Interview mit Paul Krugman

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MaxCohen:

Interview mit Paul Krugman

 
29.12.02 18:33
WELTWIRTSCHAFT

"Koalition der Eliten"


US-Ökonom Paul Krugman über die zwiespältigen Aussichten für die Weltwirtschaft, die notwendigen Reformen in Deutschland und seinen publizistischen Kampf gegen Präsident Bush


SPIEGEL: Professor Krugman, die Wirtschaftslage in den USA hat sich nach dem Einbruch in 2001 wieder aufgehellt. Ist die US-Wirtschaft über das Gröbste hinweg?


Interview mit Paul Krugman 893089
Paul Krugmann

gehört zu den schärfsten Kritikern der Wirtschaftspolitik der
Regierung Bush. Der Ökonom lehrt an der Universität in Princeton
und schreibt zweimal pro Woche eine viel beachtete Kolumne in der
"New York Times". Krugman, 49, gilt als Wunderkind seiner Disziplin
und Anwärter auf den Nobelpreis, weil er jung an Jahren eine
bahnbrechende Theorie über internationalen Handel veröffentlichte.
Er verbrachte 1982/83 "erhellende Monate" im Weißen Haus unter
Ronald Reagan und gehörte zu den Beratern Bill Clintons, bekam aber
keinen Job wegen seines Freimuts und seiner Unabhängigkeit. Für das
Verhältnis George W. Bushs zur Wirtschaft prägte er den treffenden
Ausdruck "crony capitalism" - Kapitalismus unter Busenfreunden.


Krugmann: Die wirtschaftliche Lage ist seit einem Jahr im Grunde nahezu unverändert: kaum Erholung bei Investitionen, aber dafür ein starker Konsum, der die Ökonomie vor einem Abschwung bewahrt. Die Optimisten sagen die ganze Zeit, dass die Unternehmen schon bald beginnen werden, wieder neu zu investieren - was nicht geschieht. Die Pessimisten glauben, dass die Verbraucher zurückstecken
- auch das ist bislang nicht passiert. Klar ist, dass die US-Wirtschaft zu langsam wächst, um ihre Produktionskapazitäten auszulasten. Das drückt auf die Preise und damit auf die Gewinne und lässt die Zahl der Arbeitslosen weiter steigen. Die Parallelen zur Situation in Japan Anfang der neunziger Jahre sind stärker, als uns lieb sein kann.


SPIEGEL: Trauen Sie sich eine Konjunkturprognose für 2003 zu?


Krugman: Meine Vorhersage wäre zwei bis drei Prozent Wachstum übers Jahr gerechnet. Wenn Sie mich allerdings fragen, ob die US-Wirtschaft in eine neue Rezession stürzen kann,  muss ich sagen: ja, absolut. Kann sie im Gegenteil um fünf Prozent nach oben drehen? Ebenfalls gut möglich.


SPIEGEL: Die Republikaner planen eine weitere Runde von Steuersenkungen, um der Wirtschaft noch einmal Schwung zu geben. Die Demokraten sind entschieden dagegen und verweisen auf die wachsenden Staatsschulden. Auf welcher Seite stehen Sie bei diesem Streit?


Krugman: Ein hoher Beamter im Finanzministerium hat einmal gesagt, dass der Staat im Grunde genommen nichts anderes ist als eine riesige Versicherungsanstalt, die nebenbei noch ein nationales Verteidigungsunternehmen unterhält. Die vernünftigste Position wäre also, die dauerhaften Steuersenkungen, die 2001 beschlossen wurden, wieder zurückzunehmen, weil wir sie uns derzeit nicht leisten können und sie dem Auftrag des Staates zuwiderlaufen, ausreichend Vorsorge für seine Verpflichtungen in der Zukunft zu treffen. Ich gebe zu, diese Position ist in der politischen Debatte nicht so leicht zu vermitteln, was auch die Schwierigkeiten der Demokraten ausmacht, die Diskussion zu ihren Gunsten zu entscheiden.


SPIEGEL: Was soll die Regierung Ihrer Meinung nach tun: Einfach dasitzen und abwarten, dass sich die Dinge schon fügen?


