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"Eine Tragoedie"
Deflation, Firmenpleiten, Schuldenberge - Japan steuert auf eine hoechst
bedrohliche Situation zu, behauptet Asien-Experte Kenneth Courtis. Gibt es
tatsaechlich keinen Ausweg aus der schier endlosen Krise von Politik und
Wirtschaft?
mm: Herr Courtis, seit zehn Jahren taumelt Japan von einer Krise in die
andere. Nun spitzt sich die Lage erneut zu. Steht das Land vor dem Bankrott?
Courtis: Die Aktienkurse sind seit 1990 auf ein Drittel ihres Wertes gefallen,
eine Pleitewelle hat abertausende von Unternehmen zerstoert, die
Arbeitslosenrate hat sich mehr als verdoppelt. Aber das ist erst der Anfang.
Was Japan in den 90er Jahren erlebt hat, waren nur kleine Krisen, gemessen an
dem, was kommen wird.
mm: Was steht den Japanern noch alles bevor?
Courtis: Die Bankenkrise flammt neu auf, der Versicherungssektor bricht
zusammen. Das Land hat die Internet-Revolution und die New Economy verpasst.
Die Deflation laehmt die Wirtschaft, und der Staat droht unter einem
Schuldenberg zu ersticken. Eine tragische Situation.
mm: Sie leben seit ueber 20 Jahren in Japan. Koennen Sie erklaeren, warum die
Japaner ihre Schwierigkeiten nicht in den Griff bekommen?
Courtis: Die Japaner kommen mir vor wie Ruderer, die in ihren Booten froehlich
Champagner trinken und Hummer essen. Und weil die Leute mit dem Ruecken zur
Fahrtrichtung sitzen, merken sie gar nicht, dass sie auf einen Wasserfall
zusteuern.
mm: Sie muessten sich nur mal umdrehen.
Courtis: Die Japaner schieben die grossen Zukunftsentscheidungen vor sich her -
das war immer so in der Geschichte des Landes. Erst wenn die Politiker mit dem
Ruecken zur Wand stehen und keine andere Wahl mehr haben, packen sie die Dinge
an.
mm: Ganz tatenlos war die Regierung nicht. Seit 1992 hat sie zehn
Konjunkturprogramme aufgelegt. Bloss hat das Geld nichts bewirkt.
Courtis: Da taeuschen Sie sich. Ohne diese Programme waere Japan auf den Stand
der 30er Jahre zurueckgefallen. Die Konjunkturspritzen haben Japan vor dem
Zusammenbruch bewahrt. Die Tragoedie ist, dass das Geld fuer sinnlose Projekte
vergeudet wurde. Die Politiker haben sich zehn Jahre Reformaufschub erkauft.
mm: Das Geld floss zum Beispiel in den Bau von Strassen oder Bruecken ...
Courtis: ... Bruecken, die ins Nichts fuehren. Im letzten Wahlkampf hat der
Premierminister waehrend einer Rede gesagt: "Wenn Sie am Sonntag waehlen,
vergessen Sie nicht die neue Bruecke, die wir gebaut haben." Ein Zuhoerer rief
dazwischen und fragte: "Und wo bleibt der Fluss?" "Den kriegen Sie bei der
naechsten Wahl", antwortete der Premier.
mm: Kaum zu glauben, dass japanische Politiker so schlagfertig sind.
Courtis: Leider trifft der Scherz die Wahrheit. Gemeint war eine neue
Verbindung zwischen den beiden Hauptinseln Honshu und Shikoku - eine Bruecke
fuer zehn Milliarden Dollar - ueber die gerade mal 100 Autos pro Stunde fahren.
mm: Die Regierung hat innerhalb einer Dekade fuer konjunkturstuetzende
Investitionen rund 1,2 Billionen Dollar ausgegeben. Woher kam das Geld?
Courtis: Die Verbindlichkeiten der oeffentlichen Hand entsprachen 1991 51
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ende 2001 werden es 151 Prozent sein. Und
das ist nur der offizielle Teil der Schulden. Hinzu kommen Forderungen an den
Staat, die nicht ausgewiesen werden.
mm: Welche Forderungen meinen Sie?
Courtis: Zum Beispiel hat die japanische Regierung in den vergangenen 30
Monaten an kleine und mittlere Unternehmen Kredite in Hoehe von rund 361
Milliarden Dollar vergeben oder entsprechende Buergschaften uebernommen. Von
diesem Geld, das offiziell nicht zu den Staatsschulden zaehlt, wird kaum etwas
zurueckgezahlt werden.
Hinzu kommt, dass die Regierung ihre Verpflichtungen an die Rentenkasse zu
niedrig ansetzt; sie diskontiert die kuenftigen Rentenzahlungen mit 4 Prozent
und nicht mit 2 Prozent, was realistisch waere. Hier klafft eine Luecke von 3
Billionen Dollar.
mm: Wie hoch liegt die Staatsverschuldung, wenn man die ausgewiesenen und die
verdeckten Verbindlichkeiten zusammenzaehlt?
Courtis: Die tatsaechlichen Verbindlichkeiten betragen etwa 300 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Die Verschuldung der oeffentlichen Hand hat in Japan ein
Ausmass erreicht wie noch nie zuvor in einem Land.
mm: Was bedeutet dieses Schuldengebirge fuer Japan?
