Schließung von Bombardier bei Halle passt nicht in die Wahlkampfplanung des Kanzlers
Von Uwe Müller
Halle – Zwei Sommerreisen durch die neuen Länder hat er schon absolviert. Jetzt entdeckt der Kanzler mitten im Winter den Osten. Als Retter des akut von der Schließung bedrohten Waggonbauwerks in Halle-Ammendorf will Gerhard Schröder auf sich aufmerksam machen – und damit seinem Herausforderer Edmund Stoiber, der ihm mangelnde Erfolge bei der „Chefsache“ Aufbau Ost ankreidet, Wind aus den Segeln nehmen.
„Wir haben noch kein Endergebnis, aber es gibt für Ammendorf Licht am Ende des Tunnels“, verkündete der Kanzler am Wochenende nach einem Treffen mit dem Bombardier-Vorstandschef Pierre Lortie. Der kanadische Konzern will sein Ammendorfer Werk, das gestern von Arbeitnehmer besetzt wurde, dicht machen. Damit würde in der Genscher-Stadt Halle der letzte große Industriebetrieb mit fast 1000 Beschäftigten von der Bildfläche verschwinden.
Das wiederum passt Schröder, dessen Imagewerte im Osten ohnehin im Sinkflug sind, nicht in den Fahrplan des Wahljahres. Schon am 20. April droht den Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt womöglich ein Debakel. Bei diesem wichtigen Testlauf könnte das rot-rot regierte Land nach jüngsten Meinungsumfragen für die SPD verloren gehen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist mies. Sachsen-Anhalt, einer Bertelsmann-Studie zufolge schlechtester Wirtschaftsstandort der Republik, gerät gegenüber den beiden mit absoluter CDU-Mehrheit geführten Freistaaten Sachsen und Thüringen immer weiter ins Hintertreffen.
Das Aus für Ammendorf würde die Negativbilanz gefährlich verstärken. Und weil das nicht sein darf, schreitet der Kanzler ein. Seine einst so medienträchtige Rettungsaktion für den westdeutschen Baukonzern Holzmann soll nun im Osten eine Neuauflage erfahren.
Beobachter der Inszenierung reiben sich indessen erstaunt die Augen. Bei einem vergleichbaren Vorgang hatte der Kanzler trotz weit größerer Einflussmöglichkeiten und massiver Hilferufe noch die ganz ruhige Hand walten lassen. Das Bundesunternehmen Deutsche Bahn AG gab im Sommer vorigen Jahres bekannt, allein in Sachsen vier Ausbesserungswerke zu schließen. Bedroht wären 2700 Jobs. Ein wahrer Proteststurm von Politikern, Gewerkschaftern und Beschäftigten machte aber in der Regierungszentrale nur wenig Eindruck. Bis heute gibt es keine belastbaren Zugeständnisse für die betroffenen Standorte.
Jetzt hingegen mobilisiert der Kanzler die Bahn. Mitte der Woche sollen Manager vom „Unternehmen Zukunft“ mit Bombardier-Gesandten nach denkbaren Lösungen für Ammendorf fahnden. Nächster Höhepunkt der präzise geplanten Dramaturgie: am Wochenende trifft Schröder am Rande des SPD-Landesparteitags Sachsen-Anhalt, vermutlich vor laufenden Kameras, den Ammendorf-Betriebsratschef Rainer Knothe.
Doch auch die andere Seite war nicht faul. Auf Betreiben der Landes-CDU ging der Ex-Bahn-Chef, Kohl-Vertraute und ehemalige Aufbau-Ost-Mann Johannes Ludewig bereits vor geraumer Zeit in die Spur – und zwar lange, bevor im Kanzleramt zur Abfahrt gepfiffen wurde. Inzwischen konnte daher zu der im Jahr 1823 gegründeten Traditionsfirma eine umfangreiche Leistungsstudie präsentiert werden. Auf die Idee jedoch, Stoiber im Winter nach Halle zu schicken, sind die Christdemokraten nicht gekommen. Aber dies kann sich noch ändern. Wie auch immer: Mit Bombardier-Lenker Lortie traf Ludewig bereits vor dem Kanzler zusammen. Aus der Unterhaltung zieht er andere Schlüsse als Schröder. „Nach meinem Gefühl sieht der Konzern keine Möglichkeit, die bisherige Produktion in Ammendorf aufrechtzuerhalten.“ Andererseits hätten die Kanadier gemerkt, wie schwer es ist, in einem derart aufgeheizten politischen Klima wirtschaftliche Entscheidungen durchzusetzen, die unpopulär sind. Ludewigs Befürchtung: „Die wollen das nun über den Wahltermin hinaus schieben.“