Aus der FTD vom 15.3.2001
Das Kapital: Ist das die Kapitulation an der Börse?
Der Boden in einer Baisse ist spätestens dann erreicht, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind. Eine davon ist Kapitulation, und danach hat es am Mittwoch zeitweilig ausgesehen.
Die anderen Zutaten sind niedrige Bewertungen, sinkende Zinsen und sich stabilisierende Wachstumserwartungen.
Von Kapitulation spricht man, wenn auch noch der letzte Optimist einknickt und verkauft, denn dann kann es ja keinen weiteren Verkaufsdruck mehr geben. Aber der Optimismus ist noch nicht ganz gebrochen. Es gibt eine ausgeprägte Mentalität dahingehend, "in Marktschwächen zu kaufen". Lehman Brothers haben errechnet, dass global nach wie vor Mittel in Aktienfonds fließen, obwohl diese vier Quartale lang negative Renditen eingebracht haben. Ein Zeichen für Pessimismus hingegen wäre, wenn - zumindest vorübergehend - per saldo eher Gelder abgezogen werden würden. Die Bank schließt daraus, dass der in den 90er Jahren entstandene übermäßige Optimismus immer noch nicht ganz gewichen ist.
Die Bewertung der Aktien hat sich im Zuge der Korrektur natürlich verbessert. Nach den vorliegenden Gewinnschätzungen und verglichen mit den Rentenmärkten sind Aktien jetzt sogar unterbewertet. Aber nicht nur, dass die Gewinnprognosen im Moment fallen: Die Margen sind nachhaltig unter Druck. Der Anteil der Gewinne am US-BIP liegt weit über dem langjährigen Durchschnitt. Die Gewinne werden von vielen Unternehmen zu hoch ausgewiesen. Und verglichen mit dem langfristigen Durchschnitt von etwa 15 ist das aktuelle KGV von rund 20 absolut gesehen immer noch üppig.
Positiv ist die Zinssenkungsrunde, die weltweit eingeläutet ist. Die EZB wird früher oder später in das Konzert mit den Notenbanken der USA, Englands, Japans, Kanadas etc. einstimmen, obwohl die Inflationszahlen es ihr nicht ganz einfach machen. Aber die Preisentwicklung ist nicht übermäßig besorgniserregend; die EZB sollte daher besser früher als später nachgeben, um eine unnötige Konjunkturschwäche zu verhindern.
Mit der geldpolitischen Stimulierung werden auch die Konjunkturaussichten besser - typischerweise aber erst nach Monaten. In den USA haben der Einkaufsmanager-Index NAPM und der Frühindikator des Conference Board zuletzt schon eine wirtschaftliche Stabilisierung angedeutet. Aber einzelne Monatswerte sind schwer zu interpretieren, und von einer nachhaltigen Wende kann noch nicht gesprochen werden.
Wer ruhig schlafen will, sollte mit Käufen zumindest solange warten, bis die Wirtschaftsindikatoren erkennbar drehen und die Renditedifferenz am Rentenmarkt deutlich steigt. Wenn das passiert und dazu noch die Zinsen gesenkt werden, dürfte am Markt genug Mut zusammenkommen, um für ein kleines Feuerwerk zu sorgen. Zwar wird das auch wieder verpuffen, aber für eine Weile wird man es richtig genießen können.
Europäische Banken
Die Aussichten für die Banken sind bei fallenden Märkten nicht rosig, das ist nicht neu. Aber das Ausmaß, um das Goldman die Schätzungen für den Sektor getrimmt hat, hat den Anlegern einen Schrecken eingejagt.
Unter einer schwachen Börse leidet das Beratungs- und Emissionsgeschäft. Übernahmen sind den Aktionären schwer zu vermitteln, und die Anleger haben nur wenig Appetit auf neue Börsengänge. Da Goldman selbst zu den führenden Häusern bei Übernahmeberatung und Neuemissionen gehört, wiegen die Bedenken für das zukünftige Geschäft besonders schwer.
Aber Goldman rüttelt auch an der Überzeugung, die Vermögensverwaltung sei ein krisensicheres Standbein. Gewiss, die staatlichen Rentensysteme in Europa schwächeln, das macht private Altersvorsorge notwendig. Und die dürfte überwiegend in Fonds und fondsgebundene Lebensversicherungen fließen. Das ist gut für die Finanzdienstleister. Aber die üppigen Margen dürften nicht zu halten sein, und bei einem sehr schwachen Markt sind auch kurzfristige Nettoabflüsse aus den Fonds möglich. Nach Berechnungen der Deutschen Bank ist bisher bei den europäischen Finanzdienstleistern davon wenig zu spüren, es kann also noch kommen. Weniger Kopfschmerzen als früher bereiten die Kreditrisiken. Die größte Gefahr droht hier aus den USA, und da ist der Geschäftsanteil der Europäer nur gering.
Der europäische Finanzsektor notiert nach Morgan Stanley Dean Witter mittlerweile mit dem 2,8fachen Buchwert, weit über dem langjährigen Durchschnitt von rund 1,8. Wenn die Wirtschaft ins Trudeln gerät, waren früher Bewertungen nahe dem einfachen Buchwert zu beobachten.
Bei den Versicherungen sieht es zurzeit etwas besser aus als bei den Banken. Sie sind seit Jahresbeginn stärker gefallen als letztere und haben kein wackeliges Investmentbanking. Aber auch sie könnten unter einer kurzfristigen Eintrübung bei den Fonds und niedrigeren Investmenterträgen leiden, wenn der Markt weiter schwach bleibt.
