Unabhängige Regionen, Menschen mit Unternehmergeist und eine stabile Währung: Chinas Boom hat greifbare Gründe
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Terror und Krieg zerstören das Vertrauen in die Weltwirtschaft, Amerika und Japan stecken in der Rezession, auch in Deutschland sinkt die Wachstumsrate, und am schlimmsten treffen Investitionsabbau und Aktienverfall die Entwicklungsländer. Die Welt im Herbst 2001: Die Krise hat den ganzen Globus erfasst. Den ganzen Globus? Nein. Die Volksrepublik China leistet hartnäckig Widerstand.
Das bevölkerungsreichste Land der Welt verzeichnet derzeit ein Wirtschaftswachstum von 7,8 Prozent. Das ist Weltspitze. Kein Wunder also, wenn China vielen Beobachtern als neuer Hoffnungsträger in der Globalisierungskrise erscheint: "Das steigende Risiko einer weltweiten Rezession sollte allen klar machen, wie wichtig der freie Handel mit einer so schnell wachsenden und potenziell riesigen Wirtschaft wie der chinesischen ist", empfiehlt die Financial Times.
Die Botschaft ist angekommen. Nächste Woche wird Bundeskanzler Gerhard Schröder nach China fliegen und die Transrapid-Baustelle in Shanghai besuchen. Der Kanzler will zeigen, dass die Globalisierung weitergeht. Kein Ort der Welt ist dafür besser geeignet als das chinesische Wachstumswunder an der Jangtse-Mündung.
Genau so dachte US-Präsident George W. Bush, als er vergangene Woche erstmals seit den Attentaten sein Land verließ: Auch er reiste nach Shanghai. Beim informellen Treffen mit 19 Staatsführern des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums warb Bush für eine weiterhin freie Weltwirtschaft: Die Globalisierung bleibe "ein mächtiges Instrument zur Schaffung wirtschaftlichen Wachstums und der Anhebung des Lebensstandards", heißt es nun in der Gipfelerklärung. Dass diese aus China stammt, sich damit die kommunistischen Gastgeber als Globalisierungsfans geben, überrascht längst nicht mehr.
Der neue Gewinner des weltweiten Standortwettbewerbs heißt Volksrepublik China. Von Wachstumsrückgang und Verlusten zum genaueren Hinschauen gezwungen, entdecken die internationalen Konzerne, was sich alles in China billiger produzieren lässt. Schon baut Siemens in Shanghai Mobiltelefone, verlagern taiwanesische Chiphersteller ihre Fabriken auf das Festland, errichten amerikanische Computerfirmen im Reich der Mitte neue Produktionsanlagen. "China ist der weltweit billigste Produzent für alles", sagt Tom Condon, Chefökonom der Investmentbank ING Barings in Hongkong. Das US-Magazin Business Week bezeichnet die Volksrepublik bereits als "Supermacht im Herstellungsbereich".
Mehr Handys als in Amerika
Das Land setzt zum Sprung an: von der Agrar- in die Informationsgesellschaft. Chinesen greifen inzwischen häufiger zum Handy als Amerikaner. Aber noch nicht oft genug. Bis ins Jahr 2005 wird sich die Zahl der Mobiltelefone in der Volksrepublik auf 260 Millionen mehr als verdoppeln. Bei der Nutzung von Computern ist China gerade dabei, Japan zu überholen. Über zehn Millionen Chinesen werden in diesem Jahr einen PC kaufen.
Drei Gründe nennt der japanische Ökonom Kenichi Ohmae für Chinas wirtschaftlichen Erfolg: erstens eine politische Struktur nach der Formel: "Ein System, zehn Nationen". Deregulierung und Dezentralisierung hätten ein "Commonwealth von halbautonomen, selbst regierten Wirtschaftszonen" erzeugt - für Ohmae ein "kapitalistisches Paradies, solange man nicht mit der Zentralregierung in Peking zu tun hat". Zweitens der Lernwille und die Tüchtigkeit chinesischer Privatunternehmen, die als Zulieferer just in time für globale Konzerne arbeiten und Tagelöhner zu billigen Facharbeitern ausbilden. Drittens die Stabilität der chinesischen Währung. Der Yuan ist an den Dollar gebunden und darf im Ausland nicht getauscht werden. Damit habe sich China laut Ohmae "immun gegen die Währungsspekulationen gemacht, die Länder wie Mexiko, Indonesien und Brasilien in die Krise ritten".
