Familienförderung zu Lasten der Ärmsten
Das neue Familienfördergesetz
Zum 1.1.2001 muss die Bundesregierung im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts den "Familienlastenausgleich" neu regeln. Das Geflecht von Steuerrecht, Sozialhilfe-Regelungen und Unterhaltsrecht ist dicht - die Spielräume sind begrenzt. Die von der Regierung geplante Regelung lässt viel zu wünschen übrig: Eine Schieflage zu Ungunsten gerade der bedürftigen Kinder und Familien ist unverkennbar. Dies ist umso erschreckender, als die Zahl der von Sozialhilfe lebenden Kinder in den letzten Jahren stark zugenommen hat, und der erste Armutsbericht der Bundesregierung Kinder gar als das größte Armutsrisiko in Deutschland einschätzt.
Die Neuregelung im Detail Ab 1.1.2001 soll es ein einheitliches Kindergeld von 300 DM pro Kind und Monat geben. Alternativ dazu können Eltern zwei Freibeträge von der Steuer absetzen, wenn dadurch eine größere Entlastung als die 300 DM im Monat herauskommt - das Finanzamt berücksichtigt automatisch die im Einzelfall günstigere Variante. Allerdings dürften wohl die Mehrzahl der Familien in Deutschland - Experten schätzen 85% - nach wie vor das Kindergeld bekommen, denn sie verdienen zu wenig, um durch die Freibeträge günstiger gestellt zu sein.
neue Freibeträge:
- 7128 DM / Jahr - Kinder-Freibetrag
- 4225 DM / Jahr - Erziehungsbedarfs-Freibetrag
- 11.353 DM / Jahr und Kind
Durch Kindergeld oder Freibeträge soll gewährleistet werden, dass die Grundbedürfnisse der Kinder steuerfrei gestellt sind - wie vom Bundesverfassungsgericht angemahnt. Allerdings bezweifeln Kritiker der Reform, dass die Grundbedürfnisse der Kinder - Unterhalt, Erziehung, Betreuung, Ausbildung - mit 300 DM im Monat abgegolten sind. Der Kinderschutzbund geht von Kosten in Höhe von 600 DM im Monat aus.
Neu ist auch ein zusätzlicher Betreuungs-Freibetrag:
Berufstätige Eltern von Kindern unter 14 Jahren können zusätzlich Betreuungskosten von der Steuer absetzen - aber nur unter bestimmten Bedingungen: Sie müssen den bisherigen Betreuungsfreibetrag von 3024 DM übersteigen - erst was darüber hinaus ausgegeben wurde, kann abgesetzt werden. Und das auch nur gegen Einzelnachweis und bis zu einer Höhe von maximal 2934 DM / Jahr und Kind (1.500 Euro).
Hier wird der Rotstift angesetzt
Etliche Familien in Deutschland werden trotz Kindergelderhöhung nach der Reform weniger Geld als vorher im Portemonnaie haben:
- 1. Familien mit Kindern in der Ausbildung Der bisherige Ausbildungsfreibetrag (zwischen 1.800 und 4.200 DM je nach Alter des Kindes und abhängig von der Unterbringung zu Hause oder auswärts) entfällt. Stattdessen gibt es einen "Sonderbedarf" in Höhe von 924 Euro (rund 1.850 DM) , den man zusätzlich zum Kindergeld von der Steuer absetzen kann. Voraussetzung ist allerdings, daß das Kind volljährig ist und auswärtig untergebracht. Familien mit Kindern in Ausbildung, die zu Hause wohnen, werden dadurch stärker als bisher belastet.
- 2. Alleinerziehende
Am Schlimmsten trifft es die Alleinerziehenden: Die Reform streicht den bisherigen Haushaltsfreibetrag in Höhe von 5.616 DM - scheibchenweise. Der Freibetrag wird "sozialverträglich abgeschmolzen" bis 2004. Der Freibetrag war verfassungsrechtlich bedenklich durch das Familienurteil des Verfassungsgerichtes von 1998. Dort hatte ein verheiratetes Paar geklagt, es sei mit zwei Kindern steuerlich schlechter gestellt, als ein unverheiratetes Paar, dessen einer Partner als "alleinerziehend" veranlagt wird.
Als einzige Lösung sah die Regierung die Streichung des einzigen Steuer-"Bonbons" für Alleinerziehende - es war eingeführt worden, um den "Halbfamilien" eine dem Ehegatten-Splitting vergleichbare Steuerentlastung zukommen zu lassen. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter verweist darauf, dass 80% der zwei Millionen Alleinerziehenden tatsächlich alleine lebt und nur eine Minderheit einen neuen Partner hat. Dennoch sieht sich die Regierung nicht in der Lage, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
Die Folge: Die Alleinerziehenden verlieren durch die Reform Geld, das sie dringend brauchen - schon bei Geringverdienern mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 45.000 DM macht die Belastung durch den wegfallenden Freibetrag rund 93 Mark im Monat aus, bei Normalverdienern rund 200 DM. Das ist dramatisch, da viele Alleinerziehende schon heute an der Armutsgrenze leben. Von der Kindergelderhöhung bekommen sie nur 15 DM pro Monat und Kind, da das Kindergeld eltern- und nicht kindbezogen gezahlt wird. - 3. Sozialhilfe-Empfänger
Ihre Kinder bräuchten mehr Geld am nötigsten - denn schon heute haben sie deutlich unterdurchschnittliche Bildungs- und Lebenschancen. Doch hier kommen nicht einmal die 30 DM Kindergelderhöhung an: Die werden von der Sozialhilfe gleich wieder abgezogen! Kinder in Sozialhilfe haben so wenig zur Verfügung wie eh und je.
Nicht jedes Kind ist gleich viel wert
Auch nach der rot-grünen Reform des Familienlastenausgleichs ist nicht jedes Kind in Deutschland gleichviel wert: Die meisten Eltern bekommen 300 Mark, Sozialhilfe-Empfänger umgerechnet nur 270 DM, Besserverdienende, die die Freibeträge nutzen, können pro Monat und Kind sogar 600 DM sparen. Eine Schieflage, die den Unterschied zwischen Arm und Reich weiter verstärkt - schon bei den Startchancen ins Leben.