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Die Spekulation in Aktien wird es immer geben - und das ist gut so. Sie wird auch niemals durch die Warnung vor Risiken unterbunden werden. Gleichgültig, wie fähig und erfahren ein Spekulant auch sein mag: Man kann Menschen nicht davon abhalten, zu irren. Sorgfältig ausgearbeitete Pläne mißlingen, wenn unerwartete, ja absolut unvorhersehbare Ereignisse eintreten. Erdbeben, ungünstige Witterungsbedingungen, die eigene Habgier und die Eitelkeit anderer, Angst und ungezügelte Hoffnung können in Katastrophen enden. Doch abgesehen von seinen "natürlichen" Feinden muß ein Spekulant auch noch gegen gewisse Praktiken und Mißstände ankämpfen, die moralisch und wirtschaftlich unhaltbar sind.
Tausende kaufen und verkaufen Aktien spekulativ, doch die Anzahl derer, die auch einen Profit erzielen, ist äußerst gering. Da das Publikum stets am Börsengeschehen teilnimmt, erleidet es auch stets Verluste. Bei den Todfeinden des Spekulanten handelt es sich bekanntlich um Unwissenheit, Habgier, Angst und Hoffnung. Alle Gesetzbücher und Börsenordnungen der Welt sind gegen sie machtlos. Auch Gremien als kaltblütigen Wirtschaftlern oder warmherzigen Philanthropen sind nicht in der Lage Zufälle zu regulieren, die sorgfältig konzipierte Pläne zu Fall bringen. Eine andere Verlustquelle stellt die vorsätzliche Verbreitung von Fehlinformationen dar. Da diese dem Aktienspekulanten in vielerlei Gestalt begegnen können, sind sie umso heimtückischer, hinterhältiger und gefährlicher.
Der durchschnittliche Outsider führt seine Trades in der Regel aufgrund von mündlich übermittelten, schriftlichen, direkten oder stillschweigenden Tips bzw. Gerüchten durch. Gegen manche Tips ist man machtlos - so z.B. wenn einem ein langjähriger Freund unbedingt zu Reichtum verhelfen will und erzählt, daß er es mit dem Kauf und Verkauf von Aktien geschafft hat, wohlhabend zu werden. Er hat sicherlich die besten Absichten. Doch wenn der Tip nun schief geht? Vor professionellen und unehrlichen Tipgebern kann sich das Publikum etwas ebenso gut schützen wie vor falschen Goldbarren und "bösen Waldgeistern". Den typischen Wall-Street-Gerüchten ist es jedoch schutz- und entschädigungslos ausgeliefert. Wertpapierhändler, Manipulatoren, Pools und Einzelpersonen bedienen sich verschiedener Instrumente, die ihnen helfen sollen, ihren überschüssigen Bestand zum bestmöglichen Kurs zu veräußern. Die Verbreitung von Hausse-Nachrichten seitens der Zeitungen und der Ticker stellt jedoch das heimtückischste aller einschlägigen Instrumente dar.
Sieht man sich die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung der Nachrichtenagenturen an einem beliebigen Tag einmal an, stellt man überrascht fest, wie viele indirekte, halboffizielle Meldungen sie doch verbreiten. Da ist von einem "bekannten Insider", einem "prominenten Vorstandsmitglied", einem "leitenden Mitarbeiter" oder auch von einem "autorisierten Vertreter" die Rede, von denen man annehmen möchte, daß sie wissen, wovon sie sprechen. Ich will aus den heutigen Meldungen eine willkürliche herausgreifen: "Ein führender Banker meint, daß es für einen Kursrückgang noch zu früh sei."
Hat ein führender Banker dies nun wirklich gesagt, und wenn er es sagte, weshalb? Weshalb gestattet er nicht, daß man seinen Namen ebenfalls druckt? Hat er Angst, die Leute könnten ihm dann glauben?
Und hier eine Meldung über ein Unternehmen, dessen Aktien in dieser Woche lebhaft gehandelt wurde. Diesmal gibt ein "prominentes Vorstandsmitglied" diese Erklärung ab. Doch welches der Dutzend Vorstandsmitglieder des Unternehmens - wenn überhaupt - nimmt nun eigentlich Stellung? Es liegt auf der Hand: Aufgrund der Anonymität kann keine Schuldzuweisung bei etwaigen Schäden, die Aufgrund der Erklärung entstehen, erfolgen.
Abgesehen vom intelligenten Studium der Spekulation muß jeder Trader, egal wo er sich befindet, bestimmte Fakten in Zusammenhang mit der Spekulation an der Wall Street beachten. Es gilt also nicht nur herauszufinden, wie am besten Geld verdient werden kann, sondern auch, wie Verluste zu vermeiden sind. Es somit beinahe ebenso wichtig zu wissen, was man tun darf, wie, was getan werden muß. Daher sollte man auch nie aus den Augen verlieren, daß praktisch jede Manipulation auf steigende Kursbewegungen einzelner Aktien abzielt und daß der entsprechende Kursanstieg von Insidern einzig und allein deswegen inszeniert wird, um ihre Bestände mit dem größtmöglichen Gewinn an den Mann zu bringen. Der Durchschnittskunde eines Brokers hält sich für einen ganz normalen Geschäftsmann, wenn er auf einer Erklärung für den Kursanstieg einer Aktie besteht. Natürlich "erklären" die Manipulatoren den Kursanstieg auf eine - d.h. ihre - Art, die nach ihrer Einschätzung den Absatz erleichtert. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Verluste des Börsenpublikums ganz erheblich verringert werden könnten, wenn anonyme Meldungen der Presse verboten werden würden. Ich meine damit Erklärungen, die in der Absicht abgegeben werden, das Publikum zum Kauf zu veranlassen oder von Glattstellungen abzuhalten.