Courtis: Ganz einfach: Die Zinsen steigen.
mm: Moment mal. Die Notenbank haelt doch seit Jahren die Zinsen bei einer Rate
von knapp ueber null.
Courtis: Das ist die Hoehe der Nominalzinsen. Aber schauen Sie sich die realen
Zinsen an. Japan erlebt derzeit eine Deflation von offiziell 1,5 Prozent. Nach
meinen Berechnungen sind es aber mehr als 2,5 Prozent pro Jahr. Wenn Sie die 3
bis 5 Prozent Zinsen dazuaddieren, die Firmen fuer Kredite bezahlen, ergibt
sich ein realer Zinssatz von 5 bis 7 Prozent.
mm: Was folgt daraus?
Courtis: Die Leute tragen ihr Geld zur Bank. Die Sparrate in Japan liegt
dreimal so hoch wie in Deutschland und 25-mal so hoch wie in Amerika. Und weil
die Menschen so wenig konsumieren, kommt die Konjunktur nicht in Schwung.
--
In keinem Land sind so gigantische Werte zerstoert worden
mm: Das Privatvermoegen der Japaner betraegt etwa 11,5 Billionen Dollar. So
reich sind die Menschen in kaum einer anderen Nation. Warum sparen sich die
Japaner schier zu Tode? Das liegt doch nicht nur an den Zinsen.
Courtis: Frau Suzuki versteht zwar nicht den ganzen Zahlenkram, ueber den wir
hier reden, aber sie weiss, dass sie in Zukunft selbst fuer sich sorgen muss.
Sie weiss, dass in der Rentenversicherung ein Loch klafft; sie erlebt, dass die
Leistungen der Krankenversicherung zurueckgefahren werden; sie sieht, dass ihr
Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist.
Und sie muss zur Kenntnis nehmen, dass ein grosser Teil ihrer Ersparnisse
verloren ist. Der Immobilienwert ist um 60 bis 70 Prozent gefallen. Fast ein
Drittel der Hypotheken steckt im Minus. Das heisst: Frau Suzuki bekommt beim
Verkauf ihres Hauses weniger Geld, als sie der Bank schuldet. Aehnlich schlimm
sieht es bei den Lebensversicherungen aus.
mm: Warum gehen so viele Lebensversicherungsunternehmen Pleite?
Courtis: Die Versicherungen haben das Geld ihrer Kunden zum grossen Teil in
Staatsanleihen angelegt, die eine Rendite von rund 1,6 Prozent abwerfen. Der
Rest steckt in Immobilien; wie deren Wert gesunken ist, wissen Sie ja. Wenn
die Policen eine Rendite von 4,5 Prozent garantieren, die Versicherungen aber
nur 1,6 Prozent Zinsen bekommen, sind Verluste unausweichlich.
mm: Der Staat springt doch sonst immer ein. Warum nicht bei den Versicherungen?
Courtis: Der Regierungsfonds zur Rettung der Versicherungen ist mittlerweile
ausgeschoepft. Fuenf Gesellschaften sind schon bankrott, sie werden
umstrukturiert oder verkauft. Die Verluste muessen die Versicherten tragen. Ich
schaetze, dass die Besitzer von Lebensversicherungen schon heute einen Teil
ihres Investments verloren haben.
So werden Tag fuer Tag die Ersparnisse der Menschen vernichtet. In keinem
anderen Land sind zu Friedenszeiten so gigantische Werte zerstoert worden wie
in Japan.
mm: Die Versicherungen wissen seit fast zehn Jahren um die Problematik. Warum
haben sie nicht reagiert?
Courtis: Weil die Japaner nicht faehig sind, fruehzeitig schmerzhafte
Entscheidungen zu treffen. Das zeigt sich ueberall. Nehmen Sie den
Bankensektor. Seit zwei Jahren wissen die Chefs der Kreditinstitute, dass ab
Ende Maerz schaerfere Bilanzierungsrichtlinien gelten. Kuenftig darf der
Wertpapierbesitz nicht mehr zum hohen Anschaffungswert ausgewiesen werden, es
muss der Marktwert angesetzt werden. Doch nichts geschieht.
mm: Analysten sagen voraus, dass beim jetzigen Stand des Nikkei-Index 12 der
16 grossen japanischen Banken hohe Verluste erleiden.
Courtis: Die Zahl koennte sogar noch groesser sein.
mm: Wie wollen die Banken aus dieser Klemme herauskommen?
Courtis: Da gibt es viele Vorschlaege. Zum Beispiel wird darueber nachgedacht,
die Einfuehrung der neuen Bilanzierungsregeln zu verschieben. Aber keine der
diskutierten Alternativen loest das Problem.
mm: Japan ist technologisch weit hinter Amerika und auch hinter einige
europaeische Staaten zurueckgefallen. Wo liegt die Ursache?