Hinzu kommt, dass China nach 15-jährigem Verhandlungsmarathon Anfang nächsten Jahres der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten wird. Damit ist Peking gezwungen, noch bestehende Importhürden zu beseitigen und ausländischen Unternehmen ähnliche Rechte zu gewähren wie einheimischen Firmen. Ganze Branchen, auf die das Ausland bisher keinen Zugriff hatte, werden geöffnet: etwa das Bank- und Versicherungswesen und die Telekommunikation.
Unisono verkünden westliche Experten, dass die Volksrepublik bis zum Jahr 2015 Japan als zweitgrößte Wirtschaftsmacht verdrängen werde. Der allgemeine Lebensstandard in China wird sich nach Schätzungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA dem heutigen Niveau von Griechenland oder Südkorea annähern.
Doch so gut China heute dasteht - es muss nicht alles weitergehen wie bisher. Genauso groß wie die Chancen sind die Risiken der weiteren Wirtschaftsentwicklung. Beispiel WTO-Beitritt: Von den 120 Kraftfahrzeugherstellern, die China heute zählt, werden nach der WTO-gemäßen Öffnung des chinesischen Fahrzeugmarktes für Importe nur fünf oder sechs überleben können. Der traditionellen Industrie, deren Staatsbetriebe selten international konkurrenzfähig sind, droht ein kompletter Umbau.
Das voraussehbare Ergebnis: der Verlust von bis zu 30 Millionen Arbeitsplätzen in den nächsten fünf Jahren. Da Peking bereits in den vergangenen vier Jahren in den Staatsbetrieben 35 Millionen Arbeitsplätze gestrichen hatte, steht das Land damit vor einer sozialen Zerreißprobe. Zumal der WTO-Beitritt auch die Zukunft der 900 Millionen Bürger zählenden Landbevölkerung gefährdet: Billige Weizenimporte aus den USA werden vielen Bauern einen großen Teil ihres ohnehin geringen Einkommens entreißen. "Vor fünfzehn Jahren gab es in China nur geringfügige Einkommensunterschiede. Heute ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich so groß wie in Brasilien. Er liegt damit an der Weltspitze", sagt Wang Hui, Chefredakteur der globalisierungskritischen Pekinger Zeitschrift Dushu.
Weitere Konflikte drohen mit den Handelspartnern. Allein um die WTO-Regeln einzuhalten, muss Peking 170 Gesetze und Vorschriften verändern. "China muss jetzt ein effektives Rechtssystem aufbauen. Um das zu erreichen, haben die Vereinigten Staaten ein halbes Jahrhundert benötigt", kommentiert der amerikanische Ökonom Jeffrey Garten die Herausforderung. Garten befürchtet, dass China es nicht schaffen wird, die WTO-Vorschriften einzuhalten. Darauf deutet auch eine jüngste Umfrage der Deutschen Handelskammer in China unter in der Volksrepublik ansässigen deutschen Unternehmen hin: 60 Prozent von ihnen halten Rechtsbedingungen und Gesetzeslage in China für unbefriedigung bis inakzeptabel.
Die Rechtsprobleme der ausländischer Firmen haben viel zu tun mit dem politischen Reformstau in Peking: Dort kämpft die regierende KP weiterhin stur gegen die sich aus ihren Marktreformen ergebenden Zwänge zur Gewaltenteilung. So bleibt die Justiz in den meisten Fällen unberechenbar und die Gesetzgebung insgesamt schwach.
In Kenntnis solcher Risiken sagen einige Pessimisten China in den nächsten Jahren Wachstumsraten von nur noch drei bis vier Prozent voraus. Optimisten dagegen, wie die Leute von der Unternehmensberatung Roland Berger in China, versprechen, dass allein der WTO-Beitritt dem Land in den nächsten zehn Jahren ein zusätzliches akkumuliertes Wachstum von 34 Prozent bescheren wird.
Sicher ist derweil, dass China der Weg zurück in die Isolation, in der das Land jahrhundertelang verbrachte, versperrt ist. Und sicher ist auch, dass Chinas erfindungsreiche Unternehmer Herstellern und Exporteuren in aller Welt das Leben schwerer machen werden. Dabei rät Kenichi Ohmae den Bürgern Japans und des Westens, die Nerven zu bewahren: "Als Normalverbraucher sollten wir unsere Angst vor China mit der Tatsache dämpfen, dass es den Konsumenten besser als je zuvor gehen wird."