Die überwiegende Mehrheit der "bullischen" Zeitungsartikel, die unter Berufung auf namentliche nicht genannte Vorstandsmitglieder oder Insider etc. gedruckt werden, vermitteln dem Publikum unzuverlässige und irreführende Eindrücke. Dieses Publikum wiederum verliert jedes Jahr viele Millionen Dollar, da es diese Erklärungen und Aussagen als halboffiziell und daher vertrauenswürdig ansieht.
Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen in einer bestimmten Branche hat eine schwierige Zeit hinter sich. Die Aktie ist umsatzschwach. In der Notierung spiegelt sich die allgemeine und vermutlich auch die präzise Einschätzung ihres tatsächlichen Wertes wieder. Wäre die Aktie auf diesem Niveau zu billig, hätte dies jemand bemerkt und sie gekauft; daraufhin würde sie steigen. Notiert die Aktie zu hoch, würde sie dagegen verkauft; ihr Kurs würde fallen. Da jedoch nichts in der einen oder anderen Richtung geschieht, spricht niemand über den Wert und die Aktie weist keine Umsätze auf.
In der Branche des Unternehmens bahnt sich nun eine Wende an. Wer erfährt es zuerst - die Insider oder das Publikum? Letzteres mit Sicherheit nicht. Was geschieht als nächstes? Setzt sich der Aufschwung der Branche fort, verbessert sich auch die Ertragslage und das Unternehmen kann auf die Aktie wieder Dividende zahlen. Falls die Dividende nicht ausgesetzt war, kann sie erhöht werden. Dies bedeutet, daß der Wert der Aktie steigt.
Mit unserem Unternehmen geht es weiter aufwärts. Gibt das Management diese erfreuliche Tatsache bekannt? Teilt der Präsident den Aktionären dies mit? Gibt ein menschenfreundliches Vorstandsmitglied eine Erklärung unter Nennung seines Namens für den Teil des Publikums ab, das den Wirtschafts- und Finanzteil der Zeitungen und die Meldungen der Nachrichtenagenturen liest? Gibt ein bescheidener Insider unter Beibehaltung seiner bewährten Politik der Anonymität eine Erklärung ab, daß die Zukunftsaussichten des Unternehmens vielversprechend sind? Dieses Mal nicht. Niemand läßt etwas verlauten. In den Zeitungen werden keinerlei Erklärungen veröffentlicht und über den Ticker kommen ebenfalls keine entsprechenden Meldungen.
Diese wertsteigernden, zudem wertvollen Informationen werden sorgfältig gehütet und der Öffentlichkeit vorenthalten, während die nunmehr wortkargen "prominenten Insider" alle Aktien, die sie bekommen können, billig aufkaufen. Da die gut informierten Leute weiterkaufen, aber bewußt im Hintergrund bleiben, steigt der Kurs der Aktie. Die für den Wirtschafts- und Finanzteil der Zeitungen zuständigen Reporter, die wissen, daß die Insider den Grund für den Kursanstieg kennen müssen, stellen Fragen. Die Insider, die sich darin einig sind, anonym zu bleiben, erklären einstimmig, daß sie keine Neuigkeiten mitzuteilen hätten. Sie wüßten nichts von einer "Garantie" für einen Kursanstieg. Gelegentlich teilen sie sogar mit, sie würde sich um die Launen des Aktienmarktes und um die Transaktionen von Aktienspekulanten nicht kümmern.
Der Kursanstieg setzt sich fort. Schließlich kommt der glückliche Tag, an dem die Eingeweihten alle Aktien gekauft haben, die sie wollten, bzw. die sie in ihrem Bestand aufnehmen konnten. An der Wall Street sind sofort unzählige Gerüchte, die auf einen Kursanstieg abzielen, in Umlauf. Die Trader erfahren über die Ticker, daß "aus zuverlässiger Quelle" verlautet wird, daß es mit dem Unternehmen nun endgültig wieder aufwärts gehe. Dasselbe bescheidene Vorstandsmitglied, das seinen Namen in Zusammenhang mit der Bemerkung, daß es keine Garantie für einen Kursanstieg der Aktie gäbe, nicht genannt werden wollte, wird nun - natürlich ebenfalls anonym - zitiert und meint, die Aktionäre hätten allen Grund, sich über die guten Aussichten des Unternehmens zu freuen.