Krugman: Wenn ich wie Bush die Kontrolle über Senat, Repräsentantenhaus und das Weiße Haus hätte,  würde ich erstens die Finanzhilfen für die Bundesstaaten aufstocken, zweitens die Sozialabgaben senken und drittens die Arbeitslosenzahlungen verbessern, denn dieses Geld wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort wieder ausgegeben. Mein Schwerpunkt läge auf einer Entlastung der Mittelschichten und Geringverdiener. Doch was bekommen wir stattdessen? Klassische konservative Steuerpolitik, von der vor allem die Wohlhabenden profitieren, die Wirtschaft und die Investoren. Wenn man die Vorschläge durchrechnet, die derzeit vom Weißen Haus in Umlauf gebracht werden, dann gehen zwei Drittel der Vergünstigungen an die oberen fünf Prozent der Bevölkerung.


SPIEGEL: Liegt es nicht in der Natur einer Steuerreform, dass diejenigen, die die meisten Steuern zahlen, auch am meisten von ihr profitieren? Von diesen oberen fünf Prozent in der amerikanischen Einkommenspyramide kommen immerhin auch 50 Prozent der Einkommensteuern.


Krugman: Man kann auch eine ganz andere Rechnung aufmachen: Wenn Sie sich nämlich die Steuersenkungen für das oberste ein Prozent der Gesellschaft ansehen, dann stellen Sie fest, dass auf diese kleine Gruppe gut 40 Prozent der vorgesehenen 1,35 Billionen Dollar an Erleichterungen, wenn sie erst einmal voll greifen, entfallen, und das, obwohl ihr Beitrag zum Steueraufkommen des Staates nur bei 24 Prozent liegt. Es ist genau dieses Ungleichgewicht zu Gunsten der Reichen, das charakteristisch ist für alles, was die Bush-Regierung tut. Sie repräsentiert, was man gemeinhin Plutokratie nennt, eine Koalition der Eliten.


SPIEGEL: Die deutsche Bundesregierung setzt statt auf Steuerentlastungen auf Steuererhöhungen, mit zweifelhaftem Erfolg: Die Konjunkturprognosen für 2003 sind noch einmal nach unten korrigiert worden, die Arbeitslosenquote hängt bei knapp 10 Prozent. Was wäre in diesem Fall Ihre Empfehlung?


Krugman: Bei Ihnen sieht es besonders trostlos aus, das stimmt. Was Deutschland dringend braucht, ist eine Abwertung der Währung, aber das ist ja nun, nach Einführung des Euro, nicht mehr möglich. Zunächst einmal würde ich versuchen, die Europäische Zentralbank davon zu überzeugen, doch bitte mehr wie die hiesige Notenbank zu handeln. Die Zinssätze in Europa sind eindeutig zu hoch, und es spricht absolut nichts dagegen, das Inflationsziel etwas höher zu setzen. Darüber hinaus? Strukturreformen, was sonst.


SPIEGEL: In diesem Fall also doch Vorbild USA?


Krugman: Wenn Amerika zu viel Vertrauen in freie Märkte setzt, dann Deutschland eindeutig zu wenig. Da ist doch alles sehr eng gezurrt, von den Kündigungsregeln bis zum Ladenschluss. Was Deutschland heute fehlt, ist eine Margaret Thatcher.


SPIEGEL: Die USA bereiten sich auf einen neuen Waffengang gegen Saddam Hussein vor. Wird ein Krieg der US-Wirtschaft schaden oder im Gegenteil, wie manche glauben, sogar einen zusätzlichen Schub geben?


Krugman: Jede Militärausgabe steigert die Nachfrage, das ist schon richtig. Anderseits werden sowohl Washington als auch die einzelnen Bundesstaaten in diesem Jahr wegen der schlechten Haushaltslage gezwungen sein, gerade die Sozialbudgets zusammenzustreichen, so dass der Nettoeffekt eher negativ sein wird. Ich denke, dass die wirtschaftlichen Folgen eines neuen Irak-Kriegs zunächst eher unbedeutend sind. Richtig teuer wird es erst, wenn die USA gezwungen sind, im Golf auf Dauer große Truppenkontingente zu stationieren.


