, einfach so, als wäre es ein Leichtes - das ist bewundernswert."

"Die Zahl der Neider hat nicht abgenommen"


Jan Christian Müller ("FR") meint dagegen etwas nüchterner. "Die deutsche Mannschaft im Jahr 2002 hat (Vor-)Urteile über den deutschen Fußball und den Deutschen an sich bestätigt. Rudi Völler und sein Funktionsteam haben der Welt eine Machbarkeitsstudie über den deutschen Fußball vorgelegt. Keine andere Mannschaft hat es bei dieser WM in ähnlicher Perfektion geschafft, seine eigenen Schwächen zu erkennen, sachlich zu analysieren und daraus die notwendigen, Erfolg versprechenden Schlüsse zu ziehen. Wahrscheinlich ist dies die größte Leistung des Teamchefs Völler und seines Bundestrainers Michael Skibbe: Dass sie ihr ursprünglich verfolgtes Ziel, nach der verkorksten EM 2000 begeisternden Angriffsfußball zu demonstrieren, klammheimlich zugunsten eines Zweckfußballs mit 'typisch deutschen' Eigenschaften abgeändert haben. Jetzt ist der Deutsche wieder, wie er immer schon war: perfekt organisiert, diszipliniert, laufstark, deckungstreu, hausbacken, uninspiriert, humorlos siegend, 1:0, 1:0, 1:0 bis in Finale. Unpopulär, aber hoch geachtet. Die Zahl der Neider hat nicht abgenommen."

Haltsuche am Torpfosten


Zum fatalen Fehlgriff Oliver Kahns schreibt Michael Horeni ("FAZ"). "Der Abpfiff erschien wie ein gnadenloses Urteil. Oliver Kahn ging zurück in sein Tor, bewegte sich langsam hinter die Linie und versuchte zu verarbeiten, was er nicht verstehen konnte. Er, ausgerechnet er, der willensstärkste deutsche Spieler, der Anführer, derjenige, der den unglaublichen deutschen Weg ins Finale erst möglich gemacht hatte - ausgerechnet er brachte sich und seine Mannschaft um den allergrößten Lohn. Ein einziger Fehler, sein Fehler. Solch quälende, erbarmungslose Gedanken müssen dem Torwart durch den Kopf gegangen sein, und irgendwie musste die Enttäuschung, die stille Verzweiflung raus. Kahn nahm seine Trinkflasche und warf das gelbe Ding ins Netz. Dann sackte er kurz in sich zusammen und suchte Halt am Torpfosten, innerlich scheinbar vollkommen leer. Und dann kamen sie, die Mitspieler, die selbst Trost gebrauchen konnten, ihn aber zuerst dem Kapitän spendeten."

Roland Zorn ("FAZ") zieht Bilanz. "Will Europa bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wieder die gewohnte Hauptrolle spielen, müssen dessen Protagonisten die Zeit bekommen, sich auf ihren großen Auftritt vorzubereiten. In Korea und Japan erreichten die Terminabreißer aus Frankreich, Argentinien oder Italien mit ihrer hopplahopp vorbereiteten Tournee rasch die Endstation. Nur wer sich wie die Koreaner, Japaner und Amerikaner lange auf den Höhepunkt des Fußballjahrs einstimmen konnte, durfte länger bleiben. Nach 31 manchmal endlos anmutenden Turniertagen triumphierte die Selbstregulierungskraft des neuen Marktes über die Selbstüberschätzung der alten Weltmarktführer. Wer seine Hausaufgaben nicht lösen konnte oder wollte, wurde zum Sitzenbleiber der Weltmeisterschaft. Eine harte Lehre für das von den Folgen der sportlichen Globalisierung eingeholte Establishment und ein ermutigender Hinweis für die aufstrebenden Nachrücker im Weltfußball."

"Ein traumhaftes Fundament"


Den öffentlichen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft kommentiert Ralf Wiegand ("SZ"). "Dass mit einem einfachen, überzeugten Wir-Gefühl eine Krise überwunden werden kann, die als existenziell galt, ist kein schlechtes Signal in einem Land, in dem an Krisen kein Mangel herrscht. Völler würde, hätte er Einfluss auf die Bildungspolitik oder den Arbeitsmarkt, höchstwahrscheinlich nichts zum Besseren wenden können. Aber seine aus der Not geborene Bereitschaft, jungen Spielern Verantwortung zu übertragen und die Älteren dazu anzustiften, ihre eigenen Nachfolger zu unterstützen und nicht zu bekämpfen (was in einem Platzhirsch-Sport wie Fußball ein natürlicher Reflex ist), ist ein hübsches Anschauungsbeispiel für eine Gesellschaft der spitzen Ellenbogen und gewohnheitsmäßigen Hierarchien. Die Gruppe kann stärker sein als die Summe der Individuen - wenn sie als Gruppe auftritt (...) Der Fußball in Deutschland hat damit für die kommenden vier Jahre ein traumhaftes Fundament. Es wäre eine herkulische Aufgabe gewesen, bei der WM 2006 im eigenen Land gleichzeitig das Image Deutschlands als eine weltoffene, freundliche und heitere Nation kreieren zu wollen und gleichzeitig verbissen einem sportlichen Erfolg nachrennen zu müssen, den sie dann 16 Jahre nicht gehabt hätte."

"indirekter-freistoss" ist die tägliche Fußball-Presseschau des Zentrums für Medien und Interaktivität (ZMI) der Justus-Liebig-Universität Gießen. Unter der Leitung von Redakteur Oli Fritsch sucht ein Team aus jungen Wissenschaftlern in Tageszeitungen nach Neuigkeiten aus der Welt des Fußballs. Die Homepage bietet dem Fußballfreund aktuelle Hintergrundinformationen, zudem Buchtipps und einen täglichen Newsletter
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01.07.02 12:20
maxperforma.:

lohnt sich gell o.T.

 
01.07.02 12:46
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