Das Publikum - animiert von der Flut positiver Meldungen - beginnt mit seinen Aktienkäufen. Die Käufer tragen dazu bei, daß der Kurs noch weiter steigt. Die Prognosen der Vorstandsmitglieder, die sich einig waren, anonym zu bleiben, erweisen sich zum richtigen Zeitpunkt als zutreffend und das Unternehmen nimmt seine Dividendenzahlungen wieder auf bzw. erhöht die Dividende. Dadurch multiplizieren sich die Meldungen, die einen Kursanstieg begünstigen. Sie sind nicht nur zahlreicher als jemals zuvor - sie klingen auch viel enthusiastischer. Ein "an der Spitze stehendes Vorstandsmitglied", das um eine Stellungnahme zur Situation des Unternehmens gebeten wird, teilt mit, daß der Aufschwung nicht nur anhält, sondern daß es viel mehr als das sein. Ein "prominenter Insider" kann nach Aufbieten aller Überredungskünste schließlich von einer Nachrichtenagentur dazu bewegt werden zuzugeben, daß die Ertragslage geradezu phänomenal sei. Ein "bekannter Banker", der mit dem Unternehmen in Geschäftsverbindung steht, wird zu einer Erklärung dahingehend veranlaßt, daß die Ausweitung des Umsatzvolumens einfach einmalig sei. Bei dieser Auftragslage würde im Unternehmen - "wer weiß wie lange" - Tag und Nacht gearbeitet. Ein "Mitglied des Finanzausschusses" bringt in einer öffentlichen Erklärung seine Verwunderung über das Erstauen des Publikums über den Kursanstieg zum Ausdruck. Das einzige Erstaunliche sei die überaus moderate Kursanstiegslinie der Aktie. Wer den demnächst herauskommenden Jahresbericht analysiere, könne sofort feststellen, wie viel höher der Buchwert der Aktie im Vergleich zur Notierung sei. Doch in keinem Fall wird der Name des so kommunikationsfreudigen Philanthropen genannt.
Solange die gute Ertragslage des Unternehmens anhält, sitzen die Insider auf ihren Aktien, die sie bei niedrigen Kursen aufgekauft haben. Weshalb sollten sie sie auch verkaufen, wenn es keinen Grund für ein Nachgeben des Kurses gibt? Werden Erklärungen abgegeben, Warnungen ausgesprochen oder wird auch nur die geringste Andeutung gemacht? Kaum. Nun hat man es mit einem Aufwärtstrend zu tun. Ebenso wie man still und leise kaufte, als sich die Situation des Unternehmens verbesserte, so wird nun verkauft. Natürlich fällt der Kurs der Aktie aufgrund der Insider-Verkäufe. Dann wird das Publikum mit den schon bekannten "Erklärungen" abgespeist. Ein "hochgestellter Insider" versichert, daß alles in Ordnung sei. Der Kursrückgang sei lediglich auf die Verkäufe von Baissiers zurückzuführen, die versuchten, den Markt auf breiter Front zu beeinträchtigen. Bricht der Kurs eines Tages stark ein, nachdem er über einen längeren Zeitraum gefallen ist, wird immer lauter nach "Gründen" und "Erklärungen" verlangt. Falls sich niemand zu einer Erklärung bereit findet, befürchtet das Publikum das Schlimmste. Der Nachrichten-Ticker bringt nun in etwa folgende Meldungen: "Als wir ein prominentes Vorstandsmitglied des Unternehmens um eine Erklärung für die Schwäche der Aktie baten, antwortete die befragte Person, daß der heutige Kursrückgang nur mit dem Manöver der Baissiers zu erklären sein. Die grundlegenden Bedingungen hätten sich nicht geändert. Die Ertragslage des Unternehmens sei noch nie so gut gewesen und es sei wahrscheinlich, daß auf der nächsten Sitzung, auf der die Dividende beschlossen wird, diese sogar erhöht wird - sofern in der Zwischenzeit nichts absolut Unvorhergesehenes geschähe. Die Baissiers legten ein aggressives Verhalten an den Tag, und die Schwäche der Aktie sei ganz klar auf den Druck, der auf ihren Kurs ausgeübt wird, zurückzuführen, was in der Absicht geschähe, weitere Aktien zu lokalisieren, von denen sich die Inhaber nicht allzu schwer trennten." Die Nachrichtenfernschreiber - das "Maß" aller Dinge - berufen sich weiterhin darauf, daß sie über "zuverlässige Informationen" verfügten, daß die meisten am Tag des Kurseinbruchs gekauften Aktien von Insidern aufgenommen wurden und daß die Baissiers feststellen würden, daß sie aufgrund ihrer Verkäufe schließlich in der Falle säßen. Der Tag der Abrechnung käme bestimmt.