SPIEGEL: Das Jahr 2002 war auch das Jahr der spektakulären Firmenpleiten. Sie haben prophezeit, dass das Enron-Debakel im Rückblick für das Selbstverständnis Amerikas wichtiger sein könnte als der 11. September. Sehen Sie sich im Nachhinein in Ihrer Einschätzung bestätigt?


Krugman: Ich muss zugeben, dass es mich überrascht und auch ein wenig bestürzt hat, wie schnell die Erinnerung an Skandale wie den Fall von Enron oder WorldCom aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden ist.


SPIEGEL: Sie haben auch den US-Wähler falsch eingeschätzt. Die Republikaner haben bei den Zwischenwahlen im November einen glänzenden Wahlsieg eingefahren, Präsident Bush ist nach wie vor ungemein populär.
Anscheinend stören sich die Amerikaner nicht besonders an dem, was Sie eine Koalition der alten Eliten nennen.


Krugman: Ich war leider nie besonders gut in der Prognose, wie Wähler reagieren. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass ein Land in Vorbereitung auf einen Krieg das Beste ist, was einer Regierung passieren kann. Krieg macht sich im Fernsehen immer gut.


SPIEGEL: Sie glauben wirklich, dass die Kriegsvorbereitungen die Bürger hinreichend von dem deprimierenden  Stand ihrer Aktiendepots ablenken? Man sollte annehmen, dass sie allen Grund haben, wütend zusein, zumal die Regierung erkennbar bremst, wenn es um eine effektivere Aufsicht der Unternehmen geht.


Krugman: Sicher, die Leute finden ihre Depots halbiert, aber dann schalten sie den Fernseher ein und sehen ihren Präsidenten, mit wehenden Flaggen im Hintergrund, und sie nehmen einfach an, dass er auf ihrer Seite steht. Sie wollen nicht glauben, dass er Teil des Systems ist, das sie um ihre Altersrücklagen gebracht hat.
Es ist ein sehr verstörender Gedanke, dass ausgerechnet die Autoritäten, an die man sich um Hilfe wendet, mit der Räuberclique unter einer Decke stecken könnten. Die Psychologen nennen das kognitive Dissonanz.


SPIEGEL: Sie schreiben nahezu wöchentlich gegen Präsident George W. Bush und seine Regierung an. Glaubt man Ihren Artikeln, dann sitzt im Weißen Haus eine Bande von Betrügern und Lügnern, die nur ein Ziel kennt: die Reichen noch reicher zu machen und die Armen noch ärmer. Meinen Sie das ernst?


Krugman: Niemand erwartet, dass der Präsident ein Heiliger ist. Jeder geht davon aus, dass diejenigen, die im Weißen Haus sitzen, die Wahrheit ein wenig zu ihren Gunsten biegen. Aber in welchem Ausmaß diese Regierung die Öffentlichkeit zu täuschen versucht, das ist schon ziemlich spektakulär. Ich habe manchmal das Gefühl, ich lebe nicht in einer der ältesten Demokratien der Welt, sondern auf den Philippinen unter einem neuen Marcos.


SPIEGEL: Wo täuscht und belügt Sie denn Ihre Regierung?


Krugman: Das beginnt bei der doppelten Buchführung in Wirtschaftsplänen, bei denen derselbe Billionenbetrag einfach zweimal für verschiedene Zwecke gezählt wird.
Sie finden diesen entstellenden Umgang mit Fakten aber auch, wenn es um den Irak-Krieg geht und die Frage, welche Beweise tatsächlich gegen Saddam Hussein vorliegen, oder um die engen Beziehungen von Regierungsmitgliedern zu großen Konzernen.
Da hat sich eine Art Muster entwickelt, das fraglos etwas Neues in der amerikanischen Politik darstellt.


SPIEGEL: Nach den Bilanzskandalen bei WorldCom und Enron ist es vergleichsweise ruhig geworden. War's das? Oder drohen möglicherweise weitere Betrugsfälle?


