HANDELSBLATT, Montag, 29. August 2005, 08:42 Uhr
Aggressive Preispolitik
Inder setzen Generikamarkt unter Druck
Von Siegfried Hofmann, Handelsblatt
Aggressive Pharmahersteller aus Indien verschärfen den Preiswettbewerb auf dem amerikanischen Generikamarkt. Ungeachtet aller Wachstumseuphorie geraten damit die Erträge im Geschäft mit den Kopien patentfreier Medikamente unter Druck.
Der Konsolidierungstrend, der in den vergangenen Monaten bereits zu einer Reihe großer Übernahmen führte, wird nach Erwartung von Fachleuten anhalten. Zudem regen sich zusehends Zweifel, ob sich die bisherigen hohen Erwartungen an das Geschäft mit den patentfreien Nachahmermedikamenten erfüllen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s spricht bereits von „raueren Zeiten“ für die amerikanische Generikaindustrie. Morgan Stanley warnte jüngst davor, dass der verschärfte Preisdruck auch in den kommenden beiden Jahren das Mengenwachstum in der Branche konterkarieren werde.
Den Weltmarkt für Generika schätzen Marktforscher – je nach Definition – auf ein Volumen von 35 bis knapp 50 Mrd. Dollar. Gut die Hälfte davon entfällt auf den US-Markt. Dass der Sektor in den kommenden Jahren überdurchschnittlich zulegen wird, steht für die meisten Marktforscher außer Frage. IMS Health etwa rechnet mit Steigerungsraten von 14 Prozent. Gesundheitsorganisationen in den westlichen Ländern – so die Erwartung – werden den Einsatz preiswerter Generika weiter forcieren. Gleichzeitig verlieren Originalmedikamente mit derzeit mehr als 40 Mrd. Dollar Umsatz in den nächsten Jahren ihren Patentschutz.
Schwer zu kalkulieren bleibt indessen, wie stark und schnell Preise für diese Wirkstoffe abstürzen. Bereits im ersten Halbjahr 2005 hat die Offensive indischer Anbieter deutliche Spuren in den Quartalszahlen etlicher großer Generikaanbieter hinterlassen. Trotz steigender Erlöse gingen die Erträge überwiegend zurück (siehe Tabelle). Einzelne Firmen schrieben sogar rote Zahlen im US-Geschäft. Im Schnitt dürften die operativen Gewinne um zehn bis 15 Prozent gesunken sein.
Nach Einschätzung von Branchenvertretern nutzen derzeit vor allem kleinere indische Anbieter wie Orchid, Matrix oder Aurobindo ihre extrem günstige Kostenstruktur, um Marktanteile im US-Geschäft zu erobern. In den zurückliegenden Jahren hatten sich diese Firmen als Wirkstoffproduzenten für westliche Generikaanbieter profiliert. „Mit der Rolle des Zulieferers wollen sie sich jetzt aber nicht mehr begnügen, sondern verstärkt selbst auf den westlichen Märkten aktiv werden“, beobachtet Thimo Sommerfeld, Partner beim Beratungsunternehmen Abolon Consulting.
Die Produktionskosten der Inder bewegen sich nach Schätzung von Experten bei einem Drittel bis einem Fünftel des US-Niveaus. Philipp Mekler, Analyst und Fondsmanager bei Adamant Biomedical, geht daher davon aus, dass diese Unternehmen ihre aggressive Preispolitik auch über längere Zeiträume hinweg durchhalten können. „Sie haben sich auf dem Heimatmarkt eine Basis aufgebaut und versuchen nun, ihr Geschäft zu globalisieren.“
Dabei dürften auch Akquisitionen eine Rolle spielen. Ranbaxy, die Nummer Eins der indischen Pharmabranche, erwarb in den vergangenen Jahren bereits Generikasparten von Bayer und Aventis und signalisierte jüngst Interesse an weiteren Zukäufen in Europa und den USA. Torrent übernahm vor wenigen Monaten die kleine deutsche Pharmafirma Heumann, die bislang zum Pfizer-Konzern gehörte. Für milliardenschwere Transaktionen nach dem Vorbild von Teva/Ivax oder Novartis/Hexal fehlt den Indern zwar die Finanzkraft. Und ihre relativ hoch bewerteten Aktien können sie als Akquisitionswährung kaum nutzen, solange die Gründerfamilien die Kontrolle behalten wollen.
Andererseits bieten sich auch ohne Großakquisitionen erhebliche Möglichkeiten. Denn die Markteintrittsbarrieren sind nach wie vor niedrig, da es im Generikageschäft per Definition um patentfreie Wirkstoffe geht und damit im Prinzip um Massenprodukte. Trotz der Konsolidierung und zahlreicher Übernahmen in den vergangenen beiden Jahren nimmt die Zahl der Anbieter offenbar immer noch zu. Nach Daten von Merrill Lynch etwa haben im vergangenen Jahr 80 Unternehmen in den USA neue Zulassungen für Generika erhalten, gegenüber 57 Firmen im Jahr zuvor.
Zudem sind inzwischen selbst komplizierte Wirkstoffe nicht mehr vor hartem Preiswettbewerb gefeit. Das schwierig zu produzierende Antibiotikum Rocephin etwa wurde bereits zwei Wochen nach Patentablauf von fünf Generikafirmen auf dem US-Markt angeboten, darunter zwei indische Firmen. Binnen weniger Tage hatte sich der Preis für das Medikament mehr als halbiert.