Auf der Suche nach unbeliebten Aktien mit großen Kurschancen
Kaufen, wenn alle den Daumen senken
Wer kennt das nicht: Sobald die Aktie im Depot liegt, beginnt der Kurs zu fallen. Dagegen legen viele Werte zu, wenn die Stimmung gegen sie spricht. Solch scheinbar unberechenbare Börsentrends sind aber zu durchschauen. Doch erfolgreich gegen den Rat der Mehrheit zu handeln, ist schwer.
ULF SOMMER
HANDELSBLATT, 11.9.2001
DÜSSELDORF. Erst werden die Aktien angepriesen, der Kurs jedoch fällt und fällt. Liegt der Wert am Boden, schwenken die Analysten um und raten zum Verkauf. Doch, wen wundert es, der Notierung verharrt auf niedrigem Niveau. Die Verkaufsempfehlungen mehren sich, und der Titel legt plötzlich zu. Nach und nach melden sich schließlich mutige Experten zu Wort und raten zum Einstieg.
„Dieses Verhalten ist eher die Regel, als die Ausnahme“, meint Felix Hüfner vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Ganz normal“, urteilt auch Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin. Frank und frei gesteht die Analystin, dass ihre Zunft eher häufig als selten Aktien zum falschen Zeitpunkt empfiehlt.
„Aufstehen kann nur, wer am Boden liegt“, erklärt die auf Psychologie und Börse spezialisierte Aktienmarktstrategin das Kontra-Modell. Wenn Anleger und Analysten eine Aktie verteufeln, hat die Mehrheit diese bereits verkauft. Der Druck ist raus. Kennzeichen einer solchen Phase ist, dass schlechte Nachrichten dem Kurs nichts mehr anhaben. Investoren nutzen neue Hiobsbotschaften sogar, um ihre Bestände aufzustocken. Genau jetzt ist der Zeitpunkt, wo die Kurschancen am größten sind. Eine positive Nachricht reicht, um den Wert nach oben zu treiben.
Beispiele für die kontraproduktive Wechselwirkung zwischen Analysten und Aktienkurse gibt es genug. Die Philip-Morris-Aktie kannte 1999 nur eine Richtung: nach unten. Der Kurs fiel bis auf 19,50 Euro – zu diesem Zeitpunkt zahlte das US-Unternehmen 10 % Dividende. Doch immer neue Raucherklagen schienen den Konzern in den Ruin zu treiben. Die Schadensersatzforderungen erreichten dreistellige Milliardenhöhe. Es gab zwar viele Urteile. Rechtskräftig ist bislang aber keines. Anleger und Analysten übersahen zudem, dass Philip Morris sehr viel Geld mit Produkten verdient, die nichts mit dem Glimmstengel gemein haben. Dennoch häuften sich die Verkaufsempfehlungen. Als schließlich mehr als 50 % der Investmenthäuser zum „Halten“ oder „Verkaufen“ rieten – der Durchschnitt für alle Aktien liegt bei über 80 % Kaufempfehlungen – stoppte der Kursverfall.
Im Tiefpunkt sind alle
Risiken einkalkuliert
Jetzt kam der Zeitpunkt, dass alle negativen Nachrichten bekannt waren. Wer jetzt noch investiert blieb, kalkulierte die Risiken ein. Wenige gute Nachrichten – konstante Gewinnentwicklung, hohe Dividendenrendite und geringer werdende Aussichten auf Erfolg der Klagen – reichten aus, damit sich der Kurs binnen eines Jahres verdreifachte. Prozentual die meisten Kaufempfehlungen gab es im April 2001, als 61 Euro zu Buche standen. Seitdem geht es leicht bergab.
Ähnlich ist die Entwicklung bei Daimler-Chrysler. Die Aktie boomte während der Fusion. Analysten wetteiferten darin, die angeblichen Vorzüge des Zusammenschlusses zu beschreiben. Verkaufsempfehlungen reduzierten sich auf weniger als 5 %. Doch der Kurs halbierte sich anschließend. Wie bei Philip Morris endete das Tal der Tränen, als die Mehrheit der Analysten den Sinn der Fusion in Frage stellte, Investitionen in die Chrysler-Sparte als Fass ohne Boden sah und den Stuttgartern auf Jahre hinaus Verluste vorhersagte.
