Jürgen Möllemanns angeblicher Erfolg als Arabien-Unternehmer ist eine Luftnummer. Real hingegen: eine anrüchige Geschäftsbeziehung nach Düsseldorf. Harald Schumacher/Hans Jakob Ginsburg/DÜSSSELDORF. Die Düsseldorfer Achenbachstraße ist eine gute Adresse mit Villen und soliden Stadthäusern. Die Nummer 56 allerdings fällt deutlich aus der Reihe: lehmbraune Fassade, ungepflegter Vorgarten. Die Wohnungen, so berichten Mieter, befinden sich in sanierungsbedürftigem Zustand. Auch der Eingangsbereich wirkt vernachlässigt. Über einen der abgegriffenen Briefkästen hat jemand – wohl als Orientierungshilfe für den Briefträger – mit Kugelschreiber in Versalien „MOELMANN“ ins grau lackierte Holz geritzt.
Die Schreibweise stimmt nicht ganz. Hier residiert die Firma WebTec des Geschäftsmanns Jürgen Möllemann, der bis Anfang dieser Woche stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP war und – zumindest bis zum außerordentlichen Landesparteitag am 7. Oktober – NRW-Landesvorsitzender ist. Dank WebTec sei er „wirtschaftliche von der Politik völlig unabhängig“ und müsse „auf niemanden Rücksicht nehmen“, prahlte der liberale Luftikus in „Bild“: „Es läuft glänzend, ich könnte mich mit meiner Firma dumm und dusselig verdienen.“ WebTec bringe ihm mehr ein „als der Bundeskanzler verdient“. Das wäre im Jahr gut 300 000 Euro – ungefähr so viel, wie ihn das umstrittene Faltblatt kostete, das nun möglicherweise sein politisches Ende einleitete.
Doch was macht Möllemanns Firma? Ein Viertel seiner Geschäfte wickele er mit arabischen Ländern ab, erzählt der 57-Jährige, ein weiteres Viertel mit angrenzenden Staaten wie Iran, Kasachstan, Pakistan und Turkmenistan. Möllemann pflegt sein Image als Jürgen von Arabien seit langem. Dass der liberale Luftikus beste Beziehungen zu Ölscheichs pflegt, hat ihm die Öffentlichkeit ja stets abgekauft. Möllemann war in den Achtzigerjahren Staatsminister im Auswärtigen Amt, pflegte als „Minenhund“ des Chefdiplomaten Hans-Dietrich Genscher den brisanten Kontakt mit der arabischen Welt und ließ sich mit dem im Westen verfemten Jassir Arafat ablichten. Als Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler kultivierte der gelernte Volksschullehrer weiter seinen Ruf als Nahostexperte.
Israel-Angriff aus wirtschaftlichem Interesse?
Nachdem er 1993 sein Amt verlor und die „Wirtschafts- und Exportberatung Jürgen Möllemann Trade and Export Consult (WebTec)“ gründete, erschien es selbstverständlich, dass er groß im Geschäft sei als Vermittler zwischen deutschen Unternehmen und islamischen Ländern. Selbst seine Gegner glauben das: So argwöhnte Außenminister Joschka Fischer im Frühjahr, Möllemann verfolge mit den Attacken gegen Israel und den Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedmann, wirtschaftliche Interessen im Orient.
Was aber wirklich passiert hinter den oft heruntergelassenen Rollläden des 125-Quadratmeter-Büros in Düsseldorf, bleibt schleierhaft. Die wenigen konkreten Angaben, die Möllemann dazu macht, halten einer Überprüfung nicht Stand.
So protzt Möllemann, er kassiere „manche Provision im siebenstelligen Bereich“. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform aber weist für WebTec unter der Registriernummer 505.0270568 selbst aufs Jahr gerechnet niedrigere Zahlen aus: 325000 Euro Umsatz für 1998, 250000 Euro für 2001, ähnliche Summen für die Jahre dazwischen. Mit Millionenprovisionen passen sechsstellige Umsätze schlecht zusammen. Die Zahlen von Creditreform seien „frei erfunden und falsch“, entgegnet Möllemann. Die richtigen will er nicht nennen. Creditreform hält dagegen: die Angaben stammten „vom Unternehmen selber“.
Er habe „drei feste und drei freie“ Mitarbeiter, behauptet Möllemann weiter, ein Araber sei darunter, dessen weitere Identität Geschäftsgeheimnis ist, ein ehemaliger deutscher Botschafter auch, von dem in der überschaubaren Gemeinde der Altdiplomaten allerdings keiner etwas weiß. Creditreform zählt hingegen eine einzige Angestellte bei WebTec.
