In die Frührente gezwungen - Statistik der Arbeits

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In die Frührente gezwungen - Statistik der Arbeits

 
08.09.02 12:18
8.7.2002  

Autor: Andreas Bachmann  

1998 ist Karl Vetter erstmals arbeitslos geworden. Doch der 59-Jährige gab nicht auf. Unermüdlich kämpft er seitdem immer wieder um einen Job. Im Januar erhielt der gelernte Industriemeister dann verheißungsvolle Post vom Arbeitsamt. Karl Vetter wurde einbestellt, um über Stellenangebote und seine berufliche Weiterentwicklung zu sprechen. Erwartungsvoll ging er zu seiner Arbeitsvermittlerin, doch es kam alles ganz anders für Karl Vetter:

"Dann ließ sie die Katze aus dem Sack und sagte, also ich werde doch nächstes Jahr 2003 sechzig und hätte meine Arbeitslosentage bis zum August und es wäre doch Zeit, dass ich in Rente ging. Unter anderem sagt sie dann noch, ja sie gehen in Rente und dann können wir sie ja aus der Kartei streichen. Das war mir ein kleines bisschen zu primitiv, einfach die Leute, die so 57/58 sind abzuschieben ins Rentenalter."

Das Sozialgesetzbuch macht es möglich. Mittels Paragraph 428 SGB III können 58jährige mit ihrer Unterschrift erklären, dass sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie müssen sich nicht mehr beim Arbeitsamt melden und können zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Rente gehen. Der Clou für die Vermittler: Der Arbeitslose verschwindet sofort aus der Statistik.

Bei der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Zschopau - kurz KEZ - stellt man seit Ende vergangenen Jahres fest, dass immer mehr ältere Arbeitslose mit dem Paragraphen 428 konfrontiert werden. Rente statt neuem Job - so scheint es - heißt das Motto. Angela Hähnel von der KEZ berichtet:

"Also das haben wir ab vorigem Dezember wirklich ganz sehr gemerkt. Da waren ganz oft Leute da die uns dann auch gefragt haben, was mach ich jetzt, wie geht's weiter? Das haben wir im vorigen Jahr nicht so gemerkt, erst im Dezember ging das los. Warum das so ist weiß ich nicht, das kann ich nur vermuten. Die Arbeitslosenzahlen sollten ja unter die 4 Millionen-Grenze und die sollten ja weiter gedrückt werden und irgendein Mittel brauchen sie ja."

Statistikverschönerung leicht gemacht. Im Jahresvergleich gingen die Arbeitslosenzahlen ausgerechnet bei den über 55jährigen um sage und schreibe 16 Prozent zurück. Entgegen dem Bundestrend. Für den Vorsitzenden der CDU/CSU Mittelstandsvereinigung, Peter Rauen, ist deshalb klar:

"Das kann also nicht mit Vermittlung zusammenhängen, sondern kann letztlich nur mit Bereinigung der Statistik über die gesetzlichen Möglichkeiten, aber auch dass man massiv versucht, die Möglichkeiten zu nutzen und ältere Arbeitslose aus der Statistik versucht loszuwerden."

Die Bundesanstalt für Arbeit weißt den Vorwurf der Statistikbereinigung kategorisch von sich. Heinrich Alt, Vizepräsident der Bundesanstalt für Arbeit sagt:

"Also wir beschönigen im Wahljahr nichts. Wir haben auch 98 nichts im Wahljahr beschönigt, das ist nicht unsere Aufgabe. Sondern unsere Aufgabe ist es, möglichst viele Menschen, sofern es denn Konjunktur und Wirtschaft zulassen, in Beschäftigung zu bringen."

Bei den Selbsthilfegruppen an der Basis ist man sich da nicht so sicher. Elke Al-Saffar vom Arbeitslosen Service Bernau weiß noch ganz anderes zu berichten. Die Erwerbslosen werden in einen 14tägigen Kurs gesteckt, der einzig und allein den Paragraphen 428 zum Inhalt hat. Zwei Wochen sollen die Arbeitslosen davon überzeugt werden, dass es doch besser sei, sich nicht mehr vermitteln zu lassen und stattdessen in Ruhe auf seine Rente zu warten. Elke Al-Saffar sagt:

"Ich geh schon mal davon aus, dass natürlich am Ende dieser 14 Tage die Mitarbeiter des Arbeitsamtes schon erwarten, dass man diesen 428 für sich unterschreibt. Es gab Tendenzen, wo es schon ein bisschen zwingender war, wo also dann Referenten, sag ich mal, dort gesagt haben: Also wenn sie ihn nicht unterschreiben, dann finden wir schon Mittel und Wege, irgendwann unterschreiben sie ihn."

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08.09.02 12:36
Und Angela Hähnel von der KEZ ergänzt:

"Wir denken der Druck kommt aus Nürnberg und die Arbeitsämter sind nur die ausführenden Organe, damit das Wahlversprechen halbwegs wenigstens eingehalten werden kann."

Heinrich Alt, Vizepräsident der Bundesanstalt für Arbeit aus Nürnberg dementiert auch diesmal:

"Also ein Drängen, diesen Paragraphen zu unterschreiben, gibt es nicht."

report  liegt der interne Vermerk eines Arbeitsamtsdirektors vor. Darin heißt es: aus Nürnberg werde enormer Druck auf die Dienststellen vor Ort ausgeübt. Der Paragraphen 428 a SGB III soll unbedingt umgesetzt werden. Doch Heinrich Alt bleibt dabei:

"Also ein Drängen, diesen Paragraphen zu unterschreiben, gibt es nicht."

In einem internen Runderlass der Bundesanstalt für Arbeit, der report  vorliegt, heißt es:

"Nicht zuletzt unter Entlastungsgesichtspunkten ist darauf hinzuwirken, dass ein möglichst großer Anteil des in Frage kommenden Personenkreises die Regelung des Paragraph 428 SGB III in Anspruch nimmt."

Und weiter:

"Verbleibt es bei einer negativen Entscheidung des Arbeitslosen, kann die Überprüfung der Arbeitsbereitschaft der Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen angezeigt sein."

Was das im Klartext heißt hat Lothar Brzoska am eigenen Leib zu spüren bekommen. Auch er will nicht unterzeichnen. Er erzählt:

"Daraufhin hatte ich noch mal ein Anschreiben bekommen, dass ich mir das noch mal überlegen soll, ansonsten kann das für mich Konsequenzen haben. Diese Konsequenzen sehen im letzten Schreiben so aus, dass ich 15 Bewerbungen nachweisen muss und wenn diese nicht kommen, das könnte dann auch zu Kürzungen von Leistungen führen."

Wir fragen nach: "Fühlen Sie sich unter Druck gesetzt?"

"Ja sicher. Ich meine man ist ja bemüht weiter zu arbeiten, trotz meines Alters mit 58 Jahren würde ich ja gerne noch einen Job annehmen, aber in unserer Region ist es echt kompliziert und wenn man dann vom Arbeitsamt gesagt kriegt, na wir werden dann von Dir regelmäßig die 15 Bewerbungen abfordern, dann ist das schon ein bestimmter Druck."

Karl Vetter hat dank seiner Hartnäckigkeit seit April wieder eine ABM-Stelle. Das Arbeitsamt hätte ihn statt dessen lieber aufs Abstellgleis gestellt. Er ist enttäuscht:

"Man kann mit den Leuten nicht so umgehen, also hier einfach sagen du bist jetzt 59 und jetzt verschwindest Du aus der Kartei."

Doch es ist Wahljahr. Und da müssen die Zahlen einfach stimmen.
 

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