Investieren unter Spannung
In der Energiebranche wird es unruhig. Über die europäischen Strom- und Gasversorger rollt eine gewaltige Fusionswelle.
DÜSSELDORF. Und die Kartellwächter der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten arbeiten mit Macht daran, den schleppenden Wettbewerb in Schwung zu bringen. Klar ist, dass sich der europäische Energiemarkt in den kommenden Jahren wie kein zweiter verändern wird. Das sorgt für Spannung im Aktiendepot – mit vielen Chancen, aber auch gewaltigen Risiken.
Dabei sind die Aktien der Strom- und Gasversorger eigentlich klassisch defensive Werte: Sie reagieren auf Konjunkturschwankungen vergleichsweise wenig. Der Strom- und Gasverbrauch ist eben kaum von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängig, reagiert eher auf die Witterung. Und dank ihrer regionalen Monopole können die Versorger bislang Quartal für Quartal satte Gewinne einstreichen. Auch steigende Kosten an den Weltmärkten für Kohle zur Verfeuerung in den Kraftwerken oder Gas für die Heizungen der Privathaushalte können die Unternehmen fast problemlos an ihre Kunden weiterreichen – und dabei sogar häufig die Renditen noch weiter steigern. Zwar ist der deutsche Energiemarkt seit 1998 formell liberalisiert, neue Wettbewerber haben sich aber praktisch nicht etablieren können.
In den vergangenen Jahren haben sich die Versorger-Aktien denn auch ausgesprochen gut entwickelt: Der europäische Branchenindex Dow Jones Euro Stoxx Utilities notierte Ende Juni um 27 Prozent höher als noch ein Jahr zuvor, während der Gesamtmarkt nur um 20 Prozent zulegen konnte. Die Kurse der beiden deutschen Schwergewichte entwickelten sich entsprechend: RWE kletterte um 28 Prozent, Eon um 26 Prozent. Reizvoll für den eher konservativen Anleger sind auch die satten Dividenden. Die Vorstände der europäischen Versorger legen großen Wert auf solide Dividendenrenditen und kontinuierliche Zuwächse. Thomas Deser, Fondsmanager bei Union Investment, sieht im Energiebereich auch in den nächsten eins, zwei Jahren ein chancenreiches Investment (siehe „Sechs Fragen ...“).
Allerdings gibt es auch eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren, die Anleger im Auge behalten müssen: Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, soll das Schlaraffenland für Energiebosse und Aktionäre schon bald geschlossen werden. Die EU-Kommission hat den Wettbewerb auf dem Energiemarkt auf ihrer Agenda ganz nach oben gesetzt. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat im vergangenen Jahr eine breit angelegte Untersuchung gestartet und im Frühjahr in einem ersten Zwischenbericht bereits erhebliche Mängel benannt. Vor wenigen Wochen ließ sie die Konzernzentralen führender europäischer Versorger durchsuchen – darunter die Vorstandsetagen von Eon und RWE.
Der Vorwurf wiegt schwer: Die Unternehmen werden verdächtigt, eine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt zu haben. Sie sollen sogar abgesprochen haben, sich in ihren Verbreitungsgebieten nicht in die Quere zu kommen. Sollte die Behörde in dem umfangreichen Material, das sie sichergestellt hat, Beweise finden, drohen den Konzernen Strafen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Eine solch empfindliche Strafe dürfte sich auch auf die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen negativ durchschlagen.
Das entschlossene Vorgehen der EU-Kommission wird auch auf nationaler Ebene flankiert. In Deutschland arbeiten Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt ebenso verbissen an einer zügigen Marktöffnung. Das Bundeskartellamt hat gegen die Branchenriesen mehrere Verfahren eröffnet. Unter anderem hat es Marktführer Eon Ruhrgas verboten, seine wichtigsten Kunden, die Stadtwerke, weiter über Jahre hinweg weitgehend exklusiv an sich zu binden. Das Unternehmen dürfte dadurch Marktanteile verlieren.