Zusätzlich zu den Verlusten, die das Publikum wegen der Hausse-Meldungen auf sich nahm, kommen die Verluste, die dadurch entstehen, daß von der Glattstellung abgeraten wird. Der beste Weg Aktien zu verkaufen, die der "prominente Insider" loszuwerden wünscht - besteht darin, das Publikum von einem Kauf zu überzeugen. Der zweitbeste Weg ist der, die Öffentlichkeit davon abzuhalten, eben diese Aktien wieder zu verkaufen, wenn die Insider sie nicht mehr stützen oder aufkaufen möchten. Was muß das Publikum denn glauben, wenn es die Erklärung des "prominenten Vorstandsmitglieds" liest? Was soll der durchschnittliche Outsider davon halten? Natürlich nur ein: Daß der Kurs der Aktie niemals hätte fallen dürfen, daß er alleine durch die Verkäufe der Baissiers gedrückt wurde und daß - sobald diese ihre auf den Kurs drückenden Verkäufe einstellen - die Insider schon für einen Kursanstieg, eine Strafaktion, sorgen werden, durch die die Baissiers zum Eindecken bei hohen Kursen gezwungen werden. Das Publikum glaubt dies wirklich, da dies auch geschehen würde, wenn der Kursrückgang tatsächlich durch entsprechendes Manöver der Baissiers ausgelöst worden wäre.
Die Aktie, von der in unserem Beispiel die Rede ist, erholt sich jedoch nicht - ungeachtet aller Drohungen und Versprechungen hinsichtlich eines unausweichlichen Zwangs zum Eindecken der übergroßen Short-Bestände. Sie fällt weiter, der Kursrückgang ist nicht aufzuhalten. Die Insider haben zu viele Aktien auf den Markt geworfen, als daß dieser sie "verdauen" könnte.
Die Insider-Bestände, die von den "prominenten Vorstandsmitgliedern" und "hochgestellten Insidern" verkauft wurden, werden zum Spielball der professionellen Trader. Der Kurs fällt weiter - wie es scheint, ins Bodenlose. Die Insider, die wissen, daß die Absatzbedingungen die zukünftige Ertragslage des Unternehmens beeinträchtigen wird, wagen es nicht, die Aktie zu stützen, bis sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens wieder bessert. Dann kaufen sie erneut - und schweigen.
Ich habe mich lange genug mit dem Börsenhandel beschäftigt, und ich habe mich viele Jahre lang über den Aktienmarkt in jeder Hinsicht auf dem Laufenden gehalten. Ich kann mich jedoch an kein einziges Beispiel erinnern, bei dem das Drücken der Kurse durch die Baissiers wirklich zum starken Kursverfall einer Aktie geführt hätte. Bei dem Phänomen, das als "Druck auf die Kurse durch die Baissiers" bezeichnet wird, handelt es sich in Wirklichkeit um nichts anderes, als um Verkäufe aufgrund einer genauen Kenntnis der tatsächlichen Umstände. Doch ist es keineswegs damit getan, darauf hinzuweisen, daß der Kurs einer Aktie aufgrund von Insider-Verkäufen oder unterlassenen Insider-Käufen gefallen ist. Jeder würde sich mit dem Verkauf beeilen; doch wenn alle verkaufen und niemand kauft, müssen die Kurse fallen.
Das Publikum muß eines wissen: Ein lang anhaltender Kursrückgang ist niemals auf das Manöver von Baissiers in der Absicht, die Kurse zu drücken, zurückzuführen. Fällt der Kurs einer Aktie immer tiefer, ist mit Sicherheit etwas nicht in Ordnung, entweder mit dem Markt, an dem die Aktie notiert oder mit dem Unternehmen selbst. Bei einem ungerechtfertigten Kursrückgang würde die Aktie schon bald unter ihren wirklichen Wert fallen; aus diesem Grunde würde sie neue Käufer finden, wodurch der Kursrückgang zum Stillstand käme. Ein Baissier kann nur dann das große Geld mit einer Aktie verdienen, wenn er in ihr bei zu hohem Kurs Short geht. Allerdings hängen die Insider diesen Umstand mit Sicherheit nicht an die große Glocke.
Die Aktien, bei denen in den letzten zwanzig Jahren die stärksten Kurseinbrüche zu verzeichnen waren, sind nicht deshalb gefallen, weil sie Gegenstand von Manövern der Baissiers gewesen wären. Aber die Bereitschaft, diese Erklärung einfach so hinzunehmen, ist für Verluste des Publikums in Höhe von vielen Millionen Dollar verantwortlich. Sie hielt Aktionäre, denen das Verhalten ihrer Aktien nicht gefiel, immer wieder vom Verkaufen ab; sie hätten glattgestellt, wenn sie nicht erwartet hätten, daß der Kurs nach Beendigung der Manöver der Baissiers gleich wieder zurückkommt.
In einem Bull-Markt - und insbesondere bei einer Hausse - verdient zuerst das Publikum das Geld, das es dann jedoch wieder "verspielt", da es den günstigen Glattstellungszeitpunkt im Bull-Markt verpaßt. Das Gerede von "Manövern der Baissiers" trägt dazu bei, daß es ihn versäumt. Es sollte sich vor Erklärungen hüten, die nur das erklären, was ihm namentlich nicht genannte Insider glauben machen wollen.
