Keynesianer stehen aus Ruinen auf

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boomer:

Keynesianer stehen aus Ruinen auf

 
07.10.01 12:43
06.10.2001  

Keynesianer stehen aus Ruinen auf  

   
John Maynard Keynes ist seit mehr als 50 Jahren tot. Oder vielleicht doch nicht? Seine Ideen jedenfalls leben weiter. In den vergangenen Tagen tauchen immer mehr Vorschläge auf, die Weltwirtschaft nach den schrecklichen Anschlägen in den USA durch Konjunkturprogramme zu stützen.  
 
Der amerikansiche Finanzminister Paul O' Neill arbeitet an einem Konjunktur-Programm, vorab hat US-Präsident George W. Bush schon mal eine Finanzspritze in Milliardenhöhe genehmigt. Der britische Finanzminister Gordon Brown will alles tun, um "die Bedingungen für Stabilität und Wachstum zu sichern". Frankreichs Regierungschef Lionel Jospin denkt über ein Notprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft nach. Bundeskanzler Gerhard Schröder schließt eine Beteiligung an international abgestimmten Konjunkturhilfen nicht mehr aus.

Nachfrageschub gleicht Konjunkturdelle aus

Sind plötzlich alle Finanzminister und Regierungschefs Keynesianer? In Keynes Theorie lassen sich Konjunkturdellen durch eine Steigerung der gesamtwirschaftlichen Nachfrage ausgleichen. Durch die richtige Steuerpolitik sollen die Haushalte mehr konsumieren und die Unternehmen mehr investieren. So weit, so gut.

Doch leider ist die Wirklichkeit nicht so einfach. Schon in den Jahren seiner Entwicklung - nach der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre - griff der Mechanismus nicht so richtig. Das letzte Beispiel in der Reihenfolge der Mißerfolge der Theorie sind die japanischen Ausgabenprogramme. Denn damit Konjunkturprogramme in schlechten Zeiten Erfolg haben, müssen die Staaten in guten Zeiten vorgesorgt haben. Die Nachfrageankurbelung muss aus dem Haushaltsüberschuss bezahlt werden. Über den verfügen aber nur wenige Staaten. Die USA sind einer davon.

Wirtschaftssteuerung faszininiert Politiker

Für Politiker aller Länder haben die Ideen dennoch ihre Faszination nicht verloren. Schließlich geben sie den Regierungsmitgliedern die Illusion nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern die Entwicklung der Wirtschaft gleich mit beeinflußen zu können. Das muß eine tolle Vorstellung sein, nachdem in den vergangenen Jahren die Politik gegenüber der Wirtschaft immer mehr an Einfluß verloren hat.

Doch das Gefühl sollte die Handlungen nicht bestimmen, das könnte der Weltwirtschaft auf Dauer mehr schaden als nutzen.  


© 2001 sharper.de
 
DarkKnight:

Der Grund, warum der Keynsianismus angeblich

 
07.10.01 12:49
nicht funktionierte, lag nicht am Modell, sondern in der falschen Anwendung: aber antizyklisches Verhalten liegt wohl nicht in der Mentalität von pluralistischen Gesellschaften.

Darüber hinaus ist das Revival von Keynes alles andere als überraschend: Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die sog. "Liquiditätsfalle", eine Situation, die sich heute offenbar wiederholt.

Ich muß boomer indirekt insofern Recht geben, als heute der falsche Zeitpunkt ist, Keynes hervorzuholen: es ist einfach zu spät, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen.
boomer:

für Nicht-Ökonomen: Keynesianismus

 
07.10.01 12:49
Keynes und Keynesianismus (gekürzte Fassung)

www.wiwi.uni-frankfurt.de/Professoren/...pol/projekt/pro36.htm
boomer:

Keynes und kein Ende?

 
07.10.01 13:04
Prof. Dr. Karl Georg Zinn, geb. 1939 in Kassel, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Frankfurt/M, Freiburg/Br. und Mainz, lehrt Volkswirtschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.



Neue Rezepte für alte Probleme - schlag nach bei Keynes

Umwälzende Wahrheiten beginnen als Ketzerei, aber daraus wird nicht selten eine neue Orthodoxie. Die ursprüngliche Wahrheit kann so weit verzerrt und verdreht werden, dass sie zur Unwahrheit pervertiert. Der Keynesianismus oder besser das, was landläufig unter "Keynesianismus" verstanden wird, ist solch eine verstümperte Version des Keynesschen Gesamtwerks. Obgleich Keynes der berühmteste Nationalökonom unseres Jahrhunderts ist, blieben wichtige Teile seiner Theorie bis heute fast unbekannt. Der Lehrbuch-Keynesianismus der Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftsexperten klammert gerade jenen Keynes aus, der sich mit der langfristigen Entwicklung des Kapitalismus befasste und die gegenwärtige Stagnation und Massenarbeitslosigkeit nicht nur vorhergesehen, sondern dafür auch problemgerechte wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen umrissen hatte.

(.....)