Die Bundesnetzagentur wiederum versucht, die Marktmacht der Unternehmen beim Netz zu brechen – dem Bereich, in dem die Konzerne ein natürliches Monopol haben. In diesen Tagen entscheidet die Behörde erstmals, ob die Entgelte, die die Unternehmen von Konkurrenten für ihre Netze verlangen, angemessen sind.
Die ersten Bescheide haben die Branche aufgeschreckt. Vattenfall Europe musste Abstriche von 18 Prozent hinnehmen. Der Konzern rechnet mit Einnahmenausfällen in dreistelliger Millionenhöhe. Auch RWE und Eon müssen sich auf deutliche Einbußen im bisher so lukrativen Netzbetrieb einstellen. Die Effekte der Regulierung auf die Kursentwicklung sind nicht zu unterschätzen. Die BHF-Bank etwa hat nach den ersten Nachrichten von der Bundesnetzagentur im Juni ihre Kursziele für die Aktien von Eon und RWE um zehn Prozent gesenkt. „Der Regulierungsdruck ist unseres Erachtens zur Zeit eine der wichtigsten Angelegenheiten für die deutschen Versorger“, schreiben die Analysten.
Ob die Unternehmen die Einschnitte an ihre Kunden weitergeben können, ist offen. Schließlich können die Versorger ihre Preise schließlich nicht mehr so einfach erhöhen, wie sie es jahrelang getan haben. Die Anträge auf Strompreiseerhöhungen für Privatkunden, die in Deutschland zumeist genehmigungspflichtig sind, werden von den zuständigen Landesministern regelmäßig gekürzt oder komplett zurückgewiesen. Zudem wirkt der Widerstand der Verbraucher. Inzwischen haben mehrere Gerichte den Klagen von erbosten Kunden Recht gegeben und Preisschritte für nichtig erklärt. Mancher Versorger verzichtet in Anbetracht des öffentlichen Drucks inzwischen sogar darauf, höhere Bezugskosten unmittelbar weiterzugeben.
Das alles drückt auf die Gewinne – und schmälert damit Dividenden und Kurszuwächse. Aktionäre von Eon, RWE und Co sollten deshalb verstärkt neben dem Finanz- auch den Politikteil ihrer Tageszeitung verfolgen.
Doch auch wenn die Gewinne nicht mehr ganz so rasant wachsen werden wie in der Vergangenheit: allzu bange sollte es den Aktionären auch nicht werden. Die Maßnahmen von EU-Kommission, Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt dürften erst mittelfristig richtig greifen. Die EU hat ihrerseits bereits angedeutet, dass sie zur Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen ein gutes Jahr Zeit benötigt. Und das entschlossene Vorgehen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur erhält zwar viel Beifall von neuen Wettbewerbern, sie fordern aber noch mehr Unterstützung. Richtigen Druck auf ihre Margen werden die Platzhirsche erst dann spüren, wenn sich neue Wettbewerber und Anbieter aus dem Ausland stärker auf den deutschen Markt wagen und die regionalen Monopole knacken. Aber bis dahin dürften noch zwei, drei Jahre vergehen.
Genug Zeit für die Versorger, sich auf die neue Situation einzustellen. Die Branchengrößen rechnen selbst mit einem verstärkten Wettbewerb auf dem europäischen Energiemarkt und reagieren auf ihre Weise: Sie kaufen Konkurrenten, um sich auf den anderen europäischen Märkten zu wappnen. Eon will die spanische Endesa kaufen, in Frankreich wollen Gaz de France und Suez fusionieren, und die italienische Enel hält unverhohlen nach einem großen Zukauf Ausschau. Die Fusionswelle, so sagen Energieexperten, läuft erst an. Sie rechnen mit einer Konzentration auf eine Hand voll großer Konzerne in Europa.
Die Anleger dürfen sich also auf spannende Übernahmekämpfe freuen. Aktien kleinerer Firmen, die als Übernahmeziele gelten, dürften zu Spekulationsobjekten werden, meint Fondsmanager Deser. In den eher konservativen Markt der Versorgeraktien kommt damit reichlich Bewegung.