Courtis: Ueberlegen Sie mal, wie Japan heute dastehen wuerde, wenn die Regierung
einen Teil der Konjunkturprogramme genutzt haette, um Hochgeschwindigkeitsnetze
fuer die Nutzung des Internets zu errichten. Das ist nicht passiert. Der Staat
hat die gleiche Misswirtschaft betrieben wie die Konzerne. Die Investitionen
in die Informations- und Kommunikationstechnik lagen 1990 - pro Kopf gerechnet
- hoeher als in Amerika. Mittlerweile hat sich das Verhaeltnis umgekehrt. 1999
haben die USA doppelt so viel in IT-Technik investiert wie Japan.
--
Mit den richtigen Leuten geht es wieder aufwaerts
mm: Die japanische Statistik weist hohe Investitionen in Anlagegueter aus.
Wohin ist das Geld geflossen?
Courtis: Hauptsaechlich in Technologien von gestern - in Maschinen und Anlagen
zur Erhoehung der Kapazitaeten. Japan baut immer mehr Kapazitaeten auf, die
immer
weniger wettbewerbsfaehig sind. Seit Jahren waechst die Produktivitaet in Japan
langsamer als in Amerika.
mm: Ist eine ganze Generation von Managern so vernebelt, dass sie die
technologische Revolution nicht wahrgenommen hat?
Courtis: Lassen Sie mich einen Augenblick lang zurueckblicken - auf die Jahre
des Kalten Krieges. Das war fuer Japaner ein goldenes Zeitalter. Zum ersten Mal
hatte das Land eine Demokratie. Und was noch wichtiger war: Japan galt den USA
als unsinkbarer Flugzeugtraeger vor Russland. Im Gegenzug genossen die
japanischen Exporte eine Vorzugsbehandlung auf dem groessten Markt der Welt. So
wuchs die Wirtschaft Japans mit 5 bis 7 Prozent pro Jahr.
mm: Was hat diese Zeit mit der heutigen Misswirtschaft zu tun?
Courtis: Als der Kalte Krieg vorueber war, begann auch fuer Japan eine neue
Epoche. Das Land wurde von den Amerikanern nicht mehr protegiert. Zudem
erlahmte der Elan der Unternehmergeneration, die nach dem Weltkrieg das Land
aufgebaut hatte. Die gegenwaertige Fuehrungselite verhaelt sich so, als haette
sich nichts veraendert. Sie schaut zurueck statt nach vorn.
mm: Warum jagen die Menschen die Regierung nicht zum Teufel?
Courtis: Die Regierungspartei hat ihre Waehlerschaft in den laendlichen Gebieten
und in den Kleinstaedten. Die Menschen dort wollen keine Veraenderung. Das ist
der Grund, weshalb die Liberaldemokratische Partei seit ueber 40 Jahren regiert.
mm: Das heisst, es muss noch schlimmer kommen, bevor Reformen angepackt werden?
Courtis: Einen anderen Ausweg sehe ich nicht. Aber es ist schon deutlich zu
spueren, wie tief das Vertrauen der Bevoelkerung gesunken ist. In Japan ist die
schwaechste Regierung seit Jahrzehnten am Ruder. Nach Meinungsumfragen stehen
weniger als 15 Prozent der Bevoelkerung hinter Ministerpraesident Yoshiro Mori.
Und auch die Opposition hat keinen klaren Entwurf fuer die Zukunft. Ich
befuerchte, dass die naechste Regierung noch schwaecher wird.
mm: Sehen Sie ueberhaupt eine Chance, dass sich Japan wieder erholt?
Courtis: Man darf die Japaner nicht abschreiben. Auch Deutschland war am Ende
und ist wieder hochgekommen. Die Krise wird sich weiter verschaerfen, bis ein
Punkt erreicht ist, an dem das Alte voellig diskreditiert ist. Und dann wird
eine neue Generation von Fuehrern antreten: Manager und Politiker, die alle
Sektoren deregulieren und privatisieren, die das Steuerwesen reformieren und
fuer Transparenz sorgen.
mm: Nach den Schreckensszenarien, die Sie gezeichnet haben, sind Sie ploetzlich
verdammt optimistisch.
Courtis: Erste Anzeichen fuer den Wandel sehen Sie heute schon. Start-ups
werden gegruendet. Traditionsverbundene Unternehmen wie NEC uebernehmen
westliche Managementstandards. Junge Leute suchen sich Jobs in Firmen, in
denen sie fruehzeitig Verantwortung uebernehmen koennen und wo sie nach Leistung
bezahlt werden.
mm: Wann hat Japan das Aergste hinter sich?
Courtis: In drei bis fuenf Jahren. Wenn Japan ein Unternehmen waere, ich wuerde
es kaufen. Da liegen so viele Werte brach. Zum ersten Mal stehen Firmen zum
Verkauf. Man findet hervorragend ausgebildete Mitarbeiter. Nissan ist das
beste Beispiel. Sieben Jahre lang machte das Unternehmen Verluste, eigentlich
war der Konzern pleite. Dann kam ein neuer Chef ...
mm: ... einer aus Europa, Carlos Ghosn vom Grossaktionaer Renault.
Courtis: Ist ja egal, woher die neuen Manager kommen. Meine Botschaft heisst:
Es muessen nur die richtigen Leute her, die es verstehen, die Schaetze zu heben.
Dann geht es mit Japan wieder aufwaerts.
--
Was soll Japans naechster Premier gegen die Krise tun?