Je näher man hinschaut, desto abstruser wirkt Möllemanns Story. Die Nachbarn in der Achenbachstraße sehen außer der Sek-retärin und dem Politiker („der grüßt nicht“) so gut wie nie jemanden ein- und ausgehen – auch keine Besucher. Seine Klienten, erklärt Möllemann dazu, „haben es nicht gerne“, wenn man sie sieht. Er fahre mit ihnen in die Tiefgarage und führe sie von dort aus ins Büro. Wenn das stimmt, muss es sich um Geschäftsleute der hartgesottenen Art handeln, jedenfalls nicht um anspruchsvolle Araber: Der Weg von der Tiefgarage ins Erdgeschoss führt vorbei an herumliegendem Müll und Altreifen, an toten Topfblumen, einem stillgelegten Auto mit fingerdicker Staubschicht und einem finsteren Kellerverschlag mit Lattentür.
An Sorgfalt fehlt es auch im Unternehmen. Über das Ausscheiden seines Prokuristen Klaus Geerdts 1999 hat Möllemann das Amtsgericht trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht informiert. Ein Handelsregisterauszug über WebTec (Nummer HRA 12016) vom Sommer 2002 gibt Verhältnisse wieder, die seit drei Jahren überholt sind. Auch auf dem Briefkasten im Treppenhaus klebt noch neben dem WebTec-Schild der Name Geerdts.
So tun sich Welten auf zwischen der Selbstdarstellung des Nahostunternehmers und seiner bescheidenen Wirklichkeit. Zwar haben Geschäftsleute aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, die in Deutschland Handel treiben, fast alle von dem Politiker Möllemann gehört, der mit kurzer Unterbrechung seit 20 Jahren der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) vorsteht. Aber der Geschäftsmann Möllemann? Fehlanzeige. Ein Araber aus hocharistokratischer Familie, der für sein Land in der Außenwirtschaft tätig ist: „Solche Mittelsmänner haben mit meinem Vater früher viel Geld verdient. Aber wenn ich heute in Deutschland etwas einkaufen will, gehe ich gleich zum Hersteller.“Der romantisch-schmierige Charakter des Orienthandels alter Art ist weit gehend passé. „Bei den verbleibenden Besonderheiten im Arabien-geschäft“, sagt auch Abdulaziz Al-Mikhlafi, Generalsekretär der Ghorfa Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie, „geht es nicht um Beziehungen.“
Tragik des Unternehmers Möllemann
Das ist die Tragik des Unternehmers Möllemann: Als junger Mann bereiste er einen vormodernen Orient, wo manches europäische Schlitzohr als Vermittler zu Geld kam. Als Juniorminister durfte Möllemann da nicht mitmachen. Als er Anfang der Neunzigerjahre dann einstieg, hatten sich die Regeln geändert. Die große Unternehmensberatung wurde zur Fata Morgana.
Auch seine DAG leistet eher symbolische Dienste für den Wirtschaftsaustausch mit den Ländern unter dem Halbmond. Sie fungiert vor allem als Sprachrohr arabischer Positionen in der deutschen Nahostdebatte. Präsident Möllemann nutzt den 1000-Mitglieder-Verein, in dem keiner was zu sagen hat außer ihm selber, als Plattform für politische Statements. Dann und wann organisiert die DAG Unternehmerreisen in den Orient, meist mit honorigen Reiseleitern wie dem Journalisten Peter Scholl-Latour. Doch der ökonomische Nutzen der Besichtigungen von Kulturdenkmälern und der Politikertreffen ist gering. Ein Teilnehmer einer DAG-Reise nach Libyen im Jahr 2000 war enttäuscht, dass an den Terminen „nur wenige private Geschäftsleute teilnahmen“. Zur arabischen Wirtschaftselite von heute fehlt Möllemann offenbar der Draht.
Selbst bei Geheimdienstleuten, die sonst jeden Waschmaschinenexport nach Syrien registrieren, sind die WebTec-Dossiers leer. Pipelines, Flughäfen, Aufzüge: Egal, in welcher Branche und in welcher Region man recherchiert – den jeweiligen Insidern ist WebTec unbekannt. Möllemann nennt aus neun Jahren angeblich erfolgreicher Arbeit keinen einzigen Geschäftspartner: „Meine Kunden schätzen das nicht.“
Diskretion? Oder Geheimnistuerei mangels Masse? Letzteres glauben selbst Weggefährten des umstrittenen FDP-Politikers. Ein Unternehmer, der Möllemann seit zehn Jahren kennt und mit ihm in einem politischen Gremium sitzt, sagt: „Möllemann spielt nur Unternehmer. Jeder, der sich auskennt, lacht darüber.“ Möllemann wäre demnach in der Weise Unternehmer wie Karl May der Wüstenheld Kara ben Nemsi war: ein Hochstapler mit erzählerischem Talent. Doch wozu der Bluff?