Quelle: HANDELSBLATT, Dienstag, 11. Juli 2006, 14:59 Uhr
Euch,
Einsamer Samariter
In der Energiebranche wird es unruhig. Über die europäischen Strom- und Gasversorger rollt eine gewaltige Fusionswelle.
DÜSSELDORF. Und die Kartellwächter der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten arbeiten mit Macht daran, den schleppenden Wettbewerb in Schwung zu bringen. Klar ist, dass sich der europäische Energiemarkt in den kommenden Jahren wie kein zweiter verändern wird. Das sorgt für Spannung im Aktiendepot – mit vielen Chancen, aber auch gewaltigen Risiken.
Dabei sind die Aktien der Strom- und Gasversorger eigentlich klassisch defensive Werte: Sie reagieren auf Konjunkturschwankungen vergleichsweise wenig. Der Strom- und Gasverbrauch ist eben kaum von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängig, reagiert eher auf die Witterung. Und dank ihrer regionalen Monopole können die Versorger bislang Quartal für Quartal satte Gewinne einstreichen. Auch steigende Kosten an den Weltmärkten für Kohle zur Verfeuerung in den Kraftwerken oder Gas für die Heizungen der Privathaushalte können die Unternehmen fast problemlos an ihre Kunden weiterreichen – und dabei sogar häufig die Renditen noch weiter steigern. Zwar ist der deutsche Energiemarkt seit 1998 formell liberalisiert, neue Wettbewerber haben sich aber praktisch nicht etablieren können.
In den vergangenen Jahren haben sich die Versorger-Aktien denn auch ausgesprochen gut entwickelt: Der europäische Branchenindex Dow Jones Euro Stoxx Utilities notierte Ende Juni um 27 Prozent höher als noch ein Jahr zuvor, während der Gesamtmarkt nur um 20 Prozent zulegen konnte. Die Kurse der beiden deutschen Schwergewichte entwickelten sich entsprechend: RWE kletterte um 28 Prozent, Eon um 26 Prozent. Reizvoll für den eher konservativen Anleger sind auch die satten Dividenden. Die Vorstände der europäischen Versorger legen großen Wert auf solide Dividendenrenditen und kontinuierliche Zuwächse. Thomas Deser, Fondsmanager bei Union Investment, sieht im Energiebereich auch in den nächsten eins, zwei Jahren ein chancenreiches Investment (siehe „Sechs Fragen ...“).
Allerdings gibt es auch eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren, die Anleger im Auge behalten müssen: Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, soll das Schlaraffenland für Energiebosse und Aktionäre schon bald geschlossen werden. Die EU-Kommission hat den Wettbewerb auf dem Energiemarkt auf ihrer Agenda ganz nach oben gesetzt. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat im vergangenen Jahr eine breit angelegte Untersuchung gestartet und im Frühjahr in einem ersten Zwischenbericht bereits erhebliche Mängel benannt. Vor wenigen Wochen ließ sie die Konzernzentralen führender europäischer Versorger durchsuchen – darunter die Vorstandsetagen von Eon und RWE.
Der Vorwurf wiegt schwer: Die Unternehmen werden verdächtigt, eine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt zu haben. Sie sollen sogar abgesprochen haben, sich in ihren Verbreitungsgebieten nicht in die Quere zu kommen. Sollte die Behörde in dem umfangreichen Material, das sie sichergestellt hat, Beweise finden, drohen den Konzernen Strafen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Eine solch empfindliche Strafe dürfte sich auch auf die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen negativ durchschlagen.
Das entschlossene Vorgehen der EU-Kommission wird auch auf nationaler Ebene flankiert. In Deutschland arbeiten Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt ebenso verbissen an einer zügigen Marktöffnung. Das Bundeskartellamt hat gegen die Branchenriesen mehrere Verfahren eröffnet. Unter anderem hat es Marktführer Eon Ruhrgas verboten, seine wichtigsten Kunden, die Stadtwerke, weiter über Jahre hinweg weitgehend exklusiv an sich zu binden. Das Unternehmen dürfte dadurch Marktanteile verlieren.