Krugman: Die derzeitige Ruhe ist wahrscheinlich trügerisch. Man muss sich nur die Gewinne ansehen, die die 500 wichtigsten, bei Standard & Poors aufgeführten
US-Unternehmen zwischen 1997 und 2001 ausgewiesen haben, und diese dann mit den Zahlen des Nipa, der Volkseinkommensstatistik des US-Wirtschaftsministeriums, vergleichen, die man nicht schönen kann und die sich bemerkenswerterweise in diesem Zeitraum kaum bewegt haben.
Wir können deshalb mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die S&P-500-Unternehmen als Gruppe genommen ihre Profite um etwa 30 Prozent zu hoch angegeben haben, was bedeutet, dass da noch einige Enrons auffliegen werden.


SPIEGEL: Es gibt viele Experten, die Notenbankchef Alan Greenspan vorwerfen, die Börsenblase mit seiner Zinspolitik begünstigt zu haben. Denken Sie das auch?


Krugman: Man kann daran Zweifel haben, ob er die Blase hätte verhindern können, aber er hat es  jedenfalls nie ernsthaft versucht. Tatsächlich hat er die Börse sogar hochgeredet. Er war einer der prominentesten Vertreter dieses grenzenlosen Millenniums-Optimismus. Er wurde zum Cheerleader, und wenn es etwas gibt, was ein Zentralbanker nie sein sollte, dann das.


SPIEGEL: Die Frage ist allerdings, ob es Aufgabe der Notenbank ist, sich um Aktienpreise zu sorgen. Soll sie wirklich über die Zinsen intervenieren?


Krugman: Das ist eine schwierige Debatte, die unter Ökonomen derzeit auch sehr ernsthaft geführt wird.
Einerseits wissen wir genau, wie Blasen entstehen und zu welchen gesamtwirtschaftlichen Problemen sie führen können. Auf der anderen Seite steht die Frage, ob wir den Auftrag der Zentralbank wirklich noch weiter ausdehnen wollen. Meine Haltung ist da sehr schwankend, man kann mit gutem Grund beide Positionen vertreten.


SPIEGEL: Haben Sie selbst Geld an der Börse verloren?


Krugman: Ja, aber nicht sehr viel.


SPIEGEL: Sie schreiben mittlerweile zweimal in der Woche für die "New York Times", bringen Bücher heraus, halten Vorträge. Kommen Sie noch zum Unterrichten?


Krugman: Ich bereite mich gerade auf meine nächste Vorlesung vor. Ich bin, ehrlich gesagt, auch ziemlich froh, dass ich nicht vom Schreiben leben muss, sondern noch eine Karriere als Wissenschaftler habe. Deshalb kann ich ganz andere Risiken eingehen als ein normaler Journalist. Ich bin nicht auf guten Zugang zum Weißen Haus angewiesen, ich kann es mir mit allen dort verderben.


SPIEGEL: Das haben Sie offenbar geschafft.


Krugman: Es ist schon eigenartig, denn als ich im Herbst 1999 meine Kolumne mit der "New York Times" vereinbarte, dachte ich eigentlich daran, gut gelaunte Anmerkungen zu den Eigentümlichkeiten der New Economy zu liefern. Stattdessen finde ich mich nun wieder als die einsame Stimme der Wahrheit in einem Meer von Korruption.
Manchmal denke ich, dass ich eines Tages in einem dieser Käfige in Guantanamo Bay lande (lacht). Aber ich kann ja immer noch in der Bundesrepublik um Asyl bitten. Ich hoffe, Sie nehmen mich im Notfall auf.


SPIEGEL: Professor Krugman, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

MaxCohen:

Kann ja nich jeden Thread lesen

 
29.12.02 20:11
Hab extra vorher die Suchfunktion getätigt (Suchwort Krugman). Naja doppelt hält besser.


Grüße Max
MaxCohen:

"Saddam ist eine Obsession geworden"

 
14.03.03 18:24
Einer gegen Bush

„Saddam ist eine Obsession geworden“


Der Wirtschaftsprofessor Paul Krugman beschimpft den US-Präsidenten als Lügner und Versager.

