Drei Jahre lang haben die Prognostiker den Deutschen fast unisono konjunkturelle Besserung versprochen. Vergebens. Das Ergebnis für 2003 lautet Stagnation. Jetzt herrscht Vorsicht. Von einem Aufschwung 2004 will niemand mehr reden - als könne die nächste Enttäuschung bald folgen.
Nach all den Fehldiagnosen ist diese Sorge nachvollziehbar, nur drohen die Auguren jetzt erneut danebenzuliegen - diesmal in umgekehrter Richtung. Am Ende könnte sich zeigen, dass ein Phänomen unterschätzt worden ist: wie tiefgreifend sich ein gut Teil jener globalen Schocks und Krisenfaktoren zum Positiven gewandelt hat, die für die Flaute seit 2001 verantwortlich waren. Das macht auch für Deutschland einen großen Unterschied.
Schwindende Krisenfaktoren
Beeindruckende Höhenflüge nach tiefer Krise
Was die Prognostiker lähmt, ist vor allem die Erfahrung des Frühjahrs 2002, als schon einmal fast alle Frühindikatoren nach oben schossen, der beginnende Aufschwung dann aber kippte und die nächste Rezession folgte.
Die Gründe dafür lassen sich im Nachhinein ausmachen: Damals verbreitete sich plötzlich die Angst vor einem Irak-Krieg und neuem Terror, und der Ölpreis schnellte um 80 Prozent hoch. In den USA spitzten sich die Bilanzskandale zu, worauf die ohnehin vom IT-Debakel geschwächten Aktienmärkte im April ihren eigentlichen Absturz erlebten. Der US-Index Dow Jones, der zuvor um 10.000 Punkte pendelte, fiel auf 7500, der Dax noch stärker. Zudem begann der Dollar-Sturz, was den Euro binnen weniger Monate um 15 Prozent verteuerte. In Deutschland kam hinzu, dass sich die Pantoffelökonomen der Regierung in den absurden Versuch hineinsteigerten, die Staatsfinanzen zu sanieren, indem Steuerreformen verschoben und alle möglichen Abgaben stark erhöht wurden. Das hält selbst der tapferste Aufschwung nicht aus.
Von alledem hat sich bis heute nur das Dollar-Problem verschärft. Beim Rest fällt der Vergleich positiv aus. Der Ölpreis hat sich zwischen 25 und 30 $ je Barrel stabilisiert und wird laut Experten künftig eher fallen als steigen. Der Dow Jones liegt wieder bei 10.000, der Dax ist um 80 Prozent gestiegen. Vorbei sind die Kriegssorgen, und Firmen wie Börsianer scheinen sich an Terror und Bilanzskandale gewöhnt zu haben. Die immer neuen Anschläge lösen anders als direkt nach dem 11. September kaum noch Börsenpanik aus.
Zinsen liegen heute niedriger
Verglichen mit 2002 liegen die Zinsen heute weltweit niedriger. In den USA fielen die Sätze auf Dreimonatsgeld um die Hälfte, im Euro-Raum von 3,5 auf gut zwei Prozent. Auch finanzpolitisch gilt Positives: In den USA wirken seit Sommer 2003 enorme Steuersenkungen. Mit dem Stabilitätspakt fiel auch Europas Dogma vom sinnlosen Hauruck-Konsolidieren. In Deutschland werden jetzt Steuerreformen vorgezogen und Lohnnebenkosten gesenkt statt erhöht - ein gewichtiger Unterschied. Dazu kommt, dass Anfang 2004 selbst jene Länder wieder wachsen, die 2002 noch kriselten; etwa Japan, Argentinien und Brasilien.
Der größte Vorteil gegenüber dem abgebrochenen Aufschwung 2002 dürfte ohnehin in einem subtiler wirkenden Phänomen liegen: Die Wirtschaftswelt ist langsam, aber stetig dabei vorangekommen, die Börsen- und IT-Exzesse der New Economy zu verarbeiten. Eine beeindruckende Rückkehr legen seit Monaten die IT-Branchen hin. Seit dem Tief Anfang 2002 stiegen die globalen Halbleiter-Verkäufe um die Hälfte. Zuletzt lagen sie nur noch knapp 14 Prozent unter dem Rekord von 2000. In den USA wächst die Produktion der Hightech-Industrien mit 25 Prozent.
Besserung meldet auch der Rest der Wirtschaft. Laut Europäischer Zentralbank entspannt sich die Lage der Banken, die laut Umfragen wieder großzügiger bei der Vergabe von Krediten sind. Die US-Firmen haben auf die Krise mit rasanter Anpassung ihrer Investitionsbudgets sowie Stellenabbau reagiert. Ergebnis: Die Gewinne lagen im vergangenen Sommer fast 15 Prozent über Vorjahr - jetzt werden auch Investitionen wieder hochgefahren. Die Selbstfinanzierungsquote in der US-Privatwirtschaft ist nach atemberaubendem Absturz wieder auf Niveaus geklettert, wie sie Mitte der 90er Jahre gang und gäbe waren.
Wetten auf neue Prognosenrevisionen
In der Summe könnten die vielen graduellen Fortschritte ein ganz neues Bild ergeben. Drei Jahre lang haben sich die Krisenfaktoren gegenseitig verstärkt: IT-Flops lösten Aktiencrashs aus, was die Bilanzen der Banken belastete und zu restriktiverer Kreditvergabe führte - mit Folgen für Firmen und Verbraucher. Jetzt wirkt das Ganze umgekehrt, wodurch verbleibende Probleme wie etwa hohe Altschulden ertragbarer werden.
Das könnte zumindest erklären, warum so viele konjunkturelle Frühindikatoren bislang so unbeeindruckt vom Devisenchaos hochschnellen. Die US-Einkaufsmanager werten ihre Geschäfte so gut wie seit New-Economy-Zeiten nicht mehr, und das deutsche Ifo-Geschäftsklima liegt so hoch wie Ende 2000.
Natürlich macht das nicht alle Risiken wett, ob am Devisenmarkt oder durch wankelmütige US-Verbraucher, die ihren Konsum einschränken könnten. Nach den ungewöhnlichen Turbulenzen der vergangenen Jahre scheint eines aber klar: Für die Weltwirtschaft stehen die Chancen auf Aufschwung so gut wie lange nicht. Und womöglich läge man auch ziemlich gut, wenn man darauf wetten würde, dass die Konjunkturprognosen 2004 noch korrigiert werden. Diesmal nach oben.
Ob die Dollar-Abwertung daran etwas ändert, wird Thema der Kolumne am kommenden Freitag sein, ebenso wie die Frage, ob die Deutschen vom globalen Aufschwung 2004 nicht auch stärker profitieren könnten, als es die miese Stimmung vermuten lässt.
Quelle: http://www.ftd.de/pw/in/1073492380327.html?nv=sky