Haben Sie Arbeit?

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vega2000:

Haben Sie Arbeit?

 
29.10.02 08:45
Generation arbeitslos "Wir sind bereit"
Der Gang der Dinge lehrt jetzt auch die gut ausgebildeten Menschen zwischen 30 und 40, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen müssen.
Die wahre Geißel der Menschheit sind die Optimisten. Sie glauben, das Leben sei schön, und wenn man gezwungen ist, mit einem von ihnen zu reden, dann kommt er mit einem Spruch der Preisklasse: „Na, Kopf hoch, wird schon werden.“ Angenommen, man nimmt ihn trotzdem halbwegs ernst und erzählt ihm etwas von dem Abgrund, vor dem wir alle stehen, jeder für sich, dann sagt er, weil er besonders witzig ist: „Schau mer mal, dann sehn wir schon.“ Ha, ha.

Der allgemeinen Erfahrung nach wendet sich nichts zum Besseren, und wenn man mal schaut, beobachtet man zumeist nur eine Abwärtsbewegung. In der Politik wird der Nachfolger von Schröder Schröder, an der Börse kostet die T-Aktie weniger als ein warmes Abendessen, und in Berlin schneit es jetzt schon Mitte Oktober. Es hat keinen Zweck, und die Suche nach dem oder auch nur einem Sinn ist ungefähr so fruchtbar wie das Bemühen, den Stein der Weisen zu entdecken. Der Mensch ist stets in der Lage von Erich Kästners Fabian, der von der Brücke springt, um ein Kind zu retten, wohl wissend, dass er gar nicht schwimmen kann. Nice try.
     
» Der Höhenflug der Medienschaffenden, der Starreporter, der Online-Investigatoren und der Großpublizisten war ein nice try. «        
 

In diesem Sinne war auch der Höhenflug der Medienschaffenden, der Starreporter, der Online-Investigatoren und der Großpublizisten ein nice try. Die Generation Middelhoff hatte die Ära der Kommunikation ausgerufen, und zahlreiche Leute zwischen 30 und 40, viele gut ausgebildet und außerordentlich flexibel, marschierten im Geschwindschritt in eine Zukunft, von der sie glaubten, ihr Bewusstsein bestimme von nun an das Sein. Ach, was boomte die Branche. Man saß 28-Jährigen gegenüber, die unter 150.000 Mark Jahresgehalt gar nicht anfangen wollten; an jeder Ecke entstanden neue Zeitschriften, und wer mit 32 noch nicht seine Biografie geschrieben hatte oder mindestens eine innovative Sendung moderierte, war daneben.

Seit geraumer Zeit bestimmt, auch und gerade in der Kommunikationsbranche, wieder das Sein das Bewusstsein.      
 
» Die hippen Werbetexter haben keine Arbeit mehr, weil die unhippe Wirtschaft nicht mehr viel Werbung macht. «        
 
Das Sein sieht so aus, dass die hippen Werbetexter keine Arbeit mehr haben, weil die unhippe Wirtschaft nicht mehr viel Werbung macht. Immer mehr Online-Leute sind auf Dauer offline, weil der Geldgeber nur Geld geben kann, wenn er welches einnimmt, was er online kaum tut, es sei denn, er verkauft Porno in seinen verschiedensten Ausprägungen. Der Essayist und der Großreporter erkennen, dass es ziemlich wurst ist, wie toll sie schreiben können, weil Verlage nur zu einem Drittel davon leben, dass die Leute wegen der brillanten Analysen und der feinfühligen Reportagen die Zeitschrift am Kiosk oder die Zeitung im Abo kaufen. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Firmen Anzeigen aufgeben, was sie nicht mehr tun oder jedenfalls nicht in dem Maße, dass Autoren und Essayisten nebst all ihren aufstrebenden Hintersassen weiterhin aus der Sicherheit ihrer Planstellen auf das sie umgebende Weltgetriebe herabschauen können. Über die Arbeitslosigkeit der anderen hat man ja oft geschrieben. Dass aber der eigene Verlag, der Sender, die Agentur so mir nichts dir nichts Philip Holzmann werden könnte, hätte man nicht gedacht.

Alles nicht so schlimm? Na ja, werden wir mal persönlich, nur für einen Absatz. Wenn mich in den letzten zehn Jahren ein jüngerer Kollege gefragt hat, ob er lieber freier Reporter beim Soundso-Magazin oder Nachrichtenredakteur bei einer der großen, seriösen Zeitungen werden sollte, habe ich immer gesagt, eine Festanstellung bei einem der guten Blätter ist das Beste, was einem jungen Journalisten passieren kann. Einerseits ist das so sicher wie die Verbeamtung, und andererseits geht es nach dem ersten Redakteursvertrag nur noch bergauf. Wenn man bei einem der Blätter, die überall in der Branche gelesen werden, arbeitet und auch noch unter eigenem Namen schreibt, macht man dort seinen Weg und/oder bekommt Angebote von den anderen. Ich habe diesen Rat stets mit bestem Gewissen gegeben. Heute gibt es wenig Anzeigen, kaum mehr Angebote und nicht mehr viel Sicherheit.      
 
» Warum sollte es uns Kommunikatoren anders ergehen als den Bergleuten, den Stahlkochern oder den Bauern? «        
 
Der Gang der Dinge, also das Sein, lehrt uns, dass man nichts mit gutem Gewissen tun soll und stets mit Schlimmerem rechnen muss. Das ist kein Vulgärmarxismus, sondern Realismus, also Pessimismus. Andererseits: Was ist das schon Besonderes, wenn nun auch die Kommunikatoren am eigenen Leibe feststellen, dass Wachstum endlich ist? Warum sollte es uns anders ergehen als den Bergleuten, den Stahlkochern, den Bauern oder jenen, die vor 30 Jahren Drucker gelernt haben, weil das damals als ein sicheres, hoch bezahltes Handwerk galt? Ja, Kohle, Stahl, Weizen und Bücher braucht man heute auch noch. Aber entweder kommt das Zeug aus Angola oder Kirgistan, oder es reichen zwölf Leute aus, um aus dem Manuskript von Martin Walser 50000 Bücher zu machen. Was noch boomt, ist die Branche jener, die anderen erklären, wie sie mit immer weniger Menschen immer noch genug Autos, Nasenhaarschneider oder, meinetwegen, Zeitungen machen können. Doch, das geht. Allerdings nur so lange, bis die Rationalisierer und Unternehmensberater alle Wasserköpfe in tausend Firmen so gezielt aufgestochen haben, dass sie plötzlich selbst auf dem Trockenen sitzen. Eine niedliche Vorstellung: McKinsey müsste dann Roland Berger holen und der wiederum...      
 
» Wenn wir statt dieses Textes eine Anzeige gedruckt hätten, wäre es für das große Ganze deutlich zuträglicher gewesen. «        
 
Aber lassen wir das. Nicht lächeln. Es ist sinnlos. Wenn wir statt dieses Textes eine Anzeige gedruckt hätten, wäre es für das große Ganze, das Sein, deutlich zuträglicher gewesen. Wozu also noch teuren Platz mit Artikeln, gar mit düster grauem Geschwätz füllen?
Los, Fabian, schau mer mal, ob irgendwo ein Kind auf den Wellen treibt.  

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