Hochinteressant - Fiat: Putsch in Turin

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Hochinteressant - Fiat: Putsch in Turin

 
05.01.03 13:53
Mit Unterstützung von Regierungschef Silvio Berlusconi will der findige Finanzinvestor Roberto Colaninno die Ära Agnelli beim angeschlagenen Fiat-Konzern beenden. Gelingt es, den mächtigen Clan abzusetzen, wäre dies das Ende des italienischen Familienkapitalismus.

Umberto Agnelli tut in diesen Tagen so, als könne seine Familie noch selbst über die Zukunft des Turiner Fiat-Konzerns entscheiden. Den Vorstoß des norditalienischen Finanzinvestors Roberto Colaninno, bei Fiat einzusteigen, und insgesamt 8 Mrd. Euro in das Unternehmen zu pumpen, kommentiert der Chef der Familienholdings Ifi und Ifil mit einer höflichen Absage: "Vielen Dank für das Angebot, aber wir haben unsere eigenen Pläne, die wir verfolgen und umsetzen." Gerade so, als habe da gerade jemand ein Strategiepapier überreicht, das man geprüft und für uninteressant befunden hätte.

Tatsächlich schickt sich der frühere Telecom-Italia-Chef Colaninno an, die Agnelli-Familie aus ihrer mehr als 100-jährigen Kontrollposition zu kegeln und selbst die Macht bei Fiat zu übernehmen - mit der Deckung von Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Umberto Agnelli war noch nie so einsam wie in diesen Tagen. Und noch nie seit Gründung der Fabbrica Italiana Automobili Torino im Jahre 1899 wirkte ein Mitglied der Familiendynastie so schwach und unbeholfen. Seit Monaten muss er sich selbst um den angeschlagenen Fiat-Konzern kümmern.

Dass sein älterer Bruder, der Fiat-Ehrenpräsident Gianni Agnelli, auf dem Sterbebett liegt, macht die Sache nicht einfacher: Der 82-jährige Patron war bisher die Autorität nach außen. Fiat gleich Agnelli, Agnelli gleich Fiat, eine 34-Prozent-Beteiligung genügte stets zur Kontrolle.

Eine Revolution von oben

Doch diesmal ist alles anders. Das, was sich gerade in Italien abspielt, ist eine Revolution. Eine Revolution von oben, angezettelt von Berlusconi und einigen norditalienischen Finanziers. Der vom Regierungschef in den Ring gesandte Agnelli-Liquidator Colaninno ist in Italien kein Unbekannter. "Razza Padana", "padanische Rasse", nennt man den Freundeskreis um den Investor aus Brescia.

Hier, rund um die graue lombardische Industriestadt, wird mehr Geld verdient als in mancher süditalienischen Region. Und von hier aus trat Colaninno 1999 an, bei einem Überraschungs-Coup die Telecom Italia zu übernehmen. Damals lief sich Ron Sommer warm, um seine Deutsche Telekom mit dem italienischen Ex-Monopolisten zu fusionieren. Doch die Bonner wurden im letzten Moment ausgebootet - die "Razza Padana" war schneller und hatte sich über den Büromaschinenhersteller Olivetti im letzten Moment die Stimmrechte an der Telecom Italia gesichert.

Die feindliche Übernahme von 51 Prozent des Telekommunikationskonzerns machte damals Schlagzeilen - aber mehr noch sprach man über Colaninno, der sich an die Spitze des Unternehmens schwang. Der kleine Mann mit dem schweren, großen Kopf und den listigen Augen schaffte damals Unerhörtes. Dem Emporkömmling gelang es, die Telecom Italia über ein komplexes Netzwerk von Schachtelbeteiligungen zu übernehmen, seinen Konkurrenten Fiat im Bieterkampf auszustechen und so die ehernen Industriegesetze im Land außer Kraft zu setzen. Schon damals hieß es, der Familienkapitalismus italienischer Prägung sei am Ende - wäre da nicht noch der Clan der Agnellis gewesen, die seit mehr als 100 Jahren die Zügel ihres Turiner Konzerns fest in der Hand halten.

Kurzes Gastspiel bei Telecom Italia

Nach zwei Jahren war das Gastspiel der "Razza Padana" bei der Telecom Italia bereits wieder vorbei. Einen überzeugenden Geschäftsplan hatte der Investor Colaninno nie vorgelegt. Wer den Konzern tatsächlich kontrollierte, wurde immer unklarer, und am Ende stiegen die Schulden allein bei Olivetti auf über 18 Mrd. Euro.

Colaninno verkaufte die Telecom Italia im Sommer 2001 an die Traditionskonzerne Pirelli und Benetton. Die einst so mächtigen Familien waren plötzlich und unerwartet zurückkehrt. Colaninno und seine "padanische Rasse" tauchten ab - und mit ihnen rund 7 Mrd. Euro, die ihnen durch den Telecom-Italia-Verkauf in die eigene Kasse geflossen waren.

Dass der Finanzhai Colaninno ausgerechnet jetzt erneut die Bühne betritt, überrascht nicht. Der Zeitpunkt kurz nach Neujahr passt hervorragend. Wichtige Coups, die die industrielle Statik Italiens ins Wanken bringen können, werden meist im Sommer gemacht, wenn die meisten Italiener am Strand sitzen und sich kaum für Wirtschaft und Politik interessieren. Oder eben um Weihnachten herum. Dann sind viele Städter zum Skifahren in den Bergen und damit weit weg vom Geschehen.