Von Helmut Schmidt
Seit laengerer Zeit haben japanische Regierungschefs eine mittlere Amtsdauer
von nur eineinhalb Jahren. Der schnelle Wechsel hat der japanischen Wirtschaft
insofern nicht besonders geschadet, als unter all den Premierministern keiner
ein brauchbares Konzept zur Ueberwindung der Krise hatte. Ein neuer Premier mit
einem umfassenden Reformprogramm waere ein Wunder.
In den achtziger Jahren, in denen sich die Blasen (bubbles) der japanischen
Aktien- und Grundstuecksmaerkte aufgeblaeht hatten, erkannten die Regierungen
die
darin liegenden Gefahren nicht. Seit Anfang der neunziger Jahre, seit beide
Maerkte zusammengebrochen sind, hat keine Regierung begriffen, dass die Krise
sich inzwischen zu einer Vertrauenskrise der ganzen Nation ausgeweitet hat.
Deshalb sind die gigantischen, defizitfinanzierten Konjunkturprogramme nebst
Senkung der Zentralbankzinsen auf praktisch null Prozent wirkungslos verpufft.
Die politische Klasse ist es jahrzehntelang gewohnt gewesen, das Land und die
Wirtschaft de facto durch die tuechtige Beamtenschaft in Tokyo regieren zu
lassen. Ob im Finanzministerium, im Ministerium fuer Industrie und Handel
("Miti") oder im Aussenministerium: Ueberall traf der Spitzenbeamte als
"Stellvertreter" des Ministers die wichtigsten Entscheidungen; dagegen blieben
die von der LDP (Liberaldemokratische Partei, eine konservative Partei)
gestellten Minister unbedeutend - mit wenigen Ausnahmen. Weil aber die
Beamtenschaft mit der bubble economy und ihren Folgen nicht fertig geworden
ist, muessen nun die regierenden LDP-Politiker selbst die Entscheidungen
treffen. Darauf waren sie nicht vorbereitet, und dafuer fehlen ihnen Ausbildung
und Erfahrung. Zugleich machen die Machtstrukturen innerhalb der LDP als
praktisch ewiger Regierungspartei es deren reformerisch gesonnenen juengeren
Politikern nahezu unmoeglich, sich durchzusetzen. Eine leistungsfaehige
Opposition, welche die LDP-Regierung abloesen koennte, ist nicht vorhanden. Das
ist auch den Waehlern klar, die im Sommer zu Oberhauswahlen aufgerufen sind.
Es wird deshalb einstweilen bei der wirtschafts- und finanzpolitischen
Durchwurstelei bleiben, auch unter einem neuen Ministerpraesidenten. Diese
Aussicht ist fuer Ostasien und fuer die USA, aber auch fuer die Weltwirtschaft
insgesamt nicht sonderlich erfreulich. In Japan selbst werden jedoch wegen des
Fleisses und der Disziplin der Arbeitnehmer die oekonomischen Verhaeltnisse
ertraeglich bleiben; dabei wird der Vertrauensschwund eher zu weiterer
Konsumzurueckhaltung und zu einer noch hoeheren privaten Sparrate fuehren -
Letzteres waere zwar kurzfristig unerwuenscht, langfristig aber gesund.
Was Japan noetig haette, waere ein durchgreifendes Deregulierungsprogramm
(insbesondere muesste der Agrarprotektionismus beendet werden), mehr
Transparenz in den grossen Verbundkonzernen, Beendigung der alltaeglichen
formlosen Eingriffe der Buerokratie in die Wirtschaft durch ministerial
guidance, Herstellung wirklichkeitsgetreuer Bilanzen der Finanzhaeuser,
effiziente Bankaufsicht - dazu Beseitigung der korrupten Partei- und
Fraktionsfinanzierung (insbesondere Beseitigung der Symbiose zwischen
Bauwirtschaft und LDP) und Reform des Wahlsystems, welches strukturell die LDP
beguenstigt.
Es ist unwahrscheinlich, dass derartige Reformen demnaechst in Angriff genommen
werden. Es ist ebenso kaum zu erwarten, dass die politische Klasse ein gut
nachbarliches Verhaeltnis zu China, Korea und den uebrigen Nachbarnationen
zustande bringt. Zwar kann man eine zufaellig ausgeloeste Massenpsychose und in
deren Gefolge einen politisch-moralischen Umbruch in Japan nicht ausschliessen
- wahrscheinlich ist dies aber nicht. Vielmehr ist anzunehmen, dass Japans
wirtschaftliche Rolle in der Welt langsam, aber stetig abnimmt, dass im Laufe
der naechsten Jahrzehnte der chinesische Yuan (Renminbi) den japanischen Yen
als Handels- und Reservewaehrung ueberholt, Japan aber gleichwohl wegen seiner
hohen privaten Sparneigung und seiner aussenwirtschaftlichen Ueberschuesse einer
der wichtigsten Faktoren der Weltwirtschaft bleiben wird. Dabei lauern in der
hohen Inlandverschuldung des japanischen Staates und in der hohen
Nettoschuldenposition der USA gegenueber der japanischen Wirtschaft Gefahren,
die der Aufmerksamkeit kuenftiger Regierungen in Tokyo beduerfen - und nicht nur
der Regierungen dort.
