Für China naht der «WTO-Big-Bang»
Radikale Veränderungen unumgänglich
Nach 15 Jahren schwieriger Verhandlungen steht voraussichtlich Anfang 2002 die Aufnahme Chinas in die WTO bevor. Obwohl die langfristigen Vorteile überwiegen dürften, steht das Land vor enormen Herausforderungen und empfindet viele der eingegangenen Kompromisse als schmerzlich.
Nach 15 Jahren intensiver Bemühungen Chinas um den Beitritt zunächst zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und später zur Welthandelsorganisation (WTO) zeichnet sich nunmehr ein Durchbruch ab. Die bilateralen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten sind mit Ausnahme Mexikos abgeschlossen, und das in Genf multilateral ausgehandelte Beitrittsprotokoll ist so gut wie fertiggestellt. Stimmt die China- Gruppe der WTO im September in Genf der Aufnahme zu, könnte der Beitritt im November dieses Jahres am Ministertreffen in Katar offiziell beschlossen werden. China hätte dann nach 30 Tagen die Möglichkeit, formell WTO-Mitglied zu werden. Allgemein wird jedoch damit gerechnet, dass es dazu erst Anfang 2002 kommen wird.
Internationale Einbindung
Die Auswirkungen dieses Schrittes werden für die Volksrepublik grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Weit mehr als dies die Durchführung der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2008 vermag, wird der WTO-Beitritt das bevölkerungsreichste Land der Erde in die internationale Gemeinschaft einbinden und zwingen, nach ihren Regeln zu spielen. Die umfassende Öffnung der Märkte über den radikalen Abbau der Importzölle und die Gleichbehandlung ausländischer und einheimischer Unternehmen bedeuten den endgültigen Abschied von der Kommandowirtschaft. Auch das der Pekinger Führung heilige Prinzip der Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten wird zu Grab getragen: Die Mechanismen der WTO zur Konfliktlösung - und auf die wird China beim Stand seiner Entwicklung ebenso häufig zurückgreifen müssen wie der Rest der WTO-Mitglieder bei den zu erwartenden Streitfällen mit Peking - beruhen eben auf dieser Einmischung.
Vor politischen und sozialen Umbrüchen
Ellen Frost, Dozentin am Institut für internationale Wirtschaft in Washington, sieht enorme Schwierigkeiten der WTO, mit dem neuen Mitglied umzugehen: «Obwohl die Privatisierung vorangeht, wird es äusserst schwierig werden, das Gewirr von Subventionen, Preiskontrollen, lokalem Protektionismus und anderen Formen der staatlichen Einmischung in Zahlen auszudrücken.» Rechnet man die von der Führung erhofften und von westlichen Analytikern vorausgesagten zusätzlichen ausländischen Direktinvestitionen, den wachsenden Austausch an Gütern und Ideen sowie die anstehende Wachablösung in der Führungsriege auf dem Parteitag im kommenden Jahr hinzu, steht ausser Zweifel, dass der WTO- Beitritt auch zu drastischen politischen und sozialen Veränderungen für einen Fünftel der Menschheit führt.
Die Kommunistische Partei geht dieses Risiko bewusst ein. Sie hat erkannt, dass die einheimische Wirtschaft nur überleben kann, wenn sie sich dem internationalen Wettbewerb stellt. Die Aussicht, dass es vor allem in den ersten Jahren zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen kommen dürfte, wird in Kauf genommen, gegen den Widerstand ganzer Branchen und mancher orthodoxer Kader im Apparat. Die schon jetzt hohe Arbeitslosigkeit werde zumindest in den ersten Jahren weiter steigen, weil viele Unternehmen dem Wettbewerb mit multilateralen Konzernen einfach nicht gewachsen seien, betonen chinesische Zeitungen. Betroffen sind vor allem der Automobilbau, die chemische Industrie, Teile des Maschinenbaus, der Energiesektor und der Dienstleistungssektor, aber auch die Landwirtschaft und der Detailhandel. Brechen diese Branchen ein und schicken Millionen auf die Strasse, drohen soziale Unruhen auszubrechen, die nicht nur ein Chaos auslösen, sondern auch das Mandat der Herrschenden in Frage stellen könnten.