Von Marc Hujer
(SZ vom 15.03.2003)

Es ist beinahe Mitleid erregend, Paul
Krugman unter Menschen zu sehen: Wie er die Treppe zu McCosh Hall Nummer 10 hinaufkeucht, das Saalmikrophon an seinen Wollpulli nestelt und mit beiden Händen Halt am Folienprojektor sucht.

Mehrmals dreht er sich nach der Saaluhr um, um die Vorlesung exakt zur Minute beginnen zu lassen. Immer wieder bläst er dabei die Backen auf und atmet so hingebungsvoll aus, als stehe ihm ein olympischer Wettkampf bevor. Er hätte jetzt mit einem großen Satz eröffnen können, wenigstens mit einem Hieb in die Richtung derer, die heute trotz der nahenden Zwischenprüfung nicht erschienen sind. Doch Wirtschaftsprofessor Krugman blickt nur milde in die Runde und als er schließlich die Prüfung erwähnt, verheddert er sich mit der Saalnummer. „Ach“, sagt er schließlich, „Sie wissen ja sicher besser Bescheid“.

„Flut roter Tinte“

An diesem Morgen hat der Zeitungskiosk gegenüber in der Nassau Street schon das zweite Paket der New York Times verkauft. Wie jeden Dienstag und Freitag findet sich ein donnernder Kommentar von Paul Krugman darin, ein Kassandraruf, das sich diesmal mit der bevorstehenden „Flut roter Tinte“ im Staatshaushalt beschäftigt. Ungefähr 730 Worte sind es wie immer, kraftstrotzend, unnachgiebig, renitent und fast jede Zeile richtet sich gegen den Präsidenten.

Einen Lügner hat Paul Krugman den Präsidenten schon genannt, einen Versager, einen Ahnungslosen und einen Korrupten, er hat ihm Machenschaften mit der Ölindustrie vorgeworfen, Schiebereien zugunsten der Reichen und „Crony Capitalism“, einen Kapitalismus unter Busenfreunden. An diesem Morgen ist ist es das „fiskalisches Wrack“ Amerika, das George W. Bush geschaffen haben soll und Krugman so sehr erbost.

Jetzt zieht er auch noch gegen das wichtigste außenpolitische Projekt des Präsidenten zu Felde, gegen den geplanten Krieg gegen den Irak. Nicht nur aus ökonomischen Gründen hält Krugman einen Krieg für gefährlich, ihm fehlt aus sonst jeglicher Beleg für die Notwendigkeit eines Angriffs.

„Die ursprünglichen Gründe, um einen Krieg gegen den Irak zur obersten Priorität zu machen, sind allesamt in sich zusammengebrochen“, schreibt Krugman. „Es hat nie Beweise für eine Verbindung zu El Quaida gegeben, noch für die Existenz eines Nuklearprogramms.“ Bush habe komplett die Verbindung zur Realität verloren. „Die Entmachtung Saddams ist inzwischen eindeutig eine Obsession geworden.“

Seit 2000 lehrt Krugman, 50, als Wirtschaftsprofessor an der Eliteuniversität Princeton. Er wuchs nicht weit von seinem heutigen Wohnort auf, behütet als Einzelkind eines Versicherungsmanagers. Zu den wenigen „kleinen Sünden“, die sein Privatleben ausmachen, zählt er eine Flasche Weißwein im Isoliermäntelchen, die er für alle Fälle im Kofferraum seines Autos gelagert hat. Warum er, der eigenbrötlerische Professor, plötzlich so eine öffentliche Person geworden ist, weiß er selbst nicht genau, vielleicht einfach, sagt er, „weil ich damals so wahnsinnig wütend war“, als Präsident Bill Clinton vom Niedergang Amerikas sprach.

Dem Spiegel vertraute er jüngst an: „Als ich im Herbst 1999 meine Kolumne mit der New York Times vereinbarte, dachte ich eigentlich daran, gut gelaunte Anmerkungen zu den Eigentümlichkeiten der New Economy zu liefern.

Chronist der Ära Bush

Stattdessen finde ich mich nun wieder als die einsame Stimme der Wahrheit in einem Meer von Korruption.“ Aber sein Sendungsbewusstsein hat einen hohen Preis: „Es ist noch kein Tag vergangen“, sagt er, „an dem ich nicht denke, wie viel schöner das Leben wäre, wenn ich damals nicht diesen Anruf von der New York Times bekommen hätte“.