"Eine Tragoedie"
Deflation, Firmenpleiten, Schuldenberge - Japan steuert auf eine hoechst
bedrohliche Situation zu, behauptet Asien-Experte Kenneth Courtis. Gibt es
tatsaechlich keinen Ausweg aus der schier endlosen Krise von Politik und
Wirtschaft?
mm: Herr Courtis, seit zehn Jahren taumelt Japan von einer Krise in die
andere. Nun spitzt sich die Lage erneut zu. Steht das Land vor dem Bankrott?
Courtis: Die Aktienkurse sind seit 1990 auf ein Drittel ihres Wertes gefallen,
eine Pleitewelle hat abertausende von Unternehmen zerstoert, die
Arbeitslosenrate hat sich mehr als verdoppelt. Aber das ist erst der Anfang.
Was Japan in den 90er Jahren erlebt hat, waren nur kleine Krisen, gemessen an
dem, was kommen wird.
mm: Was steht den Japanern noch alles bevor?
Courtis: Die Bankenkrise flammt neu auf, der Versicherungssektor bricht
zusammen. Das Land hat die Internet-Revolution und die New Economy verpasst.
Die Deflation laehmt die Wirtschaft, und der Staat droht unter einem
Schuldenberg zu ersticken. Eine tragische Situation.
mm: Sie leben seit ueber 20 Jahren in Japan. Koennen Sie erklaeren, warum die
Japaner ihre Schwierigkeiten nicht in den Griff bekommen?
Courtis: Die Japaner kommen mir vor wie Ruderer, die in ihren Booten froehlich
Champagner trinken und Hummer essen. Und weil die Leute mit dem Ruecken zur
Fahrtrichtung sitzen, merken sie gar nicht, dass sie auf einen Wasserfall
zusteuern.
mm: Sie muessten sich nur mal umdrehen.
Courtis: Die Japaner schieben die grossen Zukunftsentscheidungen vor sich her -
das war immer so in der Geschichte des Landes. Erst wenn die Politiker mit dem
Ruecken zur Wand stehen und keine andere Wahl mehr haben, packen sie die Dinge
an.
mm: Ganz tatenlos war die Regierung nicht. Seit 1992 hat sie zehn
Konjunkturprogramme aufgelegt. Bloss hat das Geld nichts bewirkt.
Courtis: Da taeuschen Sie sich. Ohne diese Programme waere Japan auf den Stand
der 30er Jahre zurueckgefallen. Die Konjunkturspritzen haben Japan vor dem
Zusammenbruch bewahrt. Die Tragoedie ist, dass das Geld fuer sinnlose Projekte
vergeudet wurde. Die Politiker haben sich zehn Jahre Reformaufschub erkauft.
mm: Das Geld floss zum Beispiel in den Bau von Strassen oder Bruecken ...
Courtis: ... Bruecken, die ins Nichts fuehren. Im letzten Wahlkampf hat der
Premierminister waehrend einer Rede gesagt: "Wenn Sie am Sonntag waehlen,
vergessen Sie nicht die neue Bruecke, die wir gebaut haben." Ein Zuhoerer rief
dazwischen und fragte: "Und wo bleibt der Fluss?" "Den kriegen Sie bei der
naechsten Wahl", antwortete der Premier.
mm: Kaum zu glauben, dass japanische Politiker so schlagfertig sind.
Courtis: Leider trifft der Scherz die Wahrheit. Gemeint war eine neue
Verbindung zwischen den beiden Hauptinseln Honshu und Shikoku - eine Bruecke
fuer zehn Milliarden Dollar - ueber die gerade mal 100 Autos pro Stunde fahren.
mm: Die Regierung hat innerhalb einer Dekade fuer konjunkturstuetzende
Investitionen rund 1,2 Billionen Dollar ausgegeben. Woher kam das Geld?
Courtis: Die Verbindlichkeiten der oeffentlichen Hand entsprachen 1991 51
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ende 2001 werden es 151 Prozent sein. Und
das ist nur der offizielle Teil der Schulden. Hinzu kommen Forderungen an den
Staat, die nicht ausgewiesen werden.
mm: Welche Forderungen meinen Sie?
Courtis: Zum Beispiel hat die japanische Regierung in den vergangenen 30
Monaten an kleine und mittlere Unternehmen Kredite in Hoehe von rund 361
Milliarden Dollar vergeben oder entsprechende Buergschaften uebernommen. Von
diesem Geld, das offiziell nicht zu den Staatsschulden zaehlt, wird kaum etwas
zurueckgezahlt werden.
Hinzu kommt, dass die Regierung ihre Verpflichtungen an die Rentenkasse zu
niedrig ansetzt; sie diskontiert die kuenftigen Rentenzahlungen mit 4 Prozent
und nicht mit 2 Prozent, was realistisch waere. Hier klafft eine Luecke von 3
Billionen Dollar.
mm: Wie hoch liegt die Staatsverschuldung, wenn man die ausgewiesenen und die
verdeckten Verbindlichkeiten zusammenzaehlt?
Courtis: Die tatsaechlichen Verbindlichkeiten betragen etwa 300 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Die Verschuldung der oeffentlichen Hand hat in Japan ein
Ausmass erreicht wie noch nie zuvor in einem Land.
mm: Was bedeutet dieses Schuldengebirge fuer Japan?