Pei Minxin, Professor an der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, hält die Führung für «völlig unvorbereitet auf die politischen Herausforderungen», speziell auf den Zwang zu politischen Reformen, der von der breiter werden Kluft zwischen einer immer weiter geöffneten Wirtschaft und der rigiden politischen Ordnung ausgeht. Während die Mittelklasse, die bis zum Jahr 2005 nach offiziellen Angaben etwa 200 Mio. Personen ausmachen soll, als Gewinner gilt, hätten zwei grosse Gruppen - die Arbeiter in den traditionellen Industrien und die Bauern - zunächst nur zu verlieren und bildeten somit das wichtigste Potenzial für soziale Spannungen. Werden sich die politischen Veränderungen der WTO-Mitgliedschaft erst später zeigen, so ist in der Wirtschaft, im Guten wie im Bösen, mit unmittelbaren Auswirkungen zu rechnen, auch wenn manche Bestimmungen erst nach fünf bis sechs Jahre langen Übergangszeiten in Kraft treten.
Positives Fallbeispiel: elektrische und elektronische Güter
Infolge der hohen Zuwachsraten und des gestiegenen Lebensstandards in den letzten Jahren sowie der stetigen Urbanisierung sind der elektrische Bereich sowie der Sektor Elektronik auf modernem Stand und brauchen den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen. Dazu haben schon frühzeitig hohe ausländische Direktinvestitionen in die traditionell gut entwickelte Leichtindustrie beigetragen. Chinesische Kühlschränke, Waschmaschinen und Farbfernsehgräte sind inzwischen ebenso gut, umweltfreundlich, langlebig und energiesparend wie die Apparate der westlichen Konkurrenz. Nur sind sie erheblich billiger und drängen damit aggressiv auf die internationalen Märkte. Ähnliches gilt für die Computerindustrie. Markenfirmen wie Legend, Founder oder Great Wall sind inzwischen bestens eingeführt, nicht nur in Südostasien, sondern zunehmend auch in westlichen Industriestaaten. Sie kooperieren zumeist mit internationalen Partnern wie Siemens, Toshiba und NEC und haben die Exportoffensive in Richtung USA und Europa längst begonnen. Im Aufwind ist auch die Software-Entwicklung, wo China gegenüber Indien deutlich Boden gewonnen hat.
Ebenso konkurrenzfähig ist die traditionell hoch entwickelte Textilindustrie, wo in den letzten Jahren Millionen Spindeln zugunsten höherer Verarbeitungsqualität ausgemustert, aber auch Millionen Arbeiter entlassen wurden. Speziell die Befürchtungen, von chinesischen Textilien überschwemmt zu werden, haben denn auch zu Sonderbestimmungen im WTO-Protokoll geführt, die im Fall einer chinesischen Exportschwemme Importbeschränkungen zulassen. Gleichwohl wird der WTO-Beitritt den Chinesen neue Märkte für ihre Leichtindustrie und damit auch neue Arbeitsplätze bescheren. Die Textilindustrie dürfte profitieren, wenn mittelfristig die von den USA und Europa verhängten Quoten für Textilimporte aus China wegfallen.
Negatives Fallbeispiel: die Landwirtschaft
Neben dem Servicebereich waren die Verhandlungen über die Landwirtschaft die härteste Nuss, die die Unterhändler zu knacken hatten. China hatte mit dem Hinweis auf seine geringere Produktivität und die entsprechend niedrigen Einkommen bis zum Schluss darauf bestanden, als Entwicklungsland aufgenommen werden. Von rund 1,3 Mrd. Chinesen leben 900 Mio. auf dem Land. Auch wenn hier «Land» nicht mit Dörfern im westlichen Sinn gleichzusetzen ist und deutlich mehr als die Hälfte der Menschen dort nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitet, sind Hunderte Millionen betroffen. Schon heute gelten zwischen 150 und 200 Mio. Personen als «überflüssig». Aus ihnen rekrutiert sich das grosse Heer der Wanderarbeiter, die alljährlich auf der Suche nach Jobs in die grossen Städte ziehen.