© 2001 Financial Times Deutschland
Gruß
Nobody II
Das Kapital: Ist das die Kapitulation an der Börse?
Der Boden in einer Baisse ist spätestens dann erreicht, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind. Eine davon ist Kapitulation, und danach hat es am Mittwoch zeitweilig ausgesehen.
Die anderen Zutaten sind niedrige Bewertungen, sinkende Zinsen und sich stabilisierende Wachstumserwartungen.
Von Kapitulation spricht man, wenn auch noch der letzte Optimist einknickt und verkauft, denn dann kann es ja keinen weiteren Verkaufsdruck mehr geben. Aber der Optimismus ist noch nicht ganz gebrochen. Es gibt eine ausgeprägte Mentalität dahingehend, "in Marktschwächen zu kaufen". Lehman Brothers haben errechnet, dass global nach wie vor Mittel in Aktienfonds fließen, obwohl diese vier Quartale lang negative Renditen eingebracht haben. Ein Zeichen für Pessimismus hingegen wäre, wenn - zumindest vorübergehend - per saldo eher Gelder abgezogen werden würden. Die Bank schließt daraus, dass der in den 90er Jahren entstandene übermäßige Optimismus immer noch nicht ganz gewichen ist.
Die Bewertung der Aktien hat sich im Zuge der Korrektur natürlich verbessert. Nach den vorliegenden Gewinnschätzungen und verglichen mit den Rentenmärkten sind Aktien jetzt sogar unterbewertet. Aber nicht nur, dass die Gewinnprognosen im Moment fallen: Die Margen sind nachhaltig unter Druck. Der Anteil der Gewinne am US-BIP liegt weit über dem langjährigen Durchschnitt. Die Gewinne werden von vielen Unternehmen zu hoch ausgewiesen. Und verglichen mit dem langfristigen Durchschnitt von etwa 15 ist das aktuelle KGV von rund 20 absolut gesehen immer noch üppig.
Positiv ist die Zinssenkungsrunde, die weltweit eingeläutet ist. Die EZB wird früher oder später in das Konzert mit den Notenbanken der USA, Englands, Japans, Kanadas etc. einstimmen, obwohl die Inflationszahlen es ihr nicht ganz einfach machen. Aber die Preisentwicklung ist nicht übermäßig besorgniserregend; die EZB sollte daher besser früher als später nachgeben, um eine unnötige Konjunkturschwäche zu verhindern.
Mit der geldpolitischen Stimulierung werden auch die Konjunkturaussichten besser - typischerweise aber erst nach Monaten. In den USA haben der Einkaufsmanager-Index NAPM und der Frühindikator des Conference Board zuletzt schon eine wirtschaftliche Stabilisierung angedeutet. Aber einzelne Monatswerte sind schwer zu interpretieren, und von einer nachhaltigen Wende kann noch nicht gesprochen werden.
Wer ruhig schlafen will, sollte mit Käufen zumindest solange warten, bis die Wirtschaftsindikatoren erkennbar drehen und die Renditedifferenz am Rentenmarkt deutlich steigt. Wenn das passiert und dazu noch die Zinsen gesenkt werden, dürfte am Markt genug Mut zusammenkommen, um für ein kleines Feuerwerk zu sorgen. Zwar wird das auch wieder verpuffen, aber für eine Weile wird man es richtig genießen können.
Europäische Banken
Die Aussichten für die Banken sind bei fallenden Märkten nicht rosig, das ist nicht neu. Aber das Ausmaß, um das Goldman die Schätzungen für den Sektor getrimmt hat, hat den Anlegern einen Schrecken eingejagt.
Unter einer schwachen Börse leidet das Beratungs- und Emissionsgeschäft. Übernahmen sind den Aktionären schwer zu vermitteln, und die Anleger haben nur wenig Appetit auf neue Börsengänge. Da Goldman selbst zu den führenden Häusern bei Übernahmeberatung und Neuemissionen gehört, wiegen die Bedenken für das zukünftige Geschäft besonders schwer.
Aber Goldman rüttelt auch an der Überzeugung, die Vermögensverwaltung sei ein krisensicheres Standbein. Gewiss, die staatlichen Rentensysteme in Europa schwächeln, das macht private Altersvorsorge notwendig. Und die dürfte überwiegend in Fonds und fondsgebundene Lebensversicherungen fließen. Das ist gut für die Finanzdienstleister. Aber die üppigen Margen dürften nicht zu halten sein, und bei einem sehr schwachen Markt sind auch kurzfristige Nettoabflüsse aus den Fonds möglich. Nach Berechnungen der Deutschen Bank ist bisher bei den europäischen Finanzdienstleistern davon wenig zu spüren, es kann also noch kommen. Weniger Kopfschmerzen als früher bereiten die Kreditrisiken. Die größte Gefahr droht hier aus den USA, und da ist der Geschäftsanteil der Europäer nur gering.
Der europäische Finanzsektor notiert nach Morgan Stanley Dean Witter mittlerweile mit dem 2,8fachen Buchwert, weit über dem langjährigen Durchschnitt von rund 1,8. Wenn die Wirtschaft ins Trudeln gerät, waren früher Bewertungen nahe dem einfachen Buchwert zu beobachten.
Bei den Versicherungen sieht es zurzeit etwas besser aus als bei den Banken. Sie sind seit Jahresbeginn stärker gefallen als letztere und haben kein wackeliges Investmentbanking. Aber auch sie könnten unter einer kurzfristigen Eintrübung bei den Fonds und niedrigeren Investmenterträgen leiden, wenn der Markt weiter schwach bleibt.
© 2001 Financial Times Deutschland
Gruß
Nobody II