Neue Welle von Gewinnwarnungen droht
Von Tobias Moerschen, Handelsblatt
Vor der Quartalsberichtssaison senken viele US-Konzerne ihre Gewinnausblicke. In dieser und in der nächsten Woche erwarten Experten von den Unternehmen noch so manche böse Überraschung.
NEW YORK. Andrew Lapthorne, Leiter der Abteilung quantitative Analyse bei Dresdner Kleinwort Wasserstein spricht aus, was viele Marktteilnehmer über die derzeitige Korrelation von Unternehmensdaten und Aktienkursen denken: „Ich überfliege die Gewinnschätzungen nur, der Markt ignoriert das sowieso.“
Momentan reagieren die Finanzmärkte vor allem auf die Frontnachrichten aus dem Irak. Doch ein genauerer Blick auf die Fundamentaldaten lohnt. Denn in den USA läuft die Vorberichtssaison an. Darin geben die Unternehmen erste Hinweise auf das laufende Geschäft. Und hier droht manch böse Überraschung. „Die Ausblicke sind so negativ wie seit fünf Quartalen nicht mehr“, sagt Chuck Hill, Researchdirektor des Finanzdatenanbieters Thomson First Call.
Bei den Firmen im S&P 500-Index überwiegen negative Vorberichte die positiven Äußerungen im Verhältnis von 2,9 zu 1. Das heißt, fast drei Unternehmen senken ihre Prognosen für jeden Konzern, der sich optimistisch äußert. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2002 war das Verhältnis 1,7.
„Wir stehen womöglich erst am Anfang einer neuen Welle von Warnungen bekannter Konzerne“, sagt Hill. Erfahrungsgemäß korrigieren die Unternehmen ihre Ausblicke kurz vor Bekanntgabe der Quartalszahlen. Sie wollen so böse Überraschungen bei Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses vermeiden.
Laut Hill dürfte sich der Trend verstärken, je näher die Quartalsberichte rücken. In dieser und nächster Woche erreicht die US-Vorberichtssaison ihren Höhepunkt. Die endgültigen Zahlen folgen ab dem 14. April. Bislang gab es 218 Vorberichte von Unternehmen im S&P 500-Index. Davon fielen 117 negativ aus, 60 neutral, 41 positiv.
Kurzfristig treiben viele Faktoren die Kurse, wie der Krieg im Irak, die Debatten im UNO-Sicherheitsrat und die Lage in Nordkorea. Aber letztlich beruhen die Aktienkurse auf den Unternehmensgewinnen. Die Berichtssaison könnte nun den Blick der Investoren wieder stärker auf die fundamentalen Daten lenken. „Die Gewinnschätzungen der Analysten für das Gesamtjahr sind geradezu lächerlich überhöht“, sagt Andrew Lapthorne, Leiter der Abteilung quantative Analyse bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. Für die USA erwarten die Bankexperten ein Gewinnplus von 16 % in 2003.
Daran glauben heute allerdings selbst Optimisten nicht mehr. Abhijit Chakrabortti, Chefstratege der Investmentbank JP-Morgan, hat etwa seine Prognose auf ein Plus von 8,5 % gesenkt. Zudem reagieren die Analysten oft erst zeitverzögert auf Warnungen von Unternehmen. Daher könnten die jüngsten negativen Ausblicke zu niedrigeren Prognosen führen.
Seit Jahresbeginn verzeichnet nur eine Branche sprudelnde Gewinne – die Energiebranche. Das Gewinnwachstum in diesem Quartal kommt fast ausschließlich von diesen Unternehmen. Die Förderfirmen profitieren kräftig von steigenden Öl- und Gaspreisen, trotz des jüngsten Rückgangs: Analysten erwarten einen Ertragssprung um 167 % im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr.
Dem Rest der US-Wirtschaft geht es weitaus schlechter. Das gilt besonders für konjunktursensible Konsumbereiche wie Einzelhandel, Zeitungen und Touristik.
Negative Ausblicke kamen zuletzt vom Handelskonzern Sears Roebuck, den Hotelketten Marriott International und Hilton sowie vom Medienkonzern Dow Jones.
Optimistisch äußerten sich dagegen der Haushaltsgeräte-Hersteller Whirlpool und der Einzelhändler Best Buy. Im Schnitt überwogen gestern die negativen Meldungen im Verhältnis 3,2 zu 1 im Sektor zyklischer Konsum. „Die Warnungen im Konsumbereich sind alarmierend“, sagt Thomson-Direktor Hill. „Denn die Verbraucherausgaben müssten die US-Konjunktur noch mindestens einige Monate tragen, bis die Unternehmensinvestitionen wieder anspringen.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 26. März 2003, 09:35 Uhr