Verdrängen, verschweigen, politische Erfolge feiern
Die Finanzaffäre ist der hessischen Landesregierung in ihrer Jahresbilanz nur noch einen Halbsatz wert
Von unserem Korrespondenten Heinrich Halbig
Wiesbaden. Wenn er denn vor einem Jahr nichts von den Manipulationen seines Vorgängers Manfred Kanther und anderer Parteigrößen gewusst haben sollte, so muss dem CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Roland Koch doch Ende Dezember 1999 an seinem Urlaubsort in den Alpen einiges geschwant haben.
Die Hiobsbotschaften aus der Heimat mit immer drängenderen Fragen der Medien an CDU-Generalsekretär Herbert Müller nach der Herkunft von dubiosen Vermächtnissen und einem angeblichen Millionen-Wahlkampfdarlehen des Ex-Schatzmeisters Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, denen Koch, wie es anmutete, zu entfliehen trachtete, sie schlugen sich damals in meterlangen Hotel-Faxen aus Parteizentrale und Staatskanzlei nieder.
Und kaum zurück, "überfielen" Koch die Journalisten. Sie forderten von ihm Antworten - und schienen ihn zu überfordern. So flüchtete er sich am 10. Januar 2000 bei der Erklärung des rückdatierten "Kredits" des Prinzen in die "Sternsingerlüge". Es habe sich dabei um "keine finanzielle Transaktion außerhalb der offiziellen Buchführung" gehandelt, sagte er damals bewusst die Unwahrheit und verharmloste seine Lüge später als "Dummheit", für die er "brutalstmöglich Prügel bezogen" habe. Schließlich folgte dann am 14. Januar mit Manfred Kanther das Geständnis, Altvordere hätten 1983 CDU-Geld - es waren insgesamt 20,8 Millionen Mark - auf schwarze Konten in der Schweiz transferiert und vor der Partei versteckt. Die Offenbarung bescherte der Union sowie dem gerade acht Monate regierenden Koch Schlagzeilen nie gekannten Ausmaßes.
Der CDU-Chef, beteuernd, bis dahin von all dem nichts gewusst zu haben, reagierte mit dem Versprechen einer "brutalstmöglichen Aufklärung". Doch zugleich auch politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten, davor drückte er sich - und die mitregierende FDP stützte ihn dabei. Doch beim Jahresrückblick geraten der Union die ebenfalls auf der Haben- oder Soll-Seite eines Jahres zu bilanzierenden massiven Verstöße gegen das Parteiengesetz und das Transparenzgebot des Grundgesetzes vollkommen aus den Augen. Sie schlagen sich in Kochs vierseitigem Saldo gerade mal in einem Halbsatz nieder. Die Landesregierung habe sich bei ihrem erfolgreichen politischen Tun "auch nicht durch die Finanzaffäre von ihrem Kurs abbringen lassen", heißt es da verniedlichend. Vergessen machen durch Verschweigen? Der FDP-Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn erwähnt - ebenso wie sein CDU-Kollege Norbert Kartmann - den Skandal, der zu 75 bis 80 Prozent die Sacharbeit überlagerte und die hessischen Liberalen zeitweise sogar zu spalten drohte, in seiner "Erfolgsbilanz 2000" nicht einmal mit einem Wort. Dabei hätte die 1999 mit 5,1 Prozent gerade noch in den Landtag gerutschte FDP ohne Überheblichkeit zumindest ihre feste Haltung in diesem Tohuwabohu herausstellen und sich selbst als d e r Stabilitätsfaktor des Bündnisses mit der CDU dezent feiern können. Dieses bei einer Bilanz zu "vergessen" heißt, sich bewusst klein zu machen, anzupassen und lieber im Kielwasser des großen Partners mitzuschwimmen statt mit der gebotenen Zurückhaltung auf eigene Verlässlichkeit hinzuweisen.
Ob vor diesem Hintergrund das Jahr 2000 trotz des CDU-Skandals gleichwohl "ein gutes Jahr für Hessens Bürger" war, wie Hahn behauptet? Ob sich die "eindrucksvolle Leistung" der Koalition tatsächlich an den insgesamt 31 verabschiedeten Gesetzen festmachen lässt? Natürlich standen die Bildungspolitik mit der Unterrichtsgarantie, die dafür notwendige Einstellung neuer Lehrer und das von anderen Ländern kritisierte bundesweite Werben um Pädagogen zeitweise im Fokus der Landespolitik. Da kann sich die Regierung auf ihrem Weg zum "Bildungsland Nummer 1" (Koch) mit dem Abbau von 70 000 der einst 100 000 ausgefallenen Unterrichtsstunden sehen lassen. Und das neue Hochschulgesetz mit mehr Autonomie für die Universitäten fügt sich ebenfalls gut ein. Außerdem wäre die "Leitentscheidung" der Regierung für eine neue Landebahn bis 2006 bei gleichzeitigem Verzicht auf geplante Starts und Landungen zwischen 23 und fünf Uhr - Koch: "Das Nachtflugverbot ist für mich nicht verhandelbar" - bei Rot-Grün kaum so unaufgeregt abgesegnet worden. Dagegen beispielsweise den Rückkauf von zehn Prozent der Helaba für 600 Millionen Mark - für das Verscherbeln seines 50-Prozent-Anteils hatte die CDU-geführte Landesregierung 1989 lediglich 530 Millionen Mark erlöst - als solide und pragmatische Politik zu verkaufen bedeutet, Ideologie mit Erfolg zu verwechseln.
© Mannheimer Morgen – 30.12.2000
Ein kleiner Teil der alten Kamellen vom Lügner Koch.
Und er wird niemals jemanden Anzeigen können, wenn man ihn Lügner nennt!