So dürfte nur wenigen die politische Kehrtwende des Roberto Colaninno aufgefallen sein: Vor drei Jahren war es vor allem der damalige Mitte-links-Ministerpräsident Massimo D’Alema, der Colaninno bei der Telecom Italia die Steigbügel hielt, um ausländische Investoren auszugrenzen.

Fiat muss italienisch bleiben

Jetzt erhält Colaninno Unterstützung aus einer ganz anderen Ecke. Spätestens als der wendige Ministerpräsident Berlusconi vor einigen Tagen erklärte, man habe einen "italienischen Investor" parat, damit Fiat "in italienischen Händen" bleibe und auch weiterhin "italienische Autos" baue, durfte spekuliert werden, dass Berlusconi die Rückkehr Colaninnos und der "Razza Padana" ankündigt.

Der Politiker und Unternehmer Berlusconi hatte erst kürzlich die Agnelli-Familie aufgeschreckt: Das Fiat-Management tauge nichts, wütete er, und wenn er etwas Zeit hätte, würde er sich am liebsten selbst um den Konzern kümmern. Man brauche ein jüngeres Management und eine Modelloffensive, um die dahinsiechende Autosparte Fiats wieder nach oben zu bringen.

Die Agnellis wird es da schon gegraust haben - der Ministerpräsident war nun offen gegen sie. Berlusconi hat seit langem kein gutes Wort für die Familie mehr übrig. Erst das jahrelange Missmanagement und die Verluste in der Autosparte, die dem Konzern dieses Jahr wohl ein Minus von mehr als 1,5 Mrd. Euro einbringen werden. Dann der harte Sanierungsplan mit mehr als 8000 Entlassungen, die dem Ministerpräsidenten große Kopfschmerzen bereiten.

Agnelli versus Berlusconi

Die Abstufung des Fiat-Kredit-Ratings durch die Rating-Agentur Moody’s auf Junk-Bond-Niveau kurz vor Weihnachten, aufgebrachte Gewerkschafter, Generalstreiks, Straßen-, Eisenbahn- und Flughafenblockaden - seine Regierungszeit hatte sich der Medienunternehmer anders vorgestellt. Berlusconi sah sich gezwungen, bei Fiat einzugreifen und den Druck auf die Agnellis zu erhöhen. Oder sie abzusetzen.

Umberto Agnelli hat die Autosparte abgeschrieben und plant deren Verkauf an General Motors in einem Jahr - Berlusconi will, dass auch weiterhin italienische Autos produziert werden. Die Agnellis würden gerne lukrative Finanzdienstleister aus der Fiat-Konzerngruppe behalten und diese Sparte ausbauen - Berlusconi hält nichts von derlei Diversifizierung.

Colaninnos Strategie gefällt dem Ministerpräsidenten besser. Er wünscht sich einen Investor, der die Autosparte aus den roten Zahlen holt, ausbaut und Unternehmenstöchter wie den Versicherer Toro oder das Raumfahrtunternehmen Avio möglichst schnell abstößt.

Ferrari for Women

Berlusconi schwebt eine Traumehe zwischen der Brot-und-Butter-Marke Fiat und dem ebenfalls zu Fiat gehörenden Sportwagenbauer Ferrari vor. "Wir sollten uns überlegen, ob wir Fiat-Modelle nicht in ,Ferrari Woman‘ oder ,Young Ferrari‘ umbenennen sollen", schlug Berlusconi kürzlich vor.

Fiat und die Agnellis sind angezählt - die Grundfesten des italienische Familienkapitalismus. "Als Nächstes wird Colaninno mit Fiat-Vertretern, der Regierung und den Gläubigerbanken zusammenkommen", heißt es in Mailänder Finanzkreisen. Dann könne alles sehr schnell gehen - die Banken seien inzwischen bereit, über neue Eigentümerstruktur zu reden.

Sollte der Coup gelingen, dürfte auch die Vereinbarung mit dem Joint-Venture-Partner General Motors hinfällig sein. GM hält bereits 20 Prozent an Fiats Autosparte, vom kommenden Jahr an können die Turiner die restlichen 80 Prozent im Rahmen einer Put-Option abgeben. Allerdings gilt die Abmachung nur unter dem Vorbehalt, dass die Aktionärsstruktur in Turin bis dahin unverändert bleibt. Kommt Colaninno, platzt die Abmachung mit GM und damit das Konzept der Agnellis.

Für Berlusconi ist Fiat ein Sprungbrett

Berlusconi könnte doppelt gewinnen: Die Agnellis, die über ihre Beteiligungsholdings Versicherungen, Finanzdienstleister, den Fußballclub Juventus und Verlage besitzen, kontrollieren auch die auflagenstarken Blätter "La Stampa" und "Corriere della Sera", die größte Zeitung Italiens.

Zurzeit macht der Ministerpräsident über seine TV-Sendergruppe Mediaset und das von ihm kontrollierte Staatsfernsehen Rai Politik - Beobachter sagen ihm schon lange nach, dass er gerne auch den alten "Corriere della Sera" hätte. Der steht zwar derzeit nicht zum Verkauf. Aber wenn Colaninno die Agnelli-Familie nach Hause geschickt hat, könnten die Dinge bald anders aussehen.
(Quelle: ftd.de)

So long,
Calexa
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