Courtis: Ganz einfach: Die Zinsen steigen.
mm: Moment mal. Die Notenbank haelt doch seit Jahren die Zinsen bei einer Rate
von knapp ueber null.
Courtis: Das ist die Hoehe der Nominalzinsen. Aber schauen Sie sich die realen
Zinsen an. Japan erlebt derzeit eine Deflation von offiziell 1,5 Prozent. Nach
meinen Berechnungen sind es aber mehr als 2,5 Prozent pro Jahr. Wenn Sie die 3
bis 5 Prozent Zinsen dazuaddieren, die Firmen fuer Kredite bezahlen, ergibt
sich ein realer Zinssatz von 5 bis 7 Prozent.
mm: Was folgt daraus?
Courtis: Die Leute tragen ihr Geld zur Bank. Die Sparrate in Japan liegt
dreimal so hoch wie in Deutschland und 25-mal so hoch wie in Amerika. Und weil
die Menschen so wenig konsumieren, kommt die Konjunktur nicht in Schwung.
--
In keinem Land sind so gigantische Werte zerstoert worden
mm: Das Privatvermoegen der Japaner betraegt etwa 11,5 Billionen Dollar. So
reich sind die Menschen in kaum einer anderen Nation. Warum sparen sich die
Japaner schier zu Tode? Das liegt doch nicht nur an den Zinsen.
Courtis: Frau Suzuki versteht zwar nicht den ganzen Zahlenkram, ueber den wir
hier reden, aber sie weiss, dass sie in Zukunft selbst fuer sich sorgen muss.
Sie weiss, dass in der Rentenversicherung ein Loch klafft; sie erlebt, dass die
Leistungen der Krankenversicherung zurueckgefahren werden; sie sieht, dass ihr
Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist.
Und sie muss zur Kenntnis nehmen, dass ein grosser Teil ihrer Ersparnisse
verloren ist. Der Immobilienwert ist um 60 bis 70 Prozent gefallen. Fast ein
Drittel der Hypotheken steckt im Minus. Das heisst: Frau Suzuki bekommt beim
Verkauf ihres Hauses weniger Geld, als sie der Bank schuldet. Aehnlich schlimm
sieht es bei den Lebensversicherungen aus.
mm: Warum gehen so viele Lebensversicherungsunternehmen Pleite?
Courtis: Die Versicherungen haben das Geld ihrer Kunden zum grossen Teil in
Staatsanleihen angelegt, die eine Rendite von rund 1,6 Prozent abwerfen. Der
Rest steckt in Immobilien; wie deren Wert gesunken ist, wissen Sie ja. Wenn
die Policen eine Rendite von 4,5 Prozent garantieren, die Versicherungen aber
nur 1,6 Prozent Zinsen bekommen, sind Verluste unausweichlich.
mm: Der Staat springt doch sonst immer ein. Warum nicht bei den Versicherungen?
Courtis: Der Regierungsfonds zur Rettung der Versicherungen ist mittlerweile
ausgeschoepft. Fuenf Gesellschaften sind schon bankrott, sie werden
umstrukturiert oder verkauft. Die Verluste muessen die Versicherten tragen. Ich
schaetze, dass die Besitzer von Lebensversicherungen schon heute einen Teil
ihres Investments verloren haben.
So werden Tag fuer Tag die Ersparnisse der Menschen vernichtet. In keinem
anderen Land sind zu Friedenszeiten so gigantische Werte zerstoert worden wie
in Japan.
mm: Die Versicherungen wissen seit fast zehn Jahren um die Problematik. Warum
haben sie nicht reagiert?
Courtis: Weil die Japaner nicht faehig sind, fruehzeitig schmerzhafte
Entscheidungen zu treffen. Das zeigt sich ueberall. Nehmen Sie den
Bankensektor. Seit zwei Jahren wissen die Chefs der Kreditinstitute, dass ab
Ende Maerz schaerfere Bilanzierungsrichtlinien gelten. Kuenftig darf der
Wertpapierbesitz nicht mehr zum hohen Anschaffungswert ausgewiesen werden, es
muss der Marktwert angesetzt werden. Doch nichts geschieht.
mm: Analysten sagen voraus, dass beim jetzigen Stand des Nikkei-Index 12 der
16 grossen japanischen Banken hohe Verluste erleiden.
Courtis: Die Zahl koennte sogar noch groesser sein.
mm: Wie wollen die Banken aus dieser Klemme herauskommen?
Courtis: Da gibt es viele Vorschlaege. Zum Beispiel wird darueber nachgedacht,
die Einfuehrung der neuen Bilanzierungsregeln zu verschieben. Aber keine der
diskutierten Alternativen loest das Problem.
mm: Japan ist technologisch weit hinter Amerika und auch hinter einige
europaeische Staaten zurueckgefallen. Wo liegt die Ursache?
Courtis: Ueberlegen Sie mal, wie Japan heute dastehen wuerde, wenn die Regierung
einen Teil der Konjunkturprogramme genutzt haette, um Hochgeschwindigkeitsnetze
fuer die Nutzung des Internets zu errichten. Das ist nicht passiert. Der Staat
hat die gleiche Misswirtschaft betrieben wie die Konzerne. Die Investitionen
in die Informations- und Kommunikationstechnik lagen 1990 - pro Kopf gerechnet
- hoeher als in Amerika. Mittlerweile hat sich das Verhaeltnis umgekehrt. 1999
haben die USA doppelt so viel in IT-Technik investiert wie Japan.
--
Mit den richtigen Leuten geht es wieder aufwaerts
mm: Die japanische Statistik weist hohe Investitionen in Anlagegueter aus.
Wohin ist das Geld geflossen?
Courtis: Hauptsaechlich in Technologien von gestern - in Maschinen und Anlagen
zur Erhoehung der Kapazitaeten. Japan baut immer mehr Kapazitaeten auf, die
immer
weniger wettbewerbsfaehig sind. Seit Jahren waechst die Produktivitaet in Japan
langsamer als in Amerika.
mm: Ist eine ganze Generation von Managern so vernebelt, dass sie die
technologische Revolution nicht wahrgenommen hat?
Courtis: Lassen Sie mich einen Augenblick lang zurueckblicken - auf die Jahre
des Kalten Krieges. Das war fuer Japaner ein goldenes Zeitalter. Zum ersten Mal
hatte das Land eine Demokratie. Und was noch wichtiger war: Japan galt den USA
als unsinkbarer Flugzeugtraeger vor Russland. Im Gegenzug genossen die
japanischen Exporte eine Vorzugsbehandlung auf dem groessten Markt der Welt. So
wuchs die Wirtschaft Japans mit 5 bis 7 Prozent pro Jahr.
mm: Was hat diese Zeit mit der heutigen Misswirtschaft zu tun?
Courtis: Als der Kalte Krieg vorueber war, begann auch fuer Japan eine neue
Epoche. Das Land wurde von den Amerikanern nicht mehr protegiert. Zudem
erlahmte der Elan der Unternehmergeneration, die nach dem Weltkrieg das Land
aufgebaut hatte. Die gegenwaertige Fuehrungselite verhaelt sich so, als haette
sich nichts veraendert. Sie schaut zurueck statt nach vorn.
mm: Warum jagen die Menschen die Regierung nicht zum Teufel?
Courtis: Die Regierungspartei hat ihre Waehlerschaft in den laendlichen Gebieten
und in den Kleinstaedten. Die Menschen dort wollen keine Veraenderung. Das ist
der Grund, weshalb die Liberaldemokratische Partei seit ueber 40 Jahren regiert.
mm: Das heisst, es muss noch schlimmer kommen, bevor Reformen angepackt werden?
Courtis: Einen anderen Ausweg sehe ich nicht. Aber es ist schon deutlich zu
spueren, wie tief das Vertrauen der Bevoelkerung gesunken ist. In Japan ist die
schwaechste Regierung seit Jahrzehnten am Ruder. Nach Meinungsumfragen stehen
weniger als 15 Prozent der Bevoelkerung hinter Ministerpraesident Yoshiro Mori.
Und auch die Opposition hat keinen klaren Entwurf fuer die Zukunft. Ich
befuerchte, dass die naechste Regierung noch schwaecher wird.
mm: Sehen Sie ueberhaupt eine Chance, dass sich Japan wieder erholt?
Courtis: Man darf die Japaner nicht abschreiben. Auch Deutschland war am Ende
und ist wieder hochgekommen. Die Krise wird sich weiter verschaerfen, bis ein
Punkt erreicht ist, an dem das Alte voellig diskreditiert ist. Und dann wird
eine neue Generation von Fuehrern antreten: Manager und Politiker, die alle
Sektoren deregulieren und privatisieren, die das Steuerwesen reformieren und
fuer Transparenz sorgen.
mm: Nach den Schreckensszenarien, die Sie gezeichnet haben, sind Sie ploetzlich
verdammt optimistisch.
Courtis: Erste Anzeichen fuer den Wandel sehen Sie heute schon. Start-ups
werden gegruendet. Traditionsverbundene Unternehmen wie NEC uebernehmen
westliche Managementstandards. Junge Leute suchen sich Jobs in Firmen, in
denen sie fruehzeitig Verantwortung uebernehmen koennen und wo sie nach Leistung
bezahlt werden.
mm: Wann hat Japan das Aergste hinter sich?
Courtis: In drei bis fuenf Jahren. Wenn Japan ein Unternehmen waere, ich wuerde
es kaufen. Da liegen so viele Werte brach. Zum ersten Mal stehen Firmen zum
Verkauf. Man findet hervorragend ausgebildete Mitarbeiter. Nissan ist das
beste Beispiel. Sieben Jahre lang machte das Unternehmen Verluste, eigentlich
war der Konzern pleite. Dann kam ein neuer Chef ...
mm: ... einer aus Europa, Carlos Ghosn vom Grossaktionaer Renault.
Courtis: Ist ja egal, woher die neuen Manager kommen. Meine Botschaft heisst:
Es muessen nur die richtigen Leute her, die es verstehen, die Schaetze zu heben.
Dann geht es mit Japan wieder aufwaerts.
--
Was soll Japans naechster Premier gegen die Krise tun?
Von Helmut Schmidt
Seit laengerer Zeit haben japanische Regierungschefs eine mittlere Amtsdauer
von nur eineinhalb Jahren. Der schnelle Wechsel hat der japanischen Wirtschaft
insofern nicht besonders geschadet, als unter all den Premierministern keiner
ein brauchbares Konzept zur Ueberwindung der Krise hatte. Ein neuer Premier mit
einem umfassenden Reformprogramm waere ein Wunder.
In den achtziger Jahren, in denen sich die Blasen (bubbles) der japanischen
Aktien- und Grundstuecksmaerkte aufgeblaeht hatten, erkannten die Regierungen
die
darin liegenden Gefahren nicht. Seit Anfang der neunziger Jahre, seit beide
Maerkte zusammengebrochen sind, hat keine Regierung begriffen, dass die Krise
sich inzwischen zu einer Vertrauenskrise der ganzen Nation ausgeweitet hat.
Deshalb sind die gigantischen, defizitfinanzierten Konjunkturprogramme nebst
Senkung der Zentralbankzinsen auf praktisch null Prozent wirkungslos verpufft.
Die politische Klasse ist es jahrzehntelang gewohnt gewesen, das Land und die
Wirtschaft de facto durch die tuechtige Beamtenschaft in Tokyo regieren zu
lassen. Ob im Finanzministerium, im Ministerium fuer Industrie und Handel
("Miti") oder im Aussenministerium: Ueberall traf der Spitzenbeamte als
"Stellvertreter" des Ministers die wichtigsten Entscheidungen; dagegen blieben
die von der LDP (Liberaldemokratische Partei, eine konservative Partei)
gestellten Minister unbedeutend - mit wenigen Ausnahmen. Weil aber die
Beamtenschaft mit der bubble economy und ihren Folgen nicht fertig geworden
ist, muessen nun die regierenden LDP-Politiker selbst die Entscheidungen
treffen. Darauf waren sie nicht vorbereitet, und dafuer fehlen ihnen Ausbildung
und Erfahrung. Zugleich machen die Machtstrukturen innerhalb der LDP als
praktisch ewiger Regierungspartei es deren reformerisch gesonnenen juengeren
Politikern nahezu unmoeglich, sich durchzusetzen. Eine leistungsfaehige
Opposition, welche die LDP-Regierung abloesen koennte, ist nicht vorhanden. Das
ist auch den Waehlern klar, die im Sommer zu Oberhauswahlen aufgerufen sind.
Es wird deshalb einstweilen bei der wirtschafts- und finanzpolitischen
Durchwurstelei bleiben, auch unter einem neuen Ministerpraesidenten. Diese
Aussicht ist fuer Ostasien und fuer die USA, aber auch fuer die Weltwirtschaft
insgesamt nicht sonderlich erfreulich. In Japan selbst werden jedoch wegen des
Fleisses und der Disziplin der Arbeitnehmer die oekonomischen Verhaeltnisse
ertraeglich bleiben; dabei wird der Vertrauensschwund eher zu weiterer
Konsumzurueckhaltung und zu einer noch hoeheren privaten Sparrate fuehren -
Letzteres waere zwar kurzfristig unerwuenscht, langfristig aber gesund.
Was Japan noetig haette, waere ein durchgreifendes Deregulierungsprogramm
(insbesondere muesste der Agrarprotektionismus beendet werden), mehr
Transparenz in den grossen Verbundkonzernen, Beendigung der alltaeglichen
formlosen Eingriffe der Buerokratie in die Wirtschaft durch ministerial
guidance, Herstellung wirklichkeitsgetreuer Bilanzen der Finanzhaeuser,
effiziente Bankaufsicht - dazu Beseitigung der korrupten Partei- und
Fraktionsfinanzierung (insbesondere Beseitigung der Symbiose zwischen
Bauwirtschaft und LDP) und Reform des Wahlsystems, welches strukturell die LDP
beguenstigt.
Es ist unwahrscheinlich, dass derartige Reformen demnaechst in Angriff genommen
werden. Es ist ebenso kaum zu erwarten, dass die politische Klasse ein gut
nachbarliches Verhaeltnis zu China, Korea und den uebrigen Nachbarnationen
zustande bringt. Zwar kann man eine zufaellig ausgeloeste Massenpsychose und in
deren Gefolge einen politisch-moralischen Umbruch in Japan nicht ausschliessen
- wahrscheinlich ist dies aber nicht. Vielmehr ist anzunehmen, dass Japans
wirtschaftliche Rolle in der Welt langsam, aber stetig abnimmt, dass im Laufe
der naechsten Jahrzehnte der chinesische Yuan (Renminbi) den japanischen Yen
als Handels- und Reservewaehrung ueberholt, Japan aber gleichwohl wegen seiner
hohen privaten Sparneigung und seiner aussenwirtschaftlichen Ueberschuesse einer
der wichtigsten Faktoren der Weltwirtschaft bleiben wird. Dabei lauern in der
hohen Inlandverschuldung des japanischen Staates und in der hohen
Nettoschuldenposition der USA gegenueber der japanischen Wirtschaft Gefahren,
die der Aufmerksamkeit kuenftiger Regierungen in Tokyo beduerfen - und nicht nur
der Regierungen dort.