Jesse Livermore: Das Spiel der Spiele (Titel der Originalausgabe: Reminiscences of a Stock Operator)
TM Börsenverlag, Rosenheim, 8. Auflage 1999 (Erstausgabe 1923)
Die Spekulation in Aktien wird es immer geben - und das ist gut so. Sie wird auch niemals durch die Warnung vor Risiken unterbunden werden. Gleichgültig, wie fähig und erfahren ein Spekulant auch sein mag: Man kann Menschen nicht davon abhalten, zu irren. Sorgfältig ausgearbeitete Pläne mißlingen, wenn unerwartete, ja absolut unvorhersehbare Ereignisse eintreten. Erdbeben, ungünstige Witterungsbedingungen, die eigene Habgier und die Eitelkeit anderer, Angst und ungezügelte Hoffnung können in Katastrophen enden. Doch abgesehen von seinen "natürlichen" Feinden muß ein Spekulant auch noch gegen gewisse Praktiken und Mißstände ankämpfen, die moralisch und wirtschaftlich unhaltbar sind.
Tausende kaufen und verkaufen Aktien spekulativ, doch die Anzahl derer, die auch einen Profit erzielen, ist äußerst gering. Da das Publikum stets am Börsengeschehen teilnimmt, erleidet es auch stets Verluste. Bei den Todfeinden des Spekulanten handelt es sich bekanntlich um Unwissenheit, Habgier, Angst und Hoffnung. Alle Gesetzbücher und Börsenordnungen der Welt sind gegen sie machtlos. Auch Gremien als kaltblütigen Wirtschaftlern oder warmherzigen Philanthropen sind nicht in der Lage Zufälle zu regulieren, die sorgfältig konzipierte Pläne zu Fall bringen. Eine andere Verlustquelle stellt die vorsätzliche Verbreitung von Fehlinformationen dar. Da diese dem Aktienspekulanten in vielerlei Gestalt begegnen können, sind sie umso heimtückischer, hinterhältiger und gefährlicher.
Der durchschnittliche Outsider führt seine Trades in der Regel aufgrund von mündlich übermittelten, schriftlichen, direkten oder stillschweigenden Tips bzw. Gerüchten durch. Gegen manche Tips ist man machtlos - so z.B. wenn einem ein langjähriger Freund unbedingt zu Reichtum verhelfen will und erzählt, daß er es mit dem Kauf und Verkauf von Aktien geschafft hat, wohlhabend zu werden. Er hat sicherlich die besten Absichten. Doch wenn der Tip nun schief geht? Vor professionellen und unehrlichen Tipgebern kann sich das Publikum etwas ebenso gut schützen wie vor falschen Goldbarren und "bösen Waldgeistern". Den typischen Wall-Street-Gerüchten ist es jedoch schutz- und entschädigungslos ausgeliefert. Wertpapierhändler, Manipulatoren, Pools und Einzelpersonen bedienen sich verschiedener Instrumente, die ihnen helfen sollen, ihren überschüssigen Bestand zum bestmöglichen Kurs zu veräußern. Die Verbreitung von Hausse-Nachrichten seitens der Zeitungen und der Ticker stellt jedoch das heimtückischste aller einschlägigen Instrumente dar.
Sieht man sich die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung der Nachrichtenagenturen an einem beliebigen Tag einmal an, stellt man überrascht fest, wie viele indirekte, halboffizielle Meldungen sie doch verbreiten. Da ist von einem "bekannten Insider", einem "prominenten Vorstandsmitglied", einem "leitenden Mitarbeiter" oder auch von einem "autorisierten Vertreter" die Rede, von denen man annehmen möchte, daß sie wissen, wovon sie sprechen. Ich will aus den heutigen Meldungen eine willkürliche herausgreifen: "Ein führender Banker meint, daß es für einen Kursrückgang noch zu früh sei."
Hat ein führender Banker dies nun wirklich gesagt, und wenn er es sagte, weshalb? Weshalb gestattet er nicht, daß man seinen Namen ebenfalls druckt? Hat er Angst, die Leute könnten ihm dann glauben?
Und hier eine Meldung über ein Unternehmen, dessen Aktien in dieser Woche lebhaft gehandelt wurde. Diesmal gibt ein "prominentes Vorstandsmitglied" diese Erklärung ab. Doch welches der Dutzend Vorstandsmitglieder des Unternehmens - wenn überhaupt - nimmt nun eigentlich Stellung? Es liegt auf der Hand: Aufgrund der Anonymität kann keine Schuldzuweisung bei etwaigen Schäden, die Aufgrund der Erklärung entstehen, erfolgen.
Abgesehen vom intelligenten Studium der Spekulation muß jeder Trader, egal wo er sich befindet, bestimmte Fakten in Zusammenhang mit der Spekulation an der Wall Street beachten. Es gilt also nicht nur herauszufinden, wie am besten Geld verdient werden kann, sondern auch, wie Verluste zu vermeiden sind. Es somit beinahe ebenso wichtig zu wissen, was man tun darf, wie, was getan werden muß. Daher sollte man auch nie aus den Augen verlieren, daß praktisch jede Manipulation auf steigende Kursbewegungen einzelner Aktien abzielt und daß der entsprechende Kursanstieg von Insidern einzig und allein deswegen inszeniert wird, um ihre Bestände mit dem größtmöglichen Gewinn an den Mann zu bringen. Der Durchschnittskunde eines Brokers hält sich für einen ganz normalen Geschäftsmann, wenn er auf einer Erklärung für den Kursanstieg einer Aktie besteht. Natürlich "erklären" die Manipulatoren den Kursanstieg auf eine - d.h. ihre - Art, die nach ihrer Einschätzung den Absatz erleichtert. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Verluste des Börsenpublikums ganz erheblich verringert werden könnten, wenn anonyme Meldungen der Presse verboten werden würden. Ich meine damit Erklärungen, die in der Absicht abgegeben werden, das Publikum zum Kauf zu veranlassen oder von Glattstellungen abzuhalten.