Die chinesische Landwirtschaft findet überwiegend auf kleinsten Flächen und zumeist in Handarbeit statt. Wird sie sofort und ungeschützt ausländischen Importen geöffnet, drohen Millionen Bauern unterzugehen, wenn Weizen, Sojamehl, Zitrusfrüchte und Schlachtvieh aus den USA, Kanada und Australien auf den Markt kommen, die besser und billiger sind als einheimische Produkte. Wie sollen wir überleben, fragen sich hier viele Bauern, wenn die Hektar-Erträge in den USA 15 Mal so hoch und das Sojaöl nur halb so teuer ist wie bei uns? China wird bis 2004 seine Getreideeinfuhren im Vergleich mit 1998 um das Sechsfache auf 9,6 Mio. t steigern müssen. Die Importe von Reis und Mais werden im selben Zeitraum von 0,5 Mio. auf 12,5 Mio. t steigen. «Das ist genug, um riesige neue Märkte für westliche Anbieter und echte Schmerzen für Millionen chinesische Bauern mit sich zu bringen, von denen die meisten nicht einmal einen Traktor haben und mit weniger als 200 $ im Jahr auskommen müssen», schreibt «BusinessWeek». Die Schmerzen sind umso grösser, als China seine Landwirtschaft nicht mit 10% des Gesamtprodukts subventionieren darf wie die Entwicklungsländer. Hatten die chinesischen Unterhändler zunächst auf dieser Marge und die USA auf nur 5% bestanden, so wurde Anfang Juli in Genf mit 8,5% ein Kompromiss gefunden. Er drückt die Chinesen gleichwohl, zumal die Landwirtschaft selbst in den USA und in der Europäischen Union weit höher subventioniert wird.
China hat hingenommen, dass die Latte für seinen Beitritt höher gelegt wurde als für die Entwicklungsländer und für manche Industriestaaten. Der Grund: Man glaubt wie der Westen, dass die Vorteile einer WTO-Mitgliedschaft Chinas langfristig schwerer wiegen als die Nachteile. Schafft es das Land indessen nicht, die Latte zu überspringen, drohen innere Spannungen. Die Folgen für die Stabilität des Landes und die weltweite Wirtschaft sind unvorstellbar. Noch aber herrscht das Prinzip Hoffnung.
27. Juli 2001
Quelle: Neue Zürcher Zeitung AG
Radikale Veränderungen unumgänglich
Nach 15 Jahren schwieriger Verhandlungen steht voraussichtlich Anfang 2002 die Aufnahme Chinas in die WTO bevor. Obwohl die langfristigen Vorteile überwiegen dürften, steht das Land vor enormen Herausforderungen und empfindet viele der eingegangenen Kompromisse als schmerzlich.
Nach 15 Jahren intensiver Bemühungen Chinas um den Beitritt zunächst zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und später zur Welthandelsorganisation (WTO) zeichnet sich nunmehr ein Durchbruch ab. Die bilateralen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten sind mit Ausnahme Mexikos abgeschlossen, und das in Genf multilateral ausgehandelte Beitrittsprotokoll ist so gut wie fertiggestellt. Stimmt die China- Gruppe der WTO im September in Genf der Aufnahme zu, könnte der Beitritt im November dieses Jahres am Ministertreffen in Katar offiziell beschlossen werden. China hätte dann nach 30 Tagen die Möglichkeit, formell WTO-Mitglied zu werden. Allgemein wird jedoch damit gerechnet, dass es dazu erst Anfang 2002 kommen wird.
Internationale Einbindung
Die Auswirkungen dieses Schrittes werden für die Volksrepublik grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Weit mehr als dies die Durchführung der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2008 vermag, wird der WTO-Beitritt das bevölkerungsreichste Land der Erde in die internationale Gemeinschaft einbinden und zwingen, nach ihren Regeln zu spielen. Die umfassende Öffnung der Märkte über den radikalen Abbau der Importzölle und die Gleichbehandlung ausländischer und einheimischer Unternehmen bedeuten den endgültigen Abschied von der Kommandowirtschaft. Auch das der Pekinger Führung heilige Prinzip der Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten wird zu Grab getragen: Die Mechanismen der WTO zur Konfliktlösung - und auf die wird China beim Stand seiner Entwicklung ebenso häufig zurückgreifen müssen wie der Rest der WTO-Mitglieder bei den zu erwartenden Streitfällen mit Peking - beruhen eben auf dieser Einmischung.