Grund für die anschließende Kurssteigerung gegen den schwachen Gesamttrend seit Anfang 2001 ist, dass Investoren sich für die Aktie im Bewusstsein der schwierigen Lage beim Automobilkonzern entscheiden und an die Trendwende bei Chrysler glauben. Das heißt, wie bei Philip Morris sind alle Risiken bekannt – nicht aber die vielen Chancen, die mit der Umstrukturierung winken.
Die Suche nach künftigen „Kontra-Gewinnern“ ist schwer. Der Blick sollte nicht allein auf die Verkaufsempfehlungen der Banken und stark im Kurs gefallenen Aktien gerichtet sein. „Es macht keinen Sinn, nach Pleitegeiern zu suchen, die strukturell nichts zu bieten haben“, warnt Traud vor einem Investment in nur scheinbar billige Aktien. „Das Fundament muss in Ordnung sein. Mittelfristig soll erkennbar sein, dass sich bei dem Unternehmen strukturell etwas tut“, meint die Strategin.
Verkaufsempfehlung für
substanzstarke Werte rar
Verkaufsempfehlungen für substanzsstarke Unternehmen sind rar gesät. Vor allem für Telekomzulieferer wie Nokia, Netzwerkspezialisten wie Cisco und für Computerhersteller steigen die negativen Einschätzungen. So strafen Anleger Compaq und Hewlett-Packard heftig ab, weil die Konzerne fusionieren wollen. Analysten raten zum Verkauf, denn sie glauben nicht an die Synergieeffekte. „Die Chance ist groß, dass sich Werte aus dem Technologiebereich besser entwickeln werden als aus traditionellen Sektoren. Schließlich liebt im Moment niemand die Tech-Aktien“, meint Traud.
Experten wenden das Kontra-Indikator-Modell übrigens für die gesamte Börse an. Das heißt, je schlechter die Stimmung, desto größer sind die Kurschancen. „Im Moment ist die Stimmung sehr schlecht. Selten gab es so viele negativen Konjunkturnachrichten. Kaum jemand glaubt noch an die Aktie“, meint Hüfner. Daran gemessen steht den Börsen eine Rally bevor. Doch eine Unsicherheit bleibt: Niemand weiß, wie tief die Stimmung noch sinken wird.
HANDELSBLATT, Dienstag, 11. September 2001
Kaufen, wenn alle den Daumen senken
Wer kennt das nicht: Sobald die Aktie im Depot liegt, beginnt der Kurs zu fallen. Dagegen legen viele Werte zu, wenn die Stimmung gegen sie spricht. Solch scheinbar unberechenbare Börsentrends sind aber zu durchschauen. Doch erfolgreich gegen den Rat der Mehrheit zu handeln, ist schwer.
ULF SOMMER
HANDELSBLATT, 11.9.2001
DÜSSELDORF. Erst werden die Aktien angepriesen, der Kurs jedoch fällt und fällt. Liegt der Wert am Boden, schwenken die Analysten um und raten zum Verkauf. Doch, wen wundert es, der Notierung verharrt auf niedrigem Niveau. Die Verkaufsempfehlungen mehren sich, und der Titel legt plötzlich zu. Nach und nach melden sich schließlich mutige Experten zu Wort und raten zum Einstieg.
„Dieses Verhalten ist eher die Regel, als die Ausnahme“, meint Felix Hüfner vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Ganz normal“, urteilt auch Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin. Frank und frei gesteht die Analystin, dass ihre Zunft eher häufig als selten Aktien zum falschen Zeitpunkt empfiehlt.
„Aufstehen kann nur, wer am Boden liegt“, erklärt die auf Psychologie und Börse spezialisierte Aktienmarktstrategin das Kontra-Modell. Wenn Anleger und Analysten eine Aktie verteufeln, hat die Mehrheit diese bereits verkauft. Der Druck ist raus. Kennzeichen einer solchen Phase ist, dass schlechte Nachrichten dem Kurs nichts mehr anhaben. Investoren nutzen neue Hiobsbotschaften sogar, um ihre Bestände aufzustocken. Genau jetzt ist der Zeitpunkt, wo die Kurschancen am größten sind. Eine positive Nachricht reicht, um den Wert nach oben zu treiben.
