Am intessantesten finde ich die Formulierung: Daueroptimisten, Dummbullen und Rattenfänger. Beim aktuellen Niveau werden Bullen diffamiert so wie die Bären im März 2000. Für mich kein Grund an baldiger Trendumkehr zu zweifeln.
Short Squeeze - Der Druck auf die Kurzen
Mit einer sagenhaften Leichtigkeit bewegten sich die Aktien in den vergangenen zwei Wochen nach oben. Satte 30 % Kursplus des Dax in 10 Handelstagen, das kann sich sehen lassen. Aber Vorsicht
Short Squeeze
Alte Börsen-Hasen wissen, daß die schärfsten Rallyes - die jüngste Rallye war die schärfste überhaupt seit Einführung des Dax - immer in Bärmärkten bzw. in Baissen stattfinden. Auf den ersten Blick erscheint dies seltsam, auf den zweiten jedoch, wenn man die Asymmetrie zwischen Hausse und Baisse bedenkt, ganz logisch. Die zwei Hauptgründe dafür: Erstens spekulieren die meisten Marktteilnehmer auf der Long-Seite, d.h., sie haben Aktien oder Call-Optionen. Zweitens geht es nach unten in der Regel sehr viel schneller als nach oben. In einem sehr dramatischen Kursrutsch, wie wir ihn bis zum 21. September gesehen haben, werden also die meisten Investoren auf dem falschen Fuß erwischt (da sie long waren), und zweitens mit einer hohen Geschwindigkeit. Da kommt natürlich Angst auf, und daher haben sich viele Investoren - vor allem die institutionellen - abgesichert, z.B. indem sie Puts gekauft und Aktien, Calls oder Futures verkauft haben, kurz: sie haben die "Short-Seite gespielt" (das englische Wort "short" bedeutet "kurz"). Wenn der Markt aber nun nach oben springt, kommen diese Investoren gehörig unter Druck ("Quetschen" wird ins Englische mit "Squeeze" übersetzt), da sie durch die Shorts deutlich schlechter als der Markt performen. Folglich gibt ein "Shortie" nach dem anderen seine Absicherungen auf, womit die Kurse weiter nach oben getrieben werden. Die Kurssteigerungen veranlassen noch weitere Investoren, ihre Shorts einzudecken usw. Auf diese Weise läßt sich die scharfe Rallye der vergangenen beiden Wochen sehr schön erklären. Die Angelsachsen bezeichnen dieses Phänomen als "Short Squeeze", da die Shorties aus dem Markt gequetscht werden.
Und was kommt danach?
Was aber passiert, wenn ein Großteil der Absicherungsgeschäfte wieder glattgestellt worden ist? Der Markt dreht wieder nach unten, da nun die Anleger nach unten hin wieder verwundbar sind. Merke daher: Vor allem in Baissen tendieren Aktienmärkte immer in die Richtung, in der das Gros der Investoren am verwundbarsten ist. Dies ist zwar grausam, aber das ist die Wahrheit ja meistens. Die eigentliche Frage, die sich uns in der jetzigen Situation stellt, ist, ob mit dem Intraday-Hoch vom Freitag der Short Squeeze schon beendet ist und nun ein neuerlicher Schub nach unten droht. Antwort: schwer zu sagen. Und zwar deshalb, weil Short Squeezes bzw. Bärmarkt-Rallyes ziemlich unberechenbar sind. Für ein Ende spricht z.B. die Münchener Rück (sh. Chart). Diese wurde am 10. September, also einen Tag vor den Terror-Anschlägen, zum Verkauf empfohlen, da sie mit einem Durchbruch unter die 300 Euro-Marke ein massives und langfristiges Verkaufssignal generiert hatte. Nachdem diese Aktie zwischenzeitlich auf ein Intraday-Tief von 209 gefallen war, hat sie sich bis vergangenen Donnerstag in einem atemberaubenden Tempo wieder von unten an diese Marke herangearbeitet. Unter technischen Gesichtspunkten sollte dies aber nur ein Pull Back sein, d.h., wahrscheinlich dürfte jetzt die letzte Chance für lange Zeit sein, die Aktie nochmals zu einem relativ hohen Preis zu verkaufen. Auch wenn viele Dax-Aktien bislang ihr theoretisches Korrekturpotential nach oben noch nicht ausgeschöpft haben, so zeigt doch das Beispiel Müchener Rück, daß wir jetzt sehr vorsichtig sein müssen.
Kurzfristig zwei Szenarien denkbar
Wie Sie als Chartanalyse Weekly-Leser wissen, befindet sich der Dax, wie auch alle anderen großen Indices, in einer langfristigen Baisse. Als Indiz dafür kann die jüngste Rallye gesehen werden, da sie ihrem beschriebenen Ausmaß nur durch einen klassischen Short Squeeze entstanden sein kann. So eindeutig negativ die langfristigen Aussichten aber auch sind, kurzfristig, also bis ca. Ende dieses Jahres, sind prinzipiell zwei Szenarien denkbar. Im pessimistischen Falle wäre am vergangenen Freitag die Aufwärtskorrektur zu Ende gegangen, womit der nächste Baisse-Schub bevorstehen würde. Im optimistischen Falle könnten sich die Indices noch einige Wochen auf dem inzwischen erreichten Niveau halten bzw. vielleicht sogar noch zulegen. Beispielsweise wären im Dax Kurse von knapp über 5.000 Punkte denkbar (im Extremfall), ohne daß sich am langfristigen Baisse-Szenario irgend etwas ändern würde. Welches Szenario nun eintreffen wird, muß per heute offen bleiben. Wer heute seine Dax-Aktien verkauft (eigentlich hätte man es schon viel früher tun müssen), dürfte zumindest auf lange Sicht nicht falsch liegen.
Die 900er Marke entscheidet
Wie bereits in der letzten Woche angedeutet, besteht für den Neuen Markt die Chance, daß er sich kurzfristig besser als der Dax entwickelt. Wie im Chart des Nemax All Share-Index (NASI) zu sehen ist, könnte der Relative Stärke-Indikator (berechnet als Quotient aus NASI und DAX) kurz vor einem Trendbruch nach oben stehen. Vermutlich wird dieser Trend erst gebrochen, wenn sich der NASI über 900 Punkte begibt. Dort verläuft auch ein dicker Widerstand. Sollte dieser überwunden werden, so ist die Fortsetzung der laufenden Bärmarkt-Rallye im NASI wahrscheinlich, wobei dann prozentual deutlich mehr drin sein dürfte als beim Dax (im optimistischen Falle). Da bei ca. 950 Punkten der zweimonatige Abwärtstrend verläuft, ist erst bei Kursen oberhalb dieser Marke von einem guten Kaufsignal zu sprechen.
Fazit:
Die Baisse an den Aktienmärkten ist unter technischen Gesichtspunkten nach wie vor intakt (auch uns wenn die Daueroptimisten, Dummbullen und Rattenfänger laufend das Gegenteil erzählen). In den nächsten Tagen ist zumindest eine Fortsetzung der kurzfristigen Abwärts-Korrektur bei Dax und Nemax wahrscheinlich, die unter Umständen von einem neuerlichen Aufbäumen gefolgt werden könnte. Kurzfristige Tradings sollten im Dax zunächst unterbleiben, am Neuen Markt sollte der Break über die 900er bzw. 950er Marke abgewartet werden. Explizit wird an dieser Stelle von Put-Käufen abgeraten, da deren Preise, bedingt durch die hohe implizite Volatilität, unverhältnismäßig hoch sind.
Ralf Flierl
Head of Research, GoingPublic Media AG