Die überwiegende Mehrheit der "bullischen" Zeitungsartikel, die unter Berufung auf namentliche nicht genannte Vorstandsmitglieder oder Insider etc. gedruckt werden, vermitteln dem Publikum unzuverlässige und irreführende Eindrücke. Dieses Publikum wiederum verliert jedes Jahr viele Millionen Dollar, da es diese Erklärungen und Aussagen als halboffiziell und daher vertrauenswürdig ansieht.
Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen in einer bestimmten Branche hat eine schwierige Zeit hinter sich. Die Aktie ist umsatzschwach. In der Notierung spiegelt sich die allgemeine und vermutlich auch die präzise Einschätzung ihres tatsächlichen Wertes wieder. Wäre die Aktie auf diesem Niveau zu billig, hätte dies jemand bemerkt und sie gekauft; daraufhin würde sie steigen. Notiert die Aktie zu hoch, würde sie dagegen verkauft; ihr Kurs würde fallen. Da jedoch nichts in der einen oder anderen Richtung geschieht, spricht niemand über den Wert und die Aktie weist keine Umsätze auf.
In der Branche des Unternehmens bahnt sich nun eine Wende an. Wer erfährt es zuerst - die Insider oder das Publikum? Letzteres mit Sicherheit nicht. Was geschieht als nächstes? Setzt sich der Aufschwung der Branche fort, verbessert sich auch die Ertragslage und das Unternehmen kann auf die Aktie wieder Dividende zahlen. Falls die Dividende nicht ausgesetzt war, kann sie erhöht werden. Dies bedeutet, daß der Wert der Aktie steigt.
Mit unserem Unternehmen geht es weiter aufwärts. Gibt das Management diese erfreuliche Tatsache bekannt? Teilt der Präsident den Aktionären dies mit? Gibt ein menschenfreundliches Vorstandsmitglied eine Erklärung unter Nennung seines Namens für den Teil des Publikums ab, das den Wirtschafts- und Finanzteil der Zeitungen und die Meldungen der Nachrichtenagenturen liest? Gibt ein bescheidener Insider unter Beibehaltung seiner bewährten Politik der Anonymität eine Erklärung ab, daß die Zukunftsaussichten des Unternehmens vielversprechend sind? Dieses Mal nicht. Niemand läßt etwas verlauten. In den Zeitungen werden keinerlei Erklärungen veröffentlicht und über den Ticker kommen ebenfalls keine entsprechenden Meldungen.
Diese wertsteigernden, zudem wertvollen Informationen werden sorgfältig gehütet und der Öffentlichkeit vorenthalten, während die nunmehr wortkargen "prominenten Insider" alle Aktien, die sie bekommen können, billig aufkaufen. Da die gut informierten Leute weiterkaufen, aber bewußt im Hintergrund bleiben, steigt der Kurs der Aktie. Die für den Wirtschafts- und Finanzteil der Zeitungen zuständigen Reporter, die wissen, daß die Insider den Grund für den Kursanstieg kennen müssen, stellen Fragen. Die Insider, die sich darin einig sind, anonym zu bleiben, erklären einstimmig, daß sie keine Neuigkeiten mitzuteilen hätten. Sie wüßten nichts von einer "Garantie" für einen Kursanstieg. Gelegentlich teilen sie sogar mit, sie würde sich um die Launen des Aktienmarktes und um die Transaktionen von Aktienspekulanten nicht kümmern.
Der Kursanstieg setzt sich fort. Schließlich kommt der glückliche Tag, an dem die Eingeweihten alle Aktien gekauft haben, die sie wollten, bzw. die sie in ihrem Bestand aufnehmen konnten. An der Wall Street sind sofort unzählige Gerüchte, die auf einen Kursanstieg abzielen, in Umlauf. Die Trader erfahren über die Ticker, daß "aus zuverlässiger Quelle" verlautet wird, daß es mit dem Unternehmen nun endgültig wieder aufwärts gehe. Dasselbe bescheidene Vorstandsmitglied, das seinen Namen in Zusammenhang mit der Bemerkung, daß es keine Garantie für einen Kursanstieg der Aktie gäbe, nicht genannt werden wollte, wird nun - natürlich ebenfalls anonym - zitiert und meint, die Aktionäre hätten allen Grund, sich über die guten Aussichten des Unternehmens zu freuen.