Beispiele für die kontraproduktive Wechselwirkung zwischen Analysten und Aktienkurse gibt es genug. Die Philip-Morris-Aktie kannte 1999 nur eine Richtung: nach unten. Der Kurs fiel bis auf 19,50 Euro – zu diesem Zeitpunkt zahlte das US-Unternehmen 10 % Dividende. Doch immer neue Raucherklagen schienen den Konzern in den Ruin zu treiben. Die Schadensersatzforderungen erreichten dreistellige Milliardenhöhe. Es gab zwar viele Urteile. Rechtskräftig ist bislang aber keines. Anleger und Analysten übersahen zudem, dass Philip Morris sehr viel Geld mit Produkten verdient, die nichts mit dem Glimmstengel gemein haben. Dennoch häuften sich die Verkaufsempfehlungen. Als schließlich mehr als 50 % der Investmenthäuser zum „Halten“ oder „Verkaufen“ rieten – der Durchschnitt für alle Aktien liegt bei über 80 % Kaufempfehlungen – stoppte der Kursverfall.
Im Tiefpunkt sind alle
Risiken einkalkuliert
Jetzt kam der Zeitpunkt, dass alle negativen Nachrichten bekannt waren. Wer jetzt noch investiert blieb, kalkulierte die Risiken ein. Wenige gute Nachrichten – konstante Gewinnentwicklung, hohe Dividendenrendite und geringer werdende Aussichten auf Erfolg der Klagen – reichten aus, damit sich der Kurs binnen eines Jahres verdreifachte. Prozentual die meisten Kaufempfehlungen gab es im April 2001, als 61 Euro zu Buche standen. Seitdem geht es leicht bergab.
Ähnlich ist die Entwicklung bei Daimler-Chrysler. Die Aktie boomte während der Fusion. Analysten wetteiferten darin, die angeblichen Vorzüge des Zusammenschlusses zu beschreiben. Verkaufsempfehlungen reduzierten sich auf weniger als 5 %. Doch der Kurs halbierte sich anschließend. Wie bei Philip Morris endete das Tal der Tränen, als die Mehrheit der Analysten den Sinn der Fusion in Frage stellte, Investitionen in die Chrysler-Sparte als Fass ohne Boden sah und den Stuttgartern auf Jahre hinaus Verluste vorhersagte.
Grund für die anschließende Kurssteigerung gegen den schwachen Gesamttrend seit Anfang 2001 ist, dass Investoren sich für die Aktie im Bewusstsein der schwierigen Lage beim Automobilkonzern entscheiden und an die Trendwende bei Chrysler glauben. Das heißt, wie bei Philip Morris sind alle Risiken bekannt – nicht aber die vielen Chancen, die mit der Umstrukturierung winken.
Die Suche nach künftigen „Kontra-Gewinnern“ ist schwer. Der Blick sollte nicht allein auf die Verkaufsempfehlungen der Banken und stark im Kurs gefallenen Aktien gerichtet sein. „Es macht keinen Sinn, nach Pleitegeiern zu suchen, die strukturell nichts zu bieten haben“, warnt Traud vor einem Investment in nur scheinbar billige Aktien. „Das Fundament muss in Ordnung sein. Mittelfristig soll erkennbar sein, dass sich bei dem Unternehmen strukturell etwas tut“, meint die Strategin.
Verkaufsempfehlung für
substanzstarke Werte rar
Verkaufsempfehlungen für substanzsstarke Unternehmen sind rar gesät. Vor allem für Telekomzulieferer wie Nokia, Netzwerkspezialisten wie Cisco und für Computerhersteller steigen die negativen Einschätzungen. So strafen Anleger Compaq und Hewlett-Packard heftig ab, weil die Konzerne fusionieren wollen. Analysten raten zum Verkauf, denn sie glauben nicht an die Synergieeffekte. „Die Chance ist groß, dass sich Werte aus dem Technologiebereich besser entwickeln werden als aus traditionellen Sektoren. Schließlich liebt im Moment niemand die Tech-Aktien“, meint Traud.
Experten wenden das Kontra-Indikator-Modell übrigens für die gesamte Börse an. Das heißt, je schlechter die Stimmung, desto größer sind die Kurschancen. „Im Moment ist die Stimmung sehr schlecht. Selten gab es so viele negativen Konjunkturnachrichten. Kaum jemand glaubt noch an die Aktie“, meint Hüfner. Daran gemessen steht den Börsen eine Rally bevor. Doch eine Unsicherheit bleibt: Niemand weiß, wie tief die Stimmung noch sinken wird.
HANDELSBLATT, Dienstag, 11. September 2001