Friedhelm Busch: Mehltau auf der Seele

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Friedhelm Busch: Mehltau auf der Seele

 
11.04.02 18:25

Mehltau auf der Seele


von Dr. Friedhelm Busch *


Im Grunde kann es keinen Zweifel geben: Gezogen von der amerikanischen Wirtschaft nimmt die Weltwirtschaft wieder Fahrt auf, doch längst noch nicht sind alle Bremsklötze von den Schienen geräumt. Dabei stören nicht so sehr die fundamentalen Wirtschaftsdaten der Vereinigten Staaten, die nämlich lassen seit Wochen auf einen zwar moderaten aber dennoch spürbaren Aufschwung schließen.

Das deutliche Wirtschaftswachstum im letzten Quartal des vergangenen Jahres, der Abbau der Lagerhaltung, der Anstieg bei den Auftragseingängen und den Konsumausgaben, das alles zusammengenommen treibt die Aktienkurse an der Wall Street und wird nicht ohne positive Auswirkungen auf die Stimmung der amerikanischen Verbraucher bleiben. Denn schließlich sind nahezu 50 Prozent der erwachsenen Amerikaner direkt oder indirekt in Aktien investiert.

Was diese Erwartungen vom erneuten Börsenboom trübt, sind die nachdenklichen Stimmen mancher Wirtschaftswissenschaftler und Analysten, die die kürzeste Rezession nach dem längsten Aufschwung in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte nicht einfach als das unvermeidliche Platzen einer riesigen Spekulationsblase an der Wachstumsbörse Nasdaq abtun wollen.

Von seinem Höhepunkt, der im März 2000 bei über 5 000 Punkten gelegen hatte, ist der wichtigste Index aller High-Tech-Börsen um gut 60 Prozent auf heute rund 2 000 Punkte abgestürzt. Über die Ursachen des kometenhaften Aufstiegs vieler Unternehmen aus der Informationstechnologie und der Welt der Medien ist zur Genüge nachgedacht und argumentiert worden. Jenseits des Atlantiks und hier in Europa, wo die Wachstumsbörsen nahezu zertrümmert worden sind. Alle Beteiligten, vom unerfahrenen Jung-Unternehmer, der sich vom Börsengang schnellen Reichtum und eine glanzvolle Zukunft versprach, über Banken, die diese Börsengänge anregten und kritiklos begleiteten, Fondsmanager, die im Schulterschluss mit den Medien die Begeisterung zumindest fahrlässig in den kollektiven Wahn trommelten, bis zu privaten Anlegern, denen die Gier den Verstand verklebt hatte, sie alle sind ernüchtert wieder in der Realität angekommen. Hunderte von Milliarden Dollar und Euro sind wieder dahin entschwunden, woher sie gekommen waren, im Nichts.




Verdauungsschwierigkeiten nach Fusionsrausch


Das war's. Ein teurer aber heilsamer Schock, der für die künftigen Jahre reichen müsste, stellen die Optimisten unter den Börsenbeobachtern zufrieden fest.

Nein, das war noch nicht das Ende der Geschichte, warnen dagegen andere Stimmen.

Mit dem Platzen der High-Tech-Blase habe sich auch der Trend zur Größe als Irrläufer entlarvt.

Nur wer weltweit zu den Riesen zählt könne überleben, lautet der unbestrittene erste Glaubenssatz im globalen Dorf. Durch den beinharten Preiswettbewerb schnurren die Gewinnmargen zusammen. Hohe Stückzahlen beim Umsatz und in der Produktion sind die logische Konsequenz. Die Masse, die Größe muss es bringen.

Kein Wunder, dass während der weltweiten Wachstumseuphorie Firmenübernahmen und Fusionen die täglichen Schlagzeilen füllten. Begleitet vom Jubel der Aktionäre träumten die Konzernherren von kommenden Synergieeffekten und Umsatzexplosionen. Nicht sofort, versteht sich, zunächst müsse für einiges Geld dem neuen Gebilde ein passender Anzug geschneidert werden. Aber in wenigen Jahren würden sich die Kostenersparnisse und die zusätzlichen Absatzmärkte in harter Münze bezahlt machen. Doch dem anfänglichen Beifall an den Börsen folgten bald Skepsis und Enttäuschung. Zu viele Fusionen und Übernahmen hielten nicht, was sich die Vorstände und Anleger von ihnen versprochen hatten.