Das Publikum - animiert von der Flut positiver Meldungen - beginnt mit seinen Aktienkäufen. Die Käufer tragen dazu bei, daß der Kurs noch weiter steigt. Die Prognosen der Vorstandsmitglieder, die sich einig waren, anonym zu bleiben, erweisen sich zum richtigen Zeitpunkt als zutreffend und das Unternehmen nimmt seine Dividendenzahlungen wieder auf bzw. erhöht die Dividende. Dadurch multiplizieren sich die Meldungen, die einen Kursanstieg begünstigen. Sie sind nicht nur zahlreicher als jemals zuvor - sie klingen auch viel enthusiastischer. Ein "an der Spitze stehendes Vorstandsmitglied", das um eine Stellungnahme zur Situation des Unternehmens gebeten wird, teilt mit, daß der Aufschwung nicht nur anhält, sondern daß es viel mehr als das sein. Ein "prominenter Insider" kann nach Aufbieten aller Überredungskünste schließlich von einer Nachrichtenagentur dazu bewegt werden zuzugeben, daß die Ertragslage geradezu phänomenal sei. Ein "bekannter Banker", der mit dem Unternehmen in Geschäftsverbindung steht, wird zu einer Erklärung dahingehend veranlaßt, daß die Ausweitung des Umsatzvolumens einfach einmalig sei. Bei dieser Auftragslage würde im Unternehmen - "wer weiß wie lange" - Tag und Nacht gearbeitet. Ein "Mitglied des Finanzausschusses" bringt in einer öffentlichen Erklärung seine Verwunderung über das Erstauen des Publikums über den Kursanstieg zum Ausdruck. Das einzige Erstaunliche sei die überaus moderate Kursanstiegslinie der Aktie. Wer den demnächst herauskommenden Jahresbericht analysiere, könne sofort feststellen, wie viel höher der Buchwert der Aktie im Vergleich zur Notierung sei. Doch in keinem Fall wird der Name des so kommunikationsfreudigen Philanthropen genannt.
Solange die gute Ertragslage des Unternehmens anhält, sitzen die Insider auf ihren Aktien, die sie bei niedrigen Kursen aufgekauft haben. Weshalb sollten sie sie auch verkaufen, wenn es keinen Grund für ein Nachgeben des Kurses gibt? Werden Erklärungen abgegeben, Warnungen ausgesprochen oder wird auch nur die geringste Andeutung gemacht? Kaum. Nun hat man es mit einem Aufwärtstrend zu tun. Ebenso wie man still und leise kaufte, als sich die Situation des Unternehmens verbesserte, so wird nun verkauft. Natürlich fällt der Kurs der Aktie aufgrund der Insider-Verkäufe. Dann wird das Publikum mit den schon bekannten "Erklärungen" abgespeist. Ein "hochgestellter Insider" versichert, daß alles in Ordnung sei. Der Kursrückgang sei lediglich auf die Verkäufe von Baissiers zurückzuführen, die versuchten, den Markt auf breiter Front zu beeinträchtigen. Bricht der Kurs eines Tages stark ein, nachdem er über einen längeren Zeitraum gefallen ist, wird immer lauter nach "Gründen" und "Erklärungen" verlangt. Falls sich niemand zu einer Erklärung bereit findet, befürchtet das Publikum das Schlimmste. Der Nachrichten-Ticker bringt nun in etwa folgende Meldungen: "Als wir ein prominentes Vorstandsmitglied des Unternehmens um eine Erklärung für die Schwäche der Aktie baten, antwortete die befragte Person, daß der heutige Kursrückgang nur mit dem Manöver der Baissiers zu erklären sein. Die grundlegenden Bedingungen hätten sich nicht geändert. Die Ertragslage des Unternehmens sei noch nie so gut gewesen und es sei wahrscheinlich, daß auf der nächsten Sitzung, auf der die Dividende beschlossen wird, diese sogar erhöht wird - sofern in der Zwischenzeit nichts absolut Unvorhergesehenes geschähe. Die Baissiers legten ein aggressives Verhalten an den Tag, und die Schwäche der Aktie sei ganz klar auf den Druck, der auf ihren Kurs ausgeübt wird, zurückzuführen, was in der Absicht geschähe, weitere Aktien zu lokalisieren, von denen sich die Inhaber nicht allzu schwer trennten." Die Nachrichtenfernschreiber - das "Maß" aller Dinge - berufen sich weiterhin darauf, daß sie über "zuverlässige Informationen" verfügten, daß die meisten am Tag des Kurseinbruchs gekauften Aktien von Insidern aufgenommen wurden und daß die Baissiers feststellen würden, daß sie aufgrund ihrer Verkäufe schließlich in der Falle säßen. Der Tag der Abrechnung käme bestimmt.
