Text zum Nachdenken :
Die Hausse ist zu Ende
Von Andreas Hoose
Waehrend der Himmel ueber den Boersen vor kurzem noch
strahlend blau war, sind zuletzt dunkle Gewitterwolken
aufgezogen. Alle wichtigen Aktienindizes haben ihre
seit Maerz 2003 bestehenden Aufwaertstrends gebrochen
und notieren deutlich unter ihren Jahresanfangsstaenden.
Was viele schon nicht mehr fuer moeglich gehalten hatten,
koennte daher jetzt wieder anstehen: Fallende Aktien-
kurse. Einiges spricht dafuer, dass eine laengerfristige
Trendwende eingeleitet wurde.
Angesichts schwacher Wirtschaftsdaten, vor allem der
Arbeitsmarkt in den USA kommt nicht auf die Beine, steht
Fed-Chef Alan Greenspan vor einem Dilemma: Senkt er
die Zinsen, signalisiert er damit, dass die Wirtschaft
weniger robust ist als gemeinhin angenommen. Hebt er
sie an, gibt er den Boersianern zu verstehen, dass sich
inflationaere Tendenzen abzeichnen. In beiden Faellen
waere die monatelange Kletterpartie an den Aktienmaerkten
Geschichte. Greenspan kann also nur eines tun: Nichts.
Dann werden die Maerkte ihre Richtung ganz von alleine
finden. Der US-Halbleiter-Index, traditionell ein brauchbarer
Fruehindikator fuer den Gesamtmarkt, hat sich bereits
entschieden und den Weg abwaerts in Richtung 200-Tage-Linie
eingeschlagen. Am Freitag vergangener Woche ist er dort
angekommen.
Fuer die anderen wichtigen US-Indizes sieht es ebenfalls
nicht gut aus. Zu denken geben die vergangenen Handelstage:
Nach einer ganzen Reihe aeusserst schwacher Vorstellungen,
konnte sich der Dow Jones waehrend der vergangenen Woche
nicht mehr entscheidend nach oben absetzen. Vor
allem aber: Die Umsaetze waren zuletzt an Tagen mit
fallenden Kursen deutlich hoeher als an Tagen mit
steigenden Notierungen. Kein gutes Zeichen.
Die juengste Schwaeche des Weltleitindex verwundert insofern,
als nach der juengsten Talfahrt von mehr als fuenf Prozent
in Erwartung einer baldigen Fortsetzung der Kletterpartie
eigentlich mit einer rasanten Gegenbewegung zu rechnen war.
Doch davon war nichts zu spueren.
Bezeichnend ist, wie jetzt die einschlaegigen Boersenmedien
die Lage kommentieren. Sichtlich beeindruckt von der
duerftigen Erholung Mitte vergangener Woche verkuendete
beispielsweise der Moderator beim Boersensender n-tv, dass
der "Markt endlich wieder bereinigt" sei, besonnene Anleger
sollten jetzt zugreifen.
Nach einer eindeutigen Top-Bildung wie sie waehrend der
vergangenen Monate zu beobachten war, und dem jetzt
erfolgten deutlichen Rueckschlag, erzeugen solche Aussagen
eine gefaehrliche Stimmung von "es ist ja gar nichts
passiert, und: alles wird gut".
Doch Vorsicht: Nach dem fulminanten Anstieg hat sich
betraechtliches Korrekturpotential aufgebaut. Und was wir
an dieser Stelle immer wieder betont hatten, koennte jetzt
eintreten: Ein dickes Cash-Polster duerfte in den
kommenden Monaten sehr komfortabel sein.
Nachdem die Kurse abgetaucht waren, suchten die Kommentatoren
eilig nach Erklaerungen. Die Anschlaege in Madrid haetten
die Kurse auf Talfahrt geschickt, hiess es. Die Wahrheit
sieht anders aus: Die Korrektur war seit Monaten ueberfaellig;
was jetzt als vermeintliche Ursachen verkauft wird, ist
nur der Tropfen, der das Fass zum Ueberlaufen brachte.
Die Stimmungslage unter den Anlegern muss man als Anti-
zykliker zumindest als heikel einstufen: Eine Umfrage
der Yale School of Management hat kuerzlich ergeben, dass
95 Prozent der Privatanleger in den USA fuer das laufende
Jahr mit steigenden Kursen rechnen. Die Profis stehen
dem nur unwesentlich nach: Unter den Vermoegensverwalten
waren zuletzt 92 Prozent Optimisten zu verzeichnen.
Investment-Legende Warren Buffett gehoert nachweislich
nicht dazu. Wiederholt hat das "Orakel von Omaha" geklagt,
es gebe derzeit "kaum noch guenstige Investitionschancen".
Mit Besorgnis haben einige Marktbeobachter registriert,
dass Buffett derzeit so hohe Cash-Reserven haelt, wie
zuletzt kurz vor dem Einbruch der Aktienmaerkte im Fruehjahr
des Jahres 2000.
Die Bargeldbestaende von Berkshire-Hathaway belaufen
sich aktuell auf 36 Milliarden US-Dollar. Das entspricht
in etwa einem Jahresetat des Freistaates Bayern. Es sei
richtig, so Buffett, dass dieses Kapital derzeit
"unterbeschaeftigt" sei - dies sei aber immer noch besser,
als toerichte Dinge damit anzustellen.
Wie immer ein wahres Wort.
Wer jetzt glaubt, Kaufkurse zu sehen, der sollte bedenken,
dass ein nachhaltiger Einbruch kaum zu einem "unpassenderen"
Moment kommen koennte: Nach einem Jahr Hausse haben sich
die meisten Anleger laengst wieder an steigende Kurse
gewoehnt. Die Cash-Reserven der institutionellen Anleger
sind niedrig wie selten, die Verschuldung der Unternehmen
und privaten Haushalte in den USA hat ein Rekordniveau
erreicht und schliesslich: Im Vorfeld der Praesidentschafts-
wahlen in den USA hat praktisch niemand eine ausgedehnte
Korrektur auf der Rechnung. Und da an der Boerse meistens
genau das passiert, womit niemand rechnet, sollte man
jetzt besonders auf der Hut sein.