Die Eingliederung der neuen Unternehmensteile und Mitarbeiter erwies sich all zu häufig als schwierig und damit teuer. Reibungsverluste waren an der Tagungsordnung. Nur selten stimmte die Chemie zwischen alt und neu. Vor allem bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen gerieten die Konzernschmiede angesichts fallender Aktienkurse ins Schleudern, mussten sie den Aktionären den wirtschaftlichen Sinn ihrer Strategie erklären.




Börsenangst nach New Economy-Grusel


Mit der Ernüchterung in der weltweiten New Economy aber hat die Kritik an diesem Trend eine neue Qualität erhalten. Enron lasst grüßen. Geblendet von der Leichtigkeit der Börse raffen die jungen Helden der Internetszene unbekümmert alles zusammen, was sich weltweit anbot. Gleichviel zu welchem Preis. Denn bezahlt wurde in der Regel mit den eigenen hochgejubelten Aktien. Der schnell zusammengekaufte Umsatz erhöhte die Begehrlichkeit der Anleger und schuf damit neues Spielgeld für weitere Zukäufe.

Ein riesiges Rad, das aber plötzlich zum Stillstand kam, als die ersten Anleger gegen Ende der Euphorie zaghaft nach dem tatsächlichen Gewinn solcher Beutezüge fragten. Längst hatten sie den Durchblick verloren, hatten sie sich in dem weltumfassenden Konzerngeflecht verirrt. Offizielle Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen konnten ebenfalls nicht weiter helfen, zu weit sind die Spielräume nach amerikanischem Recht, zu leichtfertig haben Bilanzprüfer falsche Behauptungen der Unternehmen abgenickt. Zu geschickt verstand mancher Finanzvorstand auf diesem Klavier zu spielen. Erst recht, als viele übernommene Firmen sich bei näherem Hinsehen als totaler Flop, vermeintliche Gewinne sich in Wirklichkeit als tiefrote Verluste erwiesen. Jetzt galt es, vor Behörden und Anlegern die Wahrheit zu verstecken. Anfänglich mit beträchtlichem Erfolg, wie das Beispiel Enron beweist.

Doch all die Tricks und Betrügereien helfen nur eine kurze Zeit. Irgendwann werden all die Leichen in den Kellern entdeckt und müssen auf die Straße getragen werden, platzen die langgehegten Gewinnillusionen wie eine Blase und hinterlassen einen üblen Geruch. Diese Angst liegt jetzt wie Mehltau auf den Seelen vieler Anleger und hindert sie daran, den guten Konjunkturdaten Glauben zu schenken.

Wenn auch nicht jeder Weltkonzern schon wegen seiner Größe zu den Verdächtigen gezählt werden kann, ist die Furcht vor Gewinneinbrüchen in den offiziellen Bilanzen nicht ganz unbegründet. Das gilt für die amerikanische Nasdaq wie für die europäischen Neuen Märkte. Am deutschen Neuen Markt sollte deshalb sorgfältig geprüft werden, welche Unternehmen in der Euphorie auf Einkaufstour weltweit unterwegs waren und wie diese Unternehmen die Firmenübernahmen in ihren Bilanzen berücksichtigt haben.

Unter Umständen ist jetzt ein erheblicher Nachholbedarf entstanden, der den ausgewiesenen Gewinn erheblich und ganz plötzlich reduzieren könnte. Selbst wenn durch diese bilanzielle Erfassung die finanzielle Situation nicht zwangsläufig beeinträchtigt sein muss, es bleibt ein schaler Geschmack der Auswirkungen auf den Kurs haben könnte. Für jeden Anleger Grund genug, trotz des offenkundigen Konjunkturaufschwungs in den USA, die eigenen Kurserwartungen nicht ins Kraut schießen zu lassen.


* Dr. Friedhelm Busch
Er ist ein anerkannter Kenner des Börsengeschehens, spricht regelmässig mit Händlern, Analysten und Unternehmensvorständen: Friedhelm Busch, Moderator des Nachrichtensenders n-tv

 
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