Vor politischen und sozialen Umbrüchen
Ellen Frost, Dozentin am Institut für internationale Wirtschaft in Washington, sieht enorme Schwierigkeiten der WTO, mit dem neuen Mitglied umzugehen: «Obwohl die Privatisierung vorangeht, wird es äusserst schwierig werden, das Gewirr von Subventionen, Preiskontrollen, lokalem Protektionismus und anderen Formen der staatlichen Einmischung in Zahlen auszudrücken.» Rechnet man die von der Führung erhofften und von westlichen Analytikern vorausgesagten zusätzlichen ausländischen Direktinvestitionen, den wachsenden Austausch an Gütern und Ideen sowie die anstehende Wachablösung in der Führungsriege auf dem Parteitag im kommenden Jahr hinzu, steht ausser Zweifel, dass der WTO- Beitritt auch zu drastischen politischen und sozialen Veränderungen für einen Fünftel der Menschheit führt.
Die Kommunistische Partei geht dieses Risiko bewusst ein. Sie hat erkannt, dass die einheimische Wirtschaft nur überleben kann, wenn sie sich dem internationalen Wettbewerb stellt. Die Aussicht, dass es vor allem in den ersten Jahren zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen kommen dürfte, wird in Kauf genommen, gegen den Widerstand ganzer Branchen und mancher orthodoxer Kader im Apparat. Die schon jetzt hohe Arbeitslosigkeit werde zumindest in den ersten Jahren weiter steigen, weil viele Unternehmen dem Wettbewerb mit multilateralen Konzernen einfach nicht gewachsen seien, betonen chinesische Zeitungen. Betroffen sind vor allem der Automobilbau, die chemische Industrie, Teile des Maschinenbaus, der Energiesektor und der Dienstleistungssektor, aber auch die Landwirtschaft und der Detailhandel. Brechen diese Branchen ein und schicken Millionen auf die Strasse, drohen soziale Unruhen auszubrechen, die nicht nur ein Chaos auslösen, sondern auch das Mandat der Herrschenden in Frage stellen könnten.
Pei Minxin, Professor an der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, hält die Führung für «völlig unvorbereitet auf die politischen Herausforderungen», speziell auf den Zwang zu politischen Reformen, der von der breiter werden Kluft zwischen einer immer weiter geöffneten Wirtschaft und der rigiden politischen Ordnung ausgeht. Während die Mittelklasse, die bis zum Jahr 2005 nach offiziellen Angaben etwa 200 Mio. Personen ausmachen soll, als Gewinner gilt, hätten zwei grosse Gruppen - die Arbeiter in den traditionellen Industrien und die Bauern - zunächst nur zu verlieren und bildeten somit das wichtigste Potenzial für soziale Spannungen. Werden sich die politischen Veränderungen der WTO-Mitgliedschaft erst später zeigen, so ist in der Wirtschaft, im Guten wie im Bösen, mit unmittelbaren Auswirkungen zu rechnen, auch wenn manche Bestimmungen erst nach fünf bis sechs Jahre langen Übergangszeiten in Kraft treten.
Positives Fallbeispiel: elektrische und elektronische Güter
Infolge der hohen Zuwachsraten und des gestiegenen Lebensstandards in den letzten Jahren sowie der stetigen Urbanisierung sind der elektrische Bereich sowie der Sektor Elektronik auf modernem Stand und brauchen den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen. Dazu haben schon frühzeitig hohe ausländische Direktinvestitionen in die traditionell gut entwickelte Leichtindustrie beigetragen. Chinesische Kühlschränke, Waschmaschinen und Farbfernsehgräte sind inzwischen ebenso gut, umweltfreundlich, langlebig und energiesparend wie die Apparate der westlichen Konkurrenz. Nur sind sie erheblich billiger und drängen damit aggressiv auf die internationalen Märkte. Ähnliches gilt für die Computerindustrie. Markenfirmen wie Legend, Founder oder Great Wall sind inzwischen bestens eingeführt, nicht nur in Südostasien, sondern zunehmend auch in westlichen Industriestaaten. Sie kooperieren zumeist mit internationalen Partnern wie Siemens, Toshiba und NEC und haben die Exportoffensive in Richtung USA und Europa längst begonnen. Im Aufwind ist auch die Software-Entwicklung, wo China gegenüber Indien deutlich Boden gewonnen hat.