Zusätzlich zu den Verlusten, die das Publikum wegen der Hausse-Meldungen auf sich nahm, kommen die Verluste, die dadurch entstehen, daß von der Glattstellung abgeraten wird. Der beste Weg Aktien zu verkaufen, die der "prominente Insider" loszuwerden wünscht - besteht darin, das Publikum von einem Kauf zu überzeugen. Der zweitbeste Weg ist der, die Öffentlichkeit davon abzuhalten, eben diese Aktien wieder zu verkaufen, wenn die Insider sie nicht mehr stützen oder aufkaufen möchten. Was muß das Publikum denn glauben, wenn es die Erklärung des "prominenten Vorstandsmitglieds" liest? Was soll der durchschnittliche Outsider davon halten? Natürlich nur ein: Daß der Kurs der Aktie niemals hätte fallen dürfen, daß er alleine durch die Verkäufe der Baissiers gedrückt wurde und daß - sobald diese ihre auf den Kurs drückenden Verkäufe einstellen - die Insider schon für einen Kursanstieg, eine Strafaktion, sorgen werden, durch die die Baissiers zum Eindecken bei hohen Kursen gezwungen werden. Das Publikum glaubt dies wirklich, da dies auch geschehen würde, wenn der Kursrückgang tatsächlich durch entsprechendes Manöver der Baissiers ausgelöst worden wäre.
Die Aktie, von der in unserem Beispiel die Rede ist, erholt sich jedoch nicht - ungeachtet aller Drohungen und Versprechungen hinsichtlich eines unausweichlichen Zwangs zum Eindecken der übergroßen Short-Bestände. Sie fällt weiter, der Kursrückgang ist nicht aufzuhalten. Die Insider haben zu viele Aktien auf den Markt geworfen, als daß dieser sie "verdauen" könnte.
Die Insider-Bestände, die von den "prominenten Vorstandsmitgliedern" und "hochgestellten Insidern" verkauft wurden, werden zum Spielball der professionellen Trader. Der Kurs fällt weiter - wie es scheint, ins Bodenlose. Die Insider, die wissen, daß die Absatzbedingungen die zukünftige Ertragslage des Unternehmens beeinträchtigen wird, wagen es nicht, die Aktie zu stützen, bis sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens wieder bessert. Dann kaufen sie erneut - und schweigen.
Ich habe mich lange genug mit dem Börsenhandel beschäftigt, und ich habe mich viele Jahre lang über den Aktienmarkt in jeder Hinsicht auf dem Laufenden gehalten. Ich kann mich jedoch an kein einziges Beispiel erinnern, bei dem das Drücken der Kurse durch die Baissiers wirklich zum starken Kursverfall einer Aktie geführt hätte. Bei dem Phänomen, das als "Druck auf die Kurse durch die Baissiers" bezeichnet wird, handelt es sich in Wirklichkeit um nichts anderes, als um Verkäufe aufgrund einer genauen Kenntnis der tatsächlichen Umstände. Doch ist es keineswegs damit getan, darauf hinzuweisen, daß der Kurs einer Aktie aufgrund von Insider-Verkäufen oder unterlassenen Insider-Käufen gefallen ist. Jeder würde sich mit dem Verkauf beeilen; doch wenn alle verkaufen und niemand kauft, müssen die Kurse fallen.
Das Publikum muß eines wissen: Ein lang anhaltender Kursrückgang ist niemals auf das Manöver von Baissiers in der Absicht, die Kurse zu drücken, zurückzuführen. Fällt der Kurs einer Aktie immer tiefer, ist mit Sicherheit etwas nicht in Ordnung, entweder mit dem Markt, an dem die Aktie notiert oder mit dem Unternehmen selbst. Bei einem ungerechtfertigten Kursrückgang würde die Aktie schon bald unter ihren wirklichen Wert fallen; aus diesem Grunde würde sie neue Käufer finden, wodurch der Kursrückgang zum Stillstand käme. Ein Baissier kann nur dann das große Geld mit einer Aktie verdienen, wenn er in ihr bei zu hohem Kurs Short geht. Allerdings hängen die Insider diesen Umstand mit Sicherheit nicht an die große Glocke.
Die Aktien, bei denen in den letzten zwanzig Jahren die stärksten Kurseinbrüche zu verzeichnen waren, sind nicht deshalb gefallen, weil sie Gegenstand von Manövern der Baissiers gewesen wären. Aber die Bereitschaft, diese Erklärung einfach so hinzunehmen, ist für Verluste des Publikums in Höhe von vielen Millionen Dollar verantwortlich. Sie hielt Aktionäre, denen das Verhalten ihrer Aktien nicht gefiel, immer wieder vom Verkaufen ab; sie hätten glattgestellt, wenn sie nicht erwartet hätten, daß der Kurs nach Beendigung der Manöver der Baissiers gleich wieder zurückkommt.
In einem Bull-Markt - und insbesondere bei einer Hausse - verdient zuerst das Publikum das Geld, das es dann jedoch wieder "verspielt", da es den günstigen Glattstellungszeitpunkt im Bull-Markt verpaßt. Das Gerede von "Manövern der Baissiers" trägt dazu bei, daß es ihn versäumt. Es sollte sich vor Erklärungen hüten, die nur das erklären, was ihm namentlich nicht genannte Insider glauben machen wollen.
Jesse Livermore: Das Spiel der Spiele (Titel der Originalausgabe: Reminiscences of a Stock Operator)
TM Börsenverlag, Rosenheim, 8. Auflage 1999 (Erstausgabe 1923)