Quelle: Die Zeit
Terror und Krieg zerstören das Vertrauen in die Weltwirtschaft, Amerika und Japan stecken in der Rezession, auch in Deutschland sinkt die Wachstumsrate, und am schlimmsten treffen Investitionsabbau und Aktienverfall die Entwicklungsländer. Die Welt im Herbst 2001: Die Krise hat den ganzen Globus erfasst. Den ganzen Globus? Nein. Die Volksrepublik China leistet hartnäckig Widerstand.
Das bevölkerungsreichste Land der Welt verzeichnet derzeit ein Wirtschaftswachstum von 7,8 Prozent. Das ist Weltspitze. Kein Wunder also, wenn China vielen Beobachtern als neuer Hoffnungsträger in der Globalisierungskrise erscheint: "Das steigende Risiko einer weltweiten Rezession sollte allen klar machen, wie wichtig der freie Handel mit einer so schnell wachsenden und potenziell riesigen Wirtschaft wie der chinesischen ist", empfiehlt die Financial Times.
Die Botschaft ist angekommen. Nächste Woche wird Bundeskanzler Gerhard Schröder nach China fliegen und die Transrapid-Baustelle in Shanghai besuchen. Der Kanzler will zeigen, dass die Globalisierung weitergeht. Kein Ort der Welt ist dafür besser geeignet als das chinesische Wachstumswunder an der Jangtse-Mündung.
Genau so dachte US-Präsident George W. Bush, als er vergangene Woche erstmals seit den Attentaten sein Land verließ: Auch er reiste nach Shanghai. Beim informellen Treffen mit 19 Staatsführern des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums warb Bush für eine weiterhin freie Weltwirtschaft: Die Globalisierung bleibe "ein mächtiges Instrument zur Schaffung wirtschaftlichen Wachstums und der Anhebung des Lebensstandards", heißt es nun in der Gipfelerklärung. Dass diese aus China stammt, sich damit die kommunistischen Gastgeber als Globalisierungsfans geben, überrascht längst nicht mehr.
Der neue Gewinner des weltweiten Standortwettbewerbs heißt Volksrepublik China. Von Wachstumsrückgang und Verlusten zum genaueren Hinschauen gezwungen, entdecken die internationalen Konzerne, was sich alles in China billiger produzieren lässt. Schon baut Siemens in Shanghai Mobiltelefone, verlagern taiwanesische Chiphersteller ihre Fabriken auf das Festland, errichten amerikanische Computerfirmen im Reich der Mitte neue Produktionsanlagen. "China ist der weltweit billigste Produzent für alles", sagt Tom Condon, Chefökonom der Investmentbank ING Barings in Hongkong. Das US-Magazin Business Week bezeichnet die Volksrepublik bereits als "Supermacht im Herstellungsbereich".
Mehr Handys als in Amerika
Das Land setzt zum Sprung an: von der Agrar- in die Informationsgesellschaft. Chinesen greifen inzwischen häufiger zum Handy als Amerikaner. Aber noch nicht oft genug. Bis ins Jahr 2005 wird sich die Zahl der Mobiltelefone in der Volksrepublik auf 260 Millionen mehr als verdoppeln. Bei der Nutzung von Computern ist China gerade dabei, Japan zu überholen. Über zehn Millionen Chinesen werden in diesem Jahr einen PC kaufen.
Drei Gründe nennt der japanische Ökonom Kenichi Ohmae für Chinas wirtschaftlichen Erfolg: erstens eine politische Struktur nach der Formel: "Ein System, zehn Nationen". Deregulierung und Dezentralisierung hätten ein "Commonwealth von halbautonomen, selbst regierten Wirtschaftszonen" erzeugt - für Ohmae ein "kapitalistisches Paradies, solange man nicht mit der Zentralregierung in Peking zu tun hat". Zweitens der Lernwille und die Tüchtigkeit chinesischer Privatunternehmen, die als Zulieferer just in time für globale Konzerne arbeiten und Tagelöhner zu billigen Facharbeitern ausbilden. Drittens die Stabilität der chinesischen Währung. Der Yuan ist an den Dollar gebunden und darf im Ausland nicht getauscht werden. Damit habe sich China laut Ohmae "immun gegen die Währungsspekulationen gemacht, die Länder wie Mexiko, Indonesien und Brasilien in die Krise ritten".