Als er WebTec gründete, bekennt Möllemann, steckte er in einem „tiefen Loch“. Als Wirtschaftsminister war er zurückgetreten, weil er auf dem Briefpapier seines Ressorts eine Empfehlung für einen Verwandten unterschrieben hatte, der Einkaufswagenchips verkaufte. Mit der Selbstständigkeit rettete er sich aus der Psychokrise in einen alten Traum. Schon in den Achtzigerjahren hatte sich Möllemann als Zeitschriftenverleger („Twen“) versucht und war Mitinhaber einer PR-Agentur. 200000 Mark inklusive der Übergangsgelder steckte er angeblich in WebTec. Arabienkontakte waren scheinbar sein Kapital; mit Klaus Geerdts, früher Militärattaché an deutschen Botschaften in Nahost, hatte er einen kundigen Partner.
Nicht auszuschließen, dass damals die Geschäfte gut anliefen. Doch spätestens in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre wich die Substanz der Fantasie. Geerdts schied aus. Möllemann wurde wieder, zuerst in NRW, später auch in der Bundespartei, zum Motor der FDP. Seitdem garantieren ihm Pensionen und Diäten ein Monatseinkommen von rund 22 000 Euro aus öffentlichen Kassen. Angewiesen ist Möllemann auf unternehmerische Einkünfte also nicht.
„Mauer des Schweigens“
Dass er WebTec trotz flauer Geschäfte bestehen lässt, beflügelt die Fantasie der Beobachter. Möllemann ziehe um seine Geschäfte eine „Mauer des Schweigens“, stellt die Düsseldorfer „Rheinische Post“ fest. Und der „Spiegel“ findet WebTec undurchdringlich „wie eine Black Box“. Nordrhein-Westfalens FDP-Schatzmeister Andreas Reichel behauptet, sein Spezi Möllemann habe „einige Jahre sehr gut verdient, unter anderem in den Bereichen Logist, Bau und Energie bei Projekten in Russland und einer Finanzierungsberatung im Ruhrgebiet“. Klingt alles bombastisch, ist aber nicht nachprüfbar.
Wenn WebTec mehr als ein Potem-kin'sches Dorf sein sollte, dann könnte das an einem dubios anmutenden Geschäftsmann liegen, mit dem Möllemann enge Beziehungen pflegt: dem Düsseldorfer Kaufmann Rolf Wegener, der als Wohnsitz Monte Carlo angibt. Wegener vermietet in der Landeshauptstadt rund ein Dutzend einfacher Häuser. Zurzeit muss er sich gegen Vorwürfe eines Mitarbeiters aus Afrika wehren, den er neun Jahre lang für ein Taschengeld als Hausdiener beschäftigt haben soll. Der Düsseldorfer „Express“ betitelte den Fall: „Millionär hielt mich als Sklave“.
Wegener kassierte als Treuhänder einer panamaischen Briefkastenfirma 8,93 Millionen Mark, als Thyssen-Henschel 1991 drei Dutzend Fuchs-Spürpanzer nach Saudi-Arabien lieferte – ein Geschäft, das der gerade ernannte Bundeswirtschaftsminister Möllemann sehr unterstützte. 1996 spendete Wegener der NRW-FDP 300 000 Mark. Das vermutete Koppelgeschäft dahinter konnte aber nie nachgewiesen werden.
Möllemann hätte also Grund, zu diesem Businessman Abstand zu halten. Aber ihre Beziehungen scheinen enger denn je. Möllemann ist mit WebTec Wegeners Mieter – denn dem gehört das Haus Achenbachstraße 56. Beide betreiben das kleine Flugunternehmen MS Air in Münster, das Fallschirmspringer absetzt. Auch beim FC Schalke 04, wo Möllemann seit 1992 Aufsichtsrat ist, ist Wegener im Geschäft. Ein Aufsichtsratsmitglied bestätigte der WirtschaftsWoche, dass Möllemann seinen Freund dem Bundesligisten 1996 ans Herz legte: Wegener könne mithilfe einer saudischen Bank die Finanzierung der damals erst geplanten Schalke-Arena organisieren. Den Aufsichtsräten des Fußballclubs war die Möllemann-Monte-Carlo-Riad-Connection aber nicht geheuer.
Dennoch kam Wegener, so recherchierte die „Süddeutsche Zeitung“, mit Schalke ins Geschäft. Zu Wegeners diskreten Tätigkeiten gehört nämlich, obwohl er keine Lizenz als Spielervermittler besitzt, die Vermittlung afrikanischer Fußballer. 2001 sorgte er dafür, dass der Nigerianer Victor Agali von Rostock zu Schalke wechselte. Die Transfersumme betrug rund acht Millionen Mark, die Provision 250000 bis 500000 Mark. Den Gedanken, dabei habe er mitverdient, weist Möllemann von sich: „Ich bin doch kein Wahnsinniger.“ Ehrenämter und Geschäft verknüpfe er nicht miteinander.
Auch den Verdacht, Wegener habe die Kosten für Druck, Papier und Vertrieb jenes Faltblattes getragen, mit dem Möllemann erneut Scharon und Friedmann angriff und sich ins politische Abseits brachte, bestreitet der Politiker. Wer den Flyer finanziert hat, will er aber – wie gehabt – nicht sagen.