Ebenso konkurrenzfähig ist die traditionell hoch entwickelte Textilindustrie, wo in den letzten Jahren Millionen Spindeln zugunsten höherer Verarbeitungsqualität ausgemustert, aber auch Millionen Arbeiter entlassen wurden. Speziell die Befürchtungen, von chinesischen Textilien überschwemmt zu werden, haben denn auch zu Sonderbestimmungen im WTO-Protokoll geführt, die im Fall einer chinesischen Exportschwemme Importbeschränkungen zulassen. Gleichwohl wird der WTO-Beitritt den Chinesen neue Märkte für ihre Leichtindustrie und damit auch neue Arbeitsplätze bescheren. Die Textilindustrie dürfte profitieren, wenn mittelfristig die von den USA und Europa verhängten Quoten für Textilimporte aus China wegfallen.
Negatives Fallbeispiel: die Landwirtschaft
Neben dem Servicebereich waren die Verhandlungen über die Landwirtschaft die härteste Nuss, die die Unterhändler zu knacken hatten. China hatte mit dem Hinweis auf seine geringere Produktivität und die entsprechend niedrigen Einkommen bis zum Schluss darauf bestanden, als Entwicklungsland aufgenommen werden. Von rund 1,3 Mrd. Chinesen leben 900 Mio. auf dem Land. Auch wenn hier «Land» nicht mit Dörfern im westlichen Sinn gleichzusetzen ist und deutlich mehr als die Hälfte der Menschen dort nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitet, sind Hunderte Millionen betroffen. Schon heute gelten zwischen 150 und 200 Mio. Personen als «überflüssig». Aus ihnen rekrutiert sich das grosse Heer der Wanderarbeiter, die alljährlich auf der Suche nach Jobs in die grossen Städte ziehen.
Die chinesische Landwirtschaft findet überwiegend auf kleinsten Flächen und zumeist in Handarbeit statt. Wird sie sofort und ungeschützt ausländischen Importen geöffnet, drohen Millionen Bauern unterzugehen, wenn Weizen, Sojamehl, Zitrusfrüchte und Schlachtvieh aus den USA, Kanada und Australien auf den Markt kommen, die besser und billiger sind als einheimische Produkte. Wie sollen wir überleben, fragen sich hier viele Bauern, wenn die Hektar-Erträge in den USA 15 Mal so hoch und das Sojaöl nur halb so teuer ist wie bei uns? China wird bis 2004 seine Getreideeinfuhren im Vergleich mit 1998 um das Sechsfache auf 9,6 Mio. t steigern müssen. Die Importe von Reis und Mais werden im selben Zeitraum von 0,5 Mio. auf 12,5 Mio. t steigen. «Das ist genug, um riesige neue Märkte für westliche Anbieter und echte Schmerzen für Millionen chinesische Bauern mit sich zu bringen, von denen die meisten nicht einmal einen Traktor haben und mit weniger als 200 $ im Jahr auskommen müssen», schreibt «BusinessWeek». Die Schmerzen sind umso grösser, als China seine Landwirtschaft nicht mit 10% des Gesamtprodukts subventionieren darf wie die Entwicklungsländer. Hatten die chinesischen Unterhändler zunächst auf dieser Marge und die USA auf nur 5% bestanden, so wurde Anfang Juli in Genf mit 8,5% ein Kompromiss gefunden. Er drückt die Chinesen gleichwohl, zumal die Landwirtschaft selbst in den USA und in der Europäischen Union weit höher subventioniert wird.
China hat hingenommen, dass die Latte für seinen Beitritt höher gelegt wurde als für die Entwicklungsländer und für manche Industriestaaten. Der Grund: Man glaubt wie der Westen, dass die Vorteile einer WTO-Mitgliedschaft Chinas langfristig schwerer wiegen als die Nachteile. Schafft es das Land indessen nicht, die Latte zu überspringen, drohen innere Spannungen. Die Folgen für die Stabilität des Landes und die weltweite Wirtschaft sind unvorstellbar. Noch aber herrscht das Prinzip Hoffnung.
27. Juli 2001
Quelle: Neue Zürcher Zeitung AG