Hinzu kommt, dass China nach 15-jährigem Verhandlungsmarathon Anfang nächsten Jahres der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten wird. Damit ist Peking gezwungen, noch bestehende Importhürden zu beseitigen und ausländischen Unternehmen ähnliche Rechte zu gewähren wie einheimischen Firmen. Ganze Branchen, auf die das Ausland bisher keinen Zugriff hatte, werden geöffnet: etwa das Bank- und Versicherungswesen und die Telekommunikation.
Unisono verkünden westliche Experten, dass die Volksrepublik bis zum Jahr 2015 Japan als zweitgrößte Wirtschaftsmacht verdrängen werde. Der allgemeine Lebensstandard in China wird sich nach Schätzungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA dem heutigen Niveau von Griechenland oder Südkorea annähern.
Doch so gut China heute dasteht - es muss nicht alles weitergehen wie bisher. Genauso groß wie die Chancen sind die Risiken der weiteren Wirtschaftsentwicklung. Beispiel WTO-Beitritt: Von den 120 Kraftfahrzeugherstellern, die China heute zählt, werden nach der WTO-gemäßen Öffnung des chinesischen Fahrzeugmarktes für Importe nur fünf oder sechs überleben können. Der traditionellen Industrie, deren Staatsbetriebe selten international konkurrenzfähig sind, droht ein kompletter Umbau.
Das voraussehbare Ergebnis: der Verlust von bis zu 30 Millionen Arbeitsplätzen in den nächsten fünf Jahren. Da Peking bereits in den vergangenen vier Jahren in den Staatsbetrieben 35 Millionen Arbeitsplätze gestrichen hatte, steht das Land damit vor einer sozialen Zerreißprobe. Zumal der WTO-Beitritt auch die Zukunft der 900 Millionen Bürger zählenden Landbevölkerung gefährdet: Billige Weizenimporte aus den USA werden vielen Bauern einen großen Teil ihres ohnehin geringen Einkommens entreißen. "Vor fünfzehn Jahren gab es in China nur geringfügige Einkommensunterschiede. Heute ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich so groß wie in Brasilien. Er liegt damit an der Weltspitze", sagt Wang Hui, Chefredakteur der globalisierungskritischen Pekinger Zeitschrift Dushu.
Weitere Konflikte drohen mit den Handelspartnern. Allein um die WTO-Regeln einzuhalten, muss Peking 170 Gesetze und Vorschriften verändern. "China muss jetzt ein effektives Rechtssystem aufbauen. Um das zu erreichen, haben die Vereinigten Staaten ein halbes Jahrhundert benötigt", kommentiert der amerikanische Ökonom Jeffrey Garten die Herausforderung. Garten befürchtet, dass China es nicht schaffen wird, die WTO-Vorschriften einzuhalten. Darauf deutet auch eine jüngste Umfrage der Deutschen Handelskammer in China unter in der Volksrepublik ansässigen deutschen Unternehmen hin: 60 Prozent von ihnen halten Rechtsbedingungen und Gesetzeslage in China für unbefriedigung bis inakzeptabel.
Die Rechtsprobleme der ausländischer Firmen haben viel zu tun mit dem politischen Reformstau in Peking: Dort kämpft die regierende KP weiterhin stur gegen die sich aus ihren Marktreformen ergebenden Zwänge zur Gewaltenteilung. So bleibt die Justiz in den meisten Fällen unberechenbar und die Gesetzgebung insgesamt schwach.
In Kenntnis solcher Risiken sagen einige Pessimisten China in den nächsten Jahren Wachstumsraten von nur noch drei bis vier Prozent voraus. Optimisten dagegen, wie die Leute von der Unternehmensberatung Roland Berger in China, versprechen, dass allein der WTO-Beitritt dem Land in den nächsten zehn Jahren ein zusätzliches akkumuliertes Wachstum von 34 Prozent bescheren wird.
Sicher ist derweil, dass China der Weg zurück in die Isolation, in der das Land jahrhundertelang verbrachte, versperrt ist. Und sicher ist auch, dass Chinas erfindungsreiche Unternehmer Herstellern und Exporteuren in aller Welt das Leben schwerer machen werden. Dabei rät Kenichi Ohmae den Bürgern Japans und des Westens, die Nerven zu bewahren: "Als Normalverbraucher sollten wir unsere Angst vor China mit der Tatsache dämpfen, dass es den Konsumenten besser als je zuvor gehen wird."
Quelle: Die Zeit