In Washington gilt Krugman als der Chronist der Ära Bush, so wie es einst George Will für die Reagan-Jahre war. Die Zeitschrift Washington Monthly bezeichnete ihn jüngst als den „bedeutendsten Kolumnisten Amerikas“ und Editor & Publisher kürte ihn zum Kolumnisten des Jahres.

Kein anderer notorischer Bush-Kritiker, weder Noam Chomsky noch Molly Ivins, haben eine annähernd so große Bühne für ihre Kommentare wie Paul Krugman. Seit 1999 druckt die New York Times zweimal wöchentlich seine Kolumne.

Ex-Notenbankvize und Princeton-Kollege Alan Blinder verteilt Kopien von Krugmans Kolumne in seinen Vorlesungen und lobt die „missionarische Qualität seines Schreibens“. Die Washington Post spricht Krugman sogar Kultstatus zu, und die Universitätszeitung The Daily Princetonian jubelte jüngst, er sei der „einzige Existenzialist unserer Zeit – „der Camus der Kolumnisten“.

Mehrere Krugman-Internetseiten verehren den Kolumnisten inzwischen, es gibt die „neue“, die offizielle und die inoffizielle Paul Krugman-Seite. Letztere nahm ihm zu seinem 50. Geburtstag in die Ahnengalerie der ganz großen Ökonomen auf, von Adam Smith, David Ricardo, John Maynard Keynes bis zu Robert Solow.

Die Konservativen, natürlich, hassen Krugman für seine Kommentare. „Es gibt nette Post“, sagt Krugman, „es gibt böse Post – und dann gibt es die Hassbriefe“. Man hat ihm schon gesagt, man wolle ihm auflauern, man wolle ihm jemand auf den Hals schicken, aber für Krugman gehört das zum Geschäft. „Wenn ein Meinungsartikel oder eine Kolumne nicht eine beträchtliche Zahl von Leuten verärgert“, sagt Krugman, „hat der Autor den Platz verschwendet“.

Während des Enron-Debakels bemerkten seine Kritiker, dass der „saubere Kolumnist“ selbst einmal auf der Gehaltsliste von Enron gestanden habe und 50.000 Dollar Beratungshonorar einkassierte.

Häme im Weißen Haus

Im Internet wurden Prämien geboten, wenn jemand Informationen über das Privatleben Krugmans mitzuteilen gehabt hätte. Ari Fleischer, der Sprecher des Präsidenten sagt: „Krugman ist im Weißen Haus nicht das, was man unbedingt einen häufig gelesenen Kolumnisten nennt.“ Ein anderer Bush-Getreuer sagt, Krugmans Spalten seien „reine Hau-auf-Bush-drauf-Übungen“.

Krugman kennt nur wenig Respekt vor Leuten mit Rang. „Ich habe zwar immer gerne etwas mit Politik zu tun gehabt, aber glücklicherweise habe ich es nie geschafft, Politiker wirklich ernst zu nehmen“, sagt er. Der 11. September 2001 hat ihn anders als viele andere Amerikaner nicht staatstragender werden lassen. „Politiker, die sich in die Flagge wickeln, indes ohne Unterlass ihre parteilichen Ziele verfolgen, sind keine wahren Patrioten, und die Geschichte wird ihnen nicht verzeihen“, schreibt er. „Bush benutzt diese Ereignisse, um seine ursprünglichen Ziele zu rechtfertigen.“

Die Medien spielten dabei eine Handlangerrolle. „Das nächste Mal wenn die Regierung darauf besteht, dass Schokolade Vanille ist“, tobt Krugman, „wird ein Großteil der Medien nicht mehr berichten, dass das Zeug braun ist, entweder um Konsequenzen zu vermeiden oder um ausgewogen zu berichten. Bestenfalls werden sie berichten, dass die Demokraten behaupteten, Schokolade ist braun.“

Ein strammer Parteigänger der Demokraten ist Krugman allerdings nicht. „Wäre Al Gore Präsident, wäre nichts besser“, sagt Krugman. Als Präsident Bill Clinton vor dem Niedergang Amerikas warnte, als er die eigene Wirtschaft mit Staatseingriffen vor ausländischer Konkurrenz schützen wollte, prangerte Krugman „primitiven Populismus“ des Präsidenten an.