Prognosetüchtigkeit von Theorien als Qualitätsmerkmal

Wenn mehrere Theorien, die sich jeweils als die realitätsgerechte und wahrheitsnähere präsentieren, miteinander konkurrieren, so wird die Entscheidung für oder gegen eine Theorie in stärkstem Maße von den jeweiligen Interessen bestimmt. Der Mensch neigt jener Meinung zu, die der eigenen am nächsten kommt, was offekundig eine ideologisch bestimmte Selektion begünstigt. Doch bei konkurrierenden Theorien lässt sich durchaus eine wissenschaftlich fundierte Wahl treffen. Eine Theorie ist dann "besser", wenn sie erstens - im Unterschied zu anderen - reale Entwicklungen zu prognostizieren erlaubt und wenn zweitens die Prognosen von der Realität bestätigt werden.

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Keynes´ Langfristprognose von 1943: gegenwärtige Krise vorhergesagt

Die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit überraschte die meisten Politiker und Ökonomen und nicht minder die breitere Öffentlichkeit. Bisher fehlt allerdings noch die Einsicht in die eigentlichen Ursachen der Krise. Mangels zutreffender Diagnose gelingt auch die Therapie nicht. Das mussten die Angebotspolitiker feststellen, auch wenn sie ihren Schiffbruch nicht offen eingestehen. Die neue Regierung wird ebenfalls an der Massenarbeitslosigkeit scheitern, wenn sie es bei bloßer Nachfragerhetorik bewenden lässt und sich wie ihre Vorgänger doch wieder nur auf Innovationsbeschwörungen verlegt.

Die seit mehr als zwei Jahrzehnten anhaltende Krise wurde von Keynes recht prägnant prognostiziert. Mitten im Zweiten Weltkrieg - im Frühjahr 1943 - arbeiteten einige Wirtschaftswissenschafler im Auftrag der britischen Regierung an einem beschäftigungspolitischen Konzept für die Zeit nach Kriegsende. Um zu brauchbaren Handlungsempfehlungen zu gelangen, war eine Analyse der voraussichtlichen Wirtschaftsentwicklung unabdingbar. Keynes lieferte unter dem Titel "Das langfristige Problem der Vollbeschäftigung" eine Skizze der absehbaren Wirtschaftsentwicklung der Nachkriegsperiode.

(.....)

www.gmh.dgb.de/main/jahresin/1999/...probe_Zinn-02-99.html#top
boomer:

.. noch einfacher erklärt ...

 
07.10.01 14:14
Die Weltwirtschaftskrise 1929-32 war für Keynes Grund genug, dies in Zweifel zu ziehen und ein Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt festzustellen, während die anderen Märkte schon wieder dem Gleichgewicht nahe kamen. Er formulierte es als Aufgabe des Staates, die Konjunktur so zu beeinflussen, d.h. zu glätten, daß die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt minimiert werden. Daher nennt man dieses Konzept auch antizyklisch, gegen die Konjunkturschwankungen gerichtet. Als Mittel steht dem Staat die Beeinflussung der Nachfrageempfohlen (nachfrageorientierte Politik), entweder durch eine Veränderung der Staatsnachfrage selbst und/oder durch eine Einwirkung auf die Nachfrage der anderen Wirtschaftssubjekte über die Steuern.
Bei der Untersuchung der Auswirkungen der Staatsnachfrage auf die Gesamtwirtschaft kann man feststellen, daß durch eine multiplikative Verknüpfung von Einnahmen und Wiederausgaben insgesamt die Wirtschaftsleistung stärker steigt als der ursprüngliche Betrag der zusätzlichen Nachfrage durch den Staat. Man nennt diesen Effekt Multiplikatoreffekt. In der Realität wird diese Multiplikatorwirkung jedoch verhindert oder geschmälert, weil der Staat diese zusätzlichen Ausgaben durch ihrerseits nachfragedämpfende Steuern oder private Kapitalnachfrage verdrängende Kredite (Druck in Richtung Zinssteigerung) finanziert.

Als Ausgleich der durch die antizyklische Steuerung ausgefallenen Allokationseffekte des Konjunkturzyklus (z.B. "Nicht-Untergang" unrentabler Industrien) muß der Staat erneut eingreifen und erneut Strukturpolitik betreiben. Sowohl die Steuerung über die Nachfrage, die in wirtschaftlich guten Zeiten die Drosselung der Wirtschaft und die Bildung einer Rücklage für die Finanzierung der Nachfrage in schlechteren Zeiten verlangt hätte, als auch die Entscheidung über die Wirtschaftsstruktur durch den Staat (und nicht durch den Markt) gelten heute als problematisch und praktisch nicht gelungen.
www.wagner-berlin.de/am15.htm
DarkKnight:

nur ein kleiner Einspruch:

 
07.10.01 14:21
die Aussage "Als Ausgleich der durch die antizyklische Steuerung ausgefallenen Allokationseffekte des Konjunkturzyklus (z.B. "Nicht-Untergang" unrentabler Industrien) muß der Staat erneut eingreifen und erneut Strukturpolitik betreiben" ist zum einen reine Spekulation, zum anderen zeigen gerade die letzten zehn Jahre, daß der "Wegfall unrentabler Industrien" (z. B. hochwertige Textilien oder Keramik) zu Monopolisierung und Verringerung der Produktauswahl (Aldi) führen. Konsequent zu Ende gedacht, wird die angebotsorientierte Politik aus Renditeüberlegungen zu dem führen, was Mao mit Gewalt nicht schaffte: EIN Blaumann für ALLE als Einheitskleidung.

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