Die Bundesnetzagentur wiederum versucht, die Marktmacht der Unternehmen beim Netz zu brechen – dem Bereich, in dem die Konzerne ein natürliches Monopol haben. In diesen Tagen entscheidet die Behörde erstmals, ob die Entgelte, die die Unternehmen von Konkurrenten für ihre Netze verlangen, angemessen sind.
Die ersten Bescheide haben die Branche aufgeschreckt. Vattenfall Europe musste Abstriche von 18 Prozent hinnehmen. Der Konzern rechnet mit Einnahmenausfällen in dreistelliger Millionenhöhe. Auch RWE und Eon müssen sich auf deutliche Einbußen im bisher so lukrativen Netzbetrieb einstellen. Die Effekte der Regulierung auf die Kursentwicklung sind nicht zu unterschätzen. Die BHF-Bank etwa hat nach den ersten Nachrichten von der Bundesnetzagentur im Juni ihre Kursziele für die Aktien von Eon und RWE um zehn Prozent gesenkt. „Der Regulierungsdruck ist unseres Erachtens zur Zeit eine der wichtigsten Angelegenheiten für die deutschen Versorger“, schreiben die Analysten.
Ob die Unternehmen die Einschnitte an ihre Kunden weitergeben können, ist offen. Schließlich können die Versorger ihre Preise schließlich nicht mehr so einfach erhöhen, wie sie es jahrelang getan haben. Die Anträge auf Strompreiseerhöhungen für Privatkunden, die in Deutschland zumeist genehmigungspflichtig sind, werden von den zuständigen Landesministern regelmäßig gekürzt oder komplett zurückgewiesen. Zudem wirkt der Widerstand der Verbraucher. Inzwischen haben mehrere Gerichte den Klagen von erbosten Kunden Recht gegeben und Preisschritte für nichtig erklärt. Mancher Versorger verzichtet in Anbetracht des öffentlichen Drucks inzwischen sogar darauf, höhere Bezugskosten unmittelbar weiterzugeben.
Das alles drückt auf die Gewinne – und schmälert damit Dividenden und Kurszuwächse. Aktionäre von Eon, RWE und Co sollten deshalb verstärkt neben dem Finanz- auch den Politikteil ihrer Tageszeitung verfolgen.
Doch auch wenn die Gewinne nicht mehr ganz so rasant wachsen werden wie in der Vergangenheit: allzu bange sollte es den Aktionären auch nicht werden. Die Maßnahmen von EU-Kommission, Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt dürften erst mittelfristig richtig greifen. Die EU hat ihrerseits bereits angedeutet, dass sie zur Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen ein gutes Jahr Zeit benötigt. Und das entschlossene Vorgehen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur erhält zwar viel Beifall von neuen Wettbewerbern, sie fordern aber noch mehr Unterstützung. Richtigen Druck auf ihre Margen werden die Platzhirsche erst dann spüren, wenn sich neue Wettbewerber und Anbieter aus dem Ausland stärker auf den deutschen Markt wagen und die regionalen Monopole knacken. Aber bis dahin dürften noch zwei, drei Jahre vergehen.
Genug Zeit für die Versorger, sich auf die neue Situation einzustellen. Die Branchengrößen rechnen selbst mit einem verstärkten Wettbewerb auf dem europäischen Energiemarkt und reagieren auf ihre Weise: Sie kaufen Konkurrenten, um sich auf den anderen europäischen Märkten zu wappnen. Eon will die spanische Endesa kaufen, in Frankreich wollen Gaz de France und Suez fusionieren, und die italienische Enel hält unverhohlen nach einem großen Zukauf Ausschau. Die Fusionswelle, so sagen Energieexperten, läuft erst an. Sie rechnen mit einer Konzentration auf eine Hand voll großer Konzerne in Europa.
Die Anleger dürfen sich also auf spannende Übernahmekämpfe freuen. Aktien kleinerer Firmen, die als Übernahmeziele gelten, dürften zu Spekulationsobjekten werden, meint Fondsmanager Deser. In den eher konservativen Markt der Versorgeraktien kommt damit reichlich Bewegung.
Quelle: HANDELSBLATT, Dienstag, 11. Juli 2006, 14:59 Uhr
Euch,
Einsamer Samariter