Robert Reich, Clintons Arbeitsminister nannte er einen „einfältigen Schreiber, der seine Hausaufgaben noch immer nicht macht“, MIT-Professor Lester Thurow, einen der Vordenker Clintons, bezeichnete er als einen „ökonomischen Ketzer“ und Clintons Wirtschaftsweise Laura Tyson beschimpfte er als „Pseudo-Ökonomin“.

In seinem Buch „Pop Internationalism“ trat er den Kampf gegen die „intellektuelle Barberei“ der Clinton-Berater an, die dem Irrglauben nachhingen, Volkswirtschaften konkurrierten miteinander wie Unternehmen, und Freihandel wäre letztlich ein Nullsummenspiel. Als Clinton Präsident wurde, wollte er dessen Wirtschaftsberater werden.

Aber heute sagt er: „Es wäre ein Desaster gewesen. Ich bin temperamentmäßig mäßig geeignet für einen Job, in dem man sich auf die Zunge beißen muss, wenn Leute dummes Zeug sagen.“

Er selbst bezeichnet sich als einen „Free-Market- Keynesianer: Ich bin für freie Märkte, aber ich halte Staatseingriffe für sinnvoll, um Marktversagen zu verhindern und Stabilität sicherzustellen.“ In Amerika fordert er, die Finanzhilfen des Bundes an die Einzelstaaten aufzustocken, die Sozialabgaben zu senken und die Zahlungen für Arbeitslose zu verbessern, um die Nachfrage zu beleben. Gleichzeitig warnt er vor neuen Verpflichtungen für die Zukunft.

Das europäische Sozialstaatsmodell etwa hält er für wachstumshemmend, er beklagt die ausbleibenden Arbeitsmarktreformen und die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Speziell über Deutschland hat er einmal geschrieben, das Land kranke an seinem Perfektionismus und seinem Misstrauen in die Märkte. Wenn er zwischen der Politik Bushs und der Europas wählen müsste, sei das wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die gegenwärtige Stärke des Euro, sagt er, sei „angesichts der Lage Europas ein ziemlich miserables Urteil über Amerika“.

Krugman wurde lange Zeit als einer der Anwärter für den Nobelpreis gehandelt, seine Chancen sind allerdings eher gesunken, seitdem er in der politischen Debatte so prominent mitmischt. Krugman hat mehr als 20 Bücher veröffentlicht, und mehr als 200 Artikel in Magazinen wie Fortune, Foreign Affairs und Harvard Business Review. Er lehrte an drei der renommiertesten Universitäten Amerikas, in Yale, Princeton und am MIT. Er ist Ehrendoktor der Freien Universität Berlin.

Princeton verlässt Krugman nur selten und die Menschen, über die er schreibt, trifft er fast nie. Er könne vielleicht deshalb so pointiert schreiben, sagt er, weil er nicht auf Informationen von Politikern angewiesen sei. Bush hat er noch nicht einmal die Hand geschüttelt, und der Kontakt mit Notenbankchef Alan Greenspan beschränkt sich auf ein einziges Telefonat, als Greenspan erbost anrief, um sich über eine Kolumne zu beschweren.

In einem sehr persönlichen Aufsatz hat Krugman einmal über seine Lebensphilosophie geschrieben: „Ich habe eine eigennützige Theorie: Interessante Ideen haben wenig mit interessanten Lebenserfahrungen zu tun. Jemand, der in acht Ländern gelebt hat und fünf Sprachen spricht, der mit dem Schlitten durch Sibirien gefahren ist und mit dem Boot den Amazonas entlang, hat keine bessere Kenntnis von sozialen Zusammenhängen als jemand, der in einem Mittelklasse-Vorort aufgewachsen ist und Science-Fiction- Bücher gelesen